Andreas Kern
· 24.02.2023
Trail-Spaß vom Feinsten im Land der Zwei-Meter-Regel? Unsere Mehrtages-Mountainbike-Tour von Baiersbronn in Württemberg nach Sasbachwalden in Baden überholt alte Klischees im Schwarzwald.
Zum Biken nach Baden-Württemberg? Ist das nicht so, wie zum Surfen in die Tundra zu fahren? Da gibt es doch die Zwei-Meter-Regel! Unsere Mehrtages-Tour von Baiersbronn in Württemberg nach Sasbachwalden in Baden bietet entgegen aller Klischees Trail-Spaß vom Feinsten.
Ein Bundesland (Baden-Württemberg), zwei Regionen (Baiersbronn und Sasbachwalden), drei Tage Mountainbike-Spaß – 100 Prozent legal! Die doppelte Überquerung des Nordschwarzwaldes spricht mit 135 Kilometern und 4000 Höhenmetern Genuss-Biker mit Hang zu flowigen Bike-Trails und leckeren Einkehrschwüngen an.
Die perfekt beschilderten, legalen Trails rund um Baiersbronn, die gebauten Strecken vom Nationalpark hinab nach Sasbachwalden und die außergewöhnlich guten Vesperstationen am Wegesrand sind Highlights dieser Schwarzwald-Runde.
Die GPS-Daten der 3-Etappen-Rundtour von Baiersbronn über Sasbachwalden als gpx-Track sowie den kompletten Reisereport Schwarzwald-Cross aus BIKE 09/2021 als PDF können Sie im Download-Bereich am Ende dieses Artikels herunterladen.
Start ist am Rosenplatz in Baiersbronn (584 m). Parken kann man im Parkhaus der Tourist-Info. Ohne Vorgeplänkel geht’s in die Trails, anfangs auf dem T 10 in ständigem Auf und Ab an Klosterreichenbach vorbei nach Schwarzenberg. Einkehrtipp: das Genusshotel Sackmann direkt an der Murg. Zum Abschluss des ersten Tages kurbelt man flach das Tal der Schönmünzach hoch nach Hinterlangenbach (696 m, Übernachtung im Forsthaus Auerhahn).
Zum Frühsport fährt man entgegen des normalen Verlaufs des T 5 zum Seibelseckle (955 m, Einkehr), dann über Mummelsee (1029 m, Einkehr) auf die Hornisgrinde (1164 m, Einkehr). Via Forstweg geht’s von der Kleinen Grinde zur Schwarzwaldhochstraße. Diese überquert man und saust auf den Trails des Trailparks Sasbachwalden (Pfad zwo und Alpirsbacher Schwarzwald-Trail) nach Sasbachwalden (257 m). Übernachtung bei Zweitages-Tour: Spinnerhof. Über Kappelrodeck und die Achertäler Berg&Tal-Tour kurbelt man wieder zum Hauptkamm, zum 1000-Meter-Weg und zum Nationalparkzentrum am Ruhestein. In wenigen Minuten erreicht man die Darmstädter Hütte (1030 m, Übernachtung).
Am Aussichtspunkt Wildseeblick vorbei folgt man dem T 4 zum Hirschlach-Trail. Auf diesem S2-Singletrail (T 8) hinab nach Obertal. Einkehr im Wirtshaus zur Sieberei. Man folgt weiter dem T 8 über den Kraftenbuckelweg nach Buhlbach und zum Mittagessen im Forellenhof Buhlbach. Von hier aus geht’s wieder hoch (T 8) zur Walterhütte. Dann beginnt eine der härtesten Abfahrtsnüsse von Baiersbronn, ein teils verzwickter und felsiger S3-Trail. Vom Naturbad Mitteltal an der Murg rollt man nach Mitteltal, wendet sich nochmals gen Süden und fährt auf den feinen Trails des T 8 bis hinab nach Baiersbronn und zum Rosenplatz mit seiner Eisdiele.
