Abseits der klassischen Karwendel-Durchquerung

Stefan Loibl

 · 22.12.2014

Abseits der klassischen Karwendel-DurchquerungFoto: Markus Greber
Abseits der klassischen Karwendel-Durchquerung

Die klassische Karwendel-Durchquerung kennt fast jeder. Aber gibt es auch eine fahrbare Route von Innsbruck zum Achensee? Die Karte sagt: eigentlich nicht.

Markus ist fünf Zentimeter geschrumpft, Andi weiß nicht mehr, wie er nach Hause kommen soll, und Ludi hatte noch nie so viel Fahrtwind um die Ohren. Für mich dagegen waren die vergangenen beiden Tage eine ganz gewöhnliche Bike-Tour durchs Gebirge. Von Innsbruck zum Achensee. Nur hatte ich dafür eben nicht die leichteste Route geplant, sondern – das gebe ich gerne zu – eher den aussichtsreichen Abenteuerweg. Aber von vorne:

Wie aus einer Infusion tröpfelt der Schweiß von meinem Kinn aufs Oberrohr. Dazu weht mir die Knoblauchfahne aus Andis Mund in die Nase. Weit über den Vorbau gebeugt, stapfen wir die letzten Meter zum Stempeljoch hinauf. Meine Fersen brennen in den Carbon-Tretern, als würde ich durch glühende Kohlen laufen. Doch als wir im Felsentor des Stempeljochs unsere Nasen erst in den nächsten Abgrund halten und dann in die laue Föhnbrise, herrscht betretenes Schweigen. Im engen Zickzack windet sich der Steig die lose Geröllflanke hinunter. Gerade mal so breit wie ein iPad, teils über morsche Holzplanken und von Drahtseilgeländern flankiert. Laut einem alten Moser-Guide war diese Passage mal fahrbar.

  Kitschig schön: Das Engtal sieht aus wie die Kulisse einer Heimatschnulze. Wenn der erste Sonnenstrahl über die Felswände ins Engtal spitzt, sitzen die Touristen im Alpengasthof schon beim Mittagessen.Foto: Markus Greber
Kitschig schön: Das Engtal sieht aus wie die Kulisse einer Heimatschnulze. Wenn der erste Sonnenstrahl über die Felswände ins Engtal spitzt, sitzen die Touristen im Alpengasthof schon beim Mittagessen.

Über Pfeishütte und Stempeljoch ins Halltal

"Dass ich nicht lache", versucht Markus die Stimmung aufzuheitern. Mit geschulterten Bikes tasten wir uns Meter für Meter nach unten. Als würden wir ohne Steigeisen am Gipfelgrat des Mont Blancs umherschleichen. Ob ich meine Begleiter damit nicht überfordere? Als Fotograf Markus, der wegen seiner schweren Ausrüstung mit einem E-Bike unterwegs ist, seinen 20-Kilo-Brummer um den ausgesetzten Felsvorsprung wuchtet, biegen zwei Wanderer um die Ecke. "Habt’s euch verlaufen? Wo wollt’s denn hin mit den Radln?", fragt der Eine und stützt seine Schultern in die Griffe seiner Carbon-Stöcke. Wir zeigen auf die mächtige Schotterschneise, die sich ins Halltal hinunterwalzt und schleichen weiter. Die gepunktete Linie in der Karte hatte bereits verraten, dass dieser Abschnitt eher die Trittsicherheit fordert als den Reifen-Grip. Als sich die Steigung etwas freundlicher gibt, schwingt sich Ludi auf ihr Bike und zirkelt in Vertrider-Manier an uns vorbei. Kein Wunder, schließlich liebt die Innsbruckerin anspruchsvolle Trails und technische Passagen. Dabei würde hier selbst einem Wanderer der Angstschweiß auf der Stirn stehen. Wenig später zweigen wir rechts ab, surfen über Geröllpisten und kopfgroße Schotterwürfel ins Halltal hinab. Immerhin sind wir unserer selbst zusammengebastelten Route treu geblieben.

Hinter der Nordkette saugt uns das Karwendel ein.
Foto: Markus Greber

Abseits der Klassiker-Route von Scharnitz ins Inntal

Die Pläne für eine solche Karwendel-Durchquerung mit dem Bike garen schon seit zwei Jahren in meinem Hinterkopf. Damals hatte ich diese einsame Fels-Bastion im Frühjahr auf Touren-Skiern durchquert. Von West nach Ost, von Scharnitz bis Stans im Inntal. Seither hatte ich regelmäßig Karten studiert, Hüttenwirte ausgequetscht und Freunde angestachelt. Irgendeine lohnende Karwendel-Passage – jenseits der klassischen West-Ost-Route – musste es doch auch für Mountainbiker geben. Den Klassiker von Scharnitz durchs Karwendel-Tal kann ja jeder.

