Alex Hüfner
· 29.01.2024
Normalerweise sollte eine Reportage wie diese wohl mit einem Streifaug per Fahrrad durch die Stadt beginnen. Doch wir haben uns anders entschieden. Zwei Projekte, die sich in den letzten Jahren in Barcelona entwickelt haben, sind so bemerkenswert, dass wir sie an den Anfang stellen möchten.
Wir sind im Bezirk „Eixample“ untergekommen. Sobald wir unsere Unterkunft verlassen, treffen wir vorwiegend auf Einheimische. In die umliegenden Cafés und Tapasbars, die noch spanische Leckereien für den schmalen Geldbeutel anbieten, haben wir uns sofort verliebt. Ein typisch katalanisches Stadtviertel. Aber: Der Lärm von Presslufthämmern und umherfahrenden Baggern trübt die Stimmung. Ein entspanntes Käffchen an einem der Straßentische in den Cafés? Fehlanzeige. Die Baustelle entpuppt sich jedoch als Vorbote der Zukunft, denn wir werden hier unmittelbar Zeuge der Entstehung eines „Superblocks“. „Superblocks“, auf Katalanisch „Superilles" genannt, sind verkehrsberuhigte Zonen. Bis zu neun Häuserblocks werden in ihnen zusammengefasst. Fußgänger und Fahrradfahrer haben dort Vorrang, der Autoverkehr wird auf ein Minimum reduziert. Hört sich fantastisch an, aber funktioniert das auch?
Kurzerhand verwerfen wird erst einmal unsere eigentlich geplante Sightseeingtour und fahren nach „Poble Nou“, einem bereits existierenden Superblock in Barcelona. Als wir um die Ecke biegen, wird direkt klar: Hier ist einiges anders. Anstatt auf die nächste Kreuzung rollen wir auf einen Kinderspielplatz zu. In der Regel bekämen Eltern heutzutage eher Panik, wenn man ihnen sagte: „Dein Kind spielt gerade mitten auf der Straße.“ Hier aber ist das Normalität. Aus vier Himmelsrichtungen laufen Straßen auf den Spielplatz zu, die in einen Kreisverkehr münden. Autos oder Motorräder sind nicht zu sehen. Wenn dann doch einmal ein motorisiertes Fahrzeug vorbeifährt, dann mit nur 10 bis 20 Stundenkilometern. Statt tristes Großstadt-Grau sehen wir Hochbeete, Blumenkübel und neu gepflanzte Bäume. Statt Autolärm hören wir Kinderlachen, statt Abgasen atmen wir Frischluft ein. Der Erfolg gibt den Stadtentwicklern Barcelonas recht. Aus vielen europäischen Großstädten kommen mittlerweile Delegationen in die Stadt. Sie wollen von den Katalanen lernen, sich von ihnen abschauen, wie man mitten in der Großstadt grüne Oasen mit hoher Lebens- und Wohnqualität gestalten kann.
Doch da gibt es noch etwas, das uns bereits seit Ankunft in der Metropole beeindruckt. Nach nur wenigen Stunden in Barcelona haben sich unsere wochenlangen Bedenken bezüglich einer Fahrrad-Sightseeing-Tour durch die City zerstreut. Hier ist richtig was passiert! Alle großen Verbindungsstraßen besitzen mittlerweile einen durchgehend abgetrennten Fahrradweg. Nur an Kreuzungen kommt es noch zu Berührungspunkten mit Autofahrern. Besonders beeindruckt uns, dass die Wege nicht einfach irgendwo aufhören – obwohl sie nachträglich in die Infrastruktur integriert wurden. Einziger Wermutstropfen: Die Fahrradstreifen sind leider etwas schmal, was besonders bei einer Befahrung aus zwei Richtungen eine erhöhte Vorsicht und Rücksichtnahme erfordert.
Nun aber genug vorweggenommen. Unsere Tour beginnt: Nach dem wichtigsten Morgen-Ritual, dem Genuss eines leckeren Cappuccinos in einem der Cafés in der Nähe unseres Hotels, satteln wir auf. Es geht durch „El Poble-Sec“, dem quirligen Viertel am Fuße des „Montjuic“. In der Carrer de Blai, der bekanntesten Straße des Bezirks, reiht sich eine Tapasbar an die andere. An den Abenden schieben sich Unmengen von Menschen durch die Gasse. Doch jetzt gegen 9 Uhr herrscht hier noch Ruhe, die Läden haben noch geschlossen.
Unser erstes Etappenziel ist der Gipfel des „Montjuic“. Einhundertdreiundsiebzig Meter hoch ist der Berg. In Barcelona zählt er damit zu den Großen, und das in vielerlei Hinsicht. Eine Menge gibt es zu sehen und zu besichtigen da oben. Auf dem Berg sind das Montjuic-Schloss, das Olympiastadion und der Botanische Garten beheimatet. Also los, nichts wie hoch! Indes: Obwohl das Thermometer angenehme 20 Grad zeigt, treibt uns die Auffahrt ganz schön den Schweiß auf die Stirn. Als die Gondelstation in Sicht kommt, entscheiden wir uns deshalb um: schnell die Räder zusammengeklappt und rein in eine Kabine der Bahn, die uns auf die Bergspitze befördert. Dort genießen wir den einzigartigen Blick über Stadt und Meer, der uns dann auch bei der rasanten Abfahrt noch etwas erhalten bleibt.
Einen kurzen Zwischenstopp im „Jardins de les Tres Xemeneies“ lassen wir uns nicht nehmen. Wer sich für Streetart begeistert, der wird sich sofort in dieses Plätzchen verlieben, dem Dreh- und Angelpunkt für Skater und Graffiti-Künstler. Unsere Zeit ist allerdings knapp, denn das Meer, oder sagen wir besser der Strand, ruft.
Die Promenade strotzt vor Energie und Lebensfreude. Alles bewegt sich: Radfahrer, Skater, Jogger und Spazierende. Geeint durch ein Verlangen: sich die frische Meeresbrise um die Nase wehen zu lassen. Für einen kurzen Moment heißt es: raus aus der Stadt, raus aus dem Alltag, einfach mal abschalten. Wir genießen die Fahrt am Strand entlang, vorbei am alten Hafen, den Cafés und Restaurants.
Unsere nächste Station ist das Barri Gòtic. Das Viertel ist ein einziges Labyrinth. Enge Gassen, durch die sich Besucherströme wälzen. Schnell ist klar, fahren macht hier keinen Sinn. Okay, wer sein Rad liebt, der schiebt. Viele der Häuser um uns herum sind Jahrhunderte alt, stammen teilweise noch aus dem Mittelalter. Kaum dem Labyrinth entkommen, stehen wir direkt auf der Ramblas, einem der Wahrzeichen von Barcelona.
Über knapp anderthalb Kilometer führt die Straße vom Hafen zum Plaça de Catalunya. Was für ein Bild: Straßenmusiker und Künstler unterhalten ihr Publikum, einige Passanten holen an den Kiosken ihre Tageszeitung, Kinder schleckern genüsslich Eis und die älteren Herrschaften machen Pause auf den Bänken. Nicht nur sie, auch wir beobachten das bunte Treiben und sind fasziniert. Kaum ein anderer Ort ist bei Besuchern und Einheimischen gleichermaßen beliebt. Und er hat noch viel mehr zu bieten. Entlang der Straße reihen sich Sehenswürdigkeiten fast aneinander. Einer der größten Anziehungspunkte ist der Mercat de la Boqueria. Der Markt bietet nahezu alles, was das kulinarische Herz begehrt: Süßigkeiten, Honig, Käse, erlesene Öle, Oliven, Fisch, Meeresfrüchte und vieles mehr. Eine riesige Auswahl und alles frisch! Wir werfen einen Blick in die Halle. Ein Potpourri an Gerüchen und Farben strömt auf uns ein.
Halbzeit! Gerade einmal 13 Kilometer unserer Sightseeing-Route sind geschafft. Doch die Vielzahl an Sehenswertem sprengt unseren Terminplan. Eine Empfehlung unserseits: Mit genügend Zeit im Gepäck macht die Tour doppelt so viel Spaß. Gönnen Sie sich deshalb zwei Tage! Wir radeln derweil einmal quer durch die Stadt.
Nachdem wir gut sechs Kilometer zurückgelegt haben, erreichen wir den Park Güell. Wir fahren weiter bis zum Plaça de Catalunya und durchqueren das Viertel Gracia. Um zum Parkeingang zu gelangen, bleiben uns zwei weitere Kletterpartien nicht erspart, denn dieses Meisterwerk Gaudis liegt auf einem Hügel, der es in sich hat. Doch es lohnt sich. Oben angekommen, begeistern uns die Skulpturen, die farbenfrohe Keramik und die kreativen Elemente, die für den Künstler selbst sprechen. Das Areal ist weitreichend, und auch wir müssen uns hier einfach etwas Zeit nehmen, um alles auf uns wirken zu lassen.
Da wir bereits oben sind, geht’s für uns zum letzten Etappenziel, der Sagrada Familia, nur noch bergab. Schnell erreichen wir das imposanteste von Gaudis Werken. Unvollendet bis heute, ist es dennoch für jeden Barcelona-Besucher ein absolutes Muss. Wer das Bauwerk besichtigen will, muss unbedingt vorher reservieren.
