Sissi Pärsch
· 16.06.2024
BIKE: Bernhard, wie dankbar bist du deinen Eltern für ihre Berufswahl?
BERNHARD LANGE: Dankbar ist überhaupt kein Ausdruck. Auch wenn mein erster Berufswunsch tatsächlich Pilot gewesen wäre. Meine Eltern haben mich nicht ins Unternehmen gedrängt, aber die Leidenschaft für das Fahrrad war immer da – und auch das Gefühl, dass da noch ganz viel Bewegung möglich ist. 1983, mit 23 Jahren, durfte ich meine Ausbildung in Japan beginnen und war begeistert.
Wie definierst du die Beziehung zwischen der Familie Lange und der Familie Shimano?
Shozo Shimano, Sohn des Gründers, und mein Vater haben sich gesucht und gefunden. Sie kamen menschlich unglaublich gut miteinander aus und hatten beide diesen Blick nach vorne. Sie wollten Shimano voranbringen. Vielleicht sind die deutschen Tugenden den japanischen nicht so fern: Was man sagt, wird getan. Und man ist integer. Die Zusammenarbeit wird nicht infrage gestellt. Man geht gemeinsam durch dick und dünn.
Zudem warst du knapp zwei Jahre bei Shimano in Japan …
Ich war 18 Monate in Japan und anschließend in den USA. Später kamen dann auch Kinder aus der Familie Shimano nach Deutschland. Mein Sohn Paul-César, heute CSO unseres Unternehmens, war 2013 wiederum für zwei Jahre in Japan und kam mit einer japanischen Frau nach Deutschland zurück.
Was hast du in deiner Zeit Anfang der 80er-Jahre miterlebt?
Sehr vieles, aber vor allem auch den Anfang des Mountainbikes. Die Pioniere um Gary Fisher und Joe Breeze kamen relativ früh auf Shimano zu und meinten, dass ihnen die Kurbeln um die Ohren fliegen würden und die Rennrad-Nabe ständig breche. Sie wollten eine größere Übersetzung, robustes Material, Bremsen, die auf den Punkt funktionieren. Yoshizo Shimano war damals Präsident von Shimano USA und steckte seinen Bruder Keizo, der Ingenieur und Technischer Leiter war, mit seiner Begeisterung an. Auch Keizo Shimano hat das Bike absolut fasziniert, das konnte man spüren. Er hat die Freude ins Werk getragen und meinte: „Was ihr hier seht, ist eine Trendwende im Fahrrad.“ In der Folge wurde gewaltig in die MTB-Technologie investiert.
Die Pioniere um Gary Fisher und Joe Breeze kamen relativ früh auf Shimano zu und meinten, dass ihnen die Kurbeln um die Ohren fliegen würden.
Und du hast dich infizieren lassen?
Natürlich. Wir haben die Bremsen damals auf den Hügeln von Osaka getestet bis zum Gehtnichtmehr. Das Shimano Deore-Schaltwerk mit dem Hirschgeweih – wer sich noch erinnert –, das war ein großartiges Fahrradgefühl, wie ich es bis dahin nicht kannte. Als ich nach Japan in die USA gegangen bin, war mir absolut klar: Das ist das große Ding. Und dann kam ich Ende 1984 zurück nach Deutschland …
Und was passierte hier?
Es kam keine Gegenliebe. Meine erste Aufgabe in der Heimat war, die Deore XT an die Fabriken zu bringen. Aber die deutschen Hersteller sahen den Trend nicht. „Kannst wieder einpacken. Wird ein Flop wie BMX. Zu teuer, das kann überhaupt nicht funktionieren.“
Wie hast du darauf reagiert?
Mit der Gründung unserer eigenen MTB-Marke: Longus. Der Handel hatte MTB nämlich durchaus verstanden, er glaubte daran. Letztendlich war das ein offenes Scheunentor für die Importeure aus den USA und Taiwan. Für mich war aber zum Beispiel ein Wolfgang Renner mit Centurion immer ein ganz Großer, was den Erfolg des Mountainbikes in Deutschland betrifft.
1949 starten Paul und Fernanda Lange in ihrer Stuttgarter Wohnung mit dem Vertrieb von Zahnkränzen, Bereifung und weiteren Fahrradteilen. 1967 wird die Paul Lange & Co. OHG zum ersten europäischen Agenten einer bis dato unbekannten Marke aus Japan: Shimano. Bernhard Lange – der auf den Tag genau zehn Jahre nach Firmengründung geboren ist – übernimmt 1989 nach dem frühen Tod des Vaters das Unternehmen und leitet es gemeinsam mit seiner Schwester Barbara Schattmaier im 35. Jahr. Neben der Generalvertretung von Shimano in sieben europäischen Ländern vertreibt Paul Lange weitere Marken wie Schwalbe, SP Connect oder Cateye. Bernhard Lange ist einer der Vorkämpfer für den Mobilitätswandel und Träger des Bundesverdienstkreuzes.
Warum habt ihr Longus nicht mehr weitergeführt?
Nach zehn Jahren blühte der Mountainbike-Markt und wir hatten Kunden für die Komponenten – und ich wollte auf keinen Fall ein Konkurrenzprodukt zu unseren Abnehmern anbieten.
Was die Industrie damals nicht gesehen hat: Das Mountainbike beziehungsweise die Komponenten haben das Fahrrad sozialisiert. Man konnte sie auch in City- und Trekkingrädern verbauen und dadurch hat das Fahrrad einen enormen Sprung nach vorne gemacht. Es war eine ganz, ganz schwere Geburt in Deutschland. Aber es ist sensationell, was inzwischen hier passiert ist.
Wie war einst deine Einstellung gegenüber dem EMTB?
Her damit und toll. Ich fand es faszinierend. Ich hatte aber nicht erahnt, mit welcher Rasanz es kommen sollte.
War es ähnlich mit der elektronischen Schaltung?
Ich war ein kompletter Verfechter der mechanischen Schaltung – bis ich eine Shimano Di2 bekam. Das war dann Freude pur. Auch wenn ich alte Räder liebe, manchen Dingen sollte man sich nicht verschließen, sie bringen einfach zu viel Spaß.
Was sind für dich aktuell die spannendsten Themen im MTB-Segment?
Kommende Schaltungsgenerationen – ich darf nicht mehr verraten, aber ich freue mich sehr auf die Zukunft. Trotzdem muss ich auch sagen, dass für mich einer der wichtigsten Treiber des Sports die Infrastruktur ist. Man muss auf dem Radar haben, was hier passiert, aktuell etwa in der Überarbeitung des Bundeswaldgesetzes, die womöglich die Bewegungsfreiheit im Wald erheblich einschränken könnte. Wir müssen uns engagieren und Lobbyarbeit leisten. Mit Politikern kann übrigens jeder von uns sprechen.
Dein Engagement in Sachen Infrastruktur reicht über den Wald hinaus …
Wir brauchen den Mobilitätswandel, das ist absolut klar. Die Politik muss jetzt agieren. Ganz ehrlich: Ich will nicht mehr geduldig sein, ich will nicht mehr warten. Wir müssen das gemeinschaftlich und überparteilich beschleunigen. Wenn wir von Krisenzeiten in der Branche sprechen, dann führt der Weg heraus zentral auch über die Schaffung von Infrastruktur. Uns muss das Recht gegeben werden, mit dem Rad sicher von A nach B fahren zu können.
Wenn wir von Krisenzeiten sprechen, dann führt der Weg heraus zentral über die Schaffung von Infrastruktur.
Ein Blick in die Zukunft: Sprechen wir zum 80-jährigen Bestehen von Paul-Lange erneut mit Bernhard Lange?
Mit der Jugend könntest du heute schon sprechen … In den nächsten zwei, drei Jahren werden wir eine neue Geschäftsleitung haben. Mein Sohn Paul-César ist bereits im Unternehmen, genauso wie zwei Söhne meiner Schwester.
Was wird ein Bernhard Lange nach 35 Jahren CEO-Rolle machen?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, wesentlich mehr Rad zu fahren. Meine Frau und ich, wir reisen gerne. Und ich trinke gerne entspannt ein Glas Wein.