Nach dem Ortstermin bei Upway nahe dem neuen Berliner Flughafen und einem ausführlichen Interview mit CEO Toussaint Wattinne schwankten die Gedanken hart zwischen “Warum ist vorher niemand auf die geniale Idee gekommen?” und “Wie kann man sich solch einen Logistikbrocken freiwillig ans Bein binden?”. Seit zwei Jahren ist Upway erst am Markt, aber die Firma hat Dimensionen erreicht, die einem beim Betreten der angemieteten Halle kurz innehalten lassen.
Die Initialzündung für den Handel mit gebrauchten E-Bikes kam dem ehemaligen Uber-Manager im saftigen Grün Schottlands bei einem Radurlaub mit seiner Familie. Der Grund, warum bisher der Gebrauchtmarkt mit Pedelecs und Co. im Verhältnis zu Biobikes so unscheinbar vor sich hin dümpelte, quasi nicht existent war, war schnell gefunden. Ein Käufer – und ganz besonders der deutsche Käufer – brauche bei Ausgaben von mehreren Tausend Euro grundsätzlich Vertrauen ins Produkt, so der französische CEO. Und gerade bei Akku und Elektronik sei man grundsätzlich skeptisch, ob denn der Vorbesitzer gut umgegangen sei mit seinem Rad – nicht ganz zu Unrecht.
Und genau an dieser Vertrauensbasis setzt der Service von Upway an. Das System ist einfach: Das Unternehmen kauft gebrauchte E-Bikes an, testet sie akribisch, bereitet bis auf den Lack alles so weit auf, dass man von einem neuwertigen Zustand sprechen kann, und stellt die Räder dann deutlich günstiger als das entsprechende Neurad im hauseigenen Onlineshop zum Verkauf, mit Garantie und Beratungsservice bei Problemen. Während das durchschnittliche Pedelec neu etwa 3000 Euro koste, lägen die refurbishten Bikes von Upway bei nur rund 2000 Euro, so Toussaint Wattinne. Außerdem seien die gesammelten Erfahrungen nach über 10.000 aufbereiteten Rädern so gut, dass man behaupten könne, die instandgesetzten Bikes seien so nah wie möglich am Original; damit meint der smarte Wattine die Neuräder.
Als er zum ersten Mal die am Rand von Berlin angemietete, 115 Meter lange Halle leer gesehen habe, sei er schon ein bisschen nervös geworden, gibt er zu. Mittlerweile haben die Mitarbeiter hier eine Art Kreislauf des (ewigen) E-Bike-Lebens eingerichtet, um die Masse an Rädern so wenig wie möglich bewegen zu müssen. Hier werden sie von der Eingangskontrolle bis zur Verpackung auf dem Weg zum Käufer einmal von einem Ende der Fläche bis zum anderen und zurück bewegt.
Aber woher hat Upway die Räder? Neben dem Direktankauf von Privatpersonen per Webportal, so Operationsmanager (OM) Florian Groß, kaufe man Ausstellungsstücke und Rückläufer der Händler, nicht mehr gebrauchte Leasingbikes und sogenannte “New old stock”-Räder. Das sind die Einzelstücke, die am Ende der Saison übrig bleiben und von denen sich Händler und Hersteller günstig trennen. Sehr beliebt sei auch die Inzahlungnahme des alten Pedelecs beim Kauf eines neuen. Ist der Bikehändler Upway-Partner, werden die Kaufpreise gleich miteinander verrechnet. Das hält den Markt in Bewegung, weil man natürlich eher ein neues Rad kauft, wenn man das Vorherige gut und einfach loswird.
Die Preisgestaltung sowohl beim An- als auch Verkauf sei ein bisschen wie die Kurse an der Börse, erklären uns Wattinne und Groß. Prinzipiell kaufe man alle Modelle und Marken an, es sei denn, deren Technik habe sich mehrfach als unzuverlässig erwiesen, wie kürzlich die VanMoof-Räder. In Abhängigkeit zur Kilometerleistung, dem allgemeinen Zustand und der Begehrtheit eines Modells steigt oder fällt der angebotene Preis für gebrauchte Bikes. Im Shop werde der Startpreis ähnlich den lernenden Algorithmen berechnet. Steht ein Rad doch mal zu lange online, wird der Preis aber nach unten korrigiert.
