Sissi Pärsch
· 02.07.2025
Achilles vergöttert Metallica. Davon zeugen die Tattoos auf seinem rechten Unterarm. Der Linke ist wiederum dem FC Bayern gewidmet. Seine Achillessehne hat einst allerdings ein Löwe operiert – der Mannschaftsarzt der Sechz’ger. Damals, als 1860 München noch ein hochklassiger Fußballclub und Marko Achilles noch Hoteldirektor war. Als seine Haare noch kurz und seine Tattoos noch bedeckt waren. „Es war ein komplett anderes Leben“, sagt auch Frau Achilles. Dani und Marko sind Aus- und Aufsteiger – letzteres zumindest was die Höhenlage anbelangt. Pünktlich zum Corona-Shutdown im Frühjahr 2020 gaben die beiden ihre 4-Sterne-Hoteljobs auf und wurden die neuen Wirte der Traunsteiner Hütte auf der Winklmoosalm. Bis hierher war ihr Leben vielleicht kein griechisches Epos, aber doch ein wilder Ritt. Dazu später mehr.
Denn apropos Ritt: Wir sind heute schließlich auch nicht auf der Sänfte heraufgetragen worden. Obwohl das durchaus passend gewesen wäre auf dieser royalen Route, unterwegs zur Königskrone… Der Königsmacher höchstselbst heißt nicht wie ein griechischer Sagenheld, sondern schlicht und einfach: Huber. Andreas Huber. Sein Steckbrief: 37 Jahre alt, geboren und aufgewachsen in Ruhpolding. Fuhr MTB-Rennen auf UCI-Level. Nahm 2012 an der Marathon-Weltmeisterschaft teil. Entdeckte in einem Bike-Tief das Gleitschirmfliegen und flog allen davon. Gründete ein IT-Unternehmen in Traunstein und dachte nebenbei: Der Chiemgau braucht eine Prüfung wie den Stoneman. Das Konzept, das Abfahren einer eigens ausgewiesenen Strecke mit einer Trophäe zu belohnen, hatte sich ja schon in mehreren Nachbarländern bewährt, und so entwickelte Andreas Huber kurzerhand den Chiemgau King – eine lange Runde, in die sich die Traunsteiner Hütte perfekt fügt.
Auf drei Ehrgeiz-Niveaus bikt man beim Chiemgau King durch die Ruhpoldinger Bergwelt, sammelt an den Checkpoints Stempel und sichert sich damit eine echte Blechkrone. Die gesamte Königs-Tour kommt auf 168 Kilometer und 4629 Höhenmeter. Kronen-Aspiranten fahren sie in drei Tagen für eine Bronzekrone, in zwei für eine silberne oder an einem Tag für die goldene. Für E-Biker wie uns gibt es die E-Krone und für uns hat Andi die Strecke sogar noch ein wenig aufgebohrt. Ein paar Kilometer weniger, dafür ein höherer Trail-Anteil.
Von Ruhpolding sind es so gute 50 Kilometer bis auf die Winklmoosalm. Dort werden wir in der Traunsteiner Hütte nächtigen, und an Tag zwei führt uns die Schleife mit weiteren 50 Kilometern zurück. Unterm Strich kommen wir so auf 2350 Höhenmeter. Auf der offiziellen Strecke krönt Andi inzwischen pro Saison Hunderte von Bikern zu Chiemgau-Kings – „… und alle sind sie brutal euphorisiert vom Erlebnis und ihrer Leistung.“ Andi kann ganze Touren-Tage mit Anekdoten um den Kini füllen. Mit Storys vom jüngsten Tages-Finisher mit neun Jahren bis hin zu einem speziellen Herren-Trio:
Die sind völlig fertig um drei Uhr nachts um unser Haus geschlichen. Sie waren eigentlich recht früh gestartet – aber sie haben sich einfach selbst über- und die Tour unterschätzt. Der Klassiker …
Der Ehrgeiz, die Königsrunde an einem Tag zu schaffen, sei bei vielen groß. Mag sein. Bei uns ist das nicht so. Unsere Ambitionen zielen auf maximalen Fahrgenuss und maximale Almausbeute. Die erste, die Dandl Alm, lässt nicht lange auf sich warten. Kurz nach dem Start in Ruhpolding windet sich ein federweicher Pfad zwischen moosbedeckten Felsbrocken hindurch. „Der Märchenwald“, sagt Andi. „Highlight Nummer eins von circa 100.“ Wir werden nicht mitzählen.
