Sylva Juhnke weiß so gut wie alles über ihre Heimat, die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst und den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Alles über die Dünen und den 45 Kilometer langen weißen Ostseestrand, über die bis zu 70.000 Kraniche, die im Herbst auf den Weißdünenfeldern am Pramort rasten. Über den Darßer Ort und den Wald dort, in dem sich Wildschweine und Füchse herumtreiben. Und über die Hirsche, die zur Brunftzeit nicht nur in den Dünen, sondern bisweilen sogar am Strand herumspazieren. Frau Juhnke kennt die Vogelstimmen und jedes Kraut am Wegesrand. Und sie weiß auch noch, für welche Wehwehchen es gut ist - falls man im Zingster Osterwald von den Mücken gepiesackt wird oder einem der Allerwerteste vom Radfahren schmerzt.
Wir sind mit der resoluten und kundigen Dame unterwegs auf einer geführten Radtour auf den Großen Kirr, ausgewiesen als Europäisches Vogelschutzgebiet und eines der wichtigsten Brutgebiete an der deutschen Ostseeküste für heimische Sumpf- und Wasservögel. Als Frau Juhnke erfährt, dass wir einen Artikel für ein Fahrradmagazin schreiben, zieht sie sich ihren breitkrempigen Lederhut noch tiefer in die Stirn, guckt streng und fragt: „Ihr wollt doch wohl nicht noch mehr Radfahrer hierherlocken?“ Sie sollte so etwas als Angestellte der Kur- und Tourismus GmbH in Zingst vielleicht nicht unbedingt sagen, aber es platzte einfach so aus ihr heraus. Aber erstens kann man die Reaktion gut nachvollziehen, wenn man einmal im Sommer mit dem Fahrrad auf dem Seedeich unterwegs war; da geht es zu wie auf der A7 zur Rushhour vor dem Elbtunnel. Und zweitens liebt Sylva Juhnke ihre Insel wirklich sehr. Aber sie liebt eben mehr die fantastische Naturlandschaft zwischen Ostsee und Bodden und nicht so sehr den Massentourismus, der in Zingst längst Einzug gehalten hat.
Eher beschaulich geht es am Leuchtturm am Darßer Ort zu, Zwischenziel unserer ersten Tour. 1848 erbaut und immer noch in Betrieb, ragt er 35 Meter in den Himmel. Bei klarer Sicht kann man von seiner Aussichtsplattform sogar die Kreidefelsen auf der dänischen Insel Møn erspähen. Vom Leuchtfeuer sind es nur ein paar Meter an den Weststrand; es ist der ursprünglichste, der wildeste Strand der Halbinsel, mehrfach schon unter die Top-Ten der schönsten Strände Europas gewählt. Hirsche am Strand haben wir zwar nicht gesehen, dafür aber bei einer Rast im Schatten des Leuchtturms eine schwarze Kreuzotter, die nur einen guten Meter hinter uns durchs Unterholz schlängelt.
Kreuzottern in Reichweite, finden wir, sind ein gutes Signal zum Weiterfahren. Also rollen wir via Ahrenshoop weiter und ziehen schon mal eine Zwischenbilanz: Für Radfahrer tun sie wirklich eine Menge auf Fischland-Darß-Zingst. Der Regionalbus transportiert Fahrräder im Anhänger, auf den Fähren kann man die Bikes ebenfalls mitnehmen, Radverleiher gibt es wie Sand am Meer, ausreichend Fahrradständer stehen zur Verfügung, nur mit der Beschilderung hapert es noch ein wenig.
Wir kommen dank Komoot auf dem Smartphone auch ohne Schilder klar und genießen eine von Sylva Juhnkes Lieblingsstrecken. Von Ahrenshoop geht es am Bodden entlang via Born nach Wieck. Das Wasser glitzert wie eine Disco-Kugel und ein paar Vögel gleiten elegant in Richtung Festland. Wir können nur raten; Graugänse vielleicht? Frau Juhnke würde es garantiert wissen. Nachdem sich unsere Begeisterung über den Hauptort Zingst in Grenzen hielt, werden wir mit Born entschädigt. Hier stehen noch reichlich reetgedeckte Häuser samt hübscher Bauerngärten. Und hier findet man noch zahlreiche der berühmten, nach alter Handwerkskunst gefertigten und mit Ornamenten verzierten Darßer Türen.
