Peaks of the Balkans Trail-TourMit Jérôme Clementz durchs wilde Prokletije-Gebirge

Der Theth-Nationalpark gehört zu den Highlights der Route.
Foto: Jérémie Reuiller
Dort, wo sich die höchsten Gipfel des Balkans türmen, treffen die drei Länder Kosovo, Albanien und Montenegro aufeinander. Es sind die “Verfluchten Berge”. Dennoch hat sich Enduro-Spezialist Jerôme Clementz mit drei Freunden aufgemacht, um einen Hirtenweg mit dem Mountainbike zu befahren, der dort durch die Grenzregionen klettert: der Peaks of the Balkans-Trail.

Text: Jérôme Clementz

“Nein, nein – wir brauchen ein Taxi für Vier. Vier Leute und vier Fahrräder.” Ludo nimmt zur Sicherheit seine Finger zu Hilfe, damit uns der Wirt des Rugova Base Camps auch wirklich versteht und uns ein passendes Auto bestellen kann. Der Kosovare nickt. Das mit der Vier scheint er längst verstanden zu haben. Ich glaube, es sind unsere Bikes, die ihn und seinen Gesprächspartner am Telefon irritieren. Doch irgendwann lacht unser Wirt ins Telefon, zuckt mit den Schultern und legt auf: Okay, Taxi kommt, aber dauert. Sehr gut, dann bleibt noch Zeit, um unsere Bikes aufzubauen. Wir sind heute Morgen erst in Pristina gelandet und anschließend mit dem Bus zwei Stunden weiter durchs Rugova-Tal zu dieser Unterkunft gereist. Allerdings wollen wir nur unser großes Gepäck hier lassen und gleich mit dem Taxi weiter nach Liqenat, wo unser Abenteuer starten soll. Ein wenig eng getaktet, unser Zeitplan für den ersten Tag. Aber dieses europäische Gebirge ist uns fast schon unheimlich unbekannt – besser, wir vertrödeln keine Minute. Dass unsere Tour aber schon daran scheitern könnte, dass es kein entsprechend großes Taxi für uns und unsere Bikes gibt, das hatte niemand auf dem Schirm.

Der Peaks of the Balkans Trail - nie gehört

Mein Kumpel Ludo May kam vor einigen Wochen auf die Idee dieser Tour. Nicht immer nur den ganzen Sommer lang von einem Enduro-Rennen zum nächsten tingeln, hat er gesagt. Lieber mal wieder richtig unterwegs sein auf dem Bike, was ganz Neues entdecken. Und die Bilder, die wir im Internet fanden, sahen wirklich spannend aus: Balkan – genauer gesagt: das Prokletije-Gebirge. Dort, wo die Landesgrenzen von Kosovo, Albanien und Montenegro aufeinander treffen. Lange Zeit galt diese Region als verbotenes Land. Heute hat man hier einen uralten Hirtenweg wieder ausgegraben und ihn als touristischen Wanderweg markiert. 192 Kilometer ist er lang und klettert auf über 2000 Meter Höhe in einer großen Runde von Gipfel zu Gipfel. Dabei wechselt er drei Mal die Landesgrenzen. Zehn Tage soll die Tour zu Fuß dauern, wenn man die große Runde wählt. Wie lange man mit dem Mountainbike brauchen wird, davon finden wir nichts im Netz. “Perfekt!”, fanden auch unsere Kumpels Cyril und Fotograf Jérémie Reuiller und es waren keine weiteren Überredungskünste nötig.

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Ein Geländewagen mit Dachreling für großes Gepäck stoppt auf dem Parkplatz. 'Outdoor Kosovo' steht auf der Seitentür. Wenn das unser Taxi ist, dürfte der Platz reichen. Ein großer, drahtiger Fahrer steigt aus und hält mit festen Schritten auf uns zu. Sein Blick: finster. Aber sein Englisch ist besser, als das von unserem Unterkunftswirt. Es sind unsere Bikes, die ihn stören. Damit sei der Trail nicht machbar. Aber es dauert nicht lang, bis er versteht, dass wir alpine Erfahrung haben, unser Gerät beherrschen und einigermaßen wissen, worauf wir uns einlassen. Schließlich taut er auf und stellt sich vor. Mentor sein Name, Bergführer und Spezialist für den Peaks of the Balkans Trail. Wir dürfen die Bikes auf dem Dach seines Wagens verzurren und es kann losgehen. Während der Fahrt zum Startort überschüttet uns Mentor mit wertvollen Tipps und zum Abschied steckt er uns noch seine Visitenkarte zu: “Wenn es Probleme gibt: ruft mich an. Jederzeit!” Ein Angebot, auf das wir leider noch zurückkommen sollten.

Irgendwie sahen die Berge im Internet etwas fahrfreundlicher aus. Erster Anstieg nach Montenegro.Foto: Jérémie ReuillerIrgendwie sahen die Berge im Internet etwas fahrfreundlicher aus. Erster Anstieg nach Montenegro.

