Vom Bahnhof Prien starten wir unsere Radtour um den Chiemsee über einen wundervollen Pfad durch mehr als mannshohes Schilf runter zur Uferpromenade. Dort wartet Irmgard, ein liebevoll herausgeputzter Ausflugsdampfer, der uns rüber zur Herreninsel bringt.
Ein Abstecher auf die Inseln im Chiemsee darf auf einer Radtour durchs Chiemgau auf keinen Fall fehlen! König Ludwig II war ein Beau, ein Schöngeist, ein Schwelger. Die Regierungsgeschäfte waren ihm oft zu profan. 1878 ließ er sich hier eine kleine Kopie vom Schloss in Versailles errichten – eine Augenweide. Mit seinen Schlössern hat er Bayern ein ewiges Vermächtnis geschaffen. Die vielen amerikanischen und japanischen Besucher unterstreichen den internationalen Stellenwert. Sie applaudieren frenetisch, als ein Alphornbläser-Trio in feschen Lederhosen die architektonische Pracht erschallen lässt.
Nach dem Sightseeing-Stopp sind wir wieder zurück auf dem Chiemsee-Radweg. Blühende Apfelbäume, kunterbunte Fleckerlteppiche duftende Streuwiesen - die Farbenpracht wischt auf unserer Radtour durchs Chiemgau wie in einem Daumenkino an uns vorbei. Urige Biergärten und zahllose Badestrände wollen uns sirenengleich vom Rad zerren. Mit Weißwürsten mit Brez‘n und Weißbier zum Frühschoppen, Obazda, Schweinshax‘n mit Knödl locken die Werbetafeln der Wirtshäuser. Oder nur ein Eisbecher und die Füße vom Steg in das Bayrische Meer baumeln lassen... Dolcefarniente an der Riviera Bayerns?! Noch nicht! Die Räder laufen fantastisch, und wir haben noch einiges vor.
Im Frühsommer strahlen die immer noch schneebedeckten Gipfel der Chiemgauer Alpen in der Sonne. Allen voran der gezackte Felskamm der Kampenwand, der Königin des Chiemgaus. Vom Radweg reicht der Blick weit bis hinüber nach Tirol, zu den mächtigen Felsabstürzen des Wilden Kaisers, der wie ein Monolith aus der Ebene ragt. Stahlblau leuchtet der Himmel dazu. Draußen auf dem See spiegeln sich das Schloss und ein paar kitschige Schäfchenwolken eins zu eins im tiefblauen Wasser. Wow, was für ein Postkarten-Idyll, was für ein Auftakt. Prien erweist sich als optimaler Startpunkt für unsere Radrunde durch den Chiemgau.
Chiemgau-Radweg, Mozartweg, die Bajuwaren-Tour … der Chiemgau lässt sich auf vielen wunderbaren Radrouten erobern. Manchmal hängen bald acht Wegtafeln an neuralgischen Kreuzungen. Wer die Wahl hat, hat die Qual. In unserem Fall ein echtes Luxus-Problemchen. Denn mit unseren Tourenrädern können wir sämtliche Strecken wahrnehmen, auch Schotterabschnitte und ein paar Feldwege sind mit unseren etwas breiteren, profilierten Reifen überhaupt kein Problem. Somit können wir uns einen absoluten Leckerbissen mit Teilstücken mehrerer Routen basteln. Unser Ziel: Eine Chiemgau-Radrunde durch eine famose Landschaft mit jeder Menge urtümlicher bayerischer Lebensart und idyllischen Badeoptionen. Pack ma’s.
Bernau, Marquartstein, wir rollen auf den wuchtigen Hochfelln zu. Folgen dem Tiroler Achen stromaufwärts auf der Bilderbuchstrecke des Achental-Radwegs. Marquartstein, Schleching – der Ausblick auf den Geigelstein und die Hochplatte eröffnet einen kitschigen Heimatfilm. Ein Almbauer wetzt die Sense, mäht die steile Bachböschung mit der Hand. Die Bergzacken funkeln golden, die Balkonpflanzen quietschrot. Die Zunftzeichen am Schlechinger Maibaum werden raffiniert von Schäfchenwolken hintermalt.
Die satte Rampe hoch zum Berggasthof Streichen lässt die Waden kurz aufjaulen. Zur Belohnung lassen wir uns unter einer riesigen Kastanie rastend einen XXL-Eisbecher schmecken und bewundern den umliegenden Gipfelreigen. Eine Stippvisite in Tirol bringt uns über die markanten Felsplatten des Klobenstein nach Kössen und gleich wieder zurück in urbayerische Gefilde nach Reit im Winkl. Dort wo Skifahrer im Winter mit der Zunge schnalzen, finden Radfahrer auch im Sommer jede Menge erstklassiger Radrouten. Für heute ist hier Schicht. In der Pizzeria da Angelo gönnen wir uns eine Wagenrad-große Pizza Capricciosa und einen Monster von Eisbecher. In der Milchbar gibt es dann noch einen Absacker – herrlich.
