Dan Milner
· 13.04.2016
Menorca ist klein, flach und hütet ein Geheimnis: den Cami de Cavalls. Der uralte Reitpfad umkreist die Insel und hangelt sich dabei von Leuchtturm zu Leuchtturm. Fotoserie und Video zum Abenteuer...
Berge von Wellen werfen sich krachend in die Felsen unter mir, trollen sich dann zurück ins Meer und ziehen dabei einen weißen Schaumteppich mit sich. Ich blinzele von meinem Klippenvorsprung durch den salzigen Sprühnebel und bin völlig fasziniert von diesem Gewaltszenario. Da fährt mir auf einmal die Angst wie ein Dolch in die Brust: Was für eine dumme Idee von mir, diese 200 Kilometer lange Tour über die Meeresklippen in Angriff zu nehmen. Ich hab doch Höhenangst! Mit zitternden Knien taste ich mich zurück zu meinem Bike. Bloß weg von den Klippen. Mit dem Lenker meines Bikes in der Hand fühle ich mich bereits deutlich sicherer, und meine Augen konzentrieren sich jetzt wieder auf den Verlauf des Trails. Im Auf und Ab schlingert die Spur am Klippenrand entlang, bis sie hinter einem kleinen Anstieg verschwindet. Wenn ich es bis dort oben schaffe, ohne in den salzigen Tod zu stürzen, dann wartet oben wieder eine tolle Abfahrt zu einem Sandstrand, rede ich mir Mut zu. Mann, ich habe sogar Höhenangst auf Meereshöhe, stelle ich erstaunt fest und steuere mit flackerndem Puls in den Trail. Klippen, schmalste Singletrails und Höhenangst sind bisher die Hauptzutaten unseres Ausflugs. Aber es läuft ja auch gerade mal Tag eins unseres viertägigen Epic-Rides auf dem Cami de Cavalls. Dieser markierte Reitweg zieht sich einmal komplett um die Balearen-Insel Menorca – und dabei wird er uns noch um Buchten mit türkisfarbenem Wasser herumführen sowie an weißen Sandstränden vorbei und durch Eichenwälder. Spannende Abfahrten sollen auch dabei sein, so die Beschreibung. Die einzigen Konstanten dieser Tour werden dann wohl der gerade Trail-Verlauf und zur rechten Seite die Sicht aufs Meer sein. Hoffentlich machen diese beiden Aussichten nicht irgendwann müde.
Auf dem Cami de Cavalls kann man die Balearen-Insel Menorca auf 180 Kilometern umrunden.
DER TRAIL – ANGELEGT ZUR PIRATENABWEHR
Der Cami de Cavalls ist ein alter Reitweg, der im 16. Jahrhundert die Leuchttürme rund um die Insel miteinander verband. Man wollte damals die gefürchteten Piraten frühzeitig heransegeln sehen. Dieses finstere Kapitel der Geschichte ist natürlich längst zugeschlagen, doch 2010 hat sich ein Insulaner an diesen Rundweg erinnert und eine Restaurierung durchgesetzt. Heute eben für Biker, Wanderer und Reiter. Es war nicht schwer, die beiden Enduro-Asse Julia Hofmann und Karen Eller für diesen großen Ausritt auf Menorca zu begeistern. Wobei – ein wenig ungläubig geschaut haben die Mädels schon. Schließlich ist das Eiland mit seinem nur 358 Meter hohen Gipfel unter Bikern nicht gerade als Top-Revier bekannt. Eher für seine schönen Badebuchten. Ganze 216 Strände passiert man auf dem Reitweg. Doch von wegen flach: Eigentlich geht es entlang der Küste ständig rauf und runter. Der Weg schneidet Landzungen, klettert steile Felsstufen hinauf und lässt sich mit Schwung wieder zur Küste hinunterfallen. Insgesamt verbrennen wir auf unserem Viertagestrip Bremsbeläge auf 3700 Tiefenmetern.
Von allen Städten Spaniens sieht Mahon die Sonne zuerst aufgehen. Doch als wir die Inselhauptstadt anfliegen, ist von der Sonne nichts zu sehen. Ein Sturmwolkenpaket zieht gerade ab. Etwas nervös pedalieren wir zum Trail-Start in Sa Mesquida. Wir haben kaum eine Ahnung, was uns in den nächsten Tagen erwartet. Ein alter Leuchtturm markiert den Beginn. Das Mittelmeer ist extrem aufgewühlt, die Wellen peitschen wie im Atlantik.
