Das erste Gyros, das wir auf unserem Trip bestellen, ist: vegan. Fabian pikst in den täuschend echt aussehenden Fleischfransenberg auf seinem Teller und hat die Gabel als Erster im Mund. Vorsichtig kaut er los. Und? Fabian lässt sich Zeit. Kaut, schaut zum Himmel, grinst, kaut ausgiebig weiter … Okay, er hat es nicht ausgespuckt, das reicht schon. Wir anderen vier haben nach diesem langen Tag im Sattel einfach zu großen Hunger, um sein Urteil abzuwarten und schaufeln selbst drauflos. Lecker!
Das vegane Gyros passt perfekt zu den Erfahrungen, die wir hier bisher in diesem Land gemacht haben, denn: Nichts ist so, wie wir uns unseren Griechenland-Trip eigentlich vorgestellt hatten. Dabei wollten Konstantin, Fabian, Max, Bebo und ich eigentlich nur nicht den Reifenspuren der typischen Bike-Urlauber folgen. Also nicht wie alle anderen von Insel zu Insel hoppen oder einmal vom Gipfel des Olymps runtershredden. Nein, wir wollten das Festland ganz im Norden Griechenlands erkunden. Per Roadtrip einfach mal treiben lassen und dabei den ein oder anderen Bikespot aufgabeln. Denn davon, dass es auch hier sehr aktive Trailcrews gibt, hatten wir schon gehört. Es soll sogar eine nationale Downhill-/Enduro- Serie existieren, und diese Rennen müssen ja auf irgendwelchen Strecken stattfinden. Also sammelten wir im Vorfeld ein paar gute Adressen von bikenden Locals und hatten bald eine grobe Reiseroute zusammen.
Vom Fährhafen in Igoumenitsa, an der Westküste wollen wir uns nun über die drei Spots Anilio, Meteora, Velventos rüber nach Thessaloniki an der Ostküste hangeln und abschließend noch einen Abstecher gen Süden machen, nämlich ins Parnass-Gebirge bei Delphi. Fünf Spots in zwölf Tagen. Mehr Plan hatten wir nicht im Gepäck, als wir gestern nach einer 30-stündigen Fährfahrt von Italien in den Hafen von Igoumenitsa tuckerten.
Anilio, unser erster Stopp, ist ein kleiner Bergort, der bereits auf 1000 Metern Höhe liegt. Eine Schotterpiste zieht sich von hier aus weiter die Bergflanken hinauf. Eben kurbelten wir noch durch lichten Nadelwald, jetzt will die Piste schnurstracks ein Wiesengelände hinauf. Dabei passieren wir vereinzelte, große Schilder. Nicht, dass wir die griechische Schrift lesen könnten, aber die Icons sind international: Wir strampeln gerade eindeutig eine griechische Skipiste hinauf. Dazu bläst frischer, böiger Wind von der Seite, und nicht mal das Gras am Wegrand will irgendwie mediterran riechen. Alles, was mir mit klopfendem Puls im Hals zu dieser Szenerie einfällt, ist: „Hochalpin. Wie daheim.“ Noch überraschter sind wir, als wir nach 700 Höhenmetern den Mountainbike-Trail-Einstieg erreichen: Breit und flowig angelegt kurvt der Weg um feuchte, moosbewachsene Eichen herum ins Tal hinunter. „Das hatte ich mir irgendwie ganz anders vorgestellt“, sagt Konsti später am Parkplatz und spricht damit aus, was alle anderen denken.
„Wir haben hier richtige Trails.“ Mit diesem Satz empfangen uns die beiden Locals Vasilis und Dimitri, als wir in unserem zweiten Spot eintreffen. Wir wollen den beiden ja glauben, doch die berühmten Klosterfelsen von Meteora sehen auf den ersten Blick gar nicht nach Trail-Paradies aus. Da stehen senkrechte Sandsteinwände mit ihrem UNESCO-Weltkulturerbe auf der Spitze und drumherum dieseln Touristenbusse.
Doch Vasilis ist Mountainbiker aus Leidenschaft und hat schon viele europäische Bike-Mekkas besucht, wie sein sonnengebleichtes Val-di-Sole-Shirt verrät. Hier führt er zwar meistens Touristengruppen auf Citybikes um die Klöster, aber hin und wieder verirrt sich auch mal ein Mountainbiker zu ihm. Und heute sind es gleich fünf auf einmal. „Das entspricht etwa der Anzahl aktiver Biker vor Ort …“, kichert der Grieche, doch da geht es auch schon los. Nur wenige Meter hinter den geparkten Reisebussen versteckt sich der Einstieg in den angekündigten Trail: ein schmales Pfadband, in mühevoller Handarbeit fürs Mountainbike optimiert. Vasilis zirkelt elegant durch die eng gesteckten Kurven, fliegt über kurze Gegenanstiege hinweg und lässt keine Gelegenheit aus, mit dem Gelände zu spielen. Er scheint hier wirklich jeden Stein persönlich hindrapiert zu haben. Sein geschmeidiger Fahrstil und das enorme Tempo zeugen von seiner Vergangenheit als Downhill-Racer, wir haben Mühe dranzubleiben, auch weil unser Blick immer wieder in die Felswandszenerie abschweift.