Die “Balance zwischen supply und demand” nennt das der Upway-Chef, oder, auf Deutsch, das Prinzip von Angebot und Nachfrage. Man lerne vom Markt: nicht nur, was insgesamt angesagt sei, sondern auch die regionalen Unterschiede und worauf die einzelnen Nationalitäten besonderen Wert legen. Die Deutschen, so Wattinne mit dem Hauch eines Schmunzelns, seien sehr auf Details aus, sehr gut informiert, hätten deutlich mehr Vertrauen in bekannte, große Marken und legten besonderen Wert auf den guten Zustand des Bikes.
Für das dritte Geschäftsjahr sind die Zahlen von Upway schon beeindruckend. Und einem weiteren Wachstum steht wenig im Weg: Aktuell ist man in fünf Ländern aktiv.
Hat jemand sein Rad an Upway verkauft, muss er oder sie es nur versandfertig machen: kein Karton, nur “schmal” herrichten und gut einwickeln. Abholung, Erstkontrolle und Überweisung gehen rasend schnell, eine Woche sei schon lang. Dann geht’s für die derzeit acht Mechaniker pro Schicht ans Werk. Auf der 20 Punkte umfassenden To-do-Liste stehen so banale Dinge wie das Zuweisen eines Registercodes und das Erfassen der technischen Daten inklusive des Auslesens der Historie des Antriebs bis zum essenziellen Akku-Check.
Jedes der 30 bis 40 Räder, die am Tag in Berlin ankommen, unterliegt einer Triage, mit einem Farbcode von quasi neuwertig bis stark reparaturbedürftig eingestuft. An diesen Härtefällen schraubt ein Mechaniker schon mal eineinhalb Tage statt wenige Stunden wie bei einem Topzustand. Getauscht wird so wenig und umweltfreundlich wie möglich, gleichzeitig soll der Kunde aber auch ein Produkt erhalten, auf das er sich verlassen kann, so der Grundsatz des Unternehmens.
Bei Bremsen, Ketten und Ritzeln kommen etwa ab einem Drittel Verschleiß neue Teile ans Rad, bei den Reifen sogar früher, und sowieso, wenn der Mantel spröde wirkt. Griffe und Pedale seien auch oft fällig, erklärt Chefmechaniker Dario. Klebrige Oberflächen mit altem Gummi seien niemandem zuzumuten, der ein Upway-Rad kaufen wolle. Die Akkus durchlaufen einen ganz besonderen Prozess: Ihnen sieht man den Alterungsprozess nicht an; auch nicht, ob sie, und wenn ja, wie oft, tiefenentladen oder von 90 Prozent wieder auf 100 geladen wurden, das kille den Akku auf Dauer, so der Chefschrauber.
Von einer Software überwacht werden alle Akkus ein Mal maximal gefüllt und dann in einer Art Verbrauchssimulation entladen. Hat das gute Stück nur 80 Prozent der ursprünglichen Ausdauer, wird er von einer Partnerfirma refurbisht oder durch einen neuen ersetzt. Antrieb und Akku seien aber ganz selten mal derart angeschlagen, so Dario. Lediglich ein Akku von hundert sei nicht mehr zu retten.
Wenn die Räder aus dem Bereich der Mechaniker weitergeschoben werden, sieht man ihnen ihr Vorleben kaum noch an. Hier und da sind kleine Schrammen am Lack, um Tretlager und Naben herum sitzt noch ein leichter Film aus Öl und Staub. Noch! Denn jetzt geht’s für die aufgefrischten Bikes ins Beautyzelt. Zelt deshalb, weil sie jetzt mit minus 78 Grad Celsius kaltem Trockeneis bestrahlt werden. Das sei die absolut sanfteste, gründlichste und zugleich umweltfreundlichste Methode, jegliche Patina zu entfernen, ohne dass Wasser in die Lager eindringe oder Lack und Eloxierung gefährdet seien, sowie ohne dass man einen Ölabscheider brauche oder Wasser.
