Gitta Beimfohr
· 13.11.2023
Im März 2022 wurde im Schweizer Parlament das neue “Veloweggesetz” verabschiedet, es trat bereits am 1. Januar 2023 in Kraft. Jetzt wurden die Details für Mountainbiker bestimmt. Inhalt:
Die 26 Kantone aber auch der Bund sind verpflichtet, Fahrradwegenetze (Velowege) zu planen und zu verwirklichen. Und zwar für alle Kategorien des Radsports, auch für Mountainbiker. Fest im Gesetz verankert sind Planungsgrundsätze und Qualitätsziele wie: Das Wegenetz muss “zusammenhängend, direkt, sicher, homogen, attraktiv” sein. Wie nun Dominik Hug von der Institution “Schweiz Mobil” vergangene Woche auf einer Fachtagung bestätigte, bedeutet das für Mountainbiker: Trails. Ein Mitschnitt seiner ausführlichen Präsentation hat das Schweizer Magazin Ride letzten Freitag auf seiner Homepage veröffentlicht. Demnach muss nun jeder Kanton einen Mountainbike-Beauftragten bestimmen, der bis zum Jahr 2027 einen detaillierten, verbindlichen Wegeplan vorlegt.
Wer einen Biketrip nach Graubünden (Davos, Engadin, Laax, Lenzerheide etc.) plant, der wird von den Neuerungen nicht viel mitbekommen. Graubünden, der größte aller Schweizer Kantone, hat bereits vor vielen Jahren damit begonnen, ein höchst attraktives Trail-Netz für Biker auszuschildern. Hier hat sich Trailsharing längst etabliert. Daher dient Graubünden für alle anderen Kantone nun als Blaupause.
Auch das Wallis hat sich in den letzten Jahren immer weiter dem Bikesport geöffnet. So wie im Prinzip alle Alpenregionen der Schweiz, die hauptsächlich vom Tourismus leben.
Völlig umdenken müssen dagegen die Kantone im flachen Nordwesten der Schweiz: das Appenzeller Land etwa oder die Stadt Zürich. Hier hat man Mountainbiker bisher von sämtlichen Wanderwegen und Singletrails verbannt. Doch genau das hat dieses Gesetz erst ins Rollen gebracht, denn ein Großteil der Schweizer Bevölkerung lebt nun mal in den Ballungsräumen von St. Gallen, Zürich, Bern und Luzern. Die strikten Bike-Verbote rund um diese Städte haben die Naherholung stark eingeschränkt.
Insgesamt verfügt die Schweiz über ein Wanderweg-/Singletrail-Netz von 2500 Kilometern. Die Mountainbike-Beauftragten der Schweiz hoffen nun, dass sich generell das bewährte Trailsharing nach Art Graubündens durchsetzen wird. Doch auch, wenn sich zum Beispiel die Stadt Zürich “nur” zu einzelnen freigegebenen Trail-Runden durchringen kann, um eine attraktive (!) Besucher-Lenkung zu erreichen, wäre in diesen Regionen schon viel erreicht.
Um den CO2-Ausstoß im Verkehr zu reduzieren, aber auch um die Gesundheit der Bevölkerung zu fördern, ist man in der Schweiz der Meinung, dass man die Infrastruktur für alternative Fortbewegungsmittel deutlich erweitern muss. Dabei geht es natürlich hauptsächlich um durchgehend gebaute und gepflegte Radwege für den Pendlerverkehr. Aber eben auch um deutliche Erweiterungen im Naherholungsbereich rund um die Städte. Denn wer ein attraktives Trail-Netz für den Stadttoren hat, der muss nicht zwingend erst in die Alpenregionen reisen, um seinen Sport ausüben zu können. Das Gesetz für den “Langsamverkehr” wie es in der Schweiz heißt, gilt übrigens nicht nur für Rad- und Wander-, sondern auch für Wasserwege (z. B. Kajak-Fahrer) .
