Florentin Vesenbeckh
· 24.11.2019
Das Ziel des Flaggschiffs der E-MTB-Palette von Mondraker ist eindeutig: möglichst leicht! Herausgekommen ist ein E-Enduro unter 20 Kilo. Knackt das Crafty Carbon die Schallmauer ohne Kompromisse?
Highend-Modell, nicht für jedermann, kompromisslose Fahrperformance: Diese Begriffe fallen ständig, als man uns – nicht ohne stolz – das neue Mondraker Crafty Carbon präsentiert. "Das beste E-Mountainbike, das wir je gebaut haben", heißt es von den Spaniern unisono. Herausstechendes Merkmal: das Gewicht. Die leichteste Version soll laut Mondraker bei 19,3 Kilo einchecken (Rahmengröße L). Bei 160 Millimetern Federweg an der Front, 150 am Heck, 29er-Laufrädern und einer Gewichtsfreigabe für den Rahmen bis 150 Kilo Systemgewicht ist das eine klare Ansage. Damit ist das Crafty Carbon bei weitem das leichteste Bike mit dem neuen Bosch-Motor, das wir bisher in die Finger bekommen haben. Dabei betonen die Spanier von Mondraker, dass keinerlei Kompromisse bei der Fahrperformance eingegangen wurden, und das Bike ein vollwertiges E-Enduro sei. Wie ist das möglich? Schließlich liegen vergleichbare Highend-Bikes eher bei 22 Kilo und mehr.
Beim Chassis setzt Mondraker auf Carbon-Hauptrahmen und Hinterbau – klar, es geht um bedingungslosen Leichtbau. Der Punkt, mit dem die Spanier am meisten Gramm einsparen, verbirgt sich hinter der Akku-Integration: Zum Einsatz kommt der im Unterrohr integrierte Bosch Powertube, das ist so weit nichts Besonderes. Mondraker schiebt den Energieträger allerdings von unten vollständig ins Unterrohr und verzichtet auf eine Wechsel-Option. Die Batterie ist fest eingebaut und kann zum Laden oder einem schnellen Akkuwechsel nicht entnommen werden. Ein kompromissloser Schachzug zugunsten von Gewicht und Fahreigenschaften, der für extralange, abgelegene Touren oder tagesfüllende Trail-Orgien zum Killerkriterium werden kann. Auch, wenn man in Garage, Keller oder Bike-Raum keine Lademöglichkeit hat, wird's schwierig. Laut Mondraker bringt diese Konstruktion jedoch einen Gewichtsvorteil von gut zwei Kilo im Vergleich zum Aluminium-Crafty.
Der Neuling markiert das obere Ende der E-MTB-Range von Mondraker. Entsprechend sportlich starten die Preise bei 7499 Euro, das mit 19,3 Kilogramm superleichte Topmodell kostet satte 11999 Euro. Insgesamt wird es drei Ausstattungsvarianten geben.
Das Unter-20-Kilo-Modell Crafty RR SL wurde zusätzlichen Diät-Maßnahmen unterzogen, um das Rekordgewicht zu erreichen. Dabei haben die Spanier auch ihr eigenes Credo "kompromisslos Enduro" gebrochen, denn die SL-Version kommt mit schwachbrüstigen Maxxis Rekon-Reifen, die die Qualitäten des Bikes in anspruchsvollem Gelände massiv beschneiden. An einem Enduro-Bike haben solche Reifen nichts zu suchen. Am leichtesten fahren Gewichtsfetischisten, wenn sie die Option des 500-Wattstunden-Akkus ziehen. So kommt man laut Mondraker auf die bereits erwähnten 19,3 Kilo. Wir konnten ein Bike in Größe M, mit Tubeless-Aufbau und noch dünnwandigeren und dadurch etwas leichteren EXO-Reifen (statt der spezifizierten EXO+) bereits an die Wage hängen. Das Ergebnis: 19,2 kg. Mit 625er-Powertube, der logischeren Variante, soll das Bike bei 19,9 Kilo landen. Da man die marketingträchtige Sub-20-Kilo-Marke auch mit dem großen Energieträger knacken wollte, waren Kompromisse nötig. Die Ausstattung ist, dem exorbitanten Preis entsprechend, aus den obersten Regalen der Komponentenhersteller zusammengestellt: elektronische Sram-AXS-Schaltung samt AXS-Reverb-Dropperpost, Shimano-XTR-Bremsen mit vier Kolben, Fox-Factory-Fahrwerk, edle DT-Swiss-Laufräder sowie Kurbeln und Lenker aus Carbon. Die Leichtbau-Griffe von Lizard Skins würden wir allerdings für besseren Fahrkomfort direkt gegen ergonomischere, besser dämpfende Gummis eintauschen. Ganz ohne Kompromisse ist die 20-Kilo-Schallmauer eben doch nicht gefallen.
Die zweite Ausstattungsvariante ist etwas weniger edel, dafür aber wirklich kompromisslos für den Enduro-Einsatz konzipiert. Für 8999 Euro gibt’s ebenfalls ein Fox-Factory-Fahrwerk, 12fach-Schaltung aus dem Shimano-XT-Regal und Vierkolbenbremsen, ebenfalls Shimano XT. Und, danke Mondraker, eine griffige Maxxis-Reifenkombi aus DHR II und DHF, jeweils mit solider Karkasse (EXO+). Die Alu-Laufräder DT Swiss H 1501 sind ebenfalls hochwertig und funktional. Eine 500-Wh-Option gibt es nur beim Top-Modell, die RR- und R-Bikes kommen serienmäßig mit großem 625er-Powertube. Die EMTB-Wage blieb bei diesem Modell bei sehr guten, aber eben nicht mehr rekordverdächtigen 21,4 Kilo stehen (Größe M, tubeless).
