Barock und Beton, Kunst und Kremes, Moderne und Sozialismus: Bratislava ist ein Kaleidoskop der Kontraste. Auf Radtouren in der slowakischen Hauptstadt zwischen prachtvollen Palais und Plattenbauten entdecken unsere Autoren, wie Geschichte und Gegenwart ineinanderfließen.
”Wir hätten alternativ auch das Boot nehmen können“, sagt Alex und lacht, als wir aus dem REX 6 steigen. Der Bahnhof Petržalka empfängt uns mit einem Rundumblick auf Beton. Wir stehen inmitten der größten Plattenbausiedlung Europas. Es ist kurz vor neun Uhr, erste Wolken ziehen am Himmel auf, ein energiegeladener Morgen. Bratislava empfängt uns mit leichtem Wind, der nach Donau, Beton und Abenteuer riecht. Unsere Fahrräder stehen wie immer bereit. Nur noch die Taschen befestigen und schon geht’s los in Richtung Altstadt zu unserer Unterkunft. Wir kommen gerade aus Wien, wo wir die letzten Tage in kaiserlicher Geschichte und Kaffeehauskultur gebadet haben. Aber jetzt wollen wir etwas anderes: Bratislava, diese kleine, manchmal übersehene Hauptstadt mit ihren Ecken, Kanten und versteckten Schönheiten. Unsere Unterkunft, das AC Hotel Old Town, ist angenehm modern, zentral und unweit des historischen Zentrums gelegen. „Das Zimmer ist schon fertig“, sagt die Rezeptionistin freundlich. Jackpot. Gepäck rein, Helm auf, Kamera griffbereit. Die Stadt will erkundet werden.
„Was ist das denn für ein Gebäude?“ frage ich nach nicht mal fünf Minuten auf dem Rad und deute auf einen unförmigen Betonklotz. „Das ist das slowakische Rundfunkgebäude“, antwortet Alex und zieht seine Augenbrauen hoch. Die umgedrehte Pyramide ist Brutalismus in Reinform. Wir starten mit einer kleinen Zeitreise durch die jüngere Geschichte der Stadt. Wenig später stehen wir am Platz der Freiheit. Hier sieht Bratislava aus, als hätte man ein kommunistisches Architekturlexikon explodieren lassen. Wir fahren weiter, vorbei an der Markthalle Nova Tržnica, dem sogenannten Centre Pompidou des Ostens. Stahl, Glas, Beton. Grau in Grau. Und dann, nur ein paar Pedaltritte weiter, der krasse Kontrast. Die Altstadt empfängt uns mit Kopfsteinpflaster, verwinkelten Gassen sowie dem Duft nach Kaffee und süßem Gebäck. Vor dem Café Mayer bleibt Alex plötzlich stehen. „Hier soll Maria-Theresia nach ihrer Krönung gefeiert haben“, sagt er. Wir lehnen die Räder an eine Hauswand und gehen zu Fuß weiter. Wollen den Krönungsweg einmal ablaufen, aber dann lachen wir laut auf: Gerade erst haben wir den eleganten schönen Naci am Café getroffen, jetzt linst uns aus einem Gullideckel Cumil entgegen, die berühmte Bronzefigur, halb Mann, halb Stadtgeheimnis. Bratislava liebt seine Skulpturen. Sie sind der Beweis, dass hier nicht alles so ernst gemeint ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
„Heute wird’s sportlich. Einmal kurz und knackig bitte“, sagt Alex und zeigt auf den Hügel vor uns. Ziel: die Pressburger Burg, das Wahrzeichen Bratislavas. Die asphaltierte Straße ist steiler als gedacht, meinen Oberschenkel merke ich bereits nach der ersten Minute. „Nur kurz den Berg hoch“, keuche ich. Aber als wir oben ankommen sind, ist schon wieder alles vergessen. Vor uns liegt die Stadt, die Donau glitzert und die weiße Burgfassade versucht mit ihrer Strahlkraft dem grau der Wolken zu trotzen.
Wir erkunden Garten und Gelände, bevor wir wieder langsam Richtung Martinsdom hinabrollen, wo sich zwischen 1563 und 1830 die ungarischen Könige krönen ließen. „Ein bisschen Ehrfurcht, bitte“, flüstere ich scherzhaft, als wir die Räder anschließen und die Kirche betreten. Zufällig, oder vom Schicksal perfekt getimt, beginnt gerade eine Chorprobe. Die Stimmen hallen durch das Gewölbe, ziehen sich in die letzten Winkel der Kapelle. Wir stehen da, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ich schließe die Augen. Kurz fühle ich mich in die Vergangenheit versetzt. Der Abend bringt uns zurück ins Hier und Jetzt. Eine kleine Weinverkostung in einem Kellerlokal der Altstadt steht auf dem Plan. Unser Gastgeber erklärt, woher jeder Wein stammt: Mal aus Svätý Jur, mal aus Modra. Orte, deren Namen wir vorher noch nie gehört haben. Sie alle liegen in den Kleinen Karpaten, einem an die Stadt angrenzenden Weinanbaugebiet. Erst kommt der Riesling, dann der Rose und mit diesem ein breites Lächeln auf meinem Gesicht. Alex fragt was los ist. „Der riecht wir früher der Strauch mit den dunklen Johannisbeeren im Garten meiner Großeltern“, sage ich und träume mich in die guten alten Zeiten. Der Tag endet mit einem warmen Rausch für uns und slowakischen Klängen aus dem Nachbarhaus.
