Gitta Beimfohr
· 10.08.2017
Große Bikehersteller rudern aus dem Frauenbike-Sektor langsam zurück, da prescht Liv 2018 mit einem E-Hardtail für Frauen auf den Markt. Wir durften das Vall E+ im Vinschgau schon mal probefahren.
Weitere Modelle: Liv Vall-E+ 1 Pro (3099 Euro), Liv Vall-E+ 2 (2599 Euro), Liv Vall-E+ 3 (2199 Euro)
Das Vall E+ (gesprochen: "Valley", weil man damit, dank E-Antrieb, leicht vom Talboden den Berg hochpedalieren kann) hat – laut Liv – eine für Frauen optimierte Geometrie, der SyncDrive-Motor soll ein besonders natürliches Tretgefühl ermöglichen – und: das Vall E+ ist ein Hardtail. Dennoch präsentierte Liv das Bike nicht auf einfachen Forstautobahnen, sondern lud zur Testfahrt ins Trail-Mekka Vinschgau ein. Für mich war es die erste Tour auf einem E-MTB überhaupt.
Ob Frauen nun eine spezielle Bike-Geometrie brauchen oder nicht – ich sitze mit meinen 1,70 Meter Körpergröße auf dem Testbike in Größe M sehr bequem und mittig im Bike. Mit einem Reach von 390 Millimetern vielleicht sogar einen Tick zu aufrecht. Was der angenehm breite Lenker (750 mm) aber wieder etwas ausgleicht. Mit der linken Hand schalte ich den Motor ein und kann den Unterstützungsgrad des Syncdrive-Antriebs wählen (5 Stufen von Eco bis Power). Mit der rechten Hand schalte ich wie gewohnt durch die 11 Gänge der Shimano XT und in der Mitte zeigt mir das Display Geschwindigkeit, Unterstützungsstufe, Kilometer und Batterie-Verbrauch in Prozent an. Und ja, das Bike ist schwer. „Um die 20 Kilo“, sagt Produkt-Managerin Ludi Scholz und macht dazu eine wippende Bewegung mit der flachen Hand. Genau gewogen hätten sie das Bike noch nicht. Aber das Gewicht spielt ja beim E-MTB ohnehin keine Rolle, wie es immer so schön heißt. Ich merke jedenfalls: Wenn ich mit dem Bike noch stehe, lassen sich die 20 Kilo leichter halten, wenn ich die Sattelstütze abgesenkt habe. So muss ich das Bike nicht seitlich gekippt halten. Sobald der Yamaha-Motor eingeschaltet ist, will das Bike auch sofort los. Schon beim leichtesten Druck aufs Pedal grumpelt es im Getriebe. Das fühlt sich in etwa so an, als hätte beim normalen MTB die Kette noch nicht sauber aufs andere Kettenblatt gewechselt. Doch sobald man zur Kurbelbewegung ansetzt, schnurrt der Motor ohne Ruckeln oder Verzögerung los.
Von mittlerweile sechs verschieden Motoren-Herstellern hat sich Liv für eine Zusammenarbeit mit Yamaha entschieden. Gemeinsam wurde der SyncDrive-Antrieb entwickelt, der besonders leicht ist, sich platzsparend im Rahmen integrieren lässt und sanft anspricht. Tatsächlich fühlen sich Gang- und Modus-Wechsel auf Tour recht harmonisch an – trotz anfänglich wildem Rauf- und Runtergeschalte meinerseits. Es stellt sich aber sehr bald heraus, dass sich der mittlere „Active“-Modus selbst für die steilen Vinschgau-Rampen am besten eignet. Er unterstützt meine eigene Tretleistung mit 250 Prozent, sprich: ich bin 2,5 mal so schnell unterwegs als sonst. In dieser Einstellung dürfte der Akku über 1000 Höhenmeter locker und bequem reichen. Doch unsere Testfahrt führt uns am Sonnenberg nur etwa 400 Höhenmeter bis zu den Annaberger Böden hinauf. Da kann ich es mir zwischendurch schon mal leisten, in den höheren Sport-Modus zu schalten. Mit 300 Prozent Unterstützung bin ich nicht nur ruckzuck am Ziel, auch der kühlende Fahrtwind wird stärker – was bei brütenden 35 Grad im Schatten sehr, sehr angenehm ist.