Checkpoint drei, das können wir uns noch merken, ist dann die Dandl Alm. Wunderhübsch döst sie auf einer weiten Almfläche im Urschlauer Forst vor dem Gurnwandkopf und dem Felszacken der Hörndlwand. Mit dem Wunderhübsch ist das generell so eine Sache hier – der Schönheit ist schwer zu entkommen. Auch auf dem Trail hinunter durch das Wappachtal zum Drei-Seen-Gebiet hat man keine Chance. Bilderbuch-Bayern, wohin man blickt. Das Seen-Trio aus Löden-, Mitter- und Weitsee wird umarmt von Bergmischwald. Weideflächen reichen bis ans flache Ufer – und das Wasser schimmert verlockend. Aber wir bleiben im Sattel und biken auf der Talgegenseite bergauf zur Nattersbergalm.
Die Alm „mit den schönsten Hennen im Chiemgau“ versteckt sich oberhalb von Seegatterl. Die Wirtsleute servieren im lauschigen, urigen Garten beeindruckend große und leckere Portionen. Wir haben die eigentliche Chiemgau-King-Runde inzwischen verlassen und – über einsame Forstwege und Trails – auch Deutschland. Ein Stück geht es durch Tirol und über die Steinplatte ins Salzburger Land. Der höchste Punkt ist erreicht. Über die Muckklause (grob geschätzt könnte das Highlight Nr. 39 sein) geht es zurück in die bayerische Idylle auf die Winklmoosalm und zur Traunsteiner Hütte – und somit zu den Helden unserer Geschichte, der Familie Achilles.
Dani und Marko haben sich im Hilton in Berlin kennengelernt. Als Hoteliers waren sie dann gemeinsam auf Sylt, in Garmisch, in Bad Aibling, in Schwäbisch Hall. „Wir haben uns aufgearbeitet“, sagt Dani. „Und dann trotzdem nie in Hotels Urlaub gemacht. Wir waren immer in Flipflops campen.“
Als zugeknöpften 4-Sterne-Hoteldirektor kann man sich Marko inzwischen nur schwer bis sehr schwer vorstellen. Sein langes Haar hat er zum Dutt gebunden, die Tattoos liegen frei – wie eingangs erwähnt: James Hetfield rechts, Mehmet Scholl links. Als er sich die Achillessehne beim Squash-Spiel riss und ihn ausgerechnet der Mannschaftsarzt des Lokalrivalen TSV 1860 München operierte, „… haben das wirklich alle voll ausgeschlachtet“, erzählt Marko. Auf dem Weg zum Hüttenwirt musste Marko erst vierzig werden.
Diesen Geburtstag hatte er auf der Traunsteiner Hütte gefeiert und sich dabei mit der Vorpächterin Jeanette angefreundet. Als die ein paar Jahre später aufhören wollte, stachelte sie Marco und Dani an. Und die taten es. „Das hätten wir eigentlich schon früher machen sollen“, meint Dani. Aber sie weiß auch, dass das Hüttenleben kein Ponyhof ist. „Im ersten Monat bist du frisch verliebt“, sagt sie. „Aber du musst noch zehn weitere Monate verliebt bleiben.“ Wir genießen auf jeden Fall die noch immer andauernde Verliebtheitsphase der Achilles, ihren zarten Schweinsbraten, die weichen Betten und das abendliche Alpenglühen auf der Terrasse. Am nächsten Morgen setzt sich die Aufbruchstimmung nur zögerlich durch.
Aber schließlich pedalieren wir ein Stück bergan, um über den schönen 11er-Weg und dann über die Forststraße ins Tal abzufahren. Vorbei am Drei-Seen-Verbund, dann Kilometer um Kilometer fast meditativ dahin. Es folgt der Abstecher hinauf zum Checkpoint (und Kaffee-Stopp) Schwarzachenalm und noch ein paar Königskilometer, bis wir zum Zinnkopf kommen – Andis Home-Trail-Gebiet. Auf dem Fleischmann- und dem Rotpunkt-Trail geht es richtig spaßig hinunter ins Tal, dann auf der anderen Seite über Maria Eck die finalen 300 Höhenmeter bergauf. Unterhalb des Mühlalpkopfs wartet dann mit dem Rabenstein-Trail der krönende Abschluss – wobei der wortwörtlich erst in Ruhpolding vor Andis Haustür erfolgt. Die Zacken der Krone, die uns der Erfinder des Chiemgau King verleiht, bilden das Höhenprofil der Runde nach. Helden sind wir vielleicht keine. Aber die majestätische Landschaft samt fürstlicher Verpflegung, die haben wir souverän ausgekostet.
Diese Zweitagestour von Ruhpolding über die Traunsteiner Hütte führt über weite Strecken entlang der ausgeschriebenen Chiemgau-King-Route (siehe Infoteil), allerdings handelt es sich hier um eine spezielle Hüttentouren-Variante mit insgesamt 101 Kilometern und 2430 Höhenmetern.
Von Ruhpolding rollt man sich nur wenige Kilometer warm, bis man zum verwunschenen Märchenwald kommt. Nach nur 13 Kilometern und kaum Höhenmetern erreicht man den ersten lohnenden Zwischenstopp, die Dandl Alm. Die Höhenmeter folgen erst, wenn man hinter dem Drei-Seen-Gebiet die Talseite wechselt und über die Nattersberg-Alm Richtung Österreich pedaliert. Durch das Skigebiet Steinplatte geht es von Tirol ins Salzburger Land und zurück nach Bayern auf die Winklmoosalm.
Auf der Winklmoosalm beginnt der zweite Tag mit einem feinen, aber leider nur kurzen Trail-Abschnitt – auch im Chiemgau finden sich viele Bike-Verbotsschilder … So geht es auf der Forststraße hinunter ins Tal und mit sensationell schönen Aussichten auf das Seen-Trio am Fluss Seetraun entlang, bis man bei der Chiemgau-Arena rechts abzweigt zur Schwarzachenalm. Es bleibt flach, und Ruhpolding scheint schon in Wurfweite, doch dann geht’s erst so richtig los: Der Zinnkopf ist das Trail-Gebiet der Locals und der bietet einige feine Pfade. Über Maria Eck und Rabenstein dreht die große Runde schließlich zurück nach Ruhpolding.
BIKE-Abonnenten finden die GPX-Daten dieser zweitägigen Tour zur Traunsteiner Hütte auf bike-magazin.de unter “Mein Bereich” zum kostenlosen Download
Die Traunsteiner Hütte auf der Winklmoosalm ist seit 1925 eine Alpenvereinshütte des DAV. Sie liegt auf 1160 Meter Höhe und ist bis auf November das ganze Jahr bewirtschaftet. Übernachten kann man in 4 Doppelzimmern mit Balkon (und Aussicht auf die Loferer Steinberge) oder in drei Bettenlagern mit jeweils 5 bis 7 Schlafplätzen. Es gibt Toiletten und warme Duschen (mit Duschmarke). Übernachten kann man nur mit Halbpension. Die alte und jetzt wieder neue Pächterin Jeanette Lorenz ist vor allem für ihren besonders fluffigen Kaiserschmarrn berühmt! E-Bike-Ladestation vorhanden.
Vorsicht Verwechslungsgefahr: Im Berchtesgadener Land gibt noch die Alte und die Neue Traunsteiner Hütte. Die richtige Adresse für die Hütte auf der Winklmoosalm lautet: traunsteinerhuette-winklmoos.de, Tel. 08640/8140 (Mittwoch Ruhetag!).
Anreise
Ruhpolding liegt zwischen München und Salzburg unweit der A8 im Chiemgau.
Chiemgau King
168 km, 4629 Höhenmeter und acht Almen – so lauten die Daten der gesamten Chiemgau-King-Route. Man kann sie an einem Tag durchheizen oder sich zwei bis drei Tage Zeit nehmen, um Landschaft und Hütteneinkehr gebührend zu genießen. Die von Andreas Huber ausgearbeitete Strecke beginnt und endet in seiner Heimat Ruhpolding. Das Starter-Kit beinhaltet den GPS-Track, Info-Material, einige Goodies wie Socken und die von der Lebenshilfe angefertigte Edelstahlkrone. Die hier vorgestellte Runde über die Traunsteiner Hütte ist eine speziell auf die Hüttenübernachtung ausgerichtete Variante. Info: chiemgau-king.com