BIKE Magazin
· 28.05.2008
Wie kein zweites steht das Team Sunn für die goldenen Jahre des Bike-Rennsports. Von 1993 bis 1998 gewannen die Franzosen fast alles – und prägten den Sport bis heute.
“Damals waren Rennfahrer Stars!” Wenn Pingo Magduschewski an die Boom-Jahre des Bike-Rennsports zurückdenkt, leuchten seine Augen. “In Frankreich waren die Top-Biker bekannter als viele Fußballer!” Und Rennsport war damals untrennbar mit dem Namen “Sunn” verbunden. Bei den Erzählungen des früheren Sunn-Importeurs ragt ein kantiges Wort aus den weichen Wolken der Nostalgie: “Race!” – kurz und knapp das Erfolgsrezept der Marke Sunn. Der Rennsport war Leidenschaft und Marketing-Werkzeug von Max Commençal, dem Macher von Sunn.
Wie ernst Commençal den Sport nahm, zeigen die Ergebnislisten: 70 Weltmeistertitel holten seine Fahrer. Zwischen 1993 und 1998 war es kaum möglich, auf einem Siegertreppchen nicht neben einem Sunn Trikot zu stehen. Immer waren es die Besten, die Commençal unter Vertrag nahm – oder aus den eigenen Reihen rekrutierte. So, wie Anne-Caroline Chaussson, die erfolgreichste Bikerin aller Zeiten. Sie war BMX-Weltmeisterin, als sie auf die erste Downhill-Maschine umstieg. 1993, bei ihrer ersten Downhill-WM, siegte sie bei den Juniorinnen so überlegen, dass sie auch in der Hauptklasse nur knapp Zweite gewesen wäre. Von den zehn Weltmeisterschaften zwischen 1996 und 2005 gewann sie neun. Im Jahr ihrer Downhill-Premiere, 1993, wechselte auch François Gachet vom Co-Factory-Team ins Profi-Lager, wo er 1994 Weltmeister wurde – und ein jugendlicher Flegel namens Cedric Gracia fuhr das Sunn- Trikot immer öfter aufs Podium. Im Cross Country mehrten Christophe Dupouey und Miguel Martinez den Ruhm der Marke. 1998 stellten sie die Weltmeister bei den Junioren und in der Hauptklasse. Dass ab 1997 auch Downhill-Rekordweltmeister Nicolas Vouilloz ein Sunn talwärts flog, ist angesichts dieser Ruhmesliste nur eine Fußnote.
Es war das Goldene Zeitalter der Franzosen – und Commençals Investition in den Rennsport ging auf. Als das US-amerikanische Wirtschaftsmagazin “Business Week” seinen Lesern ein Dutzend Aufsteiger unter den Firmen Europas empfahl, fand sich darunter auch der eher kleine Bike-Hersteller aus Saint Gaudens am Fuße der Pyrenäen. Grund der Empfehlung: Zwischen 1991 bis 1996 stieg der Umsatz um mehr als das Zehnfache. “Die Käufer in Frankreich betrachten uns als eine kleine, heimische Firma, die es den Amis mal so richtig zeigt”, freute sich Commençal damals über den Patriotismus, der Team und Umsatz gleichzeitig befeuerte. Für ein markantes Image sorgten außer den Rennerfolgen das eigenständige, am Comic orientierte Design des Grafikers Jean-Pierre Garnier (alias “Zoobab”), die damals noch exotische Sloping- Geometrie der Hardtails und der hohe Entwicklungsstand der Sunn-Downhill Maschinen – Fahrwerkstüftler Olivier Bossard arbeitete schon mit Computer-gestützter Realdatenerfassung, als andere noch das Wort “Zugstufe” zu buchstabieren lernten. Ende der 90er-Jahre hatte das Team Sunn 24 Fahrer aller Bike-Disziplinen unter Vertrag. Die Umsätze auf dem französischen Markt waren an den Konkurrenten Specialized, GT und Cannondale vorbeigezogen und Commençal griff nach den Sternen. “Wir werden 1998 mit einem Straßen-Team in die Tour de France einsteigen. Und wenn alles klappt, gewinnen wir die Tour im Jahr 2000”, träumte Max Commençal auf dem Höhepunkt des Erfolgs. Kurz darauf tappte der rastlose Sunn-Macher in eine selbstgestellte Falle: Um seine Expansion finanzieren zu können, hatte er schon 1988 andere Geldgeber an Bord geholt. Das besiegelte sein Ende bei Sunn – als er sich gegen das schnelle Geld und gegen den Verkauf der Firma wehrte, drängten ihn die Shareholder schmerzhaft in die Strohballen. Statt die Tour de France anzugehen, verließ Max Commençal 1998 die Firma Sunn – “das Souflé fiel in sich zusammen”, wie ein französischer Beobachter notierte. Das Team wurde aufgelöst, 1999 meldete der Hersteller Konkurs an. Im Jahr 2006 reanimierte ein neuer Investor die Marke, doch die fetten Jahre sind unwiederbringlich vorbei. Noch heute, ein Jahrzehnt nach dem Ende des Dreamteams, schwelgt die Firmen-Homepage: “Uns bleibt die Erinnerung an ein magisches Zeitalter voller epischer Schlachten zwischen Fahrern und Teams. Eine Zeit, die alle Anhänger des Bike-Sports träumen ließ.”
Text: Jörg Spaniol