Maximale Leistung aus Federgabel und Dämpfer

Christian Artmann

 · 17.01.2016

Maximale Leistung aus Federgabel und DämpferFoto: Colin Stewart
Maximale Leistung aus Federgabel und Dämpfer
Moderne Federgabeln und Dämpfer sind hoch sensible Technikwunder. Doch wenn man sie falsch behandelt, können sie bockig werden. Wir zeigen den Weg zum optimalen Bike-Setup.

Die Zuschriften klingen wie Hilferufe. Und manche sind es auch. "Hilfe! Mein neues Fully, das in den Tests so gelobt wurde, rumpelt nur so über die Wurzeln." Oder: "Ich nutze bei meiner Gabel nur den halben Federweg aus, obwohl ich den Luftdruck genau nach Herstellerangaben eingestellt habe. Woran liegt das?" Solche und ähnliche Fragen erreichen die Redaktion unaufhörlich. – "Hast Du mal versucht, die Zugstufe etwas weiter aufzudrehen?", ist oft einer der ersten Expertenvorschläge. Die Antwort lässt den Grund für die Misere meist schon erahnen: "Zugstufe?!? Was ist das denn …?"

Die Federungstechnik von Mountainbikes hat sich in den letzten Jahren massiv entwickelt. Noch nie zuvor waren selbst große Federwege so vielseitig. Mit 160 Millimetern bergauf heizen und dennoch mit kompromissloser Performance bergab? Vor Jahren undenkbar. Heute sorgen aufwändige Ventil- und Shim-Konstruktionen in Federgabeln und Dämpfern, neue reibungsarme Dichtungen und Lager sowie unzählige weitere Details für maximale Sensibilität, voll nutzbare Federwege und Möglichkeiten, wie nie zuvor.

  Sicherheit durch Sensibilität: Ein ganz wichtiger Aspekt beim Setup ist für mich das Ansprechverhalten. Nur ein sensibles Fahrwerk bringt optimale Traktion und damit Fahrsicherheit. Es ist aber wichtig, dass das Fahrwerk nicht zu weich und komfortbetont wird, denn sonst geht das Feedback vom Untergrund verloren. (Stefan Hermann, BIKE Fahrtechnikexperte)Foto: Franz Faltermaier Sicherheit durch Sensibilität: Ein ganz wichtiger Aspekt beim Setup ist für mich das Ansprechverhalten. Nur ein sensibles Fahrwerk bringt optimale Traktion und damit Fahrsicherheit. Es ist aber wichtig, dass das Fahrwerk nicht zu weich und komfortbetont wird, denn sonst geht das Feedback vom Untergrund verloren. (Stefan Hermann, BIKE Fahrtechnikexperte)

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Doch selbst der beste Dämpfer und die teuerste Federgabel können ihr Potenzial nur dann entfalten, wenn sie richtig auf den Fahrer, beziehungsweise die Fahrerin eingestellt sind. Erst dann spenden die Fahrwerke das Optimum an Traktion, Komfort und Fahrsicherheit. Egal, wie viel Aufwand der Hersteller in die Konstruktion und die Abstimmung des Bikes gelegt hat, wenn der Fahrer die Gabel und den Dämpfer nicht richtig einstellt, verpufft das erhoffte Aha-Erlebnis. Der Hightech-Bolide wird zum bockigen Esel. Schätzungen zufolge fährt mehr als die Hälfte der Biker mit einem falschen Setup und weiß es oft nicht einmal. Die Szene-Foren im Internet sind voll mit Kommentaren, in denen Bikes miese Fahrwerkseigenschaften angedichtet werden. In Wahrheit handelt es sich meist um Defizite beim Setup.

Viele Biker sind überfordert mit den zahlreichen, immer komplexeren Einstell­optionen moderner Federelemente. Sie überlassen das Thema deshalb gerne dem Fachhändler. Zugegeben, es gibt Hightech-Teile, die durch ihre Optionen tatsächlich nur für Technik-Cracks und absolute Spezialisten geeignet sind. Aber die allermeisten Gabeln und Dämpfer sind so gestaltet, dass die korrekte Einstellung nur Minuten in Anspruch nimmt. Dabei ist es gar nicht schwer, das kleine Ein-mal-Eins der Federung zu lernen und zu verstehen. Wie sich die einzelnen Verstellmöglichkeiten auf das Fahrverhalten auswirken, zeigen wir hier. In einfachen Schritten findet so jeder sein individuelles Ideal-Setup. Werfen Sie also Ihre Berührungsängste über Bord.

Zur perfekten Abstimmung braucht man nicht viel. Eine handelsübliche Dämpferpumpe (siehe Abbildung unten) sowie ein Lineal oder Messstab reichen. Und schon kann man sich dem ungetrübten Trail-Genuss hingeben, statt verzweifelte Hilferufe in die Computer-Tastatur zu tippen.

