Adrian Kaether
, Florentin Vesenbeckh
· 15.06.2021
Ein praxistaugliches E-MTB kostet ab 3000 Euro, darunter ist schlicht zu günstig. Die E-Bike-Fullys von Canyon und Giant aus unserem Test sind dagegen ihr Geld wert.
Wie viel kostet ein funktionales E-MTB? Mindestens 3000 Euro muss man investieren, so unser Credo. Für ein Fully besser 4000 Euro und mehr. Viel Geld für ein Fahrrad. Warum also diese hohe Summe? Schließlich gibt es doch auch E-Hardtails ab 2000 Euro, Fullys schon ab 3000 Euro – Discounter-Bikes noch gar nicht mitgerechnet.
Im Einsatzbereich der Bikes liegt die Antwort. Wer ausschließlich auf der Straße fahren will, kommt vermutlich auch mit einem sehr günstigen Bike aus, braucht dann aber eigentlich auch kein Mountainbike. Wer sein E-MTB auch im Gelände oder wenigstens auf Schotter bewegt, braucht gute Reifen und funktionale Bremsen sowie eine passable Gangschaltung. Sobald man auf den Trail abbiegt auch eine ordentliche Federgabel. Deshalb haben wir zwei der günstigsten geländetauglichen Fullys am Markt gegeneinander antreten lassen. Wer überzeugt für unter 3800 Euro? Das Canyon Neuron:On 7 oder das Giant Stance E+ 1 500?
Leider gilt: Eine funktionale Ausstattung kostet Geld. Und weil beim E-MTB ein ausgereifter Antrieb mit einem passenden Akku alleine schon mit rund 1500 Euro zu Buche schlägt und mindestens weitere 500 Euro auf den Rahmen entfallen, bleiben bei einer UVP von 2500 Euro nur noch rund 500 Euro für Laufräder, Federgabel, Schaltung, Bremsen, Sattel und Cockpit übrig.
Die Folge: Der Hersteller muss sparen, wo er nur kann. Leider auch dort, wo es keinen Sinn macht. Ein guter Reifen beispielsweise kostet nicht viel, doch an besonders günstigen Bikes kommt aus Kostengründen trotzdem eine einfache Gummimischung mit mäßigem Profil zum Einsatz. Schon auf Schotter kann das zum Problem werden. Billige Bremsen sind kraftlos und schlecht dosierbar, billige Schaltungen wechseln die Gänge nur langsam und unzuverlässig, billige Federgabeln erzeugen weder Traktion noch Komfort.
Trotz mäßiger Funktionalität kosten auch schlechte Anbauteile Geld, führen aber schneller zu Frust als zu Fahrspaß. Gerade bei Rädern vom Discounter für unter 2000 Euro findet man solche Teile häufig. Schlecht funktionierende Seilzugbremsen, schwere und klapprige Anbauteile, veraltete Nabenmotoren mit kraftloser, unrunder Unterstützung. Manchmal ein hochwertiges Schaltwerk, das über die restliche Ausstattung hinwegtäuschen soll, in der Praxis aber kaum einen Mehrwert bringt.
Unser Tipp deswegen: Lieber gleich etwas mehr investieren, das spart das berüchtigte Nachkaufen. E-Hardtails um 3000 Euro beziehungsweise Fullys für knapp 4000 Euro sind bei vielen Herstellern bereits deutlich wertiger ausgestattet. Solche Bikes kann man auch ab und an ins Gelände entführen, und auch sonst funktionieren die Komponenten schon deutlich besser.
Die Schaltung sortiert dann die Gänge flüssig und zuverlässig, die Bremsen sind kraftvoller und gut kontrollierbar. Wegen des breiteren Einsatzbereichs und des höheren Spaßfaktors bieten solche Bikes aus unserer Sicht ein besseres Preis-Leistungsverhältnis als noch günstigere Bikes. Auch die Haltbarkeit der einzelnen Teile liegt in der Regel deutlich höher.
Leider ist es trotzdem so, dass auch bei unseren beiden Testbikes für knapp unter 4000 Euro an manchen Stellen harte Sparmaßnahmen sichtbar sind. Diese betreffen fast alle Komponenten. Statt billiger Baumarkt-Teile kommen aber bereits funktionale Parts zum Einsatz, wenn auch hier und da noch Luft nach oben ist.
Beginnen wir mit einem Teil, das erstaunlich selten von Sparmaßnahmen betroffen ist: dem E-Antrieb. Akku und Motor sind die teuersten Parts an einem E-MTB. Trotzdem setzen die Hersteller hier selten den Rotstift an. In den allermeisten E-MTBs werkeln die Top-Motoren. So auch im günstigen Canyon, wo Shimanos EP8 für Schub sorgt. Anders bei Giant: Im Stance E+ 1 arbeitet Yamahas schwächerer PW-SE-Antrieb. Doch in seiner neuesten Ausbaustufe hat uns auch der günstige Antrieb positiv überrascht. Einbußen gibt’s bei der Akku-Kapazität: Beide Hersteller liefern nur 500 Wattstunden statt der 630, die bei den teureren Modellen verbaut sind.
Günstige Federgabeln spüren Biker im harten Geländeeinsatz am deutlichsten. Leider scheint diese Sparmaßnahme bei unter 4000 Euro unerlässlich. Beide Test-Bikes müssen sich mit einer günstigen Rockshox-Federgabel und dünnen Tauchrohren (Canyon: Judy Silver, 30 mm; Giant: Recon Silver, 32 mm) begnügen. Bei sportlicher Fahrweise auf Wurzelfeldern oder an Stufen ist das spürbar.
Neben der geringen Steifigkeit und einer mäßigen Feder-Performance fällt auch die grobe Rasterung der Zugstufendämpfung (Rebound) an beiden Modellen negativ auf. Allerdings sind die beiden Bikes – wie die meisten günstigen Fullys – mit ihren Federwegen von maximal 130 Millimetern ohnehin auf wenig wilde Trail-Fahrten beschränkt. Und auf sanften Wegen geht die Performance in Ordnung.
Teleskopstütze, breite Felgen, solides Cockpit, große Bremsscheiben: Beide Bikes sind grundsätzlich trail-ready ausgestattet. Am Canyon ist eine Shimano-Deore-Schaltung verbaut, die super funktioniert. Allerdings bietet sie nur zehn Gänge und damit eine geringere Bandbreite sowie größere Gangsprünge. Das ist bei der Sram-SX-Eagle mit zwölf Ritzeln am Giant besser, dafür ist die Schalt-Performance schwammiger. Beide Bikes setzen auf die langen, wenig ergonomischen Shimano-Bremshebel.
Der Vergleichstest zeigt: Giant und Canyon gelingt es, auch für unter 4000 Euro ein Fully auf die Reifen zu stellen, mit dem man sich ins Gelände trauen kann. Der Vergleich zeigt aber auch: Noch weniger sollte man nicht ausgeben. Der Rotstift streicht auch bei namhaften Herstellern nur unbarmherzig weiter Fahrspaß aus dem Paket, wie das Giant Stance E+ 2 für 3399 Euro beweist – ohne Teleskopstütze, mit noch günstigerer Ausstattung und Federgabel.