Sehr unwahrscheinlich. Der deutsche Föderalismus, also die Selbstbestimmung der einzelnen Bundesländer, hat viele Vorteile, macht aber ein Gesetz, wie das Schweizer Velowegegesetz, bei uns so gut wie unmöglich. Die Schweiz lebt eine Direkte Demokratie. Das bedeutet, Gesetze werden nicht nur von den beiden Kammern im Parlament verabschiedet. In bestimmten Sachfragen ist auch ein positiver Volksentscheid nötig.
Zur Einschätzung des neuen Schweizer Veloweggesetzes und ob damit nicht doch ein Fünkchen Hoffnung für ähnliche Gesetze in Deutschland verbunden ist, haben wir Heiko Mittelstädt von der Deutschen Initiative Mountainbike (DIMB) befragt.
BIKE: Das neue Schweizer Gesetz klingt nach künftigem Trail-Paradies. Wie neidisch müssen wir hier in Deutschland sein?
Heiko Mittelstädt: Das Gesetz sieht zunächst eine Förderung des Radverkehrs, u.a. durch eine Ausweisung von Routen vor. Darunter fallen auch Routen für den Freizeitverkehr, wobei die Ausschilderung von Mountainbike-Routen dabei ausdrücklich im Gesetz erwähnt wird. Das ist schon als ein Durchbruch zu sehen, dass jetzt von Bundesseite die Kantone gesetzlich verpflichtet werden, entsprechende Mountainbike-Routen auszuweisen. Die zuständige Stiftung „Schweiz Mobil“ hat dabei in einer Präsentation signalisiert, dass zu Mountainbike-Routen auch Singletrails gehören. Denn auch in der Schweiz gibt es kantonal sehr unterschiedliche Regelungen, welche Wege mit dem Rad befahren werden dürfen. In manchen Kantonen waren bislang Singletrails weder gesetzlich erlaubt, noch einzeln ausgewiesen. Es durften nur Forstwege befahren werden.
Es geht letztlich aber nur um die Ausweisung von Mountainbike-Routen, und nicht um die Änderung der gesetzlichen Lage in den Kantonen, die restriktiv bleiben können. Da aber für die Stiftung „Schweiz Mobil“ Singletrails zum Mountainbiken dazu gehören, werden die restriktiven Kantone ihre gesetzlichen Regelungen überdenken müssen, ob diese noch den aktuellen Anforderungen der Freizeitgestaltung genügen.
Ist so ein Durchbruch nur durch die Schweizer Volksentscheide möglich oder wäre so etwas bei uns auch denkbar?
Wir haben bereits im §14 des Bundeswaldgesetz die grundsätzliche Erlaubnis alle Straßen und Wege im Wald mit dem Rad zu nutzen. Leider gestattet der Bundesgesetzgeber aber den Bundesländern die Einzelheiten selbst zu regeln, so dass wir 16 verschiedene Landesregelungen haben, welche Wege im Wald befahren werden dürfen. Hier würden wir uns eine Vereinheitlichung wünschen, dass unverhältnismäßige Regelungen, wie die 2-Meter-Regel in Baden-Württemberg, nicht mehr zulässig sind. Daran arbeiten wir seit Jahren mit verschiedenen Verbänden.
Die Arbeitsgruppe WaSEG beim BMEL (Anm. d. Red.: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) befasst sich mit dem Thema auf Ebene des Ministeriums und wir von der DIMB durften dort vor einiger Zeit selbst unsere Vorstellungen vortragen. Auch wenn wir keine Volksentscheide wie in der Schweiz haben, so hoffen wir doch, dass der bei uns vorgesehene parlamentarische Weg erfolgreich sein wird. Denn eine Einzelausweisung von Singletrails ist bei uns bisher auch in restriktiven Bundesländern möglich, stellt sich aber als sehr aufwändig und wenig praktikabel heraus. In den meisten Bundesländern sind zunächst alle Wege zum Radfahren erlaubt und nur dort, wo es nachweislich zu Problemen kommt, sollte mit Lenkungsmaßnahmen agiert werden. Das sollte unseres Erachtens überall so sein.
Wie wertvoll ist dieser Durchbruch im Nachbarland nun für eure Arbeit in Deutschland? Kann man das zur besseren Argumentation bei den Behörden vorlegen?
Eine gute Argumentation ist, dass das Mountainbiken es in der Schweiz in den Gesetzesrