Jörg Spaniol
· 20.01.2022
Seit Antje von Dewitz die Geschäftsführung bei Vaude übernommen hat, trimmt sie die Marke in Richtung Nachhaltigkeit. Ihr Ansatz umfasst die gesamte Lieferkette.
Der Allgäuer Hersteller von Bike- und Outdoor-Produkten befindet sich zwar seit jeher in Familienbesitz. Doch erst seit die heutige Geschäftsführerin Antje von Dewitz 2009 das Ruder von ihrem Vater und Firmengründer Albrecht von Dewitz übernommen hat, krempelt sie das Unternehmen konsequent in Richtung Nachhaltigkeit um – und zwar weit jenseits von Energiesparlampen und ein paar Fahrradparkplätzen am Firmensitz: Von neutralen Institutionen erstellte Nachhaltigkeitsberichte mit bis zu 5000 Seiten legen Details der Klimabilanz genauso offen wie noch nicht befriedigend gelöste Probleme der Produkte. Fluorchemie in Regenjacken, nicht reparierbare Designs oder der Rohstoffverbrauch mancher Materialien waren bei Vaude schon Thema, als vielen Mitbewerbern noch ein unverbindliches Bekenntnis zur Naturliebe ausreichte. Die Produktingenieure experimentieren schon lange mit biobasierten Kunststoffen, recyceltem Kaffeesatz oder Hanffasern und entwerfen immer wieder Produktstudien, die zukünftige, nachhaltige Produkte schon heute erahnen lassen.
Die Konsequenz, mit der von Dewitz ihre Ideen von einer umwelt- und menschenfreundlichen Produktion entwickelt, brachte ihr diverse Umwelt- und Wirtschaftsauszeichnungen ein. Mittlerweile ist die Vaude-Chefin auch in der Politik gut vernetzt. Beim Deutschen Lieferkettengesetz, das den hiesigen Auftraggeber in die Verantwortung für die Produktionsbedingungen in den Herstellungsländern nimmt, hat sie mitdiskutiert, auch eine Initiative zum Bleiberecht für Asylbewerber geht auf sie zurück.
Hilke Patzwall, CSR-Managerin: "Unsere weltweiten Produzenten nutzen nach wie vor größtenteils klimaschädliche, fossile Energieträger. Bis 2030 sollen 50 Prozent der Emissionen aus unserer Lieferkette eingespart werden."
Wie bei den meisten Bike-Marken ist auch bei Vaude die Produktion globalisiert. Während andere jedoch mit laut beworbenen Alibi-Produkten und ein paar E-Autos grüne Punkte an die Fassade pinnen, bezieht Vaude die gesamte Lieferkette in die Bemühungen mit ein. Vor allem asiatische Zulieferer, von der Spinnerei bis zur Näherei, werden auf Nachhaltigkeit untersucht. Dabei geht es neben CO²-Ausstoß und giftiger Chemie auch ganz entscheidend um die Arbeits- und Lieferbedingungen.
BIKE: Wie ist eine faire Lieferantenbeziehung definiert, in einfachen Worten?
Hilke Patzwall: Partnerschaft auf Augenhöhe, zur beiderseitigen, dauerhaften Zufriedenheit. Wie in jeder Beziehung knirscht es da manchmal, aber grundsätzlich ist es eine Win-win-Situation.
Geht es bei fairen Löhnen und Verträgen einfach nur um das gute Gefühl von Gerechtigkeit? Was hat Gerechtigkeit mit Nachhaltigkeit zu tun?
Ab einer gewissen Professionalität geht das "gute Gefühl" normalerweise einher mit echten Verbesserungen der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit bedeutet immer, dass Mensch, Umwelt und Business in ein Gleichgewicht gebracht werden. Simples Beispiel: Wenn mein Lieferant seine Mitarbeiter gut behandelt, können sie von ihrer Arbeit gut leben, sind zufrieden und machen ihren Job für meine Produkte gut. Unterbezahlte, überarbeitete Menschen können auf Dauer keine gute Qualität liefern. Gerechtigkeit heißt aber auch, dass Unternehmen nicht durch schädliche Praktiken Gewinne machen, die Kosten der Schäden aber auf die Allgemeinheit abwälzen. Deshalb muss Politik die Rahmenbedingungen und Anreize dafür setzen, dass nachhaltig wirtschaftende Unternehmen erfolgreich arbeiten können.
Hilke Patzwall: "Faire Arbeit bringt Entwicklung für die Menschen vor Ort."
Wäre es nicht noch nachhaltiger, mehr Sachen hierzulande herstellen zu lassen?
Das ist eben die Frage, ob das wirklich nachhaltiger wäre. Die komplette Warenlogistik macht bei Vaude gerade mal zwei bis fünf Prozent der gesamten Klimabilanz aus. Natürlich sind das auch noch zu viele Emissionen, zumal die Seeschifffahrt noch etliche weitere Schadstoffe verursacht. Aber für die Nachhaltigkeit der Produkte sind andere Aspekte wesentlicher, insbesondere die verarbeiteten Rohstoffe und der Energiemix, der für die Herstellung der Materialien verwendet wird. Deshalb konzentrieren wir unsere Ressourcen auf diese beiden Themen und nutzen immer mehr recycelte und biobasierte Materialien. Außerdem unterstützen wir unsere Materialhersteller bei der Energiewende vor Ort. Arbeit bedeutet zudem bei gerechten Lieferantenbeziehungen auch immer Entwicklung, Einkommen und Bildung für die Menschen vor Ort. Alle Produkte mit sehr viel Handarbeit wären in Deutschland deutlich teurer herzustellen und momentan eher eine hochpreisige Nische.
Wurden schon Hersteller aufgrund ihrer Umwelt- oder Sozialschädlichkeit im Herstellungsland aussortiert?
Ja natürlich. Es gab Produzenten, die trotz intensiver Aufklärungsarbeit zu wenig gegen Kinderarbeit getan haben. Man hat es als Marke ja in der Hand, von wem und mit welchen Produktionsbedingungen man seine Produkte herstellen lässt.