Soweit das entspannte Fahrerlebnis auf der Schotterstraße. Aber wir sind ja im Vinschgau und der ist nun mal berühmt für seine Trails. Ich kenne die Abfahrt von den Annerberger Böden bereits. Der Pfad zieht sich als staubtrockene Spur die Bergflanken hinunter. Ab und zu rumpeln ein paar Felsen unterm Reifen – mit einem Fully alles kein Problem. Aber mit einem fast doppelt so schweren Hardtail? Immerhin greifen die 2,6 Zoll breiten Maxxis-Reifen ganz gut im Staub und mildern die Schläge von unten ein wenig ab. Selbst in den tückischen Sandpfannen, die sich in den Kurven gesammelt haben, bleibt das Bike auch dank seines Gewichts satt auf Kurs. Nur die Geröll- und Felspassagen sorgen für erhöhten Puls. Während die Federgabel das Gröbste noch mild überrollt, rappelt das Hinterrad etwas unkontrolliert hinterher. Eine saubere Linie finden und halten, ist angesagt. Eine filigrane Fahrtechnik eben, die man mit dem verzeihenden Federweg eines Fullys leider schnell verlernt hat. Und genau das funktioniert mit dem Vall E+ ganz ausgezeichnet: Wendig und verspielt zirkelt es durch den Felsparcours und lässt sich auch durch enge Kehren steuern. Der Lenkwinkel von 68 Grad und die 475 mm langen Kettenstreben machen es möglich. Am Ende des Tages sind es erwartungsgemäß nicht die Beine, die brennen. Es sind die Unterarme. Trotz einer 200er-Scheibe vorne und einer 180er-Scheibe hinten schiebt das Bikegewicht spürbar und heizt auch der Shimano-Bremse ordentlich ein.
So, darauf war ich am meisten gespannt – auf den vielzitierten Uphill-Flow. Auf den bisher erklommenen Schotterrampen hielt sich der Bergaufrausch natürlich in Grenzen. Doch am zweiten Tag unserer Testfahrt steht nun der „Holy Hansen“-Trail auf dem Plan. Bergab für seinen Fahrspaß berühmt, bergauf mit dem normalen Bike nicht fahrbar. Aber wir rücken ja nun mit dem E-MTB an. Und bevor jetzt alle erbost aufheulen: Wir hatten Matze Gruber, den Erbauer des Trails als Guide dabei. Er hat im Vorfeld dafür gesorgt, dass wir für diese eine Testfahrt nicht in Gegenverkehr geraten. Auf ruppigem Geröll geht die Fahrt los. Damit das Hinterrad keine Traktion verliert, bleibt man mit möglichst viel Gewicht im Sattel – und steckt die Schläge von unten ungefiltert ein. Wird es steiler, muss man zusätzlich die Ellbogen nach unten winkeln und sich weit über den Lenker ducken, damit das Vorderrad nicht steigt. Dabei möglichst ruhig und gleichmäßig kurbeln. Tauchen Wurzeln oder Stufen auf: weiterkurbeln! Wer kurz aussetzt, um zum Beispiel nicht mit dem Pedal aufzusetzen, bleibt abrupt stehen. Denn wer nicht kurbelt, wird vom sensibel reagierenden Motor auch nicht unterstützt. Dann wirft das 20-Kilo-Bike mitten im steilen Anstieg seinen Anker. Nur gut, dass das Bike auch über einen Schiebe-Modus verfügt... Doch nach dem groben Einstieg schwingen sich die ersten Anliegerkurven des Holy Hansen auf. Hier fliegt das wendige Vall E+ nur so durch den frisch geshapten Achterbahn-Parcours. Kein Stein, keine Wurzel ruppelt mehr, das Bike zieht gen Himmel und schmiegt sich dabei elegant in die Kurvenkombinationen. Das muss er sein, der Uphill-Flow!
Das Liv Vall E+ ist ein spritziges, wendiges Touren-Bike mit einem harmonisch abgestimmten und direkt ansprechenden Antrieb. Wer vor allem auf Schotterstraßen und Flowtrails unterwegs ist, wird die Leichtigkeit und die gute Bedienbarkeit dieses E-MTBs lieben. Für den härteren Geländeeinsatz aber wünscht man sich doch ein Fully. Oder man lernt wieder eine saubere Fahrtechnik.