IMMER GERADEAUS UND ZUR SEITE DAS MEER
Unsere Hinterräder spucken kleine Fontänen aus Schottersteinen, als wir den ersten Anstieg durch eine Wiese hochkeuchen. Oben kippt der Pfad sofort wieder in eine Abfahrt, die zur nächsten Sandbucht hinunterführt. Alles schön flowig. Das ist das Muster für die nächsten vier Tage: Anstieg, Abfahrt und das Ganze gleich noch mal. Wir hoppeln hölzerne Treppen hinunter, schieben unsere Bikes über weite, leere Strände und kurbeln auf Holzstegen über Sumpflandschaften. Hier und da stapfen Fischreiher und Stelzenläufer durchs Flachwasser – völlig unbeeindruckt von dem, was wir da gerade treiben.
Als der Leuchtturm vom Cap de Favaritx ins Sichtfeld rückt, haben wir die Nordküste der Insel erreicht. Zorniger Wind bläst uns ins Gesicht. Schön, dass unser Trail jetzt selbst den Schutz des Waldes sucht. Wir sind nun vier Stunden unterwegs, haben aber gerade mal die Hälfte der geplanten 45 Kilometer geschafft.
"Viele Biker denken, dass sie die Etappe locker in drei Stunden schaffen", sagt Joan Febrer Torres, den wir abends vor dem Essen treffen: "Da schaue ich immer in ungläubige Gesichter, wenn ich ihnen sage, dass sie sieben Stunden brauchen werden." Der Chef der Guide-Agentur Cami De Cavalls 360 grinst jetzt in seine Kaffeetasse. Wir grinsen zurück. Wer konnte denn ahnen, dass sich auf der Strecke auch noch 1225 Höhenmeter ansammeln? Todmüde schleppen wir uns in unsere Unterkunft in Ses Salinas. "Seid Ihr sicher, dass Ihr wisst, was Ihr tut?", fragt Daniel, unser Hotelier, am nächsten Morgen besorgt und deutet dabei auf meinen 15-Kilo-Rucksack.
"Ich fürchte, damit wirst Du auf der heutigen Etappe fast alles laufen." Daniel ist vor allem wegen eines neun Kilometer langen Abschnitts bei Binimel-la besorgt. Scheinbar eine Verkettung unfahrbarer Auf- und Abfahrten. Zum Abschied überreicht er uns noch riesige Sandwiches. Bereits am Hügel über Els Alocs verschlingen wir sie gierig. Dazu lassen wir uns in den Schatten einer 3000 Jahre alten Steinruine namens Tayalot plumpsen. Die von Daniel als so bedrohlich beschriebene Trail-Sektion liegt gerade hinter uns. Zwei Stunden haben wir mit den Anstiegen gekämpft, aber wir sind einfach stoisch vor uns hingekurbelt und gestapft – und irgendwann war es vorbei. Wir haben aber auch nur maximal 15 Minuten geschoben und wurden jeweils mit einer knackigen Abfahrt bei Laune gehalten.
Auf der Karte sieht Cala Morell nach einem größeren Ort aus. Wir hoffen, dort unsere Wasserreserven auffüllen und einen Kaffee trinken zu können. Doch das einzige Anzeichen von Leben sind Renovierungsgeräusche aus Ferien-Appartements. Ein Sound übrigens, der im März über die gesamte Insel wummert. Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als das schroffe Kalksteinplateau zwischen Punta Nati und Ciutadella mit leeren Trinkflaschen anzugehen. Ciutadella war mal die Hauptstadt der Insel, bevor die Briten den Amtssitz um das Jahr 1700 herum nach Mahon verlegt haben. Wir rumpeln am nächsten Morgen fast willenlos über die Kopfsteinplasterstraßen der Stadt. Die 3000 Höhenmeter der letzten beiden Tage haben unsere Kräfte ganz schön dahinwelken lassen. Wir sind jetzt halb rum um die Insel, und mir kommt es vor, als wären wir schon eine Woche unterwegs, so viel haben wir erlebt. Doch die nächsten zwei Tage sollten sich nun anfühlen, als hätten wir die Insel gewechselt.
Durch Ciutadellas Vororte führt ein schneller, flowiger Trail, der sich über flache Felsplatten dahinwindet und uns schließlich am südwestlichsten Eck der Insel ausspuckt. Die Sonne kommt raus. Der Wind lässt nach. Und in der Ferne schwebt die Küstenlinie von Mallorca auf einer flachen See. Heute schaffen wir die Hälfte der 48 Tageskilometer in nur zwei Stunden. Kunststück, wir sind dabei auch nur läppische 40 Meter geklettert. Doch es ist eine falsche Erleichterung, die uns da einlullt.
