Text: Luisa Werner und Carla Sailer
Der Abspann der YouTube-Doku “Cycling the Westfjords Way” läuft noch, da ist unsere Entscheidung gefallen. Diese Bikepacking-Tour durch Islands äußersten Westen soll auch unser nächstes Projekt werden. Und obwohl meine Freundin Carla und ich schon oft zusammen auf mehrtägigen Radtouren in den Alpen unterwegs waren, stehen wir dieses Mal vor besonderen Herausforderungen.
Wie ist es abseits der Zivilisation im Westzipfel Islands um die Verpflegung bestellt? Wir recherchieren im Netz und suchen über Fotos bei Google nach Supermärkten entlang unserer Strecke. Größere Orte und damit Geschäfte liegen teilweise bis zu vier geplante Radtage auseinander.
Und da es nach unserer Recherche auch wenig Möglichkeiten gibt, dazwischen Verpflegung zu organisieren, entscheiden wir uns sicherheitshalber eigenen Proviant aus Deutschland mitzunehmen. Auch die Campingplätze an den von uns geplanten Etappenzielen legen wir schon mal fest. Was wir allerdings nicht eingerechnet haben, sind die Naturgewalten auf Island: allen voran der unbarmherzige Wind, der unsere ausgetüftelte Streckenplanung ganz schön durcheinanderwirbeln sollte.
Als wir mit den für die Anreise verpackten Rädern in Ísafjörður (übersetzt: “Eisfjord”) ankommen, ist unser erstes Ziel “The Fjordhub”. Der Fahrradladen ist eine Art Willkommens-Oase für alle, die mit dem Fahrrad in die Westfjorde aufbrechen. Tyler Wacker, Besitzer und Seele von The Fjordhub, ist ein ruhiger Typ. Er empfängt uns herzlich und plaudert mit uns über die geplante Route.
Es ist bereits Mittag, als wir endlich loskommen und die größte Stadt der Westfjorde mit rund 3000 Einwohnern hinter uns lassen. Die Gravelbikes sind voll bepackt mit Zelt, Campingkocher und Gaskartusche. Jede von uns hat zudem einen Schlafsack, eine aufblasbare Isomatte und ein kleines aufblasbares Kissen dabei.
Und natürlich die Grundausstattung an Lebensmitteln, einige einfach zuzubereitende Gerichte wie Polenta mit sonnengetrockneten Tomaten, Reis mit Currysauce, asiatische Instantnudeln und Snacks wie Müsliriegel, Gummibärchen und Nüsse. Für alle Fälle!
Die Euphorie, mit der wir im “Fjordhub” losgeradelt sind, wird schnell getrübt. Die ersten zwei Tage sind lang und fühlen sich durch die Kälte und den Wind noch länger an. Statt der erwarteten fünfzehn Grad sind es nur um die fünf Grad. Es gibt wenige Cafés unterwegs, aber in jedem davon gibt es Waffeln. Waffeln und heiße Schokolade.
Ein erstes Highlight der Reise erwartet uns am Abend des zweiten Tages. Wegen zu starkem Seitenwind müssen wir die Räder teilweise sogar bergab schieben, so auch auf den letzten 300 Meter vor unserem Tagesziel, dem Campingplatz Hveravík. Gunnar, der Besitzer, bietet seinen Gästen hier ein wunderschönes Gemeinschaftshaus zum Kochen und Essen. Dazu einen 39 Grad warmen Außenpool.
Während wir im heißen Pool Energie auftanken, planen wir unsere Route um: bei dem starken Wind ist die Planung zu optimistisch. Wir kürzen die Route und reduzieren die Tageskilometer. Das beweist sich bereits am nächsten Tag als Glücksfall, da unsere umgeplante Route nun an einer Herde Islandpferde vorbeiführt und einen wunderschönen Gravel-Pass beinhaltet.
Wasserfälle am Wegesrand auf der einen Seite, ein spektakulärer Canyon auf der anderen, und weit und breit keine Menschenseele. Unberührte Natur, kein Massentourismus - so hatten wir uns das vorgestellt!
Da der Wind auch an den nächsten Tagen nicht nachlässt und sogar irgendwann so stark wird, dass Radfahren zu gefährlich ist, brechen wir die fünfte Etappe nach nur knapp zwanzig Kilometern ab und verbringen den restlichen Tag in einem Guesthouse. Ein Ruhetag, der ganz gelegen kommt.
In der zweiten Hälfte unserer Reise sind die isländischen Naturkräfte etwas gnädiger: bei rund vierzehn Grad und Sonnenschein nehmen wir sogar einen Umweg in Kauf und fahren zum Látrabjarg Felsen mit seinen Papageientaucher-Kolonien.
Von Islands Nationaltier bekommen wir zwar nur zwei Exemplare zu Gesicht statt der erwarteten tausend, aber die Landschaft entschädigt einmal mehr. Rote Gravelstraßen, die direkt an der Küste neben steilen Klippen entlang führen. Eine von grünem Moos gesäumte hügelige Heidelandschaft, unterbrochen von kleinen Seen, in denen sich die Sonne spiegelt. Island wie im Bilderbuch.
