Sandra Schuberth
· 01.09.2024
Bikepacking bietet eine perfekte Kombination aus Abenteuer, Herausforderung und Natur pur. Für mich bedeutet diese Art zu Reisen, die Freude am Radfahren mit dem Reiz des Unbekannten zu verbinden. Jede Tour bringt ganz eigene Herausforderungen mit sich, mal vorhersehbar, mal nicht.
Fahrten von A nach B, etwa zum Besuch einer Familienfeier, einem Festival oder, um Freundinnen oder Freunde zu besuchen, waren vor einigen Jahren meine ersten Bikepacking-Touren. Zuletzt nahm ich an verschiedenen Ultracycling-Events wie Badlands, Bright Midnight oder Seven Serpents teil. Mit dem Deutschland-Trail ging es zurück zu meinen Bikepacking-Wurzeln: einen Termin mit einer Radreise verbinden. Die Gravel-Edition vom Deutschland-Trail führte mich von einer Dienstreise zur Tour de France Femmes avec Zwift zurück nach München. Hingefahren bin ich mit dem Nachtzug.
Eine erste Umsetzung vom Deutschland-Trail gab es vor ein paar Jahren. Damals ist ehemaliger BIKE-Redakteur Stefan Loibl mit dem Mountainbike quer durchs Land geradelt mit der Intension, die schönsten MTB-Trails des Landes zu entdecken. Mit dabei: Unsere Leserinnen und Leser, die ihm ihre schönsten Hometrails zeigten. So oder so ähnlich sollte es auch bei der Gravel-Edition vom Deutschland-Trail ablaufen. Sowohl in BIKE als auch in unserem Schwestermagazin TOUR wurde dazu aufgerufen, Routenvorschläge einzureichen und mich ein Stück auf meiner Bikepacking-Tour zu begleiten.
Die grobe Route habe ich selbst gesteckt, entlanggehangelt an Etappenorten der Deutschland-Tour 2024. Für die Detailplanung bat ich Leserinnen und Leser um Rat. Vorschläge für die einzelnen Etappen wurden eingereicht, die ich zum finalen Plan zusammenfügte. Wer wollte, durfte mich ein Stück begleiten. So war ich oft in kleinen Gruppen unterwegs und konnte den (Rad-) Geschichten meiner Mitfahrerinnen und Mitfahrer lauschen.
Der Startschuss fällt in Schengen, einem symbolträchtigen Ort für offene Grenzen in Europa. Passend dazu schlängelt sich die Route von entlang der deutsch-französischen Grenze. Die Etappe ist fordernd mit 130 Kilometern und 2100 Höhenmetern, belohnt aber mit grandiosen Ausblicken, etwa auf die Saarschleife, die ich bisher nur von Bildern kannte. Der einzige Wermutstropfen ist ein defekter Reifen, der viel Zeit und Nerven raubt. Mehr dazu später.
Vom Start am Europadenkmal in Schengen bis zum Europadenkmal in Überherrn (Denkmal für die großen Europäer) werden wir vom Saarländischen Rundfunk begleitet. Das Denkmal für die Großen Europäer ist ein Symbol für die deutsch-französischen Aussöhnung. Das Ergebnis erschien im Aktuellen Bericht bei Minute 27:07.
An der Saar verabschieden sich die heutigen Mitfahrer und treten ihren Heimweg an, ein Mix aus Bahn und Rad. Ich fahre in die City zum heutigen Hotel. Kurz vorher erhalte ich eine Benachrichtigung auf meinem Handy, dass ein Paket nicht zugestellt werden konnte, was mir mein Partner als Expresssendung ins Hotel geschickt hat. In dem Paket ist mein Trinkrucksack, Trinkpulver, Ersatz-Bremsbeläge, meine Regenhose und Überschuhe. Vieles, was ich noch nicht brauchte bei der Tour de France Femmes, wohl aber auf der Bikepacking-Tour. Mit der Paketsendung wollte ich mir Gepäck sparen, eine gut erprobte Taktik, die erstmals nicht funktioniert.
Nach dem anstrengenden Auftakt wird Etappe 2 zur willkommenen Verschnaufpause – abgesehen von der nicht vorhersehbaren Herausforderung mit dem Paket, die weiter unten beschrieben wird. Um das Problem zu lösen, müssen wir die Route komplett neu planen. Zum Glück ist Theo dabei, der in Saarbrücken lebt und sich über diese spontane Änderung freut. So kann er mir und den anderen Mitfahrern seine Lieblingsstrecken zeigen, um die wir mit der originalen Planung einen weiten Bogen gemacht hätten. Auf rund 75 Kilometern durch sanfteres Terrain ist mein Highlight die Halde Göttelborn und ein Kaffee plus Kuchen, zu dem Mitfahrer Elmar einlädt. Nachmittags verleitet uns Regen dazu, abzukürzen und statt einer weiteren Schleife den direkten Weg nach Zweibrücken zu nehmen.