Was man auf den Bildern im Internet nicht so gut erkennen konnte: Diese Prokletije-Berge sind verdammt steil. Zum Warmfahren bleibt wenig Zeit, Puls und Laktat hämmern direkt los. Aber es dauert nicht lang, bis wir die erste Geländestufe erreichen, in der es sich der kleine Leqinat-See gemütlich gemacht hat. Wie eine grüne Perle liegt er da in der sattgrünen Almwiese, locker umsäumt von ein paar Nadelbäumen. Sein Westufer grenzt bereits an Montenegro. Doch was uns Sorgen bereitet, sind die weißen Flecken in den Passflanken darüber. Von Restschneefeldern hatte Mentor erzählt. Der Winter sei dieses Jahr außergewöhnlich lang gewesen. Doch die weißen Flecken verdichten sich auf den noch fehlenden 400 Höhenmetern zum Pass hinauf zusehends. Schneller als gedacht müssen wir absteigen – und stapfen acht Kilometer lang durch eiskalten, knöcheltiefen Sulz. Das kostet Körner. Und Moral. Nur das GPS-Gerät behauptet noch, dass wir auf der richtigen Spur sind. Gesehen haben wir den Weg schon lange nicht mehr. “Seid froh, dass der Schnee nicht gefroren ist, sonst könnten wir direkt wieder umdr...”, Cyril stakst voran und bleibt mitten im Satz abrupt stehen. Bis wir aufschließen, hat er sich bereits festgelegt: “Ein Bär!” Tatsächlich, die Pfotenabdrücke im Schnee stammen sogar von mehreren Bären, denn die gleichen Spuren entdecken wir auch noch in klein. Die Aussicht, mitten in dieser wilden Gegend auf eine Bärenfamilie zu treffen, beflügelt uns wieder. So wie die Abfahrt der Marke Mégavalanche auf der anderen Passseite. 100 Tiefenmeter lang haben zumindest zwei von uns Spaß. Die anderen beiden müssen schieben. Doch bald haben wir wieder satten Sandweg unter den Reifen, der uns durch Almwiesen zu den ersten Bauernhöfen von Montenegro hinunter führt. Eine Frau sieht uns durchs Küchenfenster heranrollen. Ob wir eine Unterkunft suchen? Nein, geben wir ihr zu verstehen, aber sie winkt uns trotzdem auf ihre Terrasse. Ehe wir uns versehen, stehen Tee und ein großer Teller Pfannkuchen vor unserer Nase. Eine Gastfreundschaft, die wir von nun an jeden Tag erleben sollten.

Paradies für Ludo: Pfannkuchen stehen in allen drei Ländern auf der Speisekarte.Foto: Jérémie ReuillerParadies für Ludo: Pfannkuchen stehen in allen drei Ländern auf der Speisekarte.

Wir sollen vorsichtig sein. Eine Geschichte, die wir in den nächsten Tagen immer wieder zu hören bekommen: Gerade mal zehn Tage sei es her, dass hier oben zwei belgische Wanderer auf einem vereisten Schneefeld weggerutscht und in den steilen Abhang gestürzt sind. Beide tot. Deshalb fahren wir unseren Abenteuerdrang auf den folgenden Etappen etwas zurück. Zwar sind laut Mentor keine größeren Schneefelder mehr zu erwarten, aber übertriebene Fahrmanöver lassen wir lieber sein. Wer weiß, wie lang es hier dauert, bis im Notfall der Heli zur Rettung kommt. Wenn er überhaupt kommen kann, denn das Wetter hält uns in den nächsten Tagen immer öfter in Schach. Jeden Nachmittag quellen die Wolken am Himmel zu Monstern auf, aber wir schaffen es immer so gerade noch in die Unterkunft, bevor es zu schütten oder auch zu hageln beginnt.

Nicht fahrbar, hatte Bergführer Mentor gesagt. Das können Ludo und Jerôme für den Trail nach Doberdoll hinunter nicht behaupten.Foto: Jérémie ReuillerNicht fahrbar, hatte Bergführer Mentor gesagt. Das können Ludo und Jerôme für den Trail nach Doberdoll hinunter nicht behaupten.

Bis es uns im Theth-Nationalpark dann doch voll erwischt: Gerade haben wir uns noch gefreut, weil wir ein Gewitter erfolgreich in einem Bergcafé ausgesessen haben, um nun trocken und gestärkt den Anstieg zum Valbona-Pass in Angriff nehmen zu können. Da rollt die nächste schwarze Wand auf uns zu. Es bleibt nur ein hektischer Rückzug. Bloß weg vom Pass! Wir finden eine halbwegs windgeschützte Geländemulde unterhalb der Kammlinie und lassen das Elend geduckt über uns ergehen. Zumindest dauert der Spuk nicht lang. Aber wir sind völlig durchnässt und wissen: Da oben lauert nun die Absturzstelle der beiden Belgier. Zwar wurde eine Art Umleitung eingerichtet, doch die führt einen Klettersteig hinauf. “Könnt ihr mit den Bikes vergessen”, sagt Mentor am Telefon.

