Was haben wir uns hochgekämpft! Es ist August, eigentlich bestes Radtouren-Wetter, und endlich, endlich haben wir es zu einer der spektakulärsten Stellen unserer Tour durch die Rhön geschafft. Und jetzt das: Es nieselt. Schon den ganzen Tag übrigens. Statt toller Aussicht nur Nebelsuppe. “Das ist wirklich Pech”, sagt Andreas Schubert, unser Begleiter. “Normalerweise könntet ihr jetzt rüber bis nach Thüringen schauen.” Durch den Nebel ahne ich, wie es hier aussehen könnte, im mehr als 3.000 Hektar großen Naturschutzgebiet Lange Rhön, einem der größten Bayerns: sanft geschwungene Hügel, weitgehend unbewaldet. Schafe weiden hier, die berühmten Rhönschafe mit den schwarzen Köpfen.
Diese Weite, die Einsamkeit, über uns nur der Himmel – ach, wenn sich nur mal die Sonne zeigen würde! Auf unserer ersten Etappe haben wir, von Hammelburg kommend, schon den ersten Berg und damit gleich den höchsten Punkt unserer Tour bezwungen: den Kreuzberg, genannt Heiliger Berg der Franken, ein Wallfahrtsort mit noch immer existentem Franziskanerkloster. Die drei Kreuze auf dem Gipfel konnte man auch nur schemenhaft erkennen. Wir machen Stopp in Bischofsheim, stellen die Räder ab, leihen uns bei unserem netten Gastwirtspaar Regenschirme und schauen uns das hübsche Städtchen an. Noch heute sieht man, dass Bischofsheim im Mittelalter eine reiche kleine Stadt war. Verkehrsgünstig an der Fernstraße zwischen Bamberg und Fulda gelegen, machten Handelsreisende hier gerne Halt, örtliche Tuchfabrikanten sorgten im 16. Jahrhundert dafür, dass es weiter aufwärtsging mit Bischofsheim. Und bis heute ist das Städtchen für seine Holzschnitzschule bekannt, Holzschnitzereien an den Häusern und Holzschnitzerwerkstätten prägen immer noch das Ortsbild.
Am nächsten Tag klart es nach und nach auf, endlich! Und da sind wir dann mitten in der Hochrhön mit ihren langen Wiesen, den Hochflächen, die nur hier und da von einer Baumgruppe aus Birken und Weiden oder einer einzelnen Hutbuche unterbrochen werden.
Beim Schwarzen Moor, einem der wenigen noch erhaltenen Hochmoore Deutschlands, sind wir sozusagen im Herzen der Rhön angekommen. Und an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Denn so zentral mitten in Deutschland die Rhön heute liegt – so sehr lag sie vor der Wiedervereinigung im Schatten. Vielleicht immer noch ein Grund, weshalb sie nach wie vor nicht unbedingt zu den Tourismus-Magneten zählt. Uns freut’s – so haben wir die Strecken oft für uns.
Bei einer Kaffeepause in Weimarschmieden, im nördlichsten Gasthof Bayerns, erzählt uns Andreas Schubert, wie er auf die Idee kam, Rad-Rundtouren durch die Rhön auszuarbeiten. Denn die Entstehungsgeschichte erzählt auch viel über die Rhön selbst. Trans-Buchonia hat er seine ursprünglich nur für Mountainbikes gedachten Touren genannt. Inzwischen hat er auch Rundtouren für Rennräder und für Leute wie uns mit Tourenrädern im Angebot. “Den Gedanken, eine Tour von Bad Kissingen aus durch die Rhön zu planen, hatte ich schon lange”, sagt Andreas, “genau gesagt vor 30 Jahren, kurz vor dem Beginn meines Forstwissenschaftsstudiums”.
Damals hatte er den Sommer über frei. Es war kurz nach der Wende, 1990, und Andreas beschloss, mit dem Zug nach Bayern zu fahren und vom Starnberger See aus mit Zelt und Rucksack bis zur Rhön zu wandern. Doch die neu gekauften Wanderschuhe drückten, und er hatte schon nach 30 Kilometern so schlimme Blasen, dass er wieder in den Zug stieg und bis Bad Kissingen fuhr. Sobald es den Füßen besser ging, wanderte er wieder los. Mitten in die Rhön. Und verliebte sich in die Landschaft, die Basaltfelsen, die weiten Weideflächen, die Buchenwälder. Er kam immer wieder – und blieb, der Liebe wegen. Heute lebt er mit seiner Familie in der Rhön und ist selbstständiger Unternehmer. Die Trans-Buchonia ist sein Herzensprojekt. Denn er merkte bald, wie viel Spaß es macht, nicht nur zu Fuß, sondern mit dem Mountainbike die Rhön zu erkunden – und gleichzeitig, dass es bei der Radweg-Ausarbeitung noch viel Luft nach oben gibt. Deshalb hat er selbst GPS-basierte Touren konzipiert und sie Trans-Buchonia genannt.
Warum eigentlich Trans-Buchonia und nicht Trans-Rhön oder Rhön-Tour? “Buchenwälder waren und sind in der Rhön prägend. Bis heute sind sie überall – das macht die Rhön so besonders”, erklärt uns Andreas. Bis vor etwa 1.000 Jahren war die Rhön zu großen Teilen komplett von Buchenurwäldern bedeckt. Deshalb wurde die Rhön zu dieser Zeit auch “Buchonien” genannt. Erst später setzte sich dann der Name Rhön durch.
Doch mit der Besiedelung begannen die Menschen, die Wälder zu roden. Sie brauchten das Holz als Baumaterial, aber auch zur Energiegewinnung. Aber es wurde natürlich nicht alles abgeholzt: Im Herbst führten die Bauern ihre Schweine und Rinder auf Waldweiden in die Buchenwälder. Dort warteten echte Delikatessen auf sie, fettreiche Bucheckern, an denen sich die Tiere sattfressen konnten.
Der Wechsel aus dichtem Buchenwald und großen Freiflächen, auf denen heute Bergwiesen blühen, macht diese Landschaft so besonders. Das fällt uns insbesondere auf der Hochrhönstraße auf – ein herrlicher, weiter Blick übers Land, da ein dichter Buchenwald, da eine Freifläche – es ist dieses Nebeneinander, das die Landschaft so besonders macht.
Als wir am dritten Tag unserer Tour im Lothar-Mai-Haus ankommen, beschließen wir, noch einen Tag länger zu bleiben. Denn der Milseburg-Gipfel lockt. Gerade mal drei Kilometer sind das von unserer Unterkunft aus bis nach oben. Die Räder parken wir am Hotel, es führt nur ein Fußweg bis nach oben. Der Blick ist wieder mal fantastisch, eine 360-Grad-Rundumsicht über die ganze Rhön. Als wir uns dann wieder auf die Strecke begeben, wartet eine Überraschung auf uns. Andreas hatte uns schon vom Milseburg-Tunnel berichtet, mit 1,2 Kilometern einer der längsten Fahrradtunnel in Deutschland. Doch selbst da durchzurauschen ist noch mal eine ganz andere Sache. Wir sind bislang einer ehemaligen Bahnstrecke gefolgt. Durch einen lichten Buchenwald und mitten auf der Strecke schluckt uns und unsere Räder der Tunnel-Schlund. Ganz schön unheimlich so im Dunkeln, trotz Schummerlicht und Videoüberwachung. Je tiefer wir reinfahren, desto kälter wird es. Kalt und feucht! Ab Oktober bis zum Frühjahr ist der Tunnel gesperrt, hier überwintern Fledermäuse.
So tierlieb ich bin, der Gedanke an flatternde Hautflügler lässt mich noch etwas schneller fahren – nicht dass eine Fledi das Ende des Winterschlafs verpasst hat und mir gleich um den Helm flattert … Ich bin froh, als ich wieder draußen bin. Beschleunigt durch das Tunnelerlebnis, fliegen wir fast die alte Bahnstrecke entlang, an der immer noch die Bahnsignale zeigen, dass hier mal Züge fuhren.
Der letzte Aufstieg von Gersfeld Richtung Wasserkuppe führt wieder auf eines der Rhön-Plateaus, auf denen der Himmel so nah zu sein scheint. Wir rollen, oben angekommen, über den unbewaldeten Bergrücken mit Blick auf die Wasserkuppe, zu erkennen an der kugeligen Radarstation und übrigens in Hessen gelegen. Mit
950 Metern ist sie tatsächlich der höchste Berg der Rhön. Die Wasserkuppe gilt auch als “Berg der Flieger”, denn hier haben im Jahr 1911 Darmstädter Studenten ihre ersten Flugversuche mit selbst gebauten Gleitflugzeugen gemacht - die baumlose Wasserkuppe war dafür geradezu ideal. Bis heute starten Segelflugzeuge und auch Gleitschirmflieger auf der Wasserkuppe.
Auf unserer letzten Touretappe geht es gemütlicher zu. Den Saaleradweg entlang, vorbei am prächtigen Barockschloss Aschach bis zum Kurort Bad Kissingen – ein Bäder-Juwel und nicht ohne Grund von der UNESCO als Weltkulturerbe zu den “Great Spa Towns of Europe” gezählt. Einen Kaffee in der Fußgängerzone trinken, durch die prächtige Kuranlage schlendern, ein Schlückchen von dem eisenhaltigen Wasser aus dem Rakoczy-Brunnen und zum Vergleich noch etwas Maxwasser probieren, die Blumen und Bauten bewundern und sich vorstellen, wie Sissi, Franz Joseph, Fontane, Bismarck und noch viele andere hier gekurt haben – ein Bummel durch Bad Kissingen ist wie eine entspannende Zeitreise.
Von der Saalebrücke aus schaue ich noch einmal Richtung Rhön – da hinten, das harmlos aussehende längliche Hügelchen, das ist der Kreuzberg. Unglaublich, wie sich die Dimensionen, aus der Ferne gesehen, verschieben. Ich muss da bald mal wieder hin und sie mir aus nächster Nähe ansehen, die schöne Rhön ...
