Citytour KopenhagenUnterwegs in der Fahrrad-Weltstadt

Alex Hüfner

 · 14.04.2024

Der Arbeitsweg wird zur Sightseeingtour: Radler fahren am architektonischen Highlight der Stadt ­entlang, den Kaktus Towers.
Foto: Alex Hüfner
Kopenhagen zählt zu den beliebtesten Städten Europas und gilt als Weltmeister in Sachen Fahrradinfrastruktur. MYBIKE ist ein Wochenende lang durch die dänische Metropole getourt und hat dabei erlebt, was deren Faszination ausmacht – für Radfahrer wie für Liebhaber städtischen Lebens.

Hm, sind wir hier richtig? Wir befinden uns im Hinterhof eines in die Jahre gekom­menen Fabrikgeländes von Kopenhagen. Alles voller Graffitis, die Anlage könnte eine Generalüberholung gebrauchen. Dann nähern wir uns einer großen Eisentür. Sie geht auf … und wir betreten die Werkstatt von Buddha Bikes. Geschäftiges Treiben herrscht hier. Allein in der Haupthalle zählen wir fünf voll ausgestattete Fahrrad-Montageplätze, an denen fleißig geschraubt wird. An der Längswand der Halle türmen sich Hunderte alte, teils kaputte Fahrräder. Rohstoff für Simon Nohrstedt Søndergaard, den Gründer und Chef des Unternehmens. Denn hier werden aus ausschließlich alten Rädern neue. Seit 2014 recycelt Simon in seiner Werkstatt Räder, die eigentlich für den Müll bestimmt waren. Fahrradschrott ist eines der größten Probleme der Fahrradmetropole. Sehr viele alte Fahrräder werden hier einfach irgendwo abgestellt und nicht mehr abgeholt. Doch da sie als Privat­eigentum gelten, darf man sie nicht einfach mitnehmen.

Buddha Bikes Gründer Simon Nohrstedt Søndergaard verhilft ­Räder zu einem zweiten Leben.Foto: Alex HüfnerBuddha Bikes Gründer Simon Nohrstedt Søndergaard verhilft ­Räder zu einem zweiten Leben.

Durch eine Kooperation mit den Kopenhagener Recyclinghöfen sorgt Simon immerhin für eine teilweise Lösung – und für Material-Nachschub. Jeder, der sein altes Fahrrad an einer extra ausgewiesenen Stelle in der Stadt abstellt, spendet es automatisch an Buddha Bikes. 13 Mitarbeiter schrauben, schweißen, lackieren Fahrradteile und geben ihnen ein zweites Leben. „Für mich ist es die älteste Sache der Welt, aber es tut halt niemand mehr“, sagt Simon. „Vor 50 Jahren hätte man sich kein neues Rad gekauft, sondern repariert.“

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Die Marke Copenhagenize

Dabei lebt Simon Nohrstedt Søndergaard in der Stadt, die in puncto Radfahren international als vorbildhaft gilt. Auch er ist „sehr glücklich über die Fahrrad­infrastruktur. Die Radwege sind im Winter immer geräumt und werden sehr gut instandgehalten“. Das Konzept der dänischen Hauptstadt ist so erfolgreich, dass daraus sogar eine Marke entstanden ist: Copenhagenize.

Die Idee für Copenhagenize stammt von Mikael Colville-Andersen. Der Experte für urbane Mobilität startete 2007 mit seinem Konzept für fahrradfreundliche Städte und brachte damit eine internationale Bewegung für mehr Fahrradkultur auf den Weg. Seine Idee ist, mit möglichst einfachen Planungen die Stadt fürs Radfahren attraktiv zu gestalten. Es wurde sogar ein Copenhagen-Index entwickelt. Anhand von 13 Kriterien werden alle zwei Jahre Städte ab 600.000 Einwohnern auf der ganzen Welt einer Bewertung unterzogen und in ein Ranking bezüglich ihres konkreten Bemühens um Fahrrad­freundlichkeit eingeordnet.

