Biken in NorwegenEntsteht am Høgevarde gerade Europas Trail-Hauptstadt?

Gitta Beimfohr

 · 30.06.2024

Vom Büro auf den Pumptrack zum Uphill-Flowtrail - Utopie oder am Høgevarde, zwei Autostunden nordwestlich von Oslo, demnächst Realität?
Foto: Carmen Rey
Nahe Oslo arbeiten australische Trail-Experten seit Jahren an einem Projekt am Høgevarde, das sich am Ende Europas Trail-Hauptstadt nennen will. Trial-Legende Hans Rey hat diese Leuchtstreifen in Norwegens Norefjell-Gebirge schon mal besucht.

“Next Level” nennen es die Trail-Bauexperten: ein gigantisches Trail-Netz mit einer Stadt oder einem Ort im Zentrum, wo die Infrastruktur nicht auf Auto-, sondern voll auf Radfahrer ausgelegt ist. Auf dem Pumptrack zum Bäcker, also. Oder auf der Jumpline vielleicht sogar zum Arbeitsplatz. Klingt utopisch, ist an zwei Orten auf der Welt aber bereits gelebte Realität: in Bentonville im US-Staat Arkansas und seit 2015 schon in Blue Derby, Tasmanien. Hier hat man einer alten Arbeiter- und einer halbverwaisten Minenstadt mit diesem Modell ganz neues Leben eingehaucht. Nicht nur, weil jetzt Scharen begeisterter Trail-Urlauber anreisen. Auch einige Firmen der Bike-Industrie haben sich in diesen beiden „Biker-Hauptstädten“ inzwischen niedergelassen. Ja gut, die haben aber auch den Platz für solche gigantischen Feldversuche, könnte man ein wenig neidvoll sagen.

Im dicht besiedelten Europa mangelt es schon an verlassenen Städten, die man in solch ein Bike-Mekka transformieren könnte. Doch weit gefehlt! Den Platz, das Geld und vor allem den Willen für solch ein europäisches Mammut-Pendant bringt Norwegen bereits auf! Und zwar im Norefjell-Gebirge, knapp zwei Autostunden nordwestlich von Oslo gelegen. Als Kulisse dient der Høgevarde, der mit 1459 Metern zweithöchste Gipfel des Gebirges. In seinen ausladenden, grünen und mit Granitblöcken dekorierten Flanken buddelt schon seit fünf Jahren die australische Trail-Baufirma „World Trails“ an kilometerlangen Lines. Trial-Legende Hans Rey hat die Baustelle im vergangenen Herbst besucht und alle Infos zu den brennendsten Fragen mitgebracht.

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Wie ernst ist es den Norwegern mit diesem Projekt und: Lohnt sich diese lange Anreise in den hohen Norden bereits?

Trial-Legende Hans Rey testet die Arbeit der australischen Trail-Baulegende Glen Jacobs in Høgevarde.Foto: Carmen ReyTrial-Legende Hans Rey testet die Arbeit der australischen Trail-Baulegende Glen Jacobs in Høgevarde.

Die Regierung hat bisher umgerechnet etwa 9,5 Millionen Euro nur für den Bau der Trails investiert. Insgesamt sollen damit 80 bis 100 Kilometer Trails umgesetzt werden. Der Kopf hinter dieser extra aus Australien engagierten Trail-Baufirma ist auch nicht irgendwer, sondern Glen Jacobs. Eine Legende und führender Experte seines Metiers. Wenn es darum geht, für die Olympischen Spiele, Weltmeisterschaften oder die Enduro World Series einen Weltklasse-Parcours zu kreieren, dann scheut niemand die Kosten, den Australier einzufliegen.

Insofern dürfte es Norwegen sehr ernst sein mit diesem Projekt. Wer sich jetzt schon überzeugen möchte, steuert das Hallingdale-Tal an. Hier geben sich bereits fünf Trailspots die Hand, die allein schon die weite Reise lohnen: Geilo und Hemsedal (mit Lift), Ål und Gol mit hochalpinen Backcountry-Trails, Nesbyen (Enduro-Lines) – und nun entsteht eben am Høgevarde nahe des Ortes Flå dieser neue Superspot. Schon jetzt erkennt man: Alles wird auf die Bedürfnisse von Bikern ausgerichtet. Cafés, Shops, Unterkünfte, aber auch Bürokomplexe und die Wege innerorts sind kreativ und kurvig in Planung. Hier geht es nicht nur darum, schnell ein Trail-Netz in einen Berg zu zimmern, das im Sommer bikende Touristen anlocken soll. Vielmehr ist am Høgevarde zu spüren, dass bereits beim Bau eine Gemeinde entstehen soll, die an diesem Ort vielleicht auch leben und arbeiten möchte.



Sind die Høgevarde-Trails auch schon fahrbar, wie fühlen sie sich an, und gibt es einen Lift?

Kein Lift, aber maximaler Uphill-Flow! Vor allem mit einem E-MTB - das man Vorort auch ausleihen kann.Foto: Carmen ReyKein Lift, aber maximaler Uphill-Flow! Vor allem mit einem E-MTB - das man Vorort auch ausleihen kann.

Einen Lift gibt es bisher noch nicht, aber einen Shop mit E-MTB-Verleih und einen ersten, sehr spaßig geshapten Uphill-Flowtrail durch wellige Almflanken und um beeindruckende Granitklötze herum. Damit kann man auf einen Lift locker verzichten. Hans Rey hat diesen Trail für einen Backcountry-Ausflug auf den Høgevarde genutzt, von dessen Gipfel man fast das gesamte Norefjell-Gebirge überblicken kann. Bergab balanciert der Pfad über einen Felsgrat, es geht vorbei an Rentieren und einer bewirtschafteten Hütte. Nach Stunden endet die Fahrt am Ufer eines langen Sees, den die Einheimischen liebevoll Fjord nennen. Dort kann man ins Boot steigen und zum Ausgangspunkt zurücktuckern – ein episches Erlebnis, sagt Hans.

Die längste geplante Abfahrt heißt Blueberry Jam. Ein 16 Kilometer langes Kehren-Pumptrack-Spektakel durch ein Meer von Blaubeersträuchern und an einem Wasserfall vorbei. Diese Line war bei Hans Reys Besuch im Herbst 2023 noch nicht ganz fertig. Er musste über mehrere Baustellen klettern, aber die fertigen Abschnitte überzeugten ihn, da perfekt in die Landschaft drapiert.

Was ist mit Mücken – wird man auf Norwegens Trails nicht halb aufgefressen?

Die Blutsauger sind im Landesinneren wirklich ein nerviges Problem. Zwar ist es im Süden, auf der Höhe von Oslo, noch nicht so schlimm wie im Norden des Landes, aber sobald man auf dem Trail stehen bleibt, schwirren sie um einen rum: Mücken, Bremsen und die ganz kleinen Midges (Genitzen). Vor allem wenn man schwitzt und die Haut warm und feucht ist.

Was die Biester definitiv nicht mögen: höhere Lagen, Wind, lange und lockere Kleidung und Mückensprays - wenn sie den Wirkstoff Deet enthalten (z. B. Anti Brumm und No bite). Wer mit dem Wohnmobil anreist, sollte an ein Mückennetz denken. Auch gut zu wissen: Im Juni und September gibt es spürbar weniger Mücken!

Lohnt die lange Anfahrt mit Wohnmobil, und welche Route ist die schlaueste?

Man muss Zeit mitbringen, aber ja: Kaum ein anderes europäisches Land bietet so traumhafte Reiserouten wie Norwegen. Die Straßen sind oft kurvig und führen über Kunstwerke von Brücken. Daher ist schon die Anfahrt erlebnisreich: Man kann zum Beispiel die Fähre von Kiel nach Oslo nehmen (20 Std.) und hat dann nur noch knapp zwei Stunden Autofahrt vor sich. Abenteuerlicher ist der Landweg auf der Jütland-Route: Sie ist zwar 160 Kilometer länger als die „Zugvogelroute“, quert aber die Storebælt-Brücke in Dänemark und die Öresund-Brücke (mit 8 Kilometern die längste Brücke Europas) zwischen Dänemark und Schweden (beide mautpflichtig). Dann sind es noch mal 700 Kilometer bis ins Hallingdale.

Die Benzinpreise in Norwegen liegen etwa auf deutschem Niveau, Dänemark hat die höchsten Preise Europas. Am günstigsten tankt man auf der Route in Schweden! In Norwegen gilt übrigens das Jedermannsrecht. Das bedeutet, man darf in freier Wildbahn überall campen.

Mittsommernächte – kann man bei durchgehendem Tageslicht im Sommer überhaupt schlafen?

In den “Weißen Nächten” im Juni geht die Sonne auch auf Höhe von Oslo nur wenige Stunden unter.Foto: Carmen ReyIn den “Weißen Nächten” im Juni geht die Sonne auch auf Höhe von Oslo nur wenige Stunden unter.