Die GPS-Daten zur Radreise auf dem Trans-Buchonia finden Sie auf dem DK Tourenportal:
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Auto: Guter Autobahnanschluss über A7, Ausfahrt Hammelburg.
Bahn: Die Regionalbahn hält aus Gemünden oder Schweinfurt kommend in Hammelburg, Fahrradmitnahme möglich. www.bahn.de
Bischofsheim-Unterweißenbrunn: Unkompliziert und sehr radfahrerfreundlich – es gibt sogar eine Fahrradwaschanlage – übernachtet man im Landgasthof und Pension Zum Löwen. Mit Gaststätte und Biergarten (DZ/F ab 50 Euro p. P.). www.landgasthof-zum-loewen.de
Dermbach-Bernshausen: Gemütlich und komfortabel, ausgezeichnetes regionales Essen im hoteleigenen Restaurant. Wer es romantisch mag, kann im Sternenwagen schlafen – mit direktem Blick in den sternenübersäten Nachthimmel. Landhotel zur Grünen Kutte (DZ/F ab 130 Euro). www.gruene-kutte.de
Hofbieber-Steens: Aus einer schlichten, in den 50er-Jahren vom Namensgeber Lothar Mai, dem damaligen Leiter des Bundesbahn-Ausbesserungswerks in Fulda, erbauten Wanderhütte ist ein schickes Hotel mit Wellnessanlage, Restaurant und Außenterrassen geworden. Berghotel Lothar Mai Haus (DZ/F ab 88 Euro p. P.), www.lothar-mai-haus.de
Bischofsheim-Oberweißenbrunn: Angenehme Zimmer ohne Schnickschnack, sehr freundliche Gastgeber und ausgezeichnetes Frühstück gibt’s im Gasthof zum Lamm (DZ/F ab 80 Euro). https://gasthof-zum-lamm.de
Früher galt die Rhön als arme, karge Region. Auf dem Speisezettel standen eher einfaches Essen mit Milch, Kartoffeln und Kraut sowie Mehlspeisen. Heute haben einige Gaststätten und Restaurants diese Rezepte neu interpretiert. Häufig finden sich auch Gerichte mit Lamm oder Bergkäse, ausgezeichnetes Bauernbrot oder mit heimischen Kräutern gewürzte Gemüsegerichte oder – thüringisch inspiriert – Klöße.
Fahrradmuseum in Bad Brückenau – eindrucksvolle Sammlung von historischen Fahrrädern, präsentiert in einer hübschen Jugendstilvilla. www.deutsches-fahrradmuseum.de
Schwarzes Moor – hier lohnt es sich, das Rad abzustellen und den 2,7 km langen Lehrpfad mit den vielen Hinweistafeln zu allem, was hier wächst und lebt, entlangzuwandern. www.biosphaerenreservat-rhoen.de
Point Alpha – die Gedenkstätte am ehemaligen US-Beobachtungsstützpunkt an der hessischen innerdeutschen Grenze erinnert eindrucksvoll an die Geschichte des Kalten Krieges. ww.pointalpha.com
Bad Kissingen – für die stilvolle fränkische Kurstadt sollte man sich mindestens einen halben Tag Zeit nehmen. Die Kuranlagen, die schon Persönlichkeiten wie Zar Alexander II., das österreichische Kaiserpaar Franz Joseph und Sissi oder Leo Tolstoi und sogar der Weltraumfahrer Neil Armstrong schätzten, gehört nicht ohne Grund zum UNESCO-Welterbe. www.badkissingen.de
Hammelburg: Heiko’s Radschuppen, www.heikos-radschuppen.com
Bischofsheim: Radsport Reder, Tel.: 09772 930944 (keine Website)
Geisa: Abels Fahrradladen, www.abels-fahrradladen.de
Zeitlofs-Rupboden: Fahrrad-Riemey, www.fahrrad-riemey.de
Bad Kissingen: Fahrrad Floth, www.fahrrad-floth.de
Bischofsheim: Ausgezeichnete regionale Küche in historischem Ambiente tischt die Braunsmühle mitten im beschaulichen Bischofsheim auf. https://braunsmuehle-mirring.de
Ginolfs: Frischer kann Fisch kaum sein. Die Fischerhütte Edwin hat eine eigene Rhönforellenzucht. Auch bei allem, was sonst noch auf die Teller kommt, steht regionale Bio-Herkunft ganz oben. Ein Muss für Fisch-Fans. www.fischerhuette-edwin.de
Franken-Reiseführer, Michael Müller Verlag, Autor: Ralf Nestmeyer, 22,90 Euro
Mehr Infos, Give-aways, Gepäcktransport und Rundum-sorglos-Tourenpakete mitsamt Übernachtungen finden sich auf der Trans-Buchonia-Website von Tourguide und Rhön-Kenner Andreas Schubert. www.trans-buchonia.de
Geführte E-Mountainbike-Touren: www.rhoentouren.de
Touristeninformation: www.rhoen.info