Nach einem opulenten Frühstück strampeln wir auf dem Mozart-Radweg nach Seegatterl. Nur wenige Kilometer später offenbart sich uns eine umwerfend schöne Trilogie aus prächtigen Badeseen. Weit-, Mitter- und Lödensee funkeln wie Smaragde und spiegeln das umliegende Bergrund. Heureka – die Wassertemperatur ist zwar frostig. Aber ein paar kurze Bahnen in diesem biblisch schönen Gemälde lassen wir uns nicht nehmen. Nicht vergessen: Die Badehose muss auf dieser Radtour durchs Chiemgau unbedingt mit ins Gepäck.
Ein welliges und kurviges Schotterschmankerl leitet uns durch einen Bronchien-befreienden Zauberwald zum riesigen Biathlonstadion von Ruhpolding, dem Mekka der Biathleten. Ein paar Kilometer weiter, gleich neben dem sehenswerten Holzknecht-Museum in der Laubau, feiern die „Rauschberger Zell“, eine Trachtengruppe aus Traunstein, ihr Sommerfest. Die feschen Dirndl und schneidigen Burschen in ihren traditionellen Trachten tanzen, schuhplatteln und juchitzen, dass die Bühne wackelt und die umliegenden Wände zu einem Mehrfachecho anstimmen.
„Extra bavariam non est vita et si est vita non est ita“, lautet das Motto der Ruhpoldinger „Windbeutel-Gräfin“. Frei aus dem Lateinischen übersetzt will diese Holztafel über dem prächtig herausgeputzten Gasthof ganz bescheiden klarmachen: Außerhalb Bayerns gibt es kein Leben – und wenn doch, dann nicht dieses. Wie zum Beweis biegt die Kellnerin mit ihrem hübschen Dirndl schwungvoll ums Eck. Nicht nur der XXL-Windbeutel mit Sauerkirschen und Vanilleeis ist eine Augenweide. Und direkt dahinter steigen auch noch die Bergzacken der Chiemgauer Alpen in die Höhe. Tja, an Tagen wie diesen gibt es nicht den geringsten Zweifel an der lateinischen These.
Bei Siegsdorf stoßen wir unvermittelt auf ein lebensgroß nachgebautes Mammut. 1975 wurden dort 45.000 Jahre alte Mammutknochen gefunden. Seit 1995 offenbart das kleine Museum allerlei Wissenswertes über die Steinzeit im Chiemgau. Wir wechseln vom Chiemgau-Radweg auf den schattigen Traun-Alz-Radweg und flanieren bald schon über den herrlichen Marktplatz Traunsteins. Wenig später gelangen wir bei Chieming wieder ans Chiemsee-Ufer und vollenden unsere Radrunde um den Chiemsee. Seebruck, Gstadt, Rimsting – auf dem Ufer-Radweg läuft es wie von allein. Bilderbuch-Bauernhöfe und die Lichtspiele auf dem See zaubern uns ein fettes Grinsen auf das Gesicht. Bei Seebruck wechseln wir automatisch auf die Via Julia. Auf dem letzten Abschnitt unserer radtour durch den Chiemgau bleiben wir so gut es geht am See. Schon ist es nur noch ein Katzensprung zurück nach Prien, und somit bleibt uns heute ausgiebig Zeit für bayerisches Dolcefarniente am Strand, Biergarten & Co. Diese weiß-blaue Glückseligkeit bringt unsere Hormone jetzt schon zum Taumeln.
41,3 km, 420 Hm, Asphalt und gut fahrbarer Schotter und Feldweg
Raus aus dem Bahnhof Prien und runter zum See. Optional Bootstour zum Schloss auf der Herreninsel, die Ausflugsdampfer fahren mehrmals täglich (genug Zeit einplanen!), ansonsten direkt am Uferradweg nach Felden, über die A 8 hinweg, vorbei am Förchensee durch die Rottauer Filz – immer mit Blick auf den wuchtigen Hochfelln und die Kampenwand - über Rottau nach Marquartstein. Auf dem Achentalradweg beschaulich parallel zum Fluss nach Schleching. Optional kurze, steile Bergwertung zum Berggasthof Streichen, der gerade saniert wird, oder direkt weiter über die Tiroler Grenze zum Klobenstein (Option: kurze Wanderung zur Kapelle, zum gespaltenen Fels und zur Ache, gemütliche Gastwirtschaft), über das österreichische Kössen zurück nach Bayern. Übernachtung in Reit im Winkl (gibt Zeit zur Anfahrt und zum Besuch der Herreninsel).