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Dämpfung auf Damit das Setup nicht durch die Dämpfung beeinflusst wird, sollte man die Druck- und Zugstufe an Gabel und Dämpfer ganz öffnen. Die blauen Verstellknöpfe sind normalerweise für die Druckstufe, die roten für die Zugstufe zuständig.
Foto: Daniel Simon

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TROUBLE SHOOTING

Nicht immer arbeitet das Fahrwerk so, wie man es sich vorstellt. Hier die häufigsten Probleme und ihre Lösungen:


■ Das Symptom: Die Gabel oder der Dämpfer schlagen häufig durch.
■ Die Ursache: Federhärte/Luftdruck oder die Druckstufendämpfung sind zu gering.
■ Die Lösung: Der erste Schritt ist, über den Sag zu überprüfen, ob die Federhärte richtig eingestellt ist. Stimmt die, kann man eventuell die Druckstufendämpfung erhöhen oder die Progression durch Einsetzen von Volumen-Spacern optimieren. Ein Erhöhen des Luftdrucks hilft auch, verschlechtert aber das Ansprechverhalten und reduziert oft den nutzbaren Federweg.


■ Das Symptom: Das Fahrwerk ist wenig komfortabel, bietet wenig Traktion, und der Federweg wird nicht ganz ausgenutzt.
■ Die Ursache: Die Federungs- oder Dämpfungseinstellungen sind zu straff, oder es ist zu viel Reibung im System (zum Beispiel durch Verschmutzung in den Lagern).
■ Die Lösung: Hier muss man die Ursachen einzeln abklären. Die Federungs-/Dämpfungseinstellungen kann man nach den genannten Schritten überprüfen. Um Verschmutzungen in der Gabel oder in den Lagern zu erkennen, hilft nur die Demontage – oder gleich ein Service.


■ Das Symptom: Das Fahrwerk fühlt sich vor allem in Kurven oder gröberen Trails schwammig an.
■ Die Ursache: Die Zug- bzw. Druckstufe oder die Federhärte sind zu weich eingestellt. Auch möglich: Im System hat sich Lagerspiel entwickelt.
■ Die Lösung: Lagerspiel in den Laufrädern und dem Hinterbau erkennt man leicht durch seitliches Drücken am eingebauten Laufrad. Die korrekte Federungseinstellung kann man über den Sag kontrollieren. Die Dämpfungseinstellung wie vorher gezeigt nachjustieren.

  Bei Endurorennen fahre ich hinten ein recht komfortables Setup mit bis zu 35 Prozent Sag und weit offener Zugstufe. Die Gabel dagegen mag ich straff. Mit gerade mal 20 Prozent Sag und zwei Volumen-Spacern für eine hohe Progression spricht sie super an, hat aber auch noch Reserven. (Ines Thoma, Enduro-Profi)Foto: Canyon Factory Enduro Team Bei Endurorennen fahre ich hinten ein recht komfortables Setup mit bis zu 35 Prozent Sag und weit offener Zugstufe. Die Gabel dagegen mag ich straff. Mit gerade mal 20 Prozent Sag und zwei Volumen-Spacern für eine hohe Progression spricht sie super an, hat aber auch noch Reserven. (Ines Thoma, Enduro-Profi)


■ Das Symptom: Das Fahrwerk spricht auf einzelne Schläge gut an, verhärtet sich aber bei schnellen Schlägen.
■ Die Ursache: Die Zugstufendämpfung ist zu straff eingestellt, weswegen Dämpfer und Gabel nicht schnell genug wieder ausfahren können.
■ Die Lösung: Verringern Sie schrittweise die Zugstufendämpfung, bis das Fahrwerk auch auf Wurzel-Trails und Schotterpisten noch Komfort generiert, ohne dass es dabei beginnt, unangenehm zu wippen oder unruhig zu werden.


■ Das Symptom: Das Fahrwerk lässt sich auch mit viel Sorgfalt nicht optimal auf das Fahrergewicht einstellen.
■ Die Ursache: Bei besonders leichten Fahrer/-innen (unter 60 kg) und besonders schweren Fahrern (über 125 kg) stoßen die Feder­elemente in ihrer Werksabstimmung an ihre Grenzen.
■ Die Lösung: Hier hilft nur, den Hersteller des Bikes oder der Federelemente zu Rate zu ziehen und ein optimiertes Dämpfungs-Tune zu ordern. Manchmal auch hilfreich: ein Custom-Tuning durchführen lassen.


■ Das Symptom: Das Fahrwerk neigt im Wiegetritt oder auch bei normalem Bergauffahren zu störendem Wippen.
■ Die Ursache: Die Low-Speed-Zugstufe oder -Druckstufe ist zu weich eingestellt.
■ Die Lösung Eventuell besitzt Ihr Bike eine zuschaltbare Plattformdämpfung. Schalten Sie diese zu. Besser? Reicht das nicht, kann man bei manchen Gabeln und Dämpfern separat davon die Plattformstärke bzw. die Low-Speed-Druckstufe erhöhen. Auch eine härtere Zugstufe wirkt beruhigend, hat aber den Nachteil, dass sich das Fahrwerk zu schnell verhärtet.