Wie viele Kilometer und Höhenmeter es am Ende genau sind, kann ich nicht sagen, da ich am Radladen, in dem ich das Reifenproblem vom Vortag angegangen bin, am Garmin auf Stopp gedrückt hatte und dann vergessen habe, wieder Start zu drücken. Im Hotel angekommen, wasche ich das Rad-Kit im Waschbecken und wringe es im Handtuch aus. Nach dem Abendessen fallen Fotografin Pia Nowak und ich müde ins Bett.
Prasselnder Regen an Tag 3, da fällt aufbrechen schwer. Erst einmal ziehe ich Regenklamotten an, Überschuhe und Regenjacke. Das ist viel zu warm, also die Jacke direkt wieder ausziehen und im Trinkrucksack verstauen. Dann schwinge ich mich auf’s Rad. Heute bin ich allein unterwegs, kein Wunder bei dem Wetter. Einmal gestartet, freue ich mich über die nun mysthisch anmutende Landschaft. Aufsteigender Nebel verleiht ihr das besondere Antlitz. Mein Höhepunkt auf 106 Kilometern mit 1800 Höhenmetern ist die Abfahrt von der Kalmit nach Neustadt – buchstäblich wechselt der Wald hier alle paar hundert Meter sein Gesicht, das Abendlicht unterstreicht die Szenerie. Der Plan für diese Nacht sieht vor, dass Pia und ich auf einem Wildcampingplatz unser Zelt aufschlagen. Wegen Kälte und Nässe verzichten wir aber aufs Campen und kommen in den Genuss herzlicher Gastfreundschaft der TOUR-Leser Matthias und Claudia, die uns ein Bett anbieten und für uns kochen.
Nach einem leckeren Frühstück mit unseren Gastgebern, verabschiedet sich Claudia und macht sich auf den Weg zur Arbeit. Matthias begleitet mich auf der Etappe. Über Heidelberg geht es in den Odenwald. Die ersten 50 Kilometer sind flach. Immer wieder stoßen Mitfahrer hinzu, so dass wir schnell eine Gruppe sind. In Heidelberg lädt Routenplaner Peter in seinen Garten ein. Dort gibt es Kaffee, Kuchen und Brezen für alle. Und den Lacher des Tages: einer seiner Hunde hat den Garten zum Hundeklo erklärt und vier von uns sind in den Haufen getreten.
Nach der Pause folgen 1200 Höhenmeter auf 70 Kilometern, Königistuhl und Katzenbuckel belohnen mit tollen Fernblicken. Die von TOUR-Leser Peter Sandmann zusammengestellte Route überzeugt mit Schotterwegen und flowigen Trails, das Rocky Mountain Solo zeigt sein Können. Unsere Gruppe harmoniert perfekt, wir alle sind etwa gleich schnell. Am Ziel in Neckargerach zelten wir auf einem gemütlichen Campingplatz direkt am Fluss, auch Matthias ist noch dabei. An Erholen ist jedoch nicht zu denken, die Sommerschlafsäcke sind der nächtlichen Kälte nicht gewachsen.
Dank der schlaflosen Nacht hänge nicht nur ich durch. Pia geht es ähnlich. Matthias nicht. Nach einem gemeinsamen Frühstück verabschiedet er sich, für ihn geht es zurück nach Neustadt an der Weinstraße, während meine Route mich in ständigem Auf und Ab nach Stuttgart führt, 1800 Höhenmeter und 117 Kilometer. Erst will aber mein Garmin den Livetrack nicht starten – oder in der App nicht anzeigen. Das kostet mich eine halbe Stunde. Gut, dass für den Anfang keine Mitfahrer angekündigt sind, sonst wäre ich nur noch genervter von der Verzögerung. Erst auf dem letzten Abschnitt habe ich Begleitung, vorher genieße ich das Alleinsein – schöne Abwechslung.
Dank der nahezu schlaflosen Nacht kämpfe ich heute gegen die Müdigkeit. Musik in den Ohren gibt mir Energie – und auch ein kurzer Powernap auf einer Bank. Bevor ich am Abend die heutigen Mitfahrer verabschiede, essen wir gemeinsam Falafel.