Wir drehen eine Runde um die Kathedrale. Wie eine Pilgerstätte kommt sie uns vor, umringt von unzähligen Menschen aus aller Welt. Wir entscheiden uns, den Anblick aus einer gewissen Distanz zu genießen und suchen uns in einem der umliegenden Cafés ein ruhiges Plätzchen. Positiv überrascht sind wir vom Preis für einen Cappuccino: 3,50 Euro kostet die Tasse – mit besten Blick auf die Sagrada! In anderen Städten Europas würden wir wohl mindestens das Doppelte zahlen. Die Sonne steht bereits tief. Ihre letzten Strahlen tauchen die monumentale Basilika in ein einzigartiges Licht. Eine Weile geben wir uns ganz diesem Anblick hin. Dann brechen wir auf. Knappe drei Kilometer sind es bis zum Hotel. Auf dem Rückweg passieren wir die Casa Mila, ein Gebäude aus Gaudís katalanischer Jugendstilperiode, und erreichen dann unsere Unterkunft.
Unser Bild von Barcelona hat sich nach diesem Fahrradurlaub komplett erneuert. Das Meer, großartige Architektur und ein quirlig buntes Treiben auf den Plätzen und Straßen – klar, das zeichnet die Stadt aus. Doch das Schöne: Das lässt sich auch per Fahrrad entdecken, und zwar dank einer gut ausgebauten Infrastruktur mit sicheren Radwegen mit jeder Menge Spaß. Das Mehr an Grün und ruhige Areale für eine Auszeit von der Großstadt bieten die neuen „Superblocks“. Wir empfehlen für einen Besuch die Frühlingsmonate. Dann sind die Temperaturen angenehm und die Stadt ist voller Energie und Tatendrang, erwacht sie doch gerade aus ihrem Winterschlaf.
Unsere Fahrradtour ist 24 km lang und führt entlang aller im Text erwähnten Sehenswürdigkeiten. Die Tour beschreibt eine Acht, dadurch kann sie sehr gut auf zwei Tage verteilt werden. Barcelona hat sich in den letzten Jahren zu einer Fahrradstadt entwickelt. Alle großen Straßen der Stadt haben einen abgetrennten Fahrradstreifen.
Die GPX-Daten zur unserer Sightseeing-Tour per Rad durch die katalanische Metropole Barcelona gibt es hier zum kostenlosen Download und in der MYBIKE-Collection auf komoot
Ganzjährig
Es gibt Direktflüge von allen großen deutschen Flughäfen.
La Sagrada Familia: Die Kathedrale des berühmten Architekten Antoni Gaudí (1852–1926) gilt als dessen Meisterwerk; der Bau begann 1882 und dauert bis heute an; für eine Besichtigung ist eine Vorreservierung zu empfehlen: sagradafamilia.org/en/home
Park Güell: Parkanlage im Stadtbezirk Gracia, ebenfalls erschaffen von Gaudi von 1900–1914; für die Monumentalzone des Parks mit Skulpturen, Brunnen und anderen Kunstwerken braucht es eine Eintrittskarte: parkguell.barcelona/en
Montjuïc: Hausberg von Barcelona, 173 m hoch, eine Seilbahn führt hoch, viele Sehenswürdigkeiten wie das Schloss (eine ehemalige Festungsanlage), Parks und der Ausblick auf die Stadt machen ihn zu einem Anziehungspunkt
Stadtstrand: Insgesamt über 4 km lang, beginnend im Viertel Barceloneta, dahinter eine Palmen-gesäumte Promenade
Jardins de les Tres Xemeneies: Park im Bezirk Sants-Montjuic, zu Deutsch „Gärten der drei Schornsteine“, benannt nach denselbigen, die von einem früheren sich hier befindenden Kraftwerk übriggeblieben sind; der 1995 erbaute urbane Park ist Anziehungspunkt für Graffiti-Künstler und Skater und Ort vieler kultureller Events.
Gotisches Viertel: Im „Barri Gòtic“ finden sich angesagte Bars, Clubs und katalanische Restaurants in engen mittelalterlichen Gassen, auch die Flaniermeile Las Ramblas verläuft hier.
Das städtische Leihradsysten „Bicing“ ist leider nur den Einheimischen vorbehalten. Dafür gibt es diverse private Anbieter für Leihräder.
Hotel Magatzem 128, Carrer de Calàbria, 128, 08015 Barcelona, magatzem128.com
Für alle wichtigen Sehenswürdigkeiten sollte man vorab eine Online-Reservierung tätigen.
Geführte Radtouren durch Barcelona: