Enduro-Abenteuer PyrenäenAuf den Spuren der Trans-Nomad

Gitta Beimfohr

 · 04.05.2024

Tag eins startet gleich mal mit einer saftigen Tragepassage am Llauset-Stausee.
Foto: Max Draeger
Angefixt von einem Youtube-Video macht sich ein Innsbrucker Enduro-Team auf den Weg in die Kulisse der spanischen Pyrenäen: Auf den Spuren der legendären Trans-Nomad treffen sie auf einen anderen Planeten.

Text: Max Draeger

Schon mal ein Video von der Trans Nomad gesehen? Wer ein Herz für Enduro hat, der bekommt diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf. In den Clips wickeln sich die Trails schier endlos durch einsame Hochalpinwelten. Adler und Geier kreisen am Himmel und schielen auf eine kleine Herde von Bikern da unten. Wie sie der Reihe nach in diese Pfadlinien einfädeln und scheinbar mühelos durch eine Fels-, Geröll- und Canyon-Galaxie surfen. Am Ende des Films blickt man in extrem glückliche Gesichter und auf einen Hüttentisch, auf den gerade Berge von Tapas und Rotwein aufgetragen werden. Klar, man schaltet danach einfach neidgeplagt aus, aber mir ließen diese Bilder keine Ruhe. Also Gerät wieder an: Wo genau liegt denn eigentlich dieser Pico de Aneto…?

Ob ein Trip durch die Alpen nicht abenteuerlich genug gewesen wäre?

Ziemlich genau 16 Stunden Autofahrt liegt der höchste Gipfel der Pyrenäen von Innsbruck entfernt, wie wir jetzt wissen. Bei der Planung klang das nicht so dramatisch, aber ist man erst mal unterwegs, fragt man sich schon das ein oder andere Mal, ob ein Biketrip innerhalb der Alpen nicht doch abenteuerlich genug gewesen wäre. Aber Arturo erwartet uns nun in Vielha, im spanischen Val d’Aran. Als Local kennt er die Biketrails aus den Trans-Nomad-Videos natürlich. Auch die EWS und der Downhill-Worldcup machten in seinem Revier entlang der französisch-spanischen Grenze schon mehrfach Station. Wir sollten uns mindestens eine Woche Zeit nehmen, hatte Arturo empfohlen. Und am besten ein Shuttle-Fahrzeug mitbringen, damit wir möglichst viele Trailspots rund um den 3404 Meter hohen Gletscherriesen Pico de Aneto erleben können.

Meistgelesene Artikel

1

2

3

Zur Akklimatisierung gibt es in den tieferen Regionen bei Ainsa und Baqueira auch schon jede Menge zu tun.Foto: Max DraegerZur Akklimatisierung gibt es in den tieferen Regionen bei Ainsa und Baqueira auch schon jede Menge zu tun.

Reichlich verknittert von der langen Fahrt begrüßen wir Arturo zum Frühstück unseres ersten Morgens in den Pyrenäen. Er habe es sich schon gedacht, dass wir heute nicht die Fittesten sein würden. Daher habe er für heute eine Akklimatisierungstour geplant. Es geht Richtung Baqueira, in ein nahegelegenes kleines Skiresort, das im Sommer mit einer Bikepark-ähnlichen Anlage aufwartet. Hier hat schon mehrmals die Freeride World Tour (FWT) stattgefunden. Lifte helfen hier keine bergauf, aber es gibt Shuttle-Fahrzeuge, die in diesem Labyrinth aus Hohlwegen, Anliegern, engen Kurven und kleinen Sprüngen einen Großteil der Höhenmeter abnehmen. Für die extra guten Abfahrten müssen wir aber selbst noch tätig werden, und die Mühe lohnt. Jegliche Zweifel, ob dieser Trip die weite Anfahrt ins spanische Bergland wert war, sind hier bereits vom Tisch.

Am Llauset-Stausee stolpert man die ersten Höhenmeter durch riesige Felsblöcke.Foto: Max DraegerAm Llauset-Stausee stolpert man die ersten Höhenmeter durch riesige Felsblöcke.

Nachmittags sitzen wir wieder im Auto und steuern die östlichen Flanken des Pico de Aneto-Massivs hinauf. Während wir an belegten Brötchen knabbern, fliegt draußen am Fenster eine immer staubiger aussehende Hochgebirgswelt vorbei. Restschneefelder blitzen auf. Dann der Llauset-Stausee, wo die Fahrstraße endet. Arturo hatte angekündigt, dass von hier aus noch 250 Höhenmeter bis zu unserem gebuchten Hüttenbett fehlen. Nur hätte niemand gedacht, dass wir dafür durch riesige Felsblöcke klettern müssen. Irgendwann zeichnet sich ein steiler Pfad ab, der aber mit unseren vollgepackten Rucksäcken auch nicht fahrbar ist. Zwei Stunden mühen wir uns ab, das Tageslicht droht auszugehen – an eine vergleichbare Szene kann ich mich in den Clips der Trans Nomad gar nicht erinnern. Aber an das Bild mit der futuristisch anmutenden Hütte in Gipfellandschaft schon. Nur, dass das komplett aus Metall gebaute Refugio Cap de Llauset jetzt in der Abendsonne nicht silbern, sondern bronze-farben glänzt. Trotz ihrer kühlen Aluhaut empfängt uns die Hütte im Inneren mit einem gemütlichen Holzkern. Es duftet nach Abendessen – was für eine Punktlandung!

„Scheiße, Jens! Alles okay?!”

Der verblockte Pfad von der Hütte fordert am nächsten Morgen volle Konzentration. Kumpel Jens bleibt trotzdem mit dem Pedal hängen, verliert das Gleichgewicht und stürzt ein gutes Stück die Böschung hinunter. Als sich der Staub lichtet, steht Jens aber schon wieder. Vorsichtig klettert er zu uns hinauf: zum Glück keine große Verletzung. Aber Kopf und Schulter schmerzen. Daher bricht er die Tour hier ab und wird in den nächsten Tagen mit Livi das Shuttle-Auto fahren. Wir kurbeln dagegen weiter Richtung Llauset-Gipfel. Jetzt natürlich noch konzentrierter. Dann müssen wir die Räder auf steilstem Pfad bald schultern. Zwei Schritte vor, einer zurück. Das lose Schottersand-Gemisch ist gnadenlos und zehrt auf fast 3000 Metern Höhe extrem an den Kräften. Aber nicht an der Moral, denn ich ahne, was da oben auf uns wartet. Und richtig: Auf der anderen Bergseite öffnet sich für mich ein Déjà-vu: die Mondlandschaft aus dem Video, mit Felsen und Gestein in allen Größen, Formen und Grauschattierungen. In der Realität erscheint das Ganze sogar noch gigantischer. Nur der Adler am Himmel fehlt noch. Vielleicht sitzt der grad irgendwo in seinem Horst und schaut uns dabei zu, wie wir in der losen Schotterspur versuchen, Grip zu finden. Bremsen ist jedenfalls keine gute Idee. Am besten behält man den Trail hochkonzentriert im Auge und lässt es beherzt laufen. „Und, eine Wahnsinns-Landschaft, oder?“, fragt Livi, als sie uns in Cerler an einer Pommesbude wieder aufgabelt. Wir erschrecken selbst: Mist. Weiter unten haben wir vor lauter Fokus auf den Trail gar nicht mehr auf die Kulisse geachtet.

Oben haben wir die unfassbare Landschaft noch in uns aufgesogen. Danach galt sämtliche Konzentration dem sportlichen Trail.Foto: Max DraegerOben haben wir die unfassbare Landschaft noch in uns aufgesogen. Danach galt sämtliche Konzentration dem sportlichen Trail.

Für den nächsten Trail des Tages zieht Arturo schon im Auto die Knieschoner hoch: „It’s a little bit loose, some rocks and watch out for the tight corners”, gibt er uns noch mit auf den Weg, bevor er sich vor uns in den Wald hineinstürzt. Ein Trail, den man in Spanien mit einem „Cojonudo!“ bewertet, wie wir später bei einem sensationellen Abendessen in Benasque lernen. Was frei übersetzt etwa so viel bedeutet, wie: „Oida, is des geil!“

Viele dieser Trails wurden erst von der lokalen Trailcrew mit der Schaufel erst wiederbelebt.Foto: Max DraegerViele dieser Trails wurden erst von der lokalen Trailcrew mit der Schaufel erst wiederbelebt.