Wir schieben die Bikes über einen weißen Sandstrand, an dem das azurblaue Wasser nippt. Dann drücken wir die Bikes über felsige Wege direkt an der Küstenlinie entlang. Immer auf der Hut, dass wir uns keinen Platten durch einen Seeigel einfangen. Doch der Cami de Cavalls hat noch weitere Überraschungen parat. Am Nachmittag durchqueren wir mehrere Schluchten, die wieder steile Anstiege und Abfahrten mit sich bringen. Der letzte Downhill war sogar 600 Meter lang. Blöd nur, dass wir anschließend zu unserer dritten Übernachtung wieder nach Sant Tomas hochtreten müssen.
Jesus Florez Fernandez empfängt uns in Sant Tomas mit einem Lächeln im Gesicht. Er ist der Manager unseres Appartements, das wir vorab gebucht haben. Eigentlich macht sein Haus erst in sechs Wochen auf, doch für uns hat Jesus eine Ausnahme gemacht. So wie alle Menschen, die wir hier auf Menorca getroffen haben, ist auch er stolz, dass wir extra angereist sind, um diesen Weg mit dem Bike zu fahren. Nur das mit dem Abendessen hat er leider nicht geschafft. Immer wieder entschuldigt er sich, dass er uns fürs Abendessen mit dem Taxi ins nächstgelegene Dorf Es Migjorn Gran chauffieren lassen muss. Dort wird uns ein fabelhaftes Essen aufgetischt, zu dem wir uns diverse Cervezas gönnen.
An der Südküste trennt sich der Weg plötzlich vom Meer und führt uns durch kleine Eichenwälder. Hier empfängt uns eine ganze Batterie von glatten Naturstufen, die im Schatten der Bäume etwas schmierig sind. Wir kurven an rötlichen Felshöhlen vorbei und um Mandelbäume herum. Aus deren Zweigen sprießen ganze Wolken von pinkfarbenen Blüten. Der Pfad klammert sich nun an die Cala en Porter, wo wir den ersten Irish Pub passieren und gleich darauf ein indisch-chinesisches Restaurant, die vielleicht skurrilste Kombination, die ein Lokal bieten kann. Das ist die andere Seite von Menorca – die mit Sonnenschirmen, Strandlaken und Nachtclubs. Doch kurz darauf saugt uns der Trail schon wieder in eine steile Abfahrtspassage, die unsere volle Aufmerksamkeit verlangt. Da ist es ja wieder, das Meer. Es wird uns auf den letzten 14 Kilometern bis nach Mahon wieder begleiten. Allein dieses letzte Teilstück ist so variantenreich wie die letzten drei Tage zusammen. Manchmal schneidet der Pfad die grünen Felder wie ein weiches, orangefarbenes Band. Dann zieht er sich wieder zu einer wilden Spurrille zusammen, eingekeilt zwischen hohen Steinwänden.
Als wir am Torre de Penjat vorbeipedalieren, dem letzten alten Leuchtturm auf unserer Tour, denke ich an die Piraten von damals. Wenn jetzt einer dieser Seeräuber vor mir auftauchen würde, könnte ich ihm auf dem Bike entkommen? Wahrscheinlich hinge es davon ab, ob der Trail gerade bergauf oder bergab führt. Am Strand entlang oder über einen der ausgesetzten Felsenkliffs. Vielleicht aber auch davon, ob ich noch die Energie übrig hätte für ein schnelles Pedalieren. Und damit wäre die Antwort klar: Nein, ich würde ihm nicht entkommen. Nach 180 Kilometern auf diesem alten Trail samt 3700 Höhenmetern und 3700 Tiefenmetern über geniale Trails, fehlt mir jetzt schlichtweg die Kraft. Nicht schlecht für eine eigentlich "flache" Insel.
Der Cami de Cavalls kann das ganze Jahr befahren werden. Nur gibt es zwischen Dezember und April keine Direktflüge und kaum geöffnete Unterkünfte. Man kann die Route in beide Richtungen und an jedem beliebigen Ort starten. Wer sich 5 bis 6 Tage Zeit lässt, kann auch noch die schönen Strände genießen.
Unterkünfte Wir haben hier übernachtet: In Mahon im Es Castell (50 Euro, artiemhotels.com), in Ses Salinas (30 Euro B & B, hostalportfornalls.com), in Ciutadella (35 Euro B & B, sethotels.com) und in Sant Tomas (25 Euro, hamiltoncourt.com).
Infos Unter www.camidecavalls360.com gibt es Karten, GPS-Tracks, Unterkünfte, Gepäcktransport und Leih-Bikes.
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