E-Radler mit Sozialphobie sollten einen Bogen um das Pole Voima machen. Der Bolide erweckt einfach zu viel Aufsehen. Bleibt man neben anderen Bikern stehen, hat man sofort ein Gespräch an der Backe. Am diesem Pole ist nichts dezent. Fräskunst auf zwei Rädern. Der feuchte Traum jedes Maschinenbaustudenten. Quasi das pedalierbare Pendant zu einem Lamborghini Diablo. Dabei ist unser Testmodell sogar die farblich ruhigere Variante in Storm Grey. Man kriegt das CNC-Wunder auch in schimmerndem Gold. “Ein Bike, wie es Donald Trump fahren würde”, war da der passende Kommentar in einem Forum, als das Pole Voima der Öffentlichkeit erstmals vorgestellt wurde.
Der Rahmen, nebst Einarmschwingenhinterbau und gewaltigen Doppelgelenken, besteht vollständig aus gefrästem Aluminium. Schweißnähte gibt es nicht. Die gefrästen Halbschalen aller Bauteile werden fast unsichtbar zu Hohlprofilen verklebt. Die Oberflächen zeigen dabei die charakteristischen Fräsrillen – das Ganze wirkt wie ein Kunstwerk fürs technische Museum und nicht wie ein Arbeitsgerät fürs Grobe. Doch genau dafür ist das Voima gedacht. Denn der Boa-Ey-Faktor endet nicht bei der Optik.
Mit 190 Millimetern Hub an Front und Heck (Doppelbrückengabel mit 200 Millimetern Federweg ist möglich), ist es ein Brecher in der Riege besonders abfahrtslastiger E-Enduros. Gepaart sind die großen Federwege mit der wohl progressivsten Geometrie auf dem Markt: Der Sitzwinkel von 80 Grad sucht seinesgleichen, der Reach ist lang, der Lenkwinkel megaflach. Gleichzeitig ist das Tretlager recht hoch – auf Nabenhöhe der 29-Zoll-Laufräder – und der Hinterbau streckt sich auf 455 Millimeter. Und weil es dank Bosch CX und 750-Wattstunden-Akku theoretisch auch bergauf kein Halten gibt, ist dieses Bike eine Art metallgewordenes Statement:
Fetta! Krassa! Voima! – Ausruf eines namentlich nicht bekannten Testers
Geliefert wird das Bike in zwei eher kleinen Kartons. Im ersten stecken der Rahmen und alle nötigen Anbauteile. Im zweiten die Laufräder. Man kann das Voima in unterschiedlichen Aufbauten ordern oder als Rahmen-Kit zum Selbstkomplettieren. Diese Option bieten nur sehr wenige Hersteller, und gerade bei diesem Bike macht das enorm Sinn, denn die Einsatzbandbreite ist groß, und ob für einen selbst eine Singlecrown plus Luftdämpfer oder eine Doppelbrücke mit Stahlfederdämpfer mehr Sinn ergibt, ist individuell verschieden. Potenzial für einen ausgewachsenen Downhiller mit eingebautem Shuttle, oder für ein Explorerbike, das auf ausgesetzten Pfaden die entferntesten Gipfel erklimmen soll, hat das Voima-Chassis allemal.
Die gewaltigen Dimensionierungen der Lager, Gelenke und des Rahmens insgesamt führen im EFBE-Belastungstest zur höchsten Kategoriestufe 5, was volle Einsatzfähigkeit im Bereich Freeride und Downhill bedeutet. Der finnische Hersteller garantiert auch in diesem Einsatz fünf Jahre Garantie.
Neben Storm Grey und Gold steht auch rohes Alu-Finish als Farboption parat. Das Material wird durch die sogenannte elektrophoretische Tauchlackierung gefärbt, ist also weder klassisch lackiert, noch anodisiert. Das Verfahren wird eigentlich im Automobilbereich oder bei Schmuck eingesetzt, ist sehr gleichmäßig, aber hauchdünn und dennoch kratzfest. Ausgeliefert werden die E-Bikes trotzdem mit einer zusätzlichen, vollständigen Kunststoff-Folierung aller Bauteile, um die edle Oberfläche langfristig zu schützen.