79,5 km, 370 Hm, Asphalt, gut befestigte Radwege an den Flüssen, Schotter
Nach dem Frühstück auf dem Mozart-Radweg parallel zur Deutschen Alpenstraße nach Seegatterl und auf zauberhaftem Waldweg mit gutem Schotter zur Seentrilogie (Weit-, Mitter-, Lödensee), optionaler Badestopp in den meist ordentlich frischen Bergsseen. Vorbei an der Chiemgau Arena (Biathlon-Stadion) nach Laubau (optional Besuch Holzknechtmuseum), weiter nach Ruhpolding (legendäre Einkehr: Windbeutelgräfin) nach Siegsdorf (optional Mammutmuseum). Der Traun am schattigen Ufer bis nach Traunstein folgen (sehr schöner Marktplatz mit diversen Gasthäusern) und weiter bis nach Chieming zurück an das Chiemseeufer. Am See bleiben und mit stets besten Panorama nach Seebruck, direkt weiter auf der Via Julia am See entlang über Gstadt und Rimsting zurück an den Ausgangsort in Prien.
Die GPS-Daten zur Zwei-Tages-Radtour um den Chiemsee finden Sie hier zum Download und in der MYBIKE Collection auf komoot
Auto: BAB 8 – Stuttgart – München - Salzburg, Ausfahrt Prien
Bahn: Bis Prien am Chiemsee
Mit dem Schloss Herrenchiemsee hat König Ludwig II. 1878 ein eingedampftes Versailles nachbilden lassen und Bayern damit ein ewiges Vermächtnis geschaffen. Er hätte dafür kaum einen besseren Ort aussuchen können: Mitten auf einer Insel mit prächtigem Baumbestand ragt das Märchenschloss in die Höhe. Entweder mit den Tretbooten Bazi, Romy oder Sepp rüberstrampeln oder ohne zusätzliche Muskelanstrengung mit Irmgard, dem flotten Schaufelraddampfer, zur Herreninsel. www.herrenchiemsee.de
In dem beschaulichen Siegsdorf wurde 1975 ein 45.000 Jahre altes Mammut gefunden. Ein kleines, aber wohl arrangiertes Naturkunde- und Eiszeit-Museum bringt selbst kleinen Kindern eindrucksvoll die Eiszeit näher – ein Muss, nicht nur für Familien. Wer das Thema vertiefen will, begibt sich auf die dazu passenden Erlebnistour mit 31 Kilometern Länge. www.museum-siegsdorf.de
Gästehaus beim Nuihausa, Dorfstr. 9, 83242 Reit im Winkl, Tel.08640 8164, rustikal, gemütlich, freundlich, DZ mit Frühstück ab 112 Euro, www.nuihausa.de
Pizza Pasta da Angelo, Rathausplatz 8, 83242 Reit im Winkl, Tel. 08640-796763. Große Pizzen, pikante Pasta und riesige Eisbecher. Rings um den Dorfplatz gibt es noch zahlreiche lohnende Gasthäuser.
Gasthof Windbeutelgräfin, kultig und urig, serviert grandiose Windbeutel in 16 verschiedenen Variationen, aber auch leckere, deftige Speisen. Brandner Str. 23, 83324 Ruhpolding, Tel. 08663-1685 Ruhpolding, www.windbeutelgraefin.de
Unter den Arkaden des Traunsteiner Stadttors duftet es schon frühmorgens nach frisch gebrühten Würsten. Auf den Ständen des Wochenmarkts werden immer mittwochs und samstags Schinken und Käse turmhoch geschichtet. Und sobald die Sonnen über die Kirchturmspitze von Sankt Oswald klettert, wird in den Biergärten ringsherum bereits der Morgentau von Tischen und Stühlen gewischt.
www.traunstein.de/tourismus-freizeit/einkaufen-shopping/maerkte/wochenmarkt/
www.fahrradhaus-prien.de, 08051-5934, Hallwanger Str. 22, 83209 Prien am Chiemsee
ADFC-Regionalkarte, Chiemgau, 6,80 Euro
Radwanderkarte Chiemgau – Oberbayern – Berchtesgadener Land, Public Press, 4,95 Euro
www.chiemsee-chiemgau.info/radtouren