Ludwig Döhl
· 25.09.2021
Arian Nek widmet sein Leben der Herstellung von Bio-Schmierstoffen. Im Interview verrät er, was Nachhaltigkeit für ihn bedeutet und warum sich Öko-Öle so schwer durchsetzen.
Wir haben die RIDE-GREEN-Kampagne ins Leben gerufen, um uns als Mountainbike-Magazin dem Thema Nachhaltigkeit anzunehmen. Gemeinsam mit Partnern aus der Industrie haben wir einen Nachhaltigkeits-Workshop organisiert und versuchen jetzt, ein möglichst nachhaltiges Bike zu bauen. Die Firma Danico Biotech liefert dafür die nötigen Fette und Schmierstoffe. Diese werden seit über zehn Jahren auf pflanzlicher Basis entwickelt und in Deutschland hergestellt.
BIKE: Nachhaltigkeit hat viele Facetten. Was macht für Dich ein ökologisches Produkt aus?
ARIAN NEK: Das Thema wird beim Konsumenten immer wichtiger, weshalb immer mehr Firmen versuchen, sich grün darzustellen. Der einfachste Weg: eine Produktverpackung aus Altpapier. Aber das macht für mich noch kein biologisch korrektes Produkt aus. Für mich als Biochemiker und Schmierstoffhersteller müssen biologische Produkte vor allem zwei Kriterien erfüllen. Erstens: Sie müssen aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen. Und zweitens: Sie müssen auf natürlichem Weg wieder leicht abbaubar sein. Wenn zum Beispiel Kettenöl beim Fahren in die Natur gelangt, dann muss es dort von natürlich vorkommenden Bakterien zersetzbar sein.
Bleiben wir beim Beispiel Kettenöl. Ein normaler Biker braucht im Jahr etwa 100 Milliliter, die er auch direkt auf der Kette aufträgt und nicht absichtlich im Wald verteilt. Kann so eine geringe Menge tatsächlich Umweltschäden verursachen?
Man geht davon aus, dass sich beim Biken zirka 70 Prozent des aufgetragenen Kettenöls in die Umwelt verflüchtigen. Nach einer Fahrt durch den Dreck oder im Regen ist es danach in der Regel weg. Irgendwo muss es ja hin. Wer im Jahr also 100 Milliliter Kettenöl verbraucht, verteilt, ohne es eigentlich zu wollen, 70 Milliliter davon in der Natur. Hochgerechnet auf die Summe aller Biker kommt da eine gewaltige Menge Öl zusammen, die direkt in sensiblen Naturgebieten landet. Wenn man dann berücksichtigt, dass ein Tropfen Öl genügt, um 1000 Liter Trinkwasser zu verunreinigen, wird schnell klar: Auch mit einem vermeintlich unscheinbaren Produkt wie einem Kettenöl lässt sich großer Schaden anrichten. Aber eigentlich muss man die Frage eher umdrehen: Wieso muss ich mit einem Kettenöl die Natur belasten, wenn es doch biologisch basierte Produkte gibt?
Können diese biologischen Produkte in ihrer Wirksamkeit mit herkömmlichen Schmierstoffen mithalten?
Genau das war der Grund, weshalb ich vor über zehn Jahren damit angefangen habe, Bio-Schmierstoffe fürs Bike herzustellen. Es gab damals schlichtweg keine vernünftigen Produkte. Viele Bio-Öle neigen zum Verharzen und eignen sich deshalb nicht für die technische Anwendung am Bike. Allerdings haben russische Forscher schon vor über 100 Jahren das Öl einer speziellen Sonnenblumensorte entdeckt, welches nicht verharzt und in vielen Eigenschaften einem mineralölbasierten Produkt sogar überlegen ist. Mit diesem speziellen High-Oleic-Öl (reich an Ölsäure, Anm. d. Red.) lassen sich technische Schmierstoffe herstellen, die einem klassischen Gemisch in nichts nachstehen. Bei der Langlebigkeit sind Bio-Schmierstoffe sogar deutlich besser als mineralölbasierte Produkte.
Wenn man es so sieht, stellt sich ja die Frage, warum die allermeisten Schmierstoffe immer noch aus Mineralöl bestehen?
Große Unternehmen müssen gewinnorientiert wirtschaften. Einen Liter Mineralöl bekommt man ab zirka 1,50 Euro. Dieselbe Menge Bio-Öl kostet drei bis vier Euro. Wer als Hersteller auf Bio-Produkte setzt, muss mit folgenden Konsequenzen rechnen: Entweder die eigene Gewinnmarge schrumpft deutlich, oder man muss das Endprodukt teurer verkaufen und verliert somit Marktanteile, weil der Kunde lieber das billigere Produkt kauft. In diesem Punkt sticht die Betriebswirtschaft die Natur einfach aus. In der Realität sieht es dann so aus, dass die großen Schmierstoffhersteller ein Bio-Produkt in ihrer Palette haben, um den Schein der Nachhaltigkeit zu wahren. Ein wirkliches Interesse daran, das Produktportfolio stringent umzustellen, gibt es aber meist nicht. Denn das wäre zusätzlich auch noch mit extrem hohen Umrüstkosten in der Fertigung verbunden. Das ist ein Jammer. Ich wünschte, ich hätte mehr Konkurrenz. Das würde sicher auch das Geschäft beleben.
