"The Queen of Pain" Rebecca Rusch packt aus

Sissi Pärsch

 · 16.03.2017

"The Queen of Pain" Rebecca Rusch packt ausFoto: Red Bull Content Pool
"The Queen of Pain" Rebecca Rusch packt aus

Sie nennt sich selbst „The Queen of Pain“, Königin der Schmerzen. Extrem-Bikerin Rebecca Rusch bricht seit Jahren Ausdauerrekorde – und wenn es sein muss, währenddessen auch mal in Häuser ein.


Du warst Dein Leben lang Sportlerin. Das Bike und Du – das war eher eine späte Liebe. Warum?
Ich konnte das Biken nicht ausstehen. Ich komme vom Ausdauer-Abenteuersport und fühlte mich unsicher im Sattel. Mit Mitte Dreißig nahm ich aber einfach mal so am 24-Stunden-Rennen in Moab teil, und irgendwie schwappte es da über. Ich war selbst total überrascht, dass ich so schnelle Rundenzeiten fuhr – vor allem, weil ich die technischen Sachen komplett getragen habe. Beim nächsten 24-Stunden-Rennen habe ich dann alle geschlagen, inklusive den Männern. Da hatte mich das Bike am Haken. Aber ich hatte total Angst vor technischen Passagen.


Und heute?
Im Vergleich zu den Enduro-Mädels bin ich technisch gesehen immer noch brutal schwach. Ich fahre mittelprächtig, würde ich sagen.


Was genau reizt Dich am Biken?
Ich bin eine Ausdauermaschine und pedaliere wahnsinnig gerne. Ich mag es, wohin mich mein Bike überall bringt. Man kann immense Strecken zurücklegen, unglaubliche Landschaften entdecken, und vor allem kommt man immer mit Menschen in Kontakt. Das Bike ist eine universelle Sprache. Jeder versteht, was du machst, wenn er dich auf einem Rad sieht. Es bricht alle Barrieren. Die Menschen helfen sofort und bereitwillig, ob in Vietnam, Afrika oder in Europa. Ich bin dieses Jahr durch halb Italien gebiket, das war ganz unglaublich.

  Extrem-Bikerin Rebecca RuschFoto: Red Bull Content Pool
Extrem-Bikerin Rebecca Rusch


Das war beim Nonstop-Selbstversorger-Rennen Italy Divide: 840 Kilometer von Rom nach Riva. Ziemlich extrem, oder?
Für mich als Amerikanerin ein Traum: Das Herz der Fahrradkultur schlägt in Italien. Bei uns ist das Rad eher ein Sportgerät, und dort fuhr ich durch diese süßen Dörfer, überholte alte Damen mit Körben auf dem Gepäckträger und traf auf perfekt gestylte Rennradtrupps. Was für eine Rad-Tradition. Und jeder wollte mich zu einem Espresso einladen.


Das klingt ja eher idyllisch …
Oh Gott, nur teilweise! Es war eines der härtesten Rennen, das ich bisher gefahren bin. Mental, physisch und technisch extrem fordernd. Vor allem, weil ich nicht mit so schlechtem Wetter gerechnet hatte. Es war kalt, nass, und die Strecke war lang – mit 16000 Höhenmetern gespickt und dazu echt anspruchsvoll. Viel Asphalt gab es nicht. Vier Tage und ein paar Stunden war ich unterwegs und habe dabei insgesamt zehn Stunden geschlafen. Ich brauche einfach meine drei Stunden Pause zwischendrin, sonst geht mir die Konzentration verloren, und es wird gefährlich. Südlich vom Gardasee bin ich dann notgedrungen in ein Haus eingebrochen.


Wie bitte?
Ja, es war grenzwertig. Ich war pitschnass und fuhr nachts um 2 Uhr in Eiseskälte technische Trails, die total verschlammt waren. Ich brauchte dringend eine Pause, war aber im Nirgendwo. Da sah ich dieses Haus, klopfte, aber keiner machte auf.


Und Du bist einfach eingestiegen?
Ich habe mich reingeschlichen. Ich dachte, ich könnte wieder heimlich verschwinden, bevor jemand aufwacht. Aber in der Früh kam dann eine Dame in Unterwäsche die Treppe herunter, und der Hund bellte. Wir waren beide etwas, nun ja, schockiert. Aber mein Anblick war wohl selbsterklärend, und ich gab mit Händen und Füßen zu verstehen, wer ich bin, beziehungsweise, was ich da tue. Sie beruhigte sich sehr schnell und wurde zur liebsten Versorgerin. Paola, ein Engel. Sie meinte nur: You need breakfast and coffee! Und genau das ist es, was man wohl nur mit einem Mountainbike erleben kann.


Was treibt Dich an, bei solch brutalen Sachen?
Meine Stärke ist einfach die Ausdauer. Ich beiße mich rein und lasse nicht mehr los. Aufgeben ist keine Option für mich. Ich habe einmal bei einer Sache aufgegeben, und das war ein schmerzhafteres Gefühl, als sich durchzukämpfen. Und ehrlich: Ausdauer- und Abenteuersachen sind die Sportbereiche, wo man im Alter noch stärker wird. Der Kopf spielt eine extrem wichtige Rolle und natürlich die Erfahrung. Man wird gelassener und erinnert sich an die viel schlimmeren Situationen, die man schon durchgestanden hat. Aber es gibt auch eine körperliche Stärke, die ihre Jahre braucht. Und ich trainiere heute auch viel smarter als einst.

  Rebecca Rusch: KilimanjaroFoto: Red Bull Content Pool
Rebecca Rusch: Kilimanjaro


Wie lange willst Du Dich noch bei diesen irrwitzig langen Ultrarennen schinden?
Warum sollte ich aufhören? Oft habe ich das Gefühl, dass es immer besser läuft. Meine Technik wird besser, die Technik am Bike – und es gibt noch so viel da draußen, was ich entdecken möchte. Außerdem muss ich mir diese Ziele setzen, weil ich mich immer weiterentwickeln will. Dabei geht es mir nicht um den Schmerz und das Leiden, sondern um Wachstum. Ich entwickle mich immer weiter, stehe niemals still. Ich bin so unglaublich wissensdurstig. Wir sind nur für eine kurze Zeit auf dieser Welt. Und wir sollten das maximal ausschöpfen. Mein Weg ist vielleicht ungewöhnlich, aber sicher genau richtig für mich.


INFO Rebecca Rusch

Die erfolgreiche Ultrasportlerin wuchs in einem Vorort von Chicago auf. Sie hat das legendäre Leadville 100 viermal gewonnen und bestieg in diesem Jahr im Rahmen einer World-Bicycle-Relief-Aktion den Kilimandscharo – mit Bike. In ihrer Autobiografie "Rusch to Glory" beschreibt sie ihren stets unkonventionellen Sportlerweg. Nach zehn Jahren ohne fixes Zuhause, hat sich Rebecca inzwischen mit ihrem Mann im Singletrail-Hotspot Ketchum, Idaho niedergelassen.

  "Ich beisse mich rein und lasse nicht mehr los. Aufgeben ist keine Option für mich."Foto: Red Bull Content Pool
"Ich beisse mich rein und lasse nicht mehr los. Aufgeben ist keine Option für mich."
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