Max Fuchs
· 13.05.2023
High-Pivot-Enduros wie das Deviate Claymore sind das Aushängeschild von Deviate. Doch funktionieren die Bikes wirklich so gut, wie alle sagen? Um das herauszufinden, haben wir dem Enduro Claymore auf den Zahn gefühlt.
Capable of winning, slot-car accurate oder blindingly fast – die lebhaften Slogans auf der Webseite des Herstellers sind alleine schon Grund genug, sich das Deviate Claymore näher anzusehen. Wer glaubt, die Schotten könnten nur bildhafte Werbetexte reißen, hat weit gefehlt.
Denn Deviate gehört zu den Pionieren der High-Pivot-Hinterbauten im Enduro-Segment. Fairerweise muss man aber sagen: Mountainbikes mit hohem Drehpunkt kennen wir bereits seit Anfang der 90er-Jahre – allerdings handelte es sich damals meist um Downhill-Bikes. Seit 2017 sieht man aber auch immer mehr Enduros mit dem besonderen Hinterbau-Design.
Doch was hat es damit auf sich? Wie der Name schon sagt, sitzt der Hauptdrehpunkt des Hinterbaus nicht wie gewöhnlich in Tretlagernähe, sondern deutlich weiter oben. Beim Einfedern vergrößert sich so der Abstand zwischen Tretlager und Hinterradachse, wodurch das Hinterrad dem Hindernis nach hinten ausweicht, anstatt daran “hängen” zu bleiben. Der Nachteil: Je größer die Kettenstrebenlängung, desto mehr zieht die Kette das Kettenblatt beim Einfedern zurück. Je nach Kettenzug führt das zu negativen Einflüssen auf das Fahrwerk und zu Pedalrückschlag. Um das Fahrwerk von diesen Antriebseinflüssen zu entkoppeln, läuft die Kette bei High-Pivot-Bikes für gewöhnlich über eine Umlenkrolle nahe dem Drehpunkt.
Beim Deviate Claymore wurde dieser Entwicklungsansatz auf die Spitze getrieben und ein besonders hoher Drehpunkt gewählt, was die größte Kettenstrebenlängung bewirkt, die bislang auf unserem Prüfstand erfasst wurde. Deviate hat das Bike speziell für diesen Test aufgebaut. Im Onlineshop bekommt man das Claymore nur als Rahmen-Set. Das Carbon-Chassis alleine kostet inklusive Steuern und Zollgebühren 3600 Euro. Gegen Aufpreis bietet Deviate aber auch unterschiedliche Dämpfer an. Komplett-Bikes erhält man in Deutschland nur über wenige Händler.
Aber zurück zum Test. Während der Fahrt mit dem Deviate Claymore spürt man förmlich, wie sich der Radstand beim Überrollen von Unebenheiten oder bei harten Landungen in die Länge zieht. Das verleiht dem Schotten-Enduro besonders bei rasanter Geschwindigkeit extrem viel Stabilität. Das hervorragende Ansprechverhalten generiert dabei Traktion en masse und beruhigt selbst die zornigsten Trails. Beim Anbremsen oder in steilen Abfahrten profitiert der Pilot außerdem vom guten Anti-Rise-Verhalten des Deviate Claymore. So steht man stets tief im Federweg und kommt auch ohne viel Last auf dem Heck in den Genuss hervorragender Traktion. Durch die späte Progression lassen sich die 168 Millimeter Federweg sehr effektiv nutzen. Aktive Fahrer vermissen aber etwas Gegenhalt im mittleren Federweg. Mit Volumen-Spacern kann man diesem Effekt jedoch entgegenwirken. Die Öhlins-Gabel kann mit dem extrem satten Fahrgefühl am Heck leider nicht mithalten.
Beim Handling trifft Deviate mit seinem Enduro Claymore die perfekte Balance zwischen Laufruhe und Wendigkeit. Dank der tiefen Front und dem nicht zu flachen Lenkwinkel lässt sich das Claymore mit viel Druck auf dem Vorderrad präzise durchs Gelände dirigieren. Perfekt für schnelle Kurvenwechsel und unberechenbares Gelände. Die 438er-Kettenstreben und der lange 490er-Reach vermitteln trotzdem genügend Laufruhe. Aber auch bergauf konnte der Kandidat schnell die Herzen unserer Testcrew erobern. Steile Rampen erklettert das Deviate Claymore brav – der Kombi aus steilem Sitzwinkel, moderaten Kettenstreben und tiefer Front sei Dank. Die kompakte Sitzposition gefällt auf Anhieb. Die Vorteile des High-Pivot-Hinterbaus kommen ebenfalls zum Tragen: top Traktion und frei von störenden Wippbewegungen im Wiegetritt – hier bleiben keine Wünsche offen.
Fehlt also nur noch ein lebhafter Slogan auf der Webseite zu den Klettereigenschaften des Deviate Claymore. Ansonsten bringen die Werbetexte die Kernkompetenzen aber bestens auf den Punkt.
Während sich der Großteil moderner Enduros immer mehr zu kompromisslosen Vollgas-Maschinen entwickelt, greift das Deviate Claymore den Ursprungsgedanken von Race-Enduros wieder auf: Angenehm bergauf und rasant – aber dennoch handlich – bergab. So ist das Schotten-Enduro immer für Bestzeiten zu haben, egal in welchem Gelände. – Max Fuchs, BIKE-Testredakteur
Die Marke aus den Schottischen Highlands entstand im Jahr 2016. Chris Deverson und Ben Jones kannten sich aus dem Guiding-Business, waren mit den Bikes ihrer Sponsoren jedoch nie wirklich zufrieden. Da entschied das Duo, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und begann, unter dem Namen Deviate ihre eigenen Bikes zu entwickeln. Heraus kam das Getriebe-Enduro Guide mit High-Pivot-Hinterbau. Das Guiden haben die beiden bald an den Nagel gehängt. Dafür arbeiten sie mit einem achtköpfigen Team am mittlerweile vierten Bike im Portfolio.
GESAMT BERGAUF: 51 VON 80
GESAMT BERGAB: 129,3 VON 140
*Das BIKE-Urteil gibt die Labormesswerte und den subjektiven Eindruck der Testfahrer wieder.
Das BIKE-Urteil ist preisunabhängig. BIKE-Urteile: super (250–205 P.), sehr gut (204,75–170 P.), gut (169,75–140 P.), befriedigend (139,75–100 P.), mit Schwächen, ungenügend.