Henri Lesewitz
· 08.08.2005
Hätte Paul Turner die Zähne zusammengebissen, wäre Biken wohl mehr Rodeo als Genuss geblieben. Seine „RS1“ machte ihn zum Popstar des Bike-Business. Seither bewahren Federgabeln Millionen Biker vor kaputten Gelenken.
Genau genommen war Paul Turner ein Weichei. Im Gesicht hatte er ständig dieses breite Revolverheld-Grinsen, aber er jammerte, wenn er mal durchgeschüttelt wurde. Doch genau das war sein Glück – das zimperliche Getue sollte zum Schicksal für Paul Turner werden. Er ist der Vater der „RS1“ – der erfolgreichsten Erfindung der Bike-Geschichte. Hart waren die anderen: die Jungs, die beim Downhill Kopf und Kragen riskierten, die Freaks, die im Rausch der neuen Freiheit ihre Bandscheiben quälten, die Firmen, deren Bikes ohne eine große Portion Leidensfähigkeit unfahrbar waren. Denn sonst hätte wohl längst ein anderer die Federgabel erfunden, damals, im Sommer 1986.
Wieder mal saß Paul Turner in der Rahmenschmiede seines Kumpels Keith Bontrager – einem kleinem Laden in Santa Cruz in Kalifornien. Wieder mal klagte Turner über schmerzende Schultern und taube Hände. Seine Bike-Touren seien zu sehr Rodeo und zu wenig Genuss, klagte er. Darauf hatte er keine Lust mehr. Dafür aber die Lösung des Problems: eine Federung, zumindest für vorne.
Für Turner war das kein Geistesblitz, sondern Logik. Als ehemaliger Motorrad-Rennfahrer und Honda-Schrauber hatte er viel Erfahrung mit Fahrwerken. Die Frage war eigentlich nur: wie pflanzt man den Technik-Wust in ein filigranes Bike? Monatelang tüftelten Bontrager und Turner über mögliche Konstruktionen. Leicht musste die Gabel sein, flach bauen und möglichst nur auf Hindernisse reagieren – also flott abtauchen und gedämpft wieder zurückgleiten.
Der Name „Rock Shox“ stand von Anfang an fest. Den ersten Prototypen hielt Turner erst ein Jahr später in den Händen. Er hatte es geschafft: fünf Zentimeter Federweg, Luft-Federung, Dämpfung mit Öl: eine Teleskop-Gabel wie beim Motorrad, nur eben im Bonsai-Format. Turner wusste, dass ihm ein Geniestreich gelungen war und sicherte sich das Patent „4.971.344“. Der Rest der Bike-Welt griff sich an den Kopf. Wer braucht schon diesen Motorrad-Kram am Fahrrad?
„Jeder“, diktierte Greg Herbold zwei Jahre später in den Block des damaligen BIKE-Chefredakteurs Uli Stanciu. Mit einem Vorserien-Modell der „RS1“ war er gerade zum Sieg beim Worldcup-Downhill in Cannes gerast. Aus dem weißen Eierschalen-Helm tropfte noch der Schweiß, da deutete Herbold auf sein Bike: „Take it“. Das ließ sich BIKE-Mann Stanciu nicht zweimal sagen und ballerte los. Es war der erste Fahrbericht in einem Magazin. „Das Bike tanzt nicht mehr hin und her“, schwärmte Stanciu hinterher, „Ich hatte das Gefühl perfekter Kontrolle.“
Der Fahrbericht klang wie die Liebeserklärung einer Frau, die sich nach Jahren mit einem Macho endlich in die weichen Arme eines Softies schmiegt. Dann ging es Schlag auf Schlag: Der Komponenten-Riese Diacompe übernahm Fertigung und Vertrieb der Rock Shox. Tausend Gabeln wurden 1990 aufgelegt. Sechs Jahre später knackte die „RS1“ die Millionen-Grenze und Turners Cowboy-Grinsen reichte von Ohr zu Ohr.
Der Unterschied zu anderen Gabeln war die technische Raffinesse. Haupt-Konkurrent Manitou bot anfangs nur einen simplen Gummipuffer mit dem Komfort eines alten Sofas. Der erste Versuch von Marzocchi endete als Biker-Zote: "Was leckt besser als eine Blondine? Eine Marzocchi XC" – das Öl suppte aus allen Dichtungen. Während zahlreiche Firmen versuchten, auf die weiche Welle aufzuspringen, war die Rock Shox längst über das Stadium eines schnöden Technikteils hinausgewachsen. Sie war Lifestyle, Marke und Synonym für den Fortschritt in der Bike-Branche. Wenn ganz normale Leute auf der Straße Federung meinten, sagten sie Rock Shox.
Turner stieg vom Garagen-Schrauber in die Oberschicht des Big Business auf. Er war nicht der Vater des Mountainbikes, aber der Patenonkel, der die Party mit seiner genialen Idee richtig in Schwung brachte. Die Umsetzung überließ er anderen. Die Rock Shox hat die Bike-Technik revolutioniert. Früher wurde sie belächelt. Heute gelten Puristen ohne Federgabel als Spinner. Über 250 Leute werkeln bei Rock Shox. Turner selbst ist zu seinen Wurzeln zurückgekehrt. Er baut handverlesene Fahrwerke – jetzt unter dem Namen Maverick. Der Kampf gegen das Gerüttel ist zur Lebensphilosophie geworden. Er ist und bleibt eben ein Weichei.