Adrian Kaether
· 17.09.2018
Moderne Geometrie, integrierte Variostütze und geringes Gewicht. Mit dem neuen BMC Fourstroke könnte den Schweizern ein großer Wurf gelungen sein. Wir sind das Bike bereits in Lenzerheide gefahren.
29-Zoll-Laufräder, ein 67,5 Grad flacher Lenkwinkel, kurze 429er-Kettenstreben und ein 455 Millimeter langer Reach in Größe L. Was die schweizerische Bike-Schmiede BMC da zusammengebraut hat, klingt nach einem feinen Trailbike, mit dem sich sowohl Bolzen als auch spielen lässt. Aber weit gefehlt. Mit dem Fourstroke für 2019 präsentiert BMC die neueste Iteration seines reinrassigsten Race-Fullys. Die 10-Kilo-Rennfeile ist zwar auch schön leicht, aber auch eines der schluckfreudigsten und extremsten Race-Bikes, das je seine Stollen in eine Worldcup-Strecke gegraben hat. Und BMC hat noch einige weitere Besonderheiten auf Lager. Wie es zu diesem Bike kam und wie sich das Ganze in einem ersten Praxistest bewährt hat, erfahrt ihr in diesem Artikel.
Rückblende: Worldcup in Lenzerheide vor nun mehr als zwei Jahren. Nino Schurter holt für Scott den Sieg auf einem frischen Scott Spark in 29 Zoll und wird in jenem Jahr noch Olympia-Gold in Rio holen. Stärkster BMC-Fahrer ist Rekordweltmeister Julien Absalon auf Rang zwei, natürlich auf dem nun schon mehrere Jahre alten Fourstroke. Könnte aber durchaus noch besser sein, denkt man bei BMC und schiebt dem Team gleich am nächsten Tag einen Prototyp in die Garage, der kaum extremer sein könnte. 2,5 Grad flacherer Lenkwinkel, ein Zentimeter mehr Reach, zwei Grad steilerer Sitzwinkel und ein paar Millimeter kürzere Kettenstreben. Ein wütendes Fourstroke mit einer Geo, die die Entwickler damals aus der Trailbike-Schublade mit dem „Aggressiv“-Label geklaut haben. „Wir wollten die Jungs eigentlich vor allem provozieren damit“, heißt es später, aber die erwartete Reaktion bleibt aus.
Titouan Carod will das Bike eigentlich am Besten gleich so haben, noch kürzere Kettenstreben und ein 60-mm-Vorbau vielleicht noch, auch Rekordmeister Julien Absalon ist sichtlich angetan. Und von da an nimmt die Geschichte ihren Lauf. Die Kettenstreben werden noch kürzer, der Vorbau auch, bald ist auch eine Variostütze fester Bestandteil von Absalons Race-Bike und damit fester Teil des Konzepts. Und das Entwicklungsziel ist klar: so leicht wie das alte Fourstroke, aber mit aggressiver Geometrie und integrierter Dropper-Post. Und natürlich muss das Ganze auch bocksteif sein, damit es unter Kettenzug auch ordentlich nach vorne sprintet, aber das versteht sich ja irgendwie von selbst bei einem Worldcup-Bike.
Es gibt nur ein Problem: Steifigkeit, aggressive Geometrie, Variostütze, das wiegt alles ganz schön. Es muss also auf jeden Fall eine radikale Diät an den richtigen Stellen her. Erstens, die Variostütze. Alles am Markt ist zu schwer, sagten die Entwickler, also setzten sie alles auf eine Karte und wagen eine eigene Konstruktion. Heraus kam eine mechanisch angelenkte Stütze mit einer Feder und einer geschlossenen, innenliegenden Kartusche mit lediglich zwei Bar Druck. So können die Bedienkräfte geringgehalten werden, ein wichtiger Faktor auf den Rennstrecken dieser Welt. Aus Gewichtsgründen läuft die Stütze in Gleitlagern direkt im Rahmen, so spart man sich gegenüber konventionellen Systemen schon mal das Außenrohr der Variosstütze. Ein ovaler Durchmesser der Stütze stellt gleichzeitig den leichten Lauf und Sicherheit gegen Verdrehen sicher. Zudem soll die Konstruktion so leichter geworden sein als bei einer klassisch-runden Stütze, die in der Regel mit in Nuten laufenden Messingstiften gegen Verdrehen gesichert werden muss.
80 Millimeter Hub bietet die „RAD“ genannte Dropper-Post. Auf jeden Fall ausreichend für die XC-Rennen und ein Wert, der angeblich auch eindeutiger Wunsch der Teamfahrer war. Nach der Devise „keep it simple“ gibt es nur zwei Zustände: aus- oder eingefahren. Auf Zwischenpositionen kann die „RAD“ nicht fixiert werden. Manch einer wird jetzt meckern, aber tatsächlich empfanden wir das in einem ersten Praxistest nicht als hinderlich. Und das Gewicht der „RAD“ kann sich wirklich sehen lassen. Rund 370 Gramm wiegt die Teleskopstütze, BMC spricht von gut 140 Gramm Mehrgewicht gegenüber konventionellen, nicht absenkbaren Sattelstützen. Wir würden eher sagen, gut 160 Gramm leichter als gute konventionelle Variostützen.
Die Abspeckkur geht ins Eingemachte, denn bekanntlich macht Kleinvieh auch allerhand: Steckachsen wurden also verjüngt, Dämpferbolzen aus Alu statt aus Stahl konstruiert, die Wippe besteht nun ebenfalls aus Kohlefaser statt, wie vorher, aus Aluminium. Mit solchen kleinen Details spart man wieder knapp über 100 Gramm, die dann im Rahmen in Steifigkeit investiert werden können. Der Tretlagerbereich wurde deutlich massiver, auch der Steuerkopf wird steifer. Ein eigener, besonders breiter 60-Millimeter-Vorbau überträgt die Steifigkeit des Rahmens bis in den Lenker – wichtig im harten Gelände und bei kräftigen Antritten im Wiegetritt. Insgesamt konnte laut Hersteller gegenüber dem bereits sehr steifen Vorgänger die Steifigkeit des Rahmens um 15 Prozent erhöht werden, das neue Fourstroke schlägt hier nun selbst das BMC-Hardtail Teamelite. Und daran ist natürlich nicht zuletzt der Hinterbau schuld.
Breite Lager sieht man hier am Heck, überall Carbon, nur die Verbindung zwischen Hinterbau und Hauptrahmen besteht aus Alu. Das baut schmaler und ermöglicht so die kurzen Kettenstreben. Und a propos Kettenstreben: Anders als in vielen Race-Fullys heutzutage flexen diejenigen des BMC nicht. Wieder eine bewusste Entscheidung der BMC-Entwickler, denn flexende Streben sollen einen schwankenden Anti-Squat-Wert im Hinterbau produzieren. Kinematiker-Latein? Ja, aber mit realen Konsequenzen: nämlich spürbarem Pedalrückschlag, wenn man tretend über rumpeliges Geläuf brettert. Und genau das soll das neue Fourstroke eben nicht haben.
Wir fassen zusammen: Aggressive Geometrie, leichte Variostütze mit 80 Millimetern Hub aber nur zwei Sattelpositionen, steifer Rahmen, Gesamtgewicht des Topmodells Fourstroke 01 One von 10,4 Kilogramm in Größe M mit Schläuchen ohne Pedale, knapp über 10 Kilo im Tubeless-Setup. Und wie schlägt sich das Ganze in der Praxis? Wir konnten das neue BMC Fourstroke bereits auf der WM-Strecke in Lenzerheide fahren und bekamen dort einen ersten Eindruck vom neuen Bike. Im einzigen längeren Anstieg der Strecke, gleich zu Beginn, fällt auf, dass in Sachen Steifigkeit nicht zu viel versprochen wurde. Schon mit offenem Dämpfer wippt das Bike nur minimal. Schließt man per Fernbedienung die Dämpfung, schießt das Bike die Anstiege hinauf und ist dabei gefühlt so steif wie ein Mittelklasse-Rennrad. Nichts verwindet sich, nichts schwankt, auch nicht unter den fast 80 Kilogramm des Testfahrers. Erster Test bestanden.
Geht es in die Abfahrt, klickt man die Federelemente mit einem kurzen Daumendruck wieder auf, fährt die tatsächlich recht leichtgängige Variostütze ein und schießt aufs erste Wurzelfeld zu. Der Moment der Wahrheit, aber keine böse Überraschung. Schluckfreudig gibt sich das Fahrwerk, bleibt aber trotzdem hoch im Federweg, auch eine verpatzte Linienwahl oder ein größerer Drop ins Flache bringen das Fourstroke nicht ins Schwitzen. Die Reifen funktionieren ebenfalls schon ab Werk anständig, hier haben die Schweizer keine Zu-leicht-Pneus verbaut, sondern anständige Ware, „ready-to-race“. Auch in flachen, unruhigen Abschnitten und mit Zug auf der Kette bleibt der Hinterbau wie versprochen ruhig und generiert viel Traktion. Probleme mit steigenden Vorderrädern in schwierigen Kletterpassagen hatten wir nicht. Der erste Eindruck fällt also positiv aus. Vielleicht einziger Haken: Der Preis. Ab gut 6000 Euro geht es los, das Topmodell BMC Fourstroke 01 One schlägt mit fast 10000 Euro zu Buche.