Und am Tag darauf folgen die nächsten Highlights. Zunächst der Reykjafjarðarlaug Hot Pool mitten im Nirgendwo, wo wir gerne einen Stopp einlegen. Und schließlich der beeindruckende Dynjandi Wasserfall, neben dem wir zwei Radfahrerinnen mit unserem Zelt sehr mickrig erscheinen.
Die Königsetappe der Tour führt uns bei perfekten Wetterbedingungen offroad über einen Gravelweg nach Þingeyri. Grobe Steine zwingen uns, ein Stück zu schieben. Immer wieder müssen wir kleine Flussläufe durchqueren, hinter jeder Kurve ändert sich die Landschaft.
Ein Tag, an dem wir aus dem Staunen nicht herauskommen. Aber wir geben Gas. Wir wollen unbedingt noch die Waffeln im Café Simbahöllin genießen, bevor es am Nachmittag schließt. Wie an jedem Tag der Reise steigen wir am Abend müde in den Schlafsack. Bevor es zum Ausgangspunkt in Ísafjörður zurückgeht, machen wir noch einen Umweg ins Dorf Flateyri.
Nach neun Tagen, 844 Kilometern und 11.200 Höhenmetern kommen wir voller Erlebnisse und mit müden Beinen wieder am “The Fjordhub” an. Tyler nimmt uns herzlich in Empfang und lauscht unserer Erzählung einer abenteuerlichen Radreise mit Höhen und Tiefen, in der wunderschönen und unerbittlichen Landschaft der Westfjorde.
Tag 1: 136 km | 1035 hm | 7,5 h - Start in Ísafjörður
Tag 2: 104 km | 925 hm, 6 h
Tag 3: 123 km | 1.580 hm | 7 h
Tag 4: 92 km | 1.100 hm | 5,5 h
Tag 5: 22 km | 230 m | 1 h
Tag 6: 132 km | 2.250 hm | 7,5 h
Tag 7: 92 km | 2.100 hm | 6 h
Tag 8: 109 km | 2.000 hm | 8 h - Königsetappe Offroad To Þingeyri
Tag 9: 33 km | 600 hm | 2 h - zurück nach Ísafjörður
Von mehreren deutschen Flughäfen fliegt man direkt in vier bis fünf Stunden nach Keflavík, etwa 50 Kilometer von Islands Hauptstadt Reykjavík entfernt.
Die Weiterreise zu den Westfjorden entweder per Rad (wer mehr Zeit hat) oder per Inlandsflug nach Ísafjörður, dann per Shuttle nach Ísafjörður, www.isavia.is/en/isafjordur-airport
Alternativen sind die Fähre von Stykkisholmur oder der Bus www.straeto.is/en
Vorsicht: Verbindung nur 1 x wöchentlich. Fahrrad-Mitnahme vorab klären!
Die Temperaturen stiegen tagsüber nicht über 15 Grad, nachts circa vier Grad. Es herrschte starker Wind, der das Radfahren teilweise unmöglich machte. Unbedingt Windvorhersage berücksichtigen! Infos zum Wetter in Island unter https://en.vedur.is/weather/forecasts/ elements
(siehe auch Tagesempfehlungen bei den einzelnen Etappen):
Gesamtdistanz: 844 km, 11.200 hm, 72 h Fahrzeit, 9 Radtage
Der Großteil der Route verläuft auf teilweise geteerten Landstraßen und die Höhenmeter scheinen auf den ersten Blick überwindbar. Das kann täuschen! Wind und Wetter können diese Tour abenteuerlicher und schwieriger machen, als zunächst gedacht. Also definitiv genug Zeit einplanen! Wir mussten unsere Route spontan anpassen und einen Tag in einem Guesthouse einen Sturm vorbeiziehen lassen.
Wir waren auf Gravelbikes mit 45 Millimeter Bereifung und viel Profil unterwegs. Das war auf einigen Abschnitten definitiv notwendig, besonders zwischen Bildudalur und Þingeyri. An Tag 8 muss man sich auch auf Schiebepassagen einstellen, welche jedoch durch grandiose Aussichten belohnt werden.
www.komoot.com/de-de/ collection/2991519/-the-icelandic- westfjords-way,
www.komoot.com/de-de/collection/2979317/-iceland-westfjords-bikepacking
Das sagen Luisa Werner (aus Karlstadt, Wohnort: Grenoble, Frankreich, Doktorandin im Bereich Informatik, 29 Jahre alt) Carla Sailer (aus Metzingen, Wohnort: München, Softwareentwicklerin in einer Medizintechnik-Firma, 30 Jahre alt) über sich und ihre gemeinsame: “Wir kennen uns von einer Uni-Veranstaltung aus Studienzeiten und haben unsere erste gemeinsame Bikepacking-Tour im Jahr 2020 unternommen. Seitdem ist eine gemeinsame Radreise im Jahr Tradition.”