Das Phänomen, dass die Sonne für mehrere Sommerwochen gar nicht untergeht, findet nördlich des Polarkreises statt. Auf der Höhe von Oslo verschwindet die Sonne am längsten Tag aber auch nur für 90 Minuten komplett. Das beruhigt die völlig durcheinandergeratene innere Uhr nicht wirklich. Um 23 Uhr könnte man schwören, es sei gerade mal Nachmittag. Statt die Vorhänge zuzuziehen und sich im Bett zu wälzen, nutzt man diese merkwürdige, überschüssige Energie besser für extra lange Bikerides. Tag-und-Nacht-Gleiche gibt’s wieder Mitte September. Dann allerdings bei nur noch 16 Grad im Durchschnitt.

Was isst man am besten?

Das einzige, was in Norwegen wirklich günstiger ist als in Deutschland, nämlich: Fisch. Wer Vorräte mitbringen will: Kartoffeln, Fleisch und Milchprodukte sind tabu, Alkohol ist nur in geringen Mengen erlaubt!

Was braucht man für die Einreise?

Norwegen ist kein Mitglied der EU, aber des Schengen-Raums: Europäern reicht für die Einreise daher der Personalausweis. Währung: Norwegische Kronen. Allerdings wird im Land inzwischen fast alles mit Karte bezahlt. Bargeld wird mancherorts gar nicht mehr angenommen und wenn dann nur in Landeswährung (100 Norwegische Kronen = 8,77 Euro).

In Norwegen gibt’s für Biker extrem viel zu entdecken. Gut, dass hier das Tageslicht im Sommer praktisch nicht ausgeht.Foto: Carmen ReyIn Norwegen gibt’s für Biker extrem viel zu entdecken. Gut, dass hier das Tageslicht im Sommer praktisch nicht ausgeht.

Die Top-5-Bikspots Norwegens

Wenn man schon mal im hohen Norden ist, schaut man sich vielleicht gleich noch ein paar andere Supertrailspots an. Norwegen hat so manche davon. Hier unsere fünf Favoriten:

1 Bikepark Hafjell

Einer der größten Bikeparks des Landes wartet nördlich der Olympiastadt Lillehammer: 18 kreativ angelegte Abfahrts-Lines mit amtlichem Level-Angebot (Pro Line nur für Experten!) mit Gondel- und Sessellift sowie großem Pumptrack und Bikeverleih. Geöffnet: von Ende Juni bis Mitte Oktober. Info: hafjell.no

2 Trysil Bike Arena

Das riesige Trail Center östlich von Lillehammer, direkt an der schwedischen Grenze, wartet mit einem sagenhaften Streckennetz von 50 Kilometern gebauten Strecken und 100 Kilometern natürlichen Trails auf. Hier durften sich die Trail-Bauer wirklich maximal austoben. Mit der Twin Peaks gibt es sogar eine Parallel-Pumptrack-Line zum gegenseitigen Batteln. Das ganze Jahr über geöffnet!

3 Fjord-Trails

Man kann nicht nach Norwegen reisen, ohne von oben auf seine Fjordlandschaft hinuntergeblickt zu haben. Dabei wird man immer wieder auf bikende Locals stoßen. Deren Tourenprogramm entlang der Küstenlinie lautet: Erst den steilen Trail hochschieben, dann runterzirkeln. Man muss schon Fahrtechnik-Experte sein, um hier mit dem E-MTB in Uphillflow zu kommen, und auch bergab sehen die Granitfelsplatten oft griffiger aus, als sie sind. Solche Spots findet man entlang der Küste bis hoch in den Norden.

4 Tromsø-Trails

Der an sich kleine Fischer- und Fährort liegt bereits einiges nördlich des Polarkreises. Hier setzt man mit dem Boot über auf die Lofoten (schon landschaftlich ein Muss!). Aber nicht ohne vorher die mittlerweile 21 ausgezeichneten Trail-Runden von insgesamt 183 Kilometern Länge wenigstens angetestet zu haben!

5 Geheimtipp: Oslo

Die Hauptstadt-Biker Norwegens sind zu beneiden: Direkt hinter der Stadtgrenze wickeln sich mehrere Hundert Kilometer Trails durch den Wald. Ihr Sägezahnprofil macht mit dem E-MTB erst richtig Spaß. Einfach in den Bikeshops fragen oder Tracks aus dem Netz laden!

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