Kopfkino macht Spaß und manchmal auch das Leben einfacher. Denke ich beispielsweise an Baden-Württemberg, machen es sich im Oberstübchen gleich Stuttgart 21, Fanta 4 und Daimler bequem. Aber auch das Wortungetüm „Zwei-Meter-Regelung“. Was Deutschlands drittgrößtes Bundesland schneller disqualifiziert, als Winfried Kretschmann „Mauldäschle“ sagen kann. Baden-Württemberg war für mich Alm-Öhi ewig eine Art No-Go-Area zwischen Bayern, Frankreich und der Schweiz. Doch der Film im Kopf muss nicht immer was mit der Realität zu tun haben. Als ich vor fünf Jahren erstmals nach Baiersbronn kam, musste ich meine Vorurteile nämlich schnell über Bord werfen.
„Die Zwei-Meter-Regel ist aus touristischer Sicht zu pauschal. Es gibt Waldbereiche mit vielen Wanderern oder seltenen Tieren, wo nicht gebikt werden sollte. In vielen Gebieten wären gemeinsam genutzte Wege – unabhängig von der Breite – sinnvoller. Wir sind für gezielte Besucherlenkung dort, wo es notwendig ist und für Shared Trails sowie für mehr Miteinander statt Gegeneinander.“ Sascha Hotz
Legale Singletrails im „Spätzleland“? Eigentlich ein Widerspruch in sich. Aber wie im echten Leben gilt: Miteinander reden hilft. Das dachte sich auch Patrick Schreib (46), seines Zeichens Tourismuschef des Nordschwarzwälder „Sternedorfs“ Baiersbronn – und selbst leidenschaftlicher Biker. Der smarte Schwabe brachte vor sechs Jahren Staatsforst, Jägerschaft, Waldbesitzer, Nationalparkbehörde, Goldschnepfenschützer und alle anderen Bedenkenträger an einen Tisch und schaffte das Unmögliche: legale Singletrails!
„Wir haben über 400 Kilometer offizielle Bike-Trails. Elf perfekt beschilderte Runden von 13 bis 81 Kilometern Länge und keinerlei Stress zwischen Wanderern und Bikern“, erzählt Patrick.
Was für echte Schwaben die Kehrwoche ist, das ist für die Freiwilligen vom Turnverein 1893 Baiersbronn die regelmäßige Säuberung der Trails. Wenn in dem Örtchen ein Thema angepackt wird, dann leidenschaftlich. Die drei Unterzeilen der Gemeinde heißen „Wander-Himmel“, „Kulinarik-Himmel“ und „Mountainbike-Himmel“. Acht Sterne funkeln derzeit am Baiersbronner Kulinarik-Himmel. Deutscher Rekord. Da lag es förmlich auf der Hand, dass die findigen Schwaben mit dem alljährlichen Trail&Genuss-Camp gleich noch den Himmel auf Erden kreierten.
Tagsüber mountainbiken, abends schlemmen – da wird selbst Sascha Hotz neidisch. Der 53-Jährige ist der Radchef der Schwarzwald Tourismus GmbH. Er lebt und radelt tief unten in Freiburg. Patrick und Sascha kennen sich seit 15 Jahren. Zusammen biken waren sie aber noch nie. Das will ich ändern. Und zwar auf einer grenzüberschreitenden Dreitages-Tour von Württemberg hinüber nach Baden, hinab bis fast ins Rheintal und wieder retour nach Baiersbronn.
Andernorts hören Trails auf so wohlklingende Namen wie Tornantissima, The Brazilian oder Bone Shaker. Unser erster Trail in Baiersbronn heißt T 10. Aber so schwäbisch-korrekt sich der vorletzte der elf Baiersbronner Trails auch anhört, so fröhlich-unbeschwert fährt er sich. Die schmale Achterbahnfahrt über Klosterreichenbach nach Schönmünzach ist der perfekte Einstieg in unseren 135 Kilometer langen Schwarzwald-Cross mit gut 4000 Höhenmetern. Bei solch einem Pensum sollte man seine Körner nicht schon am ersten Morgen verpulvern. Also machen wir in Schwarzenberg einen ersten Boxenstopp. Nach einem schnellen Espresso geht es weiter gen Grenzkamm.
„Baiersbronn ist wie ein strahlender Leuchtturm im Meer der Zwei-Meter-Regelung. Das Schwarzwalddorf hat über 400 Kilometer offizielle Bike-Trails, 11 perfekt beschilderte Runden von 13 bis 81 Kilometern Länge – und keinerlei Stress zwischen Wanderern und Mountainbikern. Rund um Baiersbronn sind alle Wege für alle da.“ Patrick Schreib
Das Ziel der ersten Etappe ist das Forsthaus Auerhahn. Der Name lässt sofort wieder das Kopfkino anspringen: „Sicher, so ein gemütliches Walmdachhüttle vom Schwarzwaldverein, mit Kuckucksuhr und so“, denke ich. Doch erst mal gilt es, die zähen Höhenmeter bis dorthin zu bezwingen. Meine Alpenarroganz, die den Schwarzwald als müdes Mittelgebirge belächelt hat, weicht schon am ersten Tag echter Hochachtung. Was mir bisher nicht klar war: Von allen Mittelgebirgen im Land ist der Schwarzwald das höchste. Und das flächenmäßig größte. Zwischen Pforzheim und Basel liegen rund 150 Kilometer. Und der Schwarzwald ist schon seit dem Jahre 1900 „Hikers Heaven“. Damals nämlich eröffnete der Schwarzwaldverein den Westweg, die Mutter aller Höhenwanderwege in Deutschland. Der aber sei für Biker eine verbotene Frucht, ermahnt mich Sascha, als er das Funkeln in meinen Augen sieht.
Der Nordschwarzwald. In Sachen Höhe kann die Region zwar nicht gegen Feldberg (1493 m) und Belchen (1414 m), den Giganten im Hochschwarzwald, anstinken. An der Hornisgrinde reckt er sich aber immerhin 1164 Meter in den Himmel. Die Höhenunterschiede zwischen Murgtal und Gipfel sind mit 700 Metern kein Kinderfasching. Selbst für Alpenversaute wie mich. Nur Masochisten reißen die gut 4000 Höhenmeter in zwei Tagen ab, pressen in einem Rutsch bis nach Sasbachwalden und anderntags wieder zurück. Echte Genießer – und die passen zum Nordschwarzwald wie Harry zu Sally – nehmen sich lieber drei Tage Zeit. Nach gut 40 Kilometern und 1200 Höhenmetern schlagen wir unser Nachtlager ganz hinten im Langenbachtal auf. In jenem Forsthaus Auerhahn, von dem Patrick gesprochen hatte. Von wegen gemütliches Walmdachhüttle! Das hier ist ein top-modernes Vier-Sterne-Wellness-Hotel. Wie einen selbst Namen täuschen können!
Nächster Tag: Heute wartet die Königsetappe mit gut 50 Kilometern und strammen 1900 Höhenmetern. Diese ist gleichermaßen der topographische als auch landschaftliche Höhepunkt der Tour. Die Hornisgrinde ist der höchste Gipfel des Nordschwarzwaldes. An seinen Flanken schlängeln sich herrliche Trails entlang, die runter nach Sasbachwalden führen. Und schließlich wartet ein echter Nationalpark auf uns Biker. Wo, bitte, gibt’s denn so was?
Aber schön der Reihe nach! Wer die morgendlichen 500 Höhenmeter gemeistert hat, dem eröffnet sich am flachen Gipfelplateau ein skurriles Ensemble aus 111 Jahre altem Hornisgrindeturm, 206 Meter hoher SWR-Antenne, 8 Meter kleinem Bismarckturm und Abhörrelikten aus dem Kalten Krieg. Aller Verbauung zum Trotz atmet der hochmoorige Gipfel unhörbar seine ganz eigene Magie. Wir stehen am Dreifürstenstein, der Grenze zwischen den Gemeinden Sasbachwalden und Baiersbronn – und damit zwischen Baden und Württemberg. Vom Bismarcktürmchen aus kann man bei schönem Wetter in die Vogesen, die Schwäbische Alb und sogar bis in die Alpen und nach Straßburg fernsehen. Ich aber habe grad nur Augen für den Abgrund. Auf nur acht Kilometern Wegstrecke bricht der Schwarzwald über 1000 Vertikalmeter ins Rheintal ab. Da müssen wir runter! Und zwar nicht irgendwie, sondern mit Style.
Und dafür sorgt die rührige Bike-Community in Sasbachwalden. Fachwerk, Blumen, Trailpark: Dieser Dreiklang beschreibt das 2500-Seelen-Dörflein kurz und knackig. Am Mummelsee kurz unterhalb des Gipfels treffen wir Martin Schumacher, er ist quasi der Hausmeister des Sasbachwalden-Trailparks.
„Unser Alpirsbacher Schwarzwald-Trail ist einer der längsten gebauten Trails in Deutschland“, erzählt der Zimmermann und Trail-Bauer: „Und auf dem Pfad zwo weiter oben kannst Du auf nur 80 Tiefenmetern 12 Anlieger und 16 Sprünge mitnehmen.“ Wir treffen ein paar Buben, die unablässig abfahren, hochschieben, abfahren und wieder hochschieben. Von wegen, die Jugend hockt nur auf dem Sofa! Für uns Touren-Onkels sind die gut 400 Tiefenmeter beider Trails der reinste Genuss. Oben ein bisschen Airtime und Achterbahn-Feeling, nach dem Transfer mit einigen Metern bergauf warten dann ab dem Gleitschirmstartplatz spaßige Anlieger und kleine Rampen. Beeindruckend, was die Sasbachwaldener da geschafft haben. Zusammen mit den Natur-Trails drüben in Baiersbronn ein strahlender Leuchtturm im Meer der Zwei-Meter-Regelung. Chapeau!
Aber wir müssen aus dem Rheintal wieder rauf zum Hauptkamm. Also verabschieden wir uns von Trail-Bauer Martin und machen uns auf der Achertäler Berg&Tal-Tour wieder auf den langen, beschwerlichen Weg Richtung Nationalpark. Baden-Württembergs erster Nationalpark wurde am 3. Mai gerade mal sieben Jahre alt. Patrick führt uns stolz wie ein Papa, dessen Sprössling jetzt Schulkind ist, durch das nagelneue Nationalparkzentrum am Ruhestein. Ein futuristischer, 35 Millionen Euro teurer Gebäudekomplex, der aussieht, als hätte jemand überdimensionale Holzbauklötzchen in den Wald geschüttelt.
Keine zwei Kilometer nordöstlich, an der 95 Jahre alten Darmstädter Hütte, gibt es dann wieder Walmdach und Kuckucksuhr. Es ist die zweite Übernachtung der Tour. Wir sind wieder in Patricks Kiez. Was man an der spaßfreien Nomenklatur der Trails ablesen kann: T 9, T 4 und T 8.
Wie viel Spaß die Kürzel in der Praxis bedeuten, erleben wir am nächsten Tag: Im Angesicht mystischer Karseen sausen wir hinab nach Obertal und weiter auf gutmütigen Flowtrails zur Einkehr im Forellenhof Buhlbach. Nach der „Mittagsveschber“ warten dann nach der Walterhütte ein paar echt knackige S3-Stellen, bevor sich der Kreis am Rosenplatz in Baiersbronn wieder schließt.
Drei Tage legale Trails! Wer hätte das gedacht? Nur bei der Namensgebung könnten Patricks Baiersbronner ihr schwäbisches Hirnschmalz noch zusammenlaufen lassen. T 4 hört sich für mich wie ein rostiger Wolfsburger Familienbus an. Da sind Saschas Freiburger schon kreativer. Die Trails dort tragen fesche Namen wie Baden to the Bone oder Borderline. Die schaue ich mir dann nächstes Jahr an. Sascha kennt bestimmt einen legalen Trail von Freiburg rüber nach Württemberg und wieder retour. Der Film, der jetzt unablässig in meinem Kopfkino läuft, heißt schließlich: Spätzleland ist Singletrail-Land!