Die Umfahrung der Absturzstelle ist keine Option für uns

Das vereiste Schneefeld ist angetaut. Zumindest greift das Profil unserer Schuhe ganz gut. Trotzdem überlegen wir jeden Schritt. Hochkonzentriert tasten wir uns einer nach dem anderen über die Absturzstelle hinweg. Erst als alle vier sicheren Boden unter den Füßen haben, wird wieder gelacht. Vor Erleichterung. Aber auch, weil uns nun ein schneefreier Enduro-Trail ins nächste Tal hinunter belohnt. Zugegeben: Bergauf muss man auf dem Peaks of the Balkans Trail viel schieben und tragen. Aber bergab hat er uns zu 98 Prozent bespaßt. Sogar die Abfahrt vom Péja-Pass nach Albanien hinunter, die uns Mentor als völlig unfahrbar beschrieben hatte: Viel zu steil, grobes Geröll und engste Kurven – wir haben jede Serpentine seiner 700 Tiefenmeter genossen. Auch die Landschaft ändert sich auf dieser Tour ständig. Im Kosovo erinnerte alles ein wenig an die Vogesen und später an sibirische Steppen. Montenegro überraschte mit blühenden Almwiesen und mediterran duftenden Pinienwäldern. Nun, in Albanien, strahlen uns weiße Dolomitenfelsen an, bevor sich die folgenden Täler gen Osten wieder wie Schottland und die Mongolei weiten. Was wir leider in all den Tagen nicht zu Gesicht bekamen, sind Bären. Mehrfach haben wir Hüttenwirte gefragt, wie wahrscheinlich es ist, auf Bären zu treffen. Die Antwort war stets ein Kopfschütteln. Doch gerade, als wir nach einer Rast auf einer Wiese bei Doberdoll wieder aufbrechen wollen, entdecken wir sie doch noch: Da oben am Hang – in sicherer Entfernung – tollt eine Bärin mit ihren drei Jungen die Bergwiese hinauf!

So viel Glück muss man erstmal haben: Bärenmutter mit drei Jungen in sicherer Entfernung!Foto: Jérémie ReuillerSo viel Glück muss man erstmal haben: Bärenmutter mit drei Jungen in sicherer Entfernung!

Infos Peaks of the Balkans-Trail

Das Revier

Das Dinarische Gebirge zieht sich 600 Kilometer lang über den Balkan. Von Slowenien (Julische Alpen) über Kroatien bis in den Norden Albaniens. Ganz im Osten, wo die drei Länder Kosovo, Montenegro und Albanien in einem Dreiländereck zusammentreffen, erheben sich die höchsten, steilsten und schroffesten Gipfel: das Prokletije-Gebirge (höchster Berg: Jezerca, 2694 m). Übersetzt heißt Prokletije soviel wie “verflucht” oder “verboten”. Gerade wegen seiner steilen Topografie und seiner Unwegsamkeit wurde es auch erst im 20. Jahrhundert kartographisch richtig erfasst, Touristen wurde lange Zeit wegen des Eisernen Vorhangs zwischen Albanien und Montenegro kein Zutritt gewährt. Inzwischen aber sind die Grenzen geöffnet und immer häufiger werden diese Berge auch “Albanische Alpen” genannt.

Den Dreiländerpunkt auf dem Gipfel haben wir uns noch als Extra-Tour gegönnt.Foto: Jérémie ReuillerDen Dreiländerpunkt auf dem Gipfel haben wir uns noch als Extra-Tour gegönnt.

Die Tour

Der Peaks of the Balkan-Trail ist ein uralter Hirtenpfad, der heute als große Wanderroute über die höchsten Gipfel und Pässe des Prokletije-Gebirges führt. Auf seiner Länge von 192 Kilometern überquert er alle drei Ländergrenzen und taucht dabei in unterschiedlichste Landschaften ein. Mitten im wohl wildesten und ursprünglichsten Gebirge Europas.

Zu Fuß ist die gesamte Strecke in zehn Tagen zu schaffen, wir haben mit dem Bike acht Tage gebraucht. Das sagt schon alles. Wer sich mit dem Mountainbike auf diese Tour begibt, sollte sich auf lange Trage- und Schiebepassagen in steilstem Gelände einstellen. Bergab ist die Route zwar zu 98 Prozent fahrbar, aber nur wenn man eine solide Enduro-Fahrtechnik mitbringt. Sonst schiebt man auch hier viel und ist nicht viel schneller als ein Wanderer.

Visa

Die Grenzen stehen Wanderern und Bikern zwar offen, aber man braucht eine Art Visum für alle drei Länder, die man online beantragen kann: www.peaksofthebalkans.info

Unterkünfte

Das Prokletije-Gebirge ist nicht besonders dicht besiedelt, aber man trifft auf Höfe und Ortschaften. Am besten nutzt man den Orga-Service von Outdoor Kosovo: www.outdoorkosova.com

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