Aber natürlich ging auch der Flowtrail-Trend an der Region nicht vorbei. Arturo selbst hat in einigen Bergflanken die Schaufel angesetzt. Sein Favorit windet sich durch einen dschungelartigen Tunnel. Mit solch einem satten Grün hätten wir auf der Südseite der Pyrenäen nicht mal im Traum gerechnet. Doch an Regen mangelt es den Bergen westlich des Aneto scheinbar nicht. Als wir am Ende des Flowtrail-Tages zu unserer nächsten Unterkunft hoch shutteln, zerplatzen bereits erste fette Tropfen auf der Windschutzscheibe.

Hätten wir in dem Moment doch schon gewusst, dass auf die Suppe noch eine Paella, Grillfleisch, Rotwein und ein Unwetter folgt...!Foto: Max DraegerHätten wir in dem Moment doch schon gewusst, dass auf die Suppe noch eine Paella, Grillfleisch, Rotwein und ein Unwetter folgt...!

Wir sind die einzigen Gäste im Refugio de Marradetas auf 2000 Meter Höhe. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum uns der Hüttenwirt ein regelrechtes Festmahl auftischt. Eine Suppe und eine reichlich bestückte Paella machen den Anfang, danach folgen feinstes Fleisch und Gemüse vom Grill. Anschließend lassen wir uns von einer guten Flasche Rotwein am offenen Kamin langsam in den Schlaf dimmen. So bekommen wir gar nicht mit, dass sich draußen vor der Tür ein Unheil über uns zusammenbraut. Blitze im Sekundentakt und einschlägiges Donnerknallen reißen uns mitten in der Nacht aus den Träumen. Regen trommelt aufs Dach und tropft an der ein oder anderen Stelle sogar von der Decke. Dabei haben wir Glück, denn beim Frühstück zeigt der Wirt auf ein notdürftig geflicktes Loch in der Ziegelwand. Erst vor ein paar Wochen habe dort ein Blitz eingeschlagen…

Auf jeden Fall hat unser nächtliches Gewitter die Hitze aus den Tälern geblasen. Auf den Touren der nächsten Tage schwitzen wir nicht, sondern bekommen es mit Kälte, Wind und leichtem Neuschnee zu tun. Gerade auf den langen Tragepassagen zum Punta d'Armena und auf den Gipfel des Comodoto im Nationalpark Ordesa versuchen uns Sturmböen immer wieder auszuhebeln. Auch der nahezu perfekte Endurotrail von Bielsa ist uns nur mit Regendusche vergönnt. Aber egal. Wir ziehen unser Programm durch. Das ist der Vorteil einer langen Anreise: Keiner aus unserer Gruppe möchte auch nur einen Trail-Zentimeter verpassen. Wer weiß schon, wann es die nächste Gelegenheit für solche Trails gibt?

Ja, das Wetter hat umgeschlagen. Es ist saukalt und wahrscheinlich schieben wir gleich durch Schnee. Aber: egal!Foto: Max DraegerJa, das Wetter hat umgeschlagen. Es ist saukalt und wahrscheinlich schieben wir gleich durch Schnee. Aber: egal!

Und deshalb bestehen wir auch noch darauf, einen Blick über den Hauptkamm der Pyrenäen zu werfen und ein paar Trails auf der französischen Nordseite zu erleben. Trotz Sprühregens treffen wir kurz hinter der Grenze bereits auf die ersten Wanderer, doch die Enduro-Strecken von Aragnouet haben wir wieder für uns allein. Man merkt, dass hier mehr mit feuchter Witterung gerechnet wird. Egal, welchen Schwierigkeitsgrad wir einschlagen: Sämtliche Trails lassen sich hier auch bei Nässe gut fahren. Sogar die tief-schwarz markierte Line durch den Märchenwald von Saint-Lary-Soulan mit ihren Rockslabs, Drops und Riesenfarnen bekommen wir mit etwas Fingerspitzengefühl am Bremshebel in den Griff. Also nach den Erfahrungen der letzten acht Tage könnten wir uns locker für die nächste Trans-Nomad anmelden, denke ich laut. Aber da reißt Arturo die Augen auf: Ach so! Die Trails fürs nächste Rennen habe er uns gar nicht gezeigt. „They are top secret!“