Auch am Pramort, Zwischenziel der zweiten Tour, geht es im Juni noch vergleichsweise beschaulich zu. Richtig Spektakel ist hier erst, wenn bis zu 70.000 Kraniche in den Weißdünenfeldern Rast machen und in speziellen Formationen anfliegen. Wir haben auf der geführten Tour auf den Großen Krill ein bisschen was gelernt von Frau Juhnke über die sogenannten Limikolen, auch Regenpfeiferartige oder Watvögel genannt. Und wir bilden uns ein, am Pramort einen Säbelschnäbler zu erkennen. Wetten würden wir aber nicht darauf. Vom äußersten Osten der Halbinsel geht es an den Bodden und schließlich aufs Festland nach Barth, wo wir die Fähre nehmen. Und während der Dampfer gemächlich Richtung Zingst tuckert, sehen wir, wie ein Seeadler majestätisch über den Bodden schwebt. Und den haben wir auch ganz ohne Frau Juhnkes Expertise erkannt.
57,5 km, 110 hm, max. Steigung 1 %
Oberfläche: Feinster Asphalt und gut befahrbarer Schotter wechseln sich ab, in den Ortsdurchfahrten teilweise Kopfsteinpflaster mit einer gut ausgebauten Extraspur für Radfahrer.
Start ist am Kurhaus in Zingst, auf dem 1-A-asphaltiertem Seedeich Richtung Prerow und ab dort durch den Wald. Abstecher zum Leuchtturm Darßer Ort, wer Zeit und Lust hat, geht am Weststrand eine Runde Baden oder stattet dem Natureum einen Besuch ab. Von Ahrenshoop auf Fischland geht es auf einer Art Damm am Bodden zurück auf den Darß, durchs hübsche Born mit seinen zahlreichen, original Darßer Türen nach Wieck. Immer wieder zweigen kleine Wege ab, die zu lauschigen Plätzen direkt am Bodden führen. Von Wieck aus auf einem Abschnitt des Ostseeküsten-Radwegs via Prerow zurück nach Zingst.
Die GPS-Daten zur Tour 1 können Sie hier kostenlos herunterladen oder finden Sie in der MYBIKE Collection auf komoot
53,7 km, 90 hm, max. Steigung: 1 %
Oberfläche: Abwechselnd Asphalt und fester Schotter
Vom Kurhaus Zingst in Richtung Osten, vorbei am Schlösschen Sundische Wiese zum Pramort, dem Aussichtspunkt auf FDZ, wenn die Kraniche kommen. Wer den Ausblick von der Aussichtsplattform Hohe Düne genießen möchte, muss das Rad stehen lassen und zwei Kilometer zu Fuß gehen, da das Gebiet zur Kernzone des Nationalparks zählt. Auf dem Rückweg biegt man an der Sundischen Wiese ab in Richtung Bodden, passiert den Zingster Hafen und fährt weiter Richtung Barth. Ab dort nimmt man die Fähre zurück nach Zingst. Achtung: letzte Fahrt in der Hauptsaison um 16.30 Uhr, sonst 16 Uhr.
Die GPS-Daten zur Tour 2 können Sie hier kostenlos herunterladen oder finden Sie in der MYBIKE Collection auf komoot
Auto: Über die A 20 Richtung Rostock und Stralsund und dann auf der B 105 nach Ribnitz-Damgarten. Von dort aus entweder via Ahrenshoop oder Richtung Barth (jeweils auf der L 21) weiter nach Zingst. Von Berlin oder aus den östlichen Bundesländern kann man entweder auf der A 19 über Rostock (A24/A19) oder über Stralsund (A11/A20) anreisen
Bahn und Bus: Leider kompliziert und langwierig. Wer mit Nahverkehrszügen nach Ribnitz-Damgarten oder Barth anreisen will, muss beispielsweise ab Hamburg mehrmals umsteigen. Mit dem ICE geht es bis Ribnitz-Damgarten recht fix, aber dann braucht der Regionalbus 210 (in der Hauptsaison Radmitnahme) noch einmal fast eindreiviertel Stunden bis Zingst. Auf FDZ träumen sie deshalb von der Reaktivierung der Darßbahn; das wird allerdings mindestens noch bis 2030 dauern. Eine schöne Alternative ist die Anfahrt mit der Fähre von Barth nach Zingst. Infos: https://reederei-poschke.de
Flixbus: April bis September direkt von Berlin aus nach Zingst (Radmitnahme möglich, E-Bikes werden nicht transportiert).
In der Hauptsaison platzen die Ostseebäder aus allen Nähten. Empfehlenswert für Radler sind die Monate Mai und Juni und der September. Wer die Abertausenden von Kranichen beobachten will, kann im März anreisen, wenn die Vögel zur Frühjahrsrast kommen. Hauptsaison für Hobby-Ornithologen ist aber der Herbst von Ende September bis Anfang November.