Radfahrer und Fußgänger in geordnetem Miteinander: Die Trangavsbroen verbindet die Innenstadt mit dem „Freistaat­ ­Christiania“.Foto: Alex HüfnerRadfahrer und Fußgänger in geordnetem Miteinander: Die Trangavsbroen verbindet die Innenstadt mit dem „Freistaat­ ­Christiania“.

Berlin beispielsweise kam 2011 auf Rang fünf, 2019 nur noch auf Platz 15. Kopenhagen mit seinen Grüne-Welle-Strecken und Fahrrad-Schnell­verkehrs­wegen, welche die Vorstädte verbinden, landet bei diesem Ranking immer weit vorne, im Jahr 2023 auf Rang zwei.

50 Prozent der Kopenhagener fahren mit dem Fahrrad zur Arbeit. Aber auch hier ist nicht alles perfekt. Mittlerweile gibt es so viele Radfahrer, dass es oftmals nicht mehr alle Wartenden an einer Ampel bei der Grünphase über die Kreuzung schaffen... So viel zur Theorie. Jetzt heißt es endlich: Rauf auf die Räder und rein ins Getümmel!

Riese und Jungfrau

Unsere Unterkunft liegt im hippen Szeneviertel Nørrebro. Wenn man hier hinausgeht auf die Straße, fällt es gleich auf: kaum Autos, kein Lärm, entspannte Gesichter – und jede Menge Fahrrad­fahrer. Wir reihen uns ein in die Kette aus Radfahrern. Unsere Spur ist extrem breit. Langsam fährt rechts, überholt wird links; Schulterblick und Handzeichen beim Abbiegen oder Anhalten – Spielregeln, die man beherrschen sollte. Besonders beeindruckt uns die strikte Teilung der Straße in drei Zonen für Pkw, Fahrräder und Fußgänger. Wie ein Ameisenvölkchen bewegen sich die Radfahrer durch die Stadt. Ohne klare Handzeichen würde hier innerhalb von Minuten totales Chaos entstehen. Das ist ein bisschen gewöhnungsbedürftig, andererseits erleichtert das lückenlose Fahrrad­wegenetz unsere bevorstehende Stadterkundung.

Unsere Route beginnt an den „Kopenhagener Seen“ – „Søerne“ genannt: drei ineinander übergehende Gewässer, die die Innenstadt in einem großen, flachen Bogen umspannen. Hier herrscht schon morgens viel Betrieb. Unzählige Radfahrer benutzen den Uferradweg, um die City zu durchqueren, Läufer drehen ihre Runden – und auch wir genießen die ersten Radkilometer entlang des Wassers. Und begeben uns auf die Suche nach einem der elf vergessenen Riesen. Der Künstler Thomas Dambo versteckte die teils drei Meter großen Giganten aus recyceltem Sperrholz in und um die Stadt. Dambo möchte mit ihnen den Entdeckergeist der Menschen wecken und sie ermuntern, auch das Umland Kopenhagens und die Natur zu erkunden. Eine hilfreiche Karte findet man auf www.visitcopenhagen.de. Wir schaffen es und stehen plötzlich in der Nähe des alten Hafengeländes vor dem Riesen „Kapitän Nalle“, der ein Motorboot im Schlepptau hat. Sofort ziehen wir mit ihm an einem Strang – und verabschieden uns auch schon wieder, im Fokus das nächste Highlight, das uns zurück in die Stadt lockt:

Wir statten der kleinen Meerjungfrau einen Besuch ab. Ganz bescheiden sitzt sie auf ihrem Stein mit Blick auf die See, umringt von einer Touristenschar.

Weiter geht’s für uns zum größten Denkmal Kopenhagens, dem Gefion-Brunnen, im Volksmund Wunschbrunnen genannt. Von dort weiter nach Nyhavn, was so viel bedeutet wie „Neuer Hafen“. Tatsächlich existiert dieser farbenfrohe Teil der Altstadt, der sich direkt am Kanal befindet, bereits seit 1673. Als Hafen erlangte der Nyhavn nie große Bedeutung, da er von Anfang an zu klein und zu flach war. Das Hafenmilieu brachte jedoch frühzeitig zahlreiche Tavernen hervor, und so ist die Gegend bis heute mit ihren vielen Restaurants, Bierstuben und Tanzlokalen neben der Istedgade eines der bekanntesten Vergnügungsviertel der Stadt.