So viel Liebe zum Detail und Hightech-Fertigung in Europa bekommt man nicht zum Schnäppchenpreis: Unser Test-Bike mit Rockshox-Ultimate-Fahrwerk, Sram-Eagle-X01-Schaltung, Cushcore-Reifen-Inserts, Code-RSC-Bremse und Bashguard kostet exakt 10.028,65 Euro. Den Preis kann man durch zusätzliche Ausstattungs-Gimmicks noch weiter in die Höhe treiben und mit Stahlfederdämpfer und verstärkten Lagerachsen ab Werk für heftigste Einsätze optimieren. Wegen der extrem kurzen Sitzrohre hat sich Pole eine eigene Größenempfehlung ausgedacht: Je nachdem, ob man ein eher verspieltes oder eher ein stabiles Fahrgefühl wünscht, eignen sich zwei Größen pro Fahrer.
Für eine Person mit 175 cm Körpergröße soll der K2-Rahmen mit 480 Millimetern Reach (Herstellerangabe) die laufruhige, der K1-Rahmen mit 450 Millimetern Reach die verspielte Option sein. Wir bekamen ein Bike in Größe K2. Für eine ausreichende Sitzhöhe hätten Tester über 180 cm eine längere Sattelstütze gebraucht.
Beurteilt man das Pole Voima allein nach den Daten auf dem Papier, kann man ein unhandliches und bergauf stark wippendes Bike befürchten. Ellenlange Federwege, ellenlanger Radstand, ellenlanger Reach. Aber beim Voima ist nichts, wie erwartet. Im Sitzen bringt einen der supersteile Sitzwinkel in eine aufrechte und weit vorgelagerte Sitzposition. Das ist zuerst ungewohnt, weil man fast schon vor dem Motor sitzt und stark von oben tritt. Ohne Motorunterstützung wäre das vermutlich sehr ineffizient und auf langen Touren kaum angenehm fahrbar. Hier aber lastet immer genug Druck auf dem Vorderrad, und selbst in supersteilen Passagen muss man nicht nach vorne rutschen oder Liegestützen am Lenker vollführen.
Gleichzeitig sorgt die Kinematik des Hinterbaus im Sag-Punkt für stabilen Anti-Squat über das gesamte Ritzelspektrum. So ist der Hinterbau unerwartet ruhig und immer hoch im Hub. Zusammen mit dem hohen Tretlager kann man so problemlos heftige Geröllfelderanstiege meistern. Der Bosch CX mit den progressiven und genial-sensiblen Modi Tour+ und E-MTB tut sein Übriges, um den Piloten über Anstiege zu pushen, die bis dato kaum fahrbar schienen. In anspruchsvollen Uphills setzt das Voima die Benchmark! Und bergab wird das genannte Geröllfeld zum Flauschteppich, wenn die 190 Millimeter Hub vorne und hinten selbst dicke Steine und Stufen soft wegschlucken. Das Hinterrad hängt sich an Kanten nicht auf, sondern gleitet ohne Geschwindigkeitsverlust voran.
Trotz massiven Federwegs bleibt das Fahrwerk sehr definiert. Dabei ist der Hinterbau spürbar progressiv und schlägt auch bei richtig üblen Landungen im Flachen nie hart durch. Unser luftgefederter Hinterbau war dabei aber noch nicht ganz auf dem Staubsaugerniveau eines Specialized Kenevo SL – für maximale Schluckfreudigkeit bei höchstem Tempo wäre vermutlich der Cane-Creek-Stahlfederdämpfer die bessere Wahl, würde aber das Gesamtgewicht noch höher treiben. Überraschend war auch, dass das lange Voima ziemlich gut um die Ecke geht und sich schnelle Richtungswechsel noch verhältnismäßig leicht meistern lassen. Erstaunlich für ein Bike mit diesen Abmessungen. So wirklich in seinem Element ist das Voima aber doch, wenn man auf ruppigen Geraden die Bremsen öffnet und es sich hinter der hohen Front bequem machen kann. Aber Achtung: Der Speed-Rausch hat Suchtpotenzial!
Ganz unabhängig davon, ob mir das Voima optisch zusagt, haben mich die Fahrleistungen enorm beeindruckt. Dank der ausgezeichtneten Kinematik und der progressiven Geo klettert es hervorragend auch steilste, ausgesetzte Trails hoch und ist bergab mit dem Monsterfederweg und langem Radstand extrem sicher und sehr schnell. Es funktioniert als Downhillbike mit Shuttle-Funktion genauso gut, wie als Explorerbike für Uphillfans und Touren-Biker. Ich sage: gut, besser, Voima!