Los geht der Kohlefaser-Spaß bei 7499 Euro. Dafür muss man sich allerdings mit einer, gemessen am Preis, mittelmäßigen Ausstattung begnügen. Ein Fox-Performance-Fahrwerk, Sram GX/NX-Schaltung und G2-Bremsen. Dazu hauseigene Onoff-Anbauteile. Das Gewicht liegt mit 21,9 Kilo allerdings immer noch deutlich unter den üblichen Werten der Bosch-Konkurrenz.
Wie bei Mondraker üblich, kommt die charakteristische Forward Geometry zum Einsatz. Heißt: Der Hauptrahmen ist extrem lang, der Vorbau dafür sehr kurz. Es stehen vier Größen von S bis XL zur Verfügung. Der Reach liegt dabei zwischen 450 (Small) und 510 Millimetern (XLarge). Die Kettenstreben fallen mit 455 Millimetern nicht übermäßig kurz aus. Davon verspricht sich Mondraker ein ausgewogenes Fahrverhalten. Die Geometrie des Crafty Carbon ist identisch mit der des Alu-Pendants.
Geometrie und Fahrwerk des Carbon-Crafty entsprechen der Alu-Variante, die für 2020 komplett neu um den Bosch-Motor der vierten Generation konstruiert wurde. Das Alu-Crafty RR konnte uns in unserem großen Enduro-Vergleichstest (EMTB 4/2019) bereits überzeugen. Klar, dass auch der edle Carbon-Bruder auf den Trails im portugiesischen Lousa nicht enttäuscht hat. Die Fahreigenschaften sind in zweierlei Hinsicht sehr ausgewogen: Das Bike kann bergauf wie bergab punkten und fühlt sich in anspruchsvollem Gelände wohl, ohne auf seichten Trails zu behäbig zu wirken. Wir konnten bei der Präsentation des Bikes die 12000 Euro teure Topversion testen – allerdings hatte Mondraker wohlwissend die spezifizierten Rekon-Reifen von Maxxis gegen eine deutlich griffigere DHF/DHR II-Kombi getauscht. Ein logisches Tuning, denn die Original-Pneus hätten die Geländeeigenschaften des Bikes stark limitiert – nicht nur bei den extrem nassen Bedingungen an unseren Testtagen.
Dank des langen Hauptrahmens nimmt man auf dem Crafty angenehm sportlich Platz, aber keinesfalls gestreckt. Der steile Sitzwinkel positioniert den Fahrer zentral über dem Bike. So lassen sich auch steile Rampen souverän bezwingen. Die moderat langen Kettenstreben halten das Vorderrad am Boden und geben viel Kontrolle im Uphill. Zudem steht der Hinterbau stabil im Federweg und arbeitet dabei sehr aktiv. Klettern kann das Crafty definitiv! Geht es bergab, fällt zuerst das unaufgeregte Handling auf. Das lange Bike gibt einerseits viel Sicherheit, lässt sich aber auch flink um Kurven bewegen. Die Agilität beruht nicht zuletzt auf dem geringen Gewicht des Bikes und den leichten Carbon-Laufrädern. Will man das Bike allerdings aufs Hinterrad bewegen, um Hindernisse oder Bodenwellen zu durchsurfen, ist einiges an Krafteinsatz nötig. Sprungeinlagen sind dennoch genau der Geschmack des Craftys, denn der sportlich-straffe Hinterbau verleiht dem Bike viel Popp.
Auch größere Hindernisse schluckt der Hinterbau bereitwillig. Allerdings nicht, ohne den Fahrer dabei über den Untergrund im Unklaren zu lassen. Hier gibt es komfortablere Heck-Federungen. Sportliche und versierte Fahrer freuen sich darüber. Für wirklich harte Schläge hält die starke Endprogression immer Reserven bereit. Den vollen Federweg nutzt man bei klassischem Setup (rund 30 Prozent Sag) nur, wenn´s wirklich rumpelt. Die großen 29er-Laufräder bringen zusätzliche Laufruhe im harten Geläuf.
Erfreulich: Die Geräuschkulisse fällt beim Mondraker Crafty Carbon im Vergleich zu anderen Bikes mit dem neuen Bosch-Motor leise aus. Sowohl die Motorengeräusche, als auch das Klappern der Getriebestufe war deutlich dezenter als bei manch Bosch-Konkurrenten. Insgesamt ist uns das Bike sogar als angenehm ruhig aufgefallen.
Mit dem fest integrierten Akku im Crafty Carbon wagt Mondraker einen mutigen Schritt zugunsten eines extrem niedrigen Gewichts. Das grenzt die potentielle Käuferschicht von vorneherein ein. Wer sich bewusst dafür entscheidet, kann mit dem Carbon-Crafty das aktuell vermutlich leichteste E-MTB mit Bosch-Motor erwerben und bekommt eine universelle Fahrmaschine mit super Handling. Trotz des Rekordgewichts ist das Bike zwar nicht ultimativ verspielt – dafür überzeugt es sowohl bergab als auch in extremen Uphills. Wermutstropfen: Für das Carbon-Geschoss muss man tief in die Tasche greifen.