Nach dieser “Trockenwäsche” erinnert wirklich nichts mehr an ein früheres Dasein. Selbst die nicht getauschten Teile blinken wie frisch aus dem Showroom. Und da geht’s danach sofort hin. Bei rund 1800 bis 2000 Modellen im Onlineshop lohnt es sich für Upway, ein eigenes Fotostudio zu haben. Und auch hier ist die Logistik sensationell: In wenigen Minuten sind Profifotos aus allen Perspektiven geschossen, beim Betexten bedient man sich gesammelter Spezifikationslisten der Hersteller und Textbausteinen aus vorherigen Verkäufen – und demnächst wohl auch künstlicher Intelligenz –, dazu ein paar Worte zum jeweiligen Zustand, und schon steht das Rad zum Verkauf. Den Preis legt der Algorithmus fest. Vier bis sechs Wochen steht ein Rad im Schnitt bis zum erneuten Verkauf.
Für uns als Zuschauer ist es unfassbar, dass diese Geschwindigkeit im Umlauf von so vielen Marken, Modellen und Varianten nicht im totalen Chaos endet. Und das Gewimmel soll sogar noch wachsen! Die zweite Werkstattniederlassung in Berlin ist schon auf Wachstum geplant worden, noch nicht alle Mechanikerplätze waren bei unserem Besuch besetzt. Da man die Grundfläche der Halle schon ziemlich ausgenutzt hat, soll sie nach oben wachsen: Ein zweites Stockwerk ist in Planung, auch eine dritte Niederlassung in den starken Benelux-Ländern und eine vierte in Süddeutschland seien eher früher als später denkbar.
Auch mit Leasingfirmen und als Lieferant von Jobrädern sieht man sich mit dem aktuellen Portfolio gut aufgestellt. Wenn man bedenkt, dass der Aufschwung der E-Bikes vor sechs bis acht Jahren begonnen hat, hat der dicke Bauch des Hypes noch gar nicht den Gebrauchtradmarkt erreicht, die knackigen Wachstumsprognosen von Upway könnten also noch getoppt werden. Und auch die Fahrradhersteller sollten nichts gegen diesen Handel haben. Sicher wird der ein oder andere Kunde bei Einsparungen von 30 bis 50 Prozent bei Upway ordern, dafür entscheiden sich sicher umso mehr Biker zu einem früheren Neukauf, wenn sie ihr Rad so unkompliziert zu fairen Konditionen abgeben können.
Das System sollte also für noch mehr Umlauf und Aufschwung sorgen, statt den Handel auszubremsen. Sein “Onlineshop mit zusätzlichen Services”, wie Toussaint Wattinne Upway nach einigem Überlegen einordnet, sei “helpful and healthful for the market”, also hilfreich und gesund für den Markt. Die Hilfe für den Bike-Markt und dessen Bedeutung für die Klimaziele scheint Wattinne tatsächlich ernst zu nehmen. Nicht nur, dass das Verlängern eines E-Bike-Lebens die Umwelt schont, auch bei fast allen Arbeitsschritten ist man auf Nachhaltigkeit, Materialkreisläufe und Verzicht auf Chemie getrimmt.
Bei all diesem Enthusiasmus und dem beeindruckenden Pioniergeist stellen wir uns zum Abschluss nur eine einzige Frage: Warum klaut der CEO von Upway seiner Frau regelmäßig das Pedelec, anstatt ein eigenes zu benutzen? Auf die Fragen konnte der charmante Franzose trotz Verweis auf seinen Pool an Biobikes keine Antwort geben; wahrscheinlich hat er einfach keine Zeit gefunden, zwischen den Tausenden Radkäufen ein eigenes Bike zu kaufen.