Die 6. Etappe ist mit 130 Kilometern die längste, hinzu kommen 1850 Höhenmeter. Dank meiner Mitfahrer Raffael von AlbSchotter und Max ist sie mit 20 km/h die schnellste. Doch wir hasten nicht nur durch bzw. über die Alb, sondern halten auch inne, um die ein oder andere Aussicht zu genießen und auch mal ein Stück Kuchen zu essen. Ein Highlight ist die Begegnung mit einer Alpaka-Wanderung. 20 Kilometer vor Etappenziel Ulm, am Blautopf, drehen Raffael und Max um.
Pia und ich gönnen uns eine kurze Verschnaufpause mit Eisschokolade, bevor ich die letzten 20 Kilometer in Angriff nehme. Wir sind bei Vera eingeladen, Mitfahrerin auf Etappe 7. Sie und ihr Partner versorgen uns mit köstlichen Speisen. Am nächsten Morgen gibt es sogar selbst gebackene Brötchen zum Frühstück.
Diese Etappe ist leichter und mit 950 Höhenmeter überschaubar. In Ulm starten wir zu dritt, drei Frauen, denn neben Vera und mir stößt noch Marina aus Bamberg dazu, die gleich zwei Tage mitfahren würde. Heute lassen wir uns viel Zeit und machen eine ausgedehnte Pause an einer Radler-Tankstelle an der Donau.
Unsere geplante Ankunftszeit in Augsburg ist 19 Uhr. Doch wir sind zu schnell. Mit einigen Telefonaten verschieben wir unsere Ankunft in einem gemütlichen Biergarten in Augsburg rund 1,5 Stunden nach vorn. Dort lassen wir den Tag in der Abendsonne ausklingen – eingeladen von Reifenhersteller Maxxis.
Der letzte Tag: 92 Kilometer und 600 Höhenmeter trennen mich noch vom Ziel. Wir starten 7 Uhr, zwei Stunden eher als an den vorigen Tagen, denn geplante Zielankunft ist 13 Uhr. Auch heute ist die Strecke abwechslungsreich. Sogar die letzten Meter nach München rein haben noch Neues und Unbekanntes zu bieten.
Zu Tagesbeginn bin ich etwas geknickt, denn einige Mitfahrer mussten kurzfristig absagen. Umso schöner ist es, dass sich kurzfristig noch Leute zum Mitfahren anmelden und dazu kommen, einige müssen wieder abbiegen, bevor wir München erreichen.
Und dann: Punktlandung. Exakt 13 Uhr erreiche ich mit der 9-köpfigen Gruppe das Ziel. Wir werden herzlich empfangen. Nach dem obligatorischen Gruppenfoto gibt es Snacks und Getränke am Konsum.Kiez.Kaffee in München.
Jede Bikepacking-Tour bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Mal sind sie vorhersehbar, mal nicht. Die zwei größten Schwierigkeiten auf dieser Tour waren:
Am ersten Tag kostet ein defekter Reifen Zeit und Nerven. Zwei Tage vor Start ließ sich ein großer Cut im Reifen zunächst mit einem Tubeless-Flicken abdichten. Auf den ersten 5 Kilometern der richtigen Tour meldet sich das Loch in der Lauffläche zurück. Eine zweite “Wurst” bringt keinen Erfolg, auch Dichtmilch nachfüllen nicht. Letzte Rettung: Schlauch. Um wieder tubeless fahren zu können und nicht ständig zu bangen, hilft Paul vom TriShop Saar noch vor Ladenöffnung, den Reifen zu flicken. Das hält bis zum Ende der Tour
Um bei An- und Abreise weniger schleppen zu müssen, schicke ich mir selbst Pakete. Dieses Mal läuft es schief. Das Paket mit Trinkrucksack, Überschuhen, Regenhose und mehr kommt nicht an. Ein weiterer Zustellversuch, dieses Mal in unser Hotel in Saarbrücken schlägt fehl, warum, lässt sich nicht nachvollziehen. Nach viel Hin und Her bleibt nur, Etappe 3 neu zu planen und zum Logistikzentrum zu fahren; zur Freude von Mitfahrer Theo, der nun seine Lieblingswege präsentieren kann. Pünktlich zum Regen habe ich dann meine Überschuhe. Und mit dem Trinkrucksack von Evoc habe ich auch endlich mehr Wasser als 700 Milliliter dabei.
Die Tour zeigt wieder einmal, dass es keiner Fernreise bedarf, um Unbekanntes zu entdecken. Viel Schönes liegt direkt vor der Haustür. Ein besonderes Dankeschön gilt denjenigen, die diese Route mitgestaltet und begleitet haben – ihr habt diese Tour zu einem besonderen Erlebnis gemacht!