¹ Die Reichhöhe wurde bei standardisierten Messfahrten an einem Asphaltanstieg mit 12,2 Prozent Steigung ermittelt. Höchste Unterstützungsstufe, 150 Watt Tretleistung des Fahrers, Fahrergewicht inkl. Ausrüstung 90 kg. In Klammern die Höhenmeter im deutlich gedrosselten Notlauf-Modus. Die Durchschnittsgeschwindigkeit bezieht sich auf die Fahrt bei voller Unterstützung.
² Ermittelt auf den Prüfständen im EMTB-Testlabor, Gewicht ohne Pedale. Akku-Gewicht ggf. inkl. verschraubtem Cover.
³ Herstellerangabe
⁴ Stufentest, gemessen mit 36 Zentimeter erhöhtem Hinterrad
⁵ Das Urteil gibt den subjektiven Eindruck der Tester und die Ergebnisse der Reichhöhenmessung und der Labortests wieder. Das EMTB-Urteil ist preisunabhängig. EMTB-Urteile: super (ab 9,0), sehr gut (ab 8,0), gut (ab 7,0), befriedigend (ab 6,0), mit Schwächen (ab 5,0), darunter ungenügend.
Mastermind hinter dem Voima ist der Finne Leo Kokkonen. Für ihn ist die besondere Herstellungsart nicht nur schön, sondern schlicht die beste Art, ein nachhaltiges und langlebiges E-Bike zu konstruieren.
EMTB: Ein Bike komplett aus dem Vollen zu fräsen, erscheint extrem aufwändig. Ist das nur, um anders zu sein? Oder hat das echte Vorteile?
Leo Kokkonen: Den Rahmen komplett durch CNC-Fräsung herzustellen, ermöglicht ein Maß an Präzision und Kontrolle, das mit herkömmlichen Rundrohren und Schweißen nicht immer möglich ist. Mit der CNC-Bearbeitung haben wir die vollständige Kontrolle über die Form des Rahmens, sowohl innen als auch außen, was zu einer Toleranz von 0,2 mm am gesamten Rahmen und 0,01 mm an den Lagersitzen führt. Das bedeutet, dass alle unsere Rahmen gleich sind. Es gibt keine verzogenen oder falsch ausgerichteten Rahmen und eine exakte Geometrie, die mit der auf unserer Website beworbenen übereinstimmt. Unsere Lagerbohrungen fluchten außerdem perfekt auf beiden Seiten, was zu langlebigeren Lagern führt.
Wie kompliziert ist das Verfahren denn im Vergleich zur Herstellung eines Carbon-Rahmens oder eines geschweißten Modells?
Unser Verfahren ist relativ einfach, da nur sechs Schritte erforderlich sind. Darüber hinaus ist unser Prozess zu 80 Prozent automatisiert, während das Schweißen und die Kohlefaserlegung zu 99 Prozent manuell erfolgen. Unsere größte Herausforderung bestand darin, die Technologie zum Laufen zu bringen und den Prozess rentabel zu machen, aber das hat geklappt. Derzeit stellen wir 100 Rahmen pro Monat her und planen, unsere Produktion mit mehr Maschinen und Automatisierung auf maximal 500 pro Monat zu erweitern. Aktuell dauert es 24 Stunden, um einen Rahmen vom rohen Alu-Block bis fertig zum Versand herzustellen.
Wie sieht’s mit dem CO²-Fußabdruck des Voima aus?
Im Vergleich zu Carbon ziemlich gut! Kohlefaserrahmen kommen überwiegend aus Niedriglohnländern und haben eine erhebliche Abfallrate während der Produktion. Recycling-Methoden sind noch nicht weit verbreitet. Wir bauen in Europa und versuchen dabei, möglichst CO ²-neutral zu sein und 100 Prozent unserer Abfälle zu recyceln. Unsere Fabrik arbeitet mit Erdwärme und Wasserenergie, und unser lokales Abfallentsorgungsunternehmen sorgt für eine hohe Effizienz, da nur fünf Prozent des Abfalls auf Deponien landen. Nachhaltigkeit wird heute immer wichtiger, und das Voima ist da vorne mit dabei.