Der Wandel hin zu einer nachhaltigeren Zukunft gelingt also nur, wenn die Industrie das auch will?
Ja, die Nachfrage wird maßgeblich von der Industrie gesteuert. Klar kann ich als Endverbraucher ein Bio-Kettenöl kaufen und somit nachhaltiger handeln als mit einem klassischen Mineralöl. Aber Fakt ist auch, dass es große Hersteller dafür braucht, eine wirkliche Trendwende einzuleiten. Die Firma Trickstuff beispielsweise ist für ihren hohen Innovationsgrad bekannt und setzt bei ihren Bremsen auf bio-basierte Bremsflüssigkeit. Das sind für mich erste positive Signale, die in diesem Fall von einer kleinen Firma gesetzt werden. Ich habe über die Jahre jedoch die Erfahrung gemacht, dass die Industrie unter einem derart hohen Preisdruck steht, dass für Volumenhersteller wie Shimano der Umstieg auf eine Bio-Bremsflüssigkeit nicht in Frage kommt. Selbst wenn wir da nur von Mehrkosten im Cent-Bereich pro Bremse sprechen.
Eigentlich verrückt, dass Produkte, die die Umwelt nicht belasten, teurer sind, als solche, die Umweltschäden anrichten können. Der Weg in eine nachhaltigere Zukunft ist somit verbaut. Demotiviert Dich das in Deiner Arbeit?
So einfach und absolut lässt sich das nicht darstellen. Biologische Produkte sind in der Anschaffung für den Kunden oder die Industrie zwar erst mal teurer. Bezieht man aber die gesamtgesellschaftlichen Kosten mit ein, wendet sich das Blatt. Würde man bei einem Produkt also nicht nur den Anschaffungspreis berücksichtigen, sondern auch die potenzielle Umweltbelastung mit einpreisen, die ja letztendlich die gesamte Gesellschaft trägt, würde sich das Preisniveau anpassen. Mit der CO2-Steuer leitet der Gesetzgeber jetzt schon einen Veränderungsprozess in diese Richtung ein. Und es ist gut denkbar, dass in naher Zukunft weitere Gesetze kommen, die wirklich biologischen Produkten einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen werden. Ich mache mir da generell wenig Sorgen für die Zukunft. Im Moment werden meine Bio-Schmierstoffe vor allem in den USA stark nachgefragt. Vielleicht hat dieser vom Endverbraucher erzeugte Trend das Potenzial, die Industrie langfristig zum Umdenken zu bewegen. Was den Bike-Sport angeht, bin ich ohnehin zuversichtlicher. Wer mit dem Mountainbike durch den Wald fährt, der hat doch eine enge Verbindung zur Natur und will sie, so wie sie ist, erhalten. Ich denke, mit etwas Sensibilisierung wären Biker aus eigenem Interesse bereit, etwas mehr für ein Kettenöl zu zahlen, wenn dafür die Umwelt nicht belastet wird.
Würden jetzt plötzlich alle auf Bio-Schmierstoffe setzen, gäbe es dann überhaupt ausreichend natürliche Ressourcen, um diese herzustellen? Oder würden wir dann künftig nur noch durch Sonnenblumenfelder biken?
Aktuell wird der größte Teil der Bio-Öle Treibstoffen beigemischt. Diesel von der Tankstelle hat einen Bio-Anteil von etwa sieben Prozent. Aus meiner Sicht ist das totale Vergeudung. Denn das Öl wird einfach nur verbrannt. Es wäre sinnvoller, diesen Bio-Anteil im Treibstoff zu reduzieren und das Bio-Öl für Produkte zu verwenden, die sich – wie ein Kettenöl eben – in die Umwelt verflüchtigen. Denn der größte Schaden durch Schmierstoffe entsteht ganz einfach dann, wenn sie in die Umwelt gelangen. Es gibt auch Studien, die belegen, dass ein Großteil des Öls von privaten Nutzern nicht korrekt entsorgt wird. Mann muss also davon ausgehen, dass ein Öl, das vom Endverbraucher gekauft wird, über kurz oder lang im normalen Abwasser landet. Bei Werkstätten oder Industriebetrieben ist das anders. Mit diesem Wissen ist es umso sinnvoller, bei den Schmierstoffen auf biologisch abbaubare Produkte zu setzen. Aber zurück zur eigentlichen Frage: Die natürlichen Ressourcen, also unterm Strich die zur Verfügung stehenden Ackerflächen für Sonnenblumen, würden reichen, den Bedarf auch bei deutlich höherer Nachfrage zu decken. Allerdings gefällt mir der Gedanke mit den Trails durch die Sonnenblumenfelder auch.
Neben Danico Biotech nehmen auch Canyon, Schwalbe, Sram, Syntace und Trickstuff an unserer RIDE-GREEN-Kampagne teil. In den nächsten BIKE-Ausgaben werfen wir einen Blick auf weitere Partner, die ein Produkt zu unserem Projekt beisteuern. In BIKE 1/2022 wollen wir dann das komplette, nachhaltige Mountainbike präsentieren.