Canyon stellt mit seinem Einstiegs-Fully Neuron:On 7 ein vollwertiges E-MTB auf die Beine. Den günstigen Preis merkt man dem Bike an vielen Stellen gar nicht an, denn es erbt eine Menge stimmiger Details seiner hochwertigeren Brüder. Integrierter Speed-Sensor, integrierte Kabelführung im Lenker, USB-Ladeport und ein wertiges, aufgeräumtes Cockpit – hier fühlt man sich direkt wohl. Auch die Sitzposition ist erwachsen, angenehm und sportlich angehaucht. Das macht Lust auf ausgedehnte Touren. Klassische Forstweganstiege nimmt das Neuron:On gelassen. Im Gelände arbeitet der Hinterbau gut, das sorgt für viel Traktion und Komfort. An wirklich steilen Rampen muss man auf dem Bike allerdings etwas aktiver zu Werke gehen und das Gewicht deutlich nach vorne verlagern, denn das Vorderrad steigt früher als bei ausgewiesenen Kletterexperten. Neben den kurzen Kettenstreben hat daran der gemäßigte Sitzwinkel seinen Anteil. Der Vorteil: Die Gewichtsverteilung ist ausgewogen, das ist angenehm in Flachpassagen. Geht es in die Abfahrt und auf Trails, darf man von einem Bike dieser Kategorie keine Wunder erwarten. Doch das Neuron:On überrascht positiv. Das Handling ist gefällig, auf gemäßigten Trails vermittelt das Vertrauen, und Fahrspaß kommt auch auf. Je ruppiger der Untergrund, desto mehr beschränken die mäßige Federgabel und die zahmen Reifen die Stärke des Neuron. Ein ausgewiesenes Trailbike ist es nicht. Wer technische Herausforderungen im Gelände jedoch nicht ins Zentrum seiner Touren stellt, findet im Neuron einen top Begleiter. Tipp: Für nur 300 Euro mehr bekommt man das Neuron:On 8 mit größerem Akku, 12fach-Schaltung und besserer Federgabel.
Sportliches Touren-E-Bike mit echten Mountainbike-Genen, stimmiger Ausstattung und hochwertigen Detaillösungen. Gutes Handling im Gelände, doch auf schweren Trails limitiert.
Giant setzt bei seinen E-MTBs traditionell auf Yamaha-Antriebe. Das Geheimnis der Stance-Einstiegsmodelle: Hier sorgt der günstigere Syncdrive-Sport-Motor für Vortrieb. Nominell 70 statt 80 Newtonmeter liefert der Antrieb, doch einen deutlichen Power-Unterschied zum EP8 konnten wir im Praxistest nicht feststellen. Im Reichhöhentest spulte das Giant die Höhenmeter sogar schneller ab als der nominell überlegene Shimano. Der Charakter: durchzugsstark, schon bei niedrigen Trittfrequenzen und gemäßigter Fahrerleistung. In der höchsten Stufe wird der Schub kräftig, aber etwas ruppig freigesetzt. Gut: Die Sparmaßnahme gibt Giant Reserven. So bekommt man das Stance E+ schon ab 3399 Euro. Im getesteten Modell steckt dann schon eine 12fach-Eagle-Schaltung von Sram, die mehr Bandbreite und engere Gangsprünge liefert als Shimanos 10fach-Deore am Canyon. Allerdings sitzen die Gänge mit Srams Einstiegsgruppe nicht ganz so knackig. Auf sehr ähnlichem Niveau liegen Reifen und Bremsen der beiden Kandidaten. Gut auf Touren, doch mit Abstrichen in schwerem Gelände. Deutliche Unterschiede zeigen die beiden Bikes im Handling. Das Stance positioniert sich als gutmütiger Kletterer. Durch die langen Kettenstreben braucht es selbst an knackigen Steilstücken kaum aktive Gewichtsverlagerung. Stoisch und unkompliziert geht es bergauf. Die Sitzposition fällt kompakt aus. Bergab zeigt die gemäßigte Geometrie früh Grenzen auf. Im Gelände ist das Stance weniger souverän und sicher, gleichzeitig auch weniger wendig als Canyons Neuron:On. Solange es nicht steil und ruppig wird, lässt sich das Stance direkt und unkompliziert steuern. Für 200 Euro mehr gibt es das Stance E+ 1 mit 630er-Akku.
Gemäßigtes Touren-E-Bike für komfortorientierte Biker, die ein gutmütiges Rad für seichtes Gelände suchen. Leider recht schwer, trotz kleinem Akku. Dafür ordentliche Reichweite.