Ein Besuch in der Freistadt

Über die Trangravsbroen, einer Klappbrücke nur für Radfahrer und Fußgänger, fahren wir zur Freistadt Christiania, eine autonome Wohnsiedlung, eine staatlich geduldete, eigenständige Gemeinde. Wir haben das Gefühl, auf einem Tummelplatz der Kuriositäten gelandet zu sein. Gleich am Eingang begegnen wir „Green Gorge“ im Schneidersitz, meditierend – ein weiterer Sperrholz-Riese des Künstlers Dambo. In Christiania sind Autos verboten, mit Ausnahme des Lieferverkehrs. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass hier das weltberühmte Lastenrad der Marke „Christiania Bikes“ erfunden wurde. Auf der Pusher Street bieten viele schrille Verkaufsbuden Haschisch an – illegal, aber von den Behörden toleriert. Unumstritten ist das natürlich nicht, zumal in letzter Zeit auch die Kriminalität in dem Viertel zugenommen hat.

Wir verlassen die Hippie-Lebens­gemeinschaft und machen uns auf zum modern gestalteten Bereich rund um das innere Hafenbecken. Zeit für eine kleine Pause. Wir stärken uns und genießen einen Rød pølse, den dänischen Hotdog, der auch in einer vegetarischen Variante zu haben ist. Sehr lecker.

Danach statten wir dem Dänischen Architektur Zentrum einen Besuch ab. Architektonisch beeindruckt aber vor allem die Stadt selbst. Selten habe ich eine solche Dichte an großartiger Architektur, Kunst und Designkultur auf kleinstem Raum erlebt. Ob Sportpark, Fahrrad­infrastruktur oder Inneneinrichtung, überall schlägt einem das berühmte funktionelle dänische Design entgegen. Nicht ohne Grund wurde Kopenhagen 2023 von der UNESCO zur Welthauptstadt der Architektur ernannt.

Der Arbeitsweg wird zur Sightseeingtour: Radler fahren am architektonischen Highlight der Stadt ­entlang, den Kaktus Towers.Foto: Alex HüfnerDer Arbeitsweg wird zur Sightseeingtour: Radler fahren am architektonischen Highlight der Stadt ­entlang, den Kaktus Towers.

Wir steuern nun den absoluten Hingucker der Kopenhagener Fahrrad-Architektur an. Die Fahrradschlange, eine freischwebend erscheinende Brücke, welche nur mit einem Velo passiert werden darf, zieht sich über einen Teil des inneren Hafenbeckens. Bis zu 25.000 Radfahrer überqueren täglich die Brücke. 190 Meter in der Überfahrt, 30 Meter Rampen für die ­­Auf- und Abfahrt und eine integrierte Beleuchtung, die es auch nachts befahrbar machen, das sind die wichtigsten Daten des Meisterwerks. Die Kosten für das Bauwerk betrugen 5,1 Millionen Euro.

Die Verbindung aus architektonischer Ästhetik und Zweckmäßigkeit hin­sichtlich der Mobilität ist allgegen­wärtig in dieser Stadt. Das Licht an der Brücke geht zwar noch nicht an, aber die Sonne steht bereits tief. Unsere Tour durch die Metropole neigt sich dem Ende ent­gegen. Wir fahren nach Nørrebro, um den Tag in Minas Kaffeebar ausklingen zu lassen – ein Kieztreffpunkt, wo man Cocktails und andere Getränke zu fairen Preisen genießen kann. Eine schöne Art, ein wundervolles Wochenende mit dem Rad in einer einzigartigen Stadt ausklingen zu lassen.

Infos und Tipps für die Fahrradstadt Kopenhagen

Die City-Tour per Rad

Unsere Tour umfasste 29 Kilometer, vollgepackt mit den bekanntesten und spannendsten Sehenswürdigkeiten von Dänemarks Hauptstadt. Die Highlights befinden sich in der Nähe des Wassers.