Was gestern die Höhe war, zieht sich heute in die Länge. Wir fahren 20 Kilometer aus der Stadt hinaus, immer am Damm der Donau entlang, bis zum Danubiana Meulensteen Art Museum. „Hoffentlich lohnt sich das auch“, meint Alex als wir in die Pedale treten. Der durchgehend gut ausgebaute Radweg ist angenehm flach, aber der Wind von vorne macht uns zu schaffen. Der Fluss zeigt sich selten, versteckt hinter Bäumen und Böschungen. Aber dann, nach knapp einer Stunde, erreichen wir es: das futuristische Gebäude auf der Halbinsel. Und ja, es lohnt sich. Das Museum ist ein wahrer Geheimtipp. Drinnen erwarten uns Werke slowakischer und internationaler Künstler, draußen Skulpturen, die mit dem Himmel konkurrieren. Wir steigen der Kunst, im wahrsten Sinne des Wortes, aufs Dach. Hier oben weht ein starker Wind, aber die Aussicht auf die Donau sowie die Objekte auf dem Areal sind atemberaubend. Zurück in der Stadt lassen wir den Tag und unseren Bratislava-Besuch mit einem kulinarischen Highlight ausklingen. Wir kehren in die Pasteleria ein. „Hier soll es die beste Kremes der Stadt geben“, sage ich und ziehe Alex in einen unscheinbaren Hinterhof in der Panská-Straße. Das kleine Café ist kaum zu finden, aber als wir schließlich davorstehen, begrüßt uns ein junges Paar mit Lächeln und duftendem Kaffee. Die sagenumwobene Cremeschnitte ist zart, süß und leicht. Pudding, Sahne, Blätterteig und ein Hauch von Schokolade. „Ein wenig wie der Himmel auf Erden“, sagt Alex, der eigentlich mit dem Käsekuchen geliebäugelt hatte. Ich nicke und freue mich über diesen perfekten Abschluss.
Bratislava hat uns überrascht. Es ist keine Stadt, die sich aufdrängt. Sie flüstert eher, zeigt sich in Teilen, lässt sich entdecken. In drei Tagen haben wir viel gesehen und erlebt: barocke Altstadt, sozialistische Monumentalbauten, moderne Kunst und ehrliche, herzhafte Küche. Mit dem Fahrrad ist man frei. Frei, sich treiben zu lassen. Ein Wegenetz im Zentrum ist nicht wirklich vorhanden. Manchmal startet ein Radweg wie aus dem Nichts, endet dann aber auch genauso. Doch das macht nichts. Dann steigt man ab, lacht, schiebt, schaut sich um. Die Stadt will nicht perfekt sein. Sie will echt sein. Und genau das macht sie so besonders.
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Start am Maximilian-Brunnen in der Altstadt. Zuerst geht es zu den eindrucksvollen Brutalismus-Gebäuden aus der sozialistischen Ära, deren kantige Formen spannende Kontraste zur historischen Altstadt setzen. Anschließend führt die Route hinauf zur Burg Bratislava mit Panoramablick über Donau und Stadt. Von hier aus fährt man zum St.-Martins-Dom, der einst Krönungskirche ungarischer Könige war. Den Ausklang bildet eine Fahrt entlang der Donaupromenade, bevor es zurück ins Herz der Altstadt geht. ACHTUNG! Eine Tragepassage für das Rad ist in der Tour enthalten.
Ausgangspunkt ist erneut der Maximilian-Brunnen. Über den Botanischen Garten führt der Weg gemütlich am Donauufer entlang bis zur eindrucksvollen Burg Devín, wo Donau und March ineinander fließen. Ein geschichtsträchtiger Ort mit spektakulärer Aussicht. Nach einer Besichtigung des historischen Anwesens geht es auf derselben Strecke entspannt zurück in die Altstadt.
Die dritte Tour startet ebenfalls am Maximilian-Brunnen. Über die Donau-Brücke verlässt man die Stadt in Richtung Süden. Man fährt durch die weiten Donauwiesen und kommt in den Genuss der offenen Landschaft. Das Zwischenziel ist das Danubiana Meulensteen Art Museum, ein modernes Kunstzentrum auf einer Halbinsel, die sich in der Donau befindet. Nach dem Besuch von Museum, Garten und Café folgt die Rückfahrt auf derselben Strecke in die Altstadt.
April bis Juni: angenehme Temperaturen, blühende Parkanlagen, weniger Touristen/Touristengruppen September bis Oktober: milde Herbsttage, oft goldenes Licht, ideale Wetterbedingungen zum Radfahren
Unser Tipp: AC Hotel Bratislava Old Town, Vysoká 2/A, 81106 Bratislava, Slovakia