Ludwig Döhl
· 09.10.2020
Vier Hardtails, vier verschiedene Materialien – eine Gemeinsamkeit. Alle vier Bikes fahren sich laut BIKE-Wertung „sehr gut“. Die Unterschiede bewegen sich eher auf philosophischer Ebene.
In den Köpfen der meisten Biker gibt es eine klare Hierarchie der Werkstoffe: Carbon hat sich auf breiter Front als Premiumwerkstoff für Mountainbikes etabliert. Aluminium ist das Preis-Leistungs-Pendant zur Kohlefaser. Aus beiden Materialien lassen sich – rein technisch gesehen – exzellente, leichte und steife Rahmen bauen. Perfekt für Rennfahrer, die nach Bestzeiten streben. Alleine der technische Fakt der Materialdichte von Alu oder Carbon reicht, um Rahmen aus diesen Materialien attraktiv zu vermarkten. Die fast viermal so hohe Dichte von Stahl, verglichen zu Carbon, lässt nüchtern betrachtet nur einen Schluss zu: Stahl ist ein Werkstoff der Vergangenheit. Titan ist zwar deutlich leichter, bleibt aufgrund seines hohen Preises aber ein Nischenprodukt, gemacht für Design-Fans und für die Ewigkeit.
Dieser Text könnte hier enden, aber so einfach ist die Sache nicht. Denn auch im Jahr 2020 bietet der Markt noch immer zahlreiche Räder aus Stahl und Titan. Es bleibt also die Frage: Warum widersetzen sich manche Hersteller immer noch dem technischen Mainstream der Branche? Warum vertrauen manche Biker weiterhin auf die Werkstoffe Titan oder Stahl? Und ist Alu tatsächlich schlechter als Carbon? Die Tabelle unten zeigt: Egal, ob Titan, Alu oder Carbon, das Rahmengewicht und die Steifigkeit unserer Test-Bikes bleiben in etwa gleich.
Ist es also egal, aus welchem Werkstoff ein Fahrrad gefertigt ist? Nein, sagen die Macher hinter den Bikes von Rennstahl oder Rabbit Cycles. In ihrer Welt spielen Aspekte wie Langlebigkeit oder der bewusste Konsum eine übergeordnete Rolle. Nach vier Interviews mit vier Verfechtern jeweils eines Materials ist dann plötzlich nicht mehr so klar, dass es eine eindeutige Hierarchie unter den Werkstoffen gibt. Vielmehr steckt hinter jedem eine eigene Philosophie, welche die unterschiedlichen Aspekte, die sich in einem Fahrrad vereinen, anders gewichtet. Auch Florian Seidl, Doktor der Philosophie und leidenschaftlicher Biker weiß: "Man muss sich trauen, einen Blick hinter das Offensichtliche zu werfen." Dann wird man merken: Die individuellen Stärken eines Materials lassen sich nicht immer in eine Excel-Tabelle pressen.
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