  Harte Arbeit: Auf dem Goetheweg kurz unter der Mandlscharte.Foto: Markus Greber
Harte Arbeit: Auf dem Goetheweg kurz unter der Mandlscharte.

Gestern war es bereits lange dunkel, als wir mit leeren Akkus die Lamsenjochhütte erreichten. Entsprechend unausgeschlafen knabbern wir heute, am zweiten Tag, an der Schotterrampe des Schleims-Sattels. Die Sonne brennt. Wir fühlen uns wie gerupfte Hähnchen am Spieß. Andi drückt die Kurbel seiner Einfach-Übersetzung im Zeitlupen-Tempo um die Achse, während Ludi sich die Schinderei an dieser nicht enden wollenden Schotterrampe spart und schiebt. Von den Vertrider-Touren kennt sie es nicht anders, da wird das Bike bergauf fast immer geschleppt. Markus flucht trotz E-Motor, das Gesicht ist schmerzverzerrt. Auch er schwitzt, leidet, kämpft. Um den Akku zu schonen, fährt er mit niedrigster Unterstützung. Dazu zerrt der 15-Kilo-Fotorucksack erbarmungslos an seinen Schultern. Als wir wenig später am Schleims-Sattel endlich an unseren Käsebroten kauen, erschlage ich die euphorische Stimmung mit einem Ausblick auf den weiteren Routen-Verlauf. "Da hinten müssen wir drüber, das ist der Gröbner Hals", erkläre ich und deute auf den fernen Grasrücken am nächsten Talende. Gut 400 Höhenmeter dürften es noch sein. Und, ja doch, dafür reichen bestimmt auch noch die letzten zwei Balken an deiner Akku-Anzeige, Markus.

Zum Finale über den Gröbner Hals an den Achensee

Gut, da wusste ich ja noch nicht, dass der letzte Anstieg von Schlammlöchern überzogen ist. Offensichtlich hatte schon eine ganze Herde Kühe mit dem matschigen Untergrund zu kämpfen. An Fahren ist deshalb auch hier wieder nicht zu denken. Ein falscher Tritt und der Fuß ist im Morast einbetoniert. Eine satte halbe Stunde brauchen wir, um Markus’ Schuhe mit vereinten Kräften aus dem Schlamm zu zerren. So ist es wieder dunkel, als wir nach zwei Tagen endlich unser Ziel Achenkirch erreichen.

  Die Übersichtskarte zu unserer Karwendel-Durchquerung von Innsbruck an den Achensee.Foto: Infochart
Die Übersichtskarte zu unserer Karwendel-Durchquerung von Innsbruck an den Achensee.

Im Shuttle-Bus zurück zu unseren Autos nach Innsbruck wirft Markus seinen Rucksack von sich und sackt auf die Rückbank. Er ist sich sicher: Das Gewicht von E-Bike und Rucksack auf seinen Schultern haben ihn fünf Zentimeter seiner Körpergröße gekostet. Fahrtechnik-Ass Ludi resümiert, dass sie noch nie auf einer Tour so viel Energie ins Fahren gesteckt hat. Und Andi kramt verzweifelt in Hosentaschen und Rucksack: "Ach Mist", zuckt er erschrocken zusammen: "Ich habe die Autoschlüssel verloren."

Die goldenen Sieben: Top Bike-Touren im Karwendel

1. Zum Soiernsee (36 km, 1544 hm, Schwierigkeit: schwer)
2. Große Karwendel-Runde (68,2 km, 1838 hm, Schwierigkeit: schwer)
3. Pleisenhütte (15,8 km, 788 hm, Schwierigkeit: schwer)
4. Lamsenjochhütte (37,6 km, 1578 hm, Schwierigkeit: schwer)
5. Falkenhütte (30,4 km, 1123 hm, Schwierigkeit: mittel)
6. Schleims-Sattel (61,21 km, 1792 hm, Schwierigkeit: schwer)
7. Hallerangerhaus (26,9 km, 840 hm, Schwierigkeit: mittel)


Den gesamten Artikel zur Karwendel-Durchquerung mit dem Mountainbiken und sieben Touren-Tipps fürs Karwendel gibt es unten auch als kostenlosen PDF-Download.

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