Haus 54, Hanshägerstr. 3 a, 18374 Zingst, www.haus54.de
Fahrradfreundliches Hostel (Bett+Bike-Siegel) auf einem ehemaligen Militärgelände, außen bunt, innen modern ausgestattet mit dem Service eines Dreisterne-Hotels.
DZ ab 65 Euro.
Ansonsten sollte bei dem Angebot von 16.000 Ferienhäusern oder Ferienwohnungen auf FDZ jeder das Passende finden. Zu buchen u.a. über www.fischland-darss-zingst.de
Auf der Insel gibt es gefühlt Hunderte an Radverleihern. Allein Pedal Power hat drei Filialen in Zingst und drei in Prerow. In der Station unterhalb vom Kurhaus in Zingst sind die Pedal-Power-Jungs super nett und kompetent. Das Material ist absolut in Ordnung und die Preise fair: Für die verschiedenen E-Bike-Modelle zahlt man 25 Euro am Tag, bei einer Mietdauer von einer Woche gilt: Sieben Tage mieten, nur fünf zahlen. www.fahrradverleih-fdz.de
E-Bike-Ladestationen gibt es keine auf FDZ, aber wenn man nett fragt, darf man bei den zahlreichen Verleihern aufladen, wenn der Akku mal leer sein sollte.
Ahrenshoop ist nicht nur Seebad, sondern seit rund 125 auch Künstlerkolonie. In dem 2013 eröffneten Kunstmuseum sind mehr als 800 Exponate zu sehen: Werke aus der Gründergeneration, aber auch Werke von zeitgenössischen Künstlern aus der Region. Infos unter www.kunstmuseum-ahrenshoop.de
Bereits 1909 eröffneten die beiden Gründer der Künstlerkolonie, Paul Müller-Kaempff und Theobald Schorn, eine Galerie in Ahrenshoop, die bis heute besteht. www.kunstkaten.de
Der Hauptort Zingst hat sich seit Jahren der Fotografie verschrieben. Highlight der zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen ist das Umweltfotofestival „horizonte zingst“, das 2023 bereits zum 16. Mal stattfand.
Infos unter www.fischland-darss-zingst.de/aktivitaeten/kunst-und-kultur/fotografie/
Im Natureum am Darßer Ort erfährt man alles Wissenswerte zum Naturraum Darßer Ort, zur Fauna des Darß und zur speziellen Küstendynamik in der Region www.natureum-darss.de
Immer Mittwochs (10 – 14 Uhr) geht es auf die geführte Radtour zur Vogelschutzinsel Kirr, die ohne Guide nicht betreten werden darf. Sehr beliebt, deswegen rechtzeitig über die Kur- und Tourismus GmbH buchen.
Von A bis Z, von Aal bis Zander kommt auf der Halbinsel alles auf den Tisch, was Ostsee und Bodden hergeben – gebraten, gegrillt, gebacken, frittiert, gedünstet und gekocht. Alles lecker, aber vor allem sollte man eine der Räucherfisch-Spezialitäten probieren. Geheimtipp der „Locals“: Mittwoch ab 16.30 Uhr zum Campingplatz Freesenbruch fahren, wo Fischer Manfred Strehlow seinen erstklassigen Räucherfisch verkauft.
Im Darßer Brauhaus in Prerow werden nach traditioneller Braukunst richtig gute Biere gebraut; nach der schweißtreibenden Radtour empfiehlt sich insbesondere ein „kaltgehopftes Prerower Pils“, www.darsser-brauhaus.de
Die besten Fischbrötchen in Zingst gibt es in Karina´s Fischgarten (Prerower Str. 1a, facebook.com/KarinasFischgartenZingst/
Fischrestaurant Rennhack
Traditionelles Restaurant in Prerow, das ebenfalls Räucherfisch-Spezialitäten anbietet. Großartig ist die Räucherfischsülze mit Bratkartoffeln und hausgemachter Remoulade. Im Mai und Juni kommen hier die Hornhecht Spezialitäten auf den Tisch. www.fischgaststaette-prerow.de
KOMPASS Wanderkarte 736 Fischland, Darß, Zingst. Maßstab: 1:50.000
4in1 Wanderkarte, mit Aktiv Guide und Detailkarten, 12,95 Euro, www.kompass.de
Rad- und Wanderkarte Darßwald-Fischland-Zingst, Maßstab: 1:30.000, 5,50 Euro, www.nordland-wanderkarten.de
Tourismusverband Fischland-Darß-Zingst, Im Kloster 15, 18311 Ribnitz-Damgarten, www.fischland-darss-zingst.de
Tourismusinformation Zingst, Seestraße 56/57, 18374 Zingst, www.zingst.de