„Ola kala?“ – alles okay?, fragt uns Dimitri am Ende dieses wirklich spaßigen Trail-Tages. Mehr als das, versichern wir ihm. Den Bikespot Meteora speichern wir sogar als unvergesslich ab. Auch wenn uns die typisch griechische Landschaft mit Olivenhainen, steinigem Untergrund und Kräuterduft noch immer fehlt. Doch zumindest mit unserem Abendessen kommen wir unseren Vorstellungen näher. Die Menge an Olivenöl und Feta auf unseren Tellern ist schon sehr hellenisch, und allein das lässt unsere Vorfreude auf die kommenden Tage weiter steigen.
Für uns heißt es jetzt, weg von den Reisebussen, tiefer ins griechische Hinterland nach Velventos. Das kleine Dorf liegt im Pieria-Gebirge nordwestlich des Olymps und wartet mit perfektem Trailcenter und großem Stausee auf. Besonders ein Trail hat es uns angetan: Drei Kilometer lang bietet er auf 550 Tiefenmetern alles, was ein Enduro-Herz in Wallung bringt. Auf einen steilen, matschigen Einstieg folgt eine Mischung aus Wurzel- und Nadelteppich, kurzer Adrenalinschub im Steinfeld, dann mündet das Ganze in gut fahrbare Spitzkehren. Nur ab und zu schweift der Blick die neblige Böschung hoch, weil in dieser Gegend einige Braunbären leben sollen. Nach einer Bachquerung ändern sich plötzlich die Landschaft und der Mountainbike-Trail: Unsere Reifen schlingern jetzt durch sandigen, trockenen Untergrund, rechts und links wuchert stacheliges Gestrüpp, und ein Hauch von Rosmarin liegt in der Luft. Während sich im Wald noch die letzten Nebelschwaden auflösen, glitzert vor uns bereits ein großer See in der Sonne. Fast schon kitschig.
Weniger kitschig, sondern klassisch Großstadt: Thessaloniki. Mit seinen 326 000 Einwohnern ist die zweitgrößte Stadt Griechenlands ein ordentlicher Tapetenwechsel. Wir sind mit Tasos, dem Mitgründer von Outline Adventures, verabredet. Als Instructor hat er alle MTB-Guides in Griechenland ausgebildet und führt selbst auch Gäste über die Trails. Obwohl er gerade mitten im Abschluss seines Fernstudiums für Trail-Bau und -Planung steckt, will er uns die Hügel hinter der Großstadt zeigen. Nach nur 30 Minuten Fahrt tauchen wir in ein Trailpark-Labyrinth ein, aus dem wir ohne Tasos nie wieder rausgefunden hätten. Seine Beschreibung „Rocks, loose rocks, broken berms, flat turns, and it gets steeper at the end“, war nicht übertrieben. Unser Fazit: What a ride!
Das letzte Highlight auf unserer Reise liegt auf der Westseite des Parnass, einem 2455 Meter hohen Gebirgsstock in Zentralgriechenland. Hier liegt die kleine Stadt Delphi, die für ihr sagenumwobenes Orakel bekannt ist. Wir staunen aber wieder über nebelverhangenen Gebirgsnadelwald, von Moos überzogene Felsplatten und Schildkröten auf dem Weg! Kurzer Einkehrschwung zum Mittagessen in den Gassen von Delphi, dann geht’s mit Grillenzirpen im Ohr durch Wildblumenwiesen dahin, bis ganz am Ende der wilden Fahrt Kies unter den Reifen knirscht und wir tatsächlich am Strand der tiefblauen Ägäis stehen. Ach, Griechenland, da bist du ja endlich!
Die Fährfahrt von Italien (Ancona) nach Igoumenitsa wird von zwei Reedereien angeboten und dauert im Optimalfall zwischen 16 und 20 Stunden (469 Meilen), je nach Wetter und Wellengang aber auch deutlich länger. Obwohl die Tickets mit durchschnittlich fast 400 Euro (inkl. Auto) nicht gerade ein Schnäppchen sind, sollte man so früh wie möglich buchen. Gerade in der Hauptsaison sind die Schiffe schnell ausgebucht.
Wildcampen ist in Griechenland verboten, wird aber zumindest außerhalb der Saison quasi überall geduldet. Wer mit Verstand agiert und den kleinen Camper-Knigge beherzigt, wird überall mit offenen Armen empfangen.
Die Touren-Plattform Trailforks bietet gute Anhaltspunkte zu den einzelnen Spots. Allerdings muss man immer mit Überraschungen rechnen. Manche Strecken konnten wir zum Beispiel nicht finden, weil sie wahrscheinlich zugewuchert oder verfallen waren. Am besten fragt man sich immer bei den Locals vor Ort durch. Unsere Info-Adressen, die wir guten Gewissens empfehlen können:
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