GPS-Daten

Die GPS-Daten zur City-Tour finden Sie zum Download im DK Tourenportal:

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Beste Reisezeit

Mai–September

Anreise

Auto: Von Hamburg A7 bis zur ­dänischen Grenze, weiter E45 bis Kolding, dann E20 in östliche ­Richtung über Køge nach Kopen­hagen. Die Storebælt-Brücke über den Großen Belt ist mautpflichtig. Von Ostdeutschland empfiehlt sich die Überfahrt mit der Fähre Rostock – ­Gedser (ca. 150 Euro, 2 Std.), dann weiter über die E55 und die E47 nach Kopenhagen.

Bahn: Von Hamburg mit dem ICE in knapp 5 Stunden.

Flugzeug: Der Flughafen Kopen­hagen wird von mehren Airlines aus Deutschland direkt angeflogen.

Alternativ empfehlen wir eine Kombination aus Bahn, Fahrrad und Fähre.

Für Abenteurer: Per Rad über den Fernradweg ­Berlin–Kopenhagen.

Unterkunft

Viele Hotels und Pensionen in allen Preisklassen stehen auf der Seite des Tourismusbüros: visitcopenhagen.de/kopenhagen/planen/uebernachten ­
Unterkünfte zu angemessenen Preisen findet man auch sehr gut über Airbnb.

Sehenswert

Die vergessenen Riesen: Elf riesige Holzskulpturen des Künstler Dambo in und um ­Kopenhagen. Kann wie eine Schatzsuche gestaltet werden. Um alle Riesen zu finden, braucht man einen ganzen Tag.

Die kleine Meerjungfrau: Das Wahrzeichen Kopenhagens, nur 125 cm groß. Vorbild ist die Figur aus dem gleichnamigen Märchen von Christian Andersen.

Gefion-Brunnen: Der sogenannte Wunschbrunnen ist das größte Denkmal der Stadt und wurde vom dänischen Bildhauer Anders Bundgaard erschaffen.

In Nyhavn laden zahllose Cafés und Restaurants auf der Hafenpromenade zum Verweilen ein.Foto: Alex HüfnerIn Nyhavn laden zahllose Cafés und Restaurants auf der Hafenpromenade zum Verweilen ein.

Nyhavn: Der „neue Hafen“ ist mit den farbenfrohen Giebelhäusern an beiden Seiten des kleinen ­Hafenarms und den unzähligen Restaurants ein Touristenmagnet.

Christiania: Alternative Wohnsiedlung in Kopenhagen, 1971 gegründet, mit dem Ziel, eine sich selbst regierende, alternative Gesellschaft zu erschaffen. Von der dänischen Regierung geduldet.

Designmuseum Danmark: Die Dauerausstellung „Danish Modern“ entfaltet die Geschichte des dänischen Designs von den 1920er ­Jahren bis zum Jahr 2000 mit ­einem Schwerpunkt auf der Entstehung einiger ikonischer dänischer Designklassiker.

Cycelslangen ist eine von ­mehreren spektakulären Fahrradbrücken.

MYBIKE-Tipps

Minas Kaffebar: Nørrebrogade 72, 2200 København

Abends treffen sich viele Kopen­hagener mit Picknickkorb an den Ufern der Søerne und genießen bei einem Glas Wein den Sonnenuntergang. Am beliebtesten ist der Teil an der Nørre Søgade.

Radverleih

Bike Rental Copenhagen: ­Kongens Nytorv 8, 1050 København, Preise: 1 Tag 20 Euro, 2 Tage 30 Euro, 3 Tage 40 Euro, bikerentalcopenhagen.dk

Rosenborg cykler: Rosenborggade 3K, 1130 København, 6 Stunden 20 Euro | 1 Tag 27 Euro | jeder weitere Tag 20 Euro, rosenborgcykler.dk/rent-a-bike

Zudem bieten viele Hotels und ­Unterkünfte einen Radverleih.

Geführte Radtouren

  • getyourguide.de
  • withlocals.com/de/­experiences/denmark/­copenhagen/tours/bike
  • headout.com/de

Allgemeine Infos

visitcopenhagen.de

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