Infos Zentralpyrenäen

Das Revier: Die Pyrenäen sind 430 Kilometer lang und damit nach den Alpen das zweitgrößte Gebirge Europas. Entlang ihres Hauptkamms zieht sich die Grenze zwischen Frankreich und Spanien, zwei sehr Mountainbiker-freundlichen Ländern. Entsprechend groß ist die Freiheit auf den Trails, die man hier entdecken darf. Vor allem in den Zentralpyrenäen bei Vielha, wo sich die Viertausender türmen und Nationalparks die Hand geben. Im Gegensatz zu den touristischen Regionen an Mittelmeer und Atlantik trifft man hier auf einsame Bergwelten. Viele Wege waren bereits verfallen, werden aber seit ein paar Jahren von einer ambitionierten Trailcrew wieder ausgegraben und fahrbar gemacht. Um diese Hochgebirgspfade genießen zu können, braucht man allerdings eine stabile Enduro-Fahrtechnik (bis S3), sowie Kraft und Willen, sein Bike auch mal für 500 bis 1000 Höhenmeter bergauf zu tragen.

Beste Reisezeit: Wie in den Alpen muss man auch in den deutlich südlicher gelegenen Pyrenäen bis in den Juni hinein mit Schnee rechnen. Grundsätzlich ist das Klima auf der spanischen Seite mediterraner, trockener und im Sommer in den Tälern oft sehr heiß. Wetterumschwünge können aber auch hier eiskalt durchs Hochgebirge fegen. Einheimische steuern dann tiefergelegene und damit meist regenarme Trail-Reviere, wie die Zona Zero bei Ainsa, an.

Übernachten: Unterkünfte findet man in den Talorten und entlang der Touristen-Routen, nahe der Nationalparks, leicht. In den Bergen warten bewirtschaftete Hütten, aber auch Hütten für Selbstversorger. Doch wer den weiten Weg in die Pyrenäen gemacht hat, der sollte sich das spanische Hüttenessen und die extreme Gastfreundschaft nicht entgehen lassen.

Touren: In den Online-Tourenportalen findet man jede Menge Tracks. Darunter auch Trail-Routen von den zahlreichen Freeride- und Enduro-Events der Region. Wir aber haben die Erfahrung gemacht: Ohne ortskundigen Guide hätten wir so manchen Trail nicht gefunden. Die Wegmarkierungen sind nicht lückenlos und einige Trails starteten erst nach einer spurlosen Kletterei durch große Felsbrocken.

Geführte Touren/Camps: Eine Rundtour „The Trail Gate“ zu den ergiebigsten Trails um das Pico de Aneto-Gletschermassiv bietet der Innsbrucker Veranstalter Flat Sucks an. Preis für eine Woche inkl. HP, Shuttle-Service und Guide: 2050 Euro. Flug nach Toulouse extra. Info und Termine: flatsucks.at

Trans Nomad 2024: Wer das spektakuläre Enduro-Rennen im Herzen der Pyrenäen mal selbst erleben möchte – nächster Termin: 2.-6.10.24, aber Achtung: Es gibt nur 90 Startplätze!
Vier Tage lang geht's auf noch unbekannten Trails durch die Hochgebirgsregionen von Bielsa Trocs und Bal de Chistau. Trotz Shuttle-Einsatz stehen auch hier Schiebe- und Tragepassagen von bis zu 1000 Höhenmeter auf dem Programm. Insgesamt: 160 Kilometer, 5000 Höhenmeter und 10.000 Tiefenmeter. Race-Sections: 4-5 pro Tag. Startgebühr: 1375 Euro. Info: trans-nomad.com

Meistgelesen in der Rubrik Touren