■ Das Symptom: Die Gabel bzw. der Dämpfer arbeiten nicht immer gleichmäßig.
■ Die Ursache: Verunreinigungen durch Fremdpartikel oder interne Abnutzung/Korrosion verhindern das einwandfreie Arbeiten der Federelemente.
■ Die Lösung: Hier ist ganz klar ein sofortiger Service angesagt, ansonsten drohen ernsthafte Schäden und noch höhere Reparaturkosten. Ausnahme: Nach sehr langen Downhills kann es in sogenannten "offenen Systemen" zur Vermischung von Luft und Dämpfungsöl kommen. Dann reicht meist schon eine kurze Pause.

  Mut zur Federung – Viele CC-/Marathon-Fahrer haben ihre Fahrwerke zu hart eingestellt und nutzen das Lockout viel zu exzessiv. Sie verschenken damit Vortrieb und Energie. Mit einem straffen, aktiven Setup benötigt man weniger Energie. Fazit: Auch am Cross-Country-Fully mal 20 bis 25 Prozent Negativ-Federweg probieren. (Carsten Wollenhaupt, SRAM – Technical Marketing Coordinator MTB)Foto: Privatfoto Mut zur Federung – Viele CC-/Marathon-Fahrer haben ihre Fahrwerke zu hart eingestellt und nutzen das Lockout viel zu exzessiv. Sie verschenken damit Vortrieb und Energie. Mit einem straffen, aktiven Setup benötigt man weniger Energie. Fazit: Auch am Cross-Country-Fully mal 20 bis 25 Prozent Negativ-Federweg probieren. (Carsten Wollenhaupt, SRAM – Technical Marketing Coordinator MTB)

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LEXIKON

In der Welt der Bike-Federungen wimmelt es von Fachbegriffen. Um sein Bike richtig einzustellen, reicht es, ein paar Grundbegriffe zu kennen:

  DämpferpumpeFoto: Daniel Simon Dämpferpumpe


■ Federung (Luft- oder Stahlfeder) Ihre Aufgabe ist es, die Bewegungsenergie, die beim Überfahren von Hindernissen oder nach Sprüngen auf Bike und Fahrer wirken, aufzunehmen und als potenzielle Energie zu speichern.


■ Dämpfung Erst sie bringt Ruhe ins Fahrwerk und sorgt für die Kontrolle. Die Energie des Federungsvorgangs wird dabei in Wärme umgewandelt. Üblicherweise erfolgt das, indem Öl durch eine Folge von Ventilen und um Metalplättchen (Shims) herumgepresst wird. Das beruhigt die Federungsgeschwindigkeit von Gabel und Dämpfer.


■ Positiv-Feder Sie ist das, was man gemeinhin unter der "Federung" versteht. Ihre Kraft wirkt der Einfederrichtung entgegen und drückt Gabel bzw. Dämpfer auseinander. Heute meist eine leicht einstellbare Luftfeder.


■ Negativ-Feder Sie möchte das Federelement zusammenziehen und ist unter anderem für die Sensibilität im initialen Federweg zuständig. Sie soll den Einfluss der Haftreibung (Losbrechmoment) minimieren und das Ansprechverhalten verbessern. Je nach System ist sie als Stahlfeder oder als Luftfeder ausgelegt, die mit der Positiv-Feder über ein Ventil gleichzeitig befüllt wird.


■ Sag (Negativ-Federweg) Der Teil des Federwegs, um den Gabel und Dämpfer allein durch das Gewicht des Fahrers zusammengedrückt werden. Eine der wichtigsten Kenngrößen bei der Federungseinstellung, denn alle Hinterbausysteme sind um definierte Sag-Werte herumkonstruiert.


■ Zugstufendämpfung (Rebound) Sie regelt die Ausfedergeschwindigkeit und beeinflusst damit viele Aspekte der Federungs-Performance. Bei fast allen Feder­elementen über den roten Einstellknopf gesteuert.


■ Druckstufendämpfung (Compression). Sie regelt die Einfedergeschwindigkeit der Federelemente
und unterstützt damit die Positiv-Feder. Bei fast allen Feder­elementen über einen blauen Einstellknopf angesteuert.


■ High/Low-Speeddämpfung Um bei langsamen Schlägen (Bodenwellen) noch wippneutral zu sein und dennoch effektiv auf schnelle, große Schläge reagieren zu können, haben moderne Federelemente mehrstufige Dämpfungskreisläufe. Die Einstellmöglichkeiten der meisten Systeme wirkt sich nur auf die Low-Speed-Zug und -Druckstufe aus – bei fester Highspeed-Einstellung. Manche erlauben aber auch eine Verstellung des High-Speed-Bereichs.


■ Plattform Dämpfung/Lockout Meist über Hebel anwählbare Funktionen, welche durch eine straffere (Druckstufen-) Dämpfung die Federungsaktivität stark beruhigen (Plattform) oder komplett sperren (Lockout) –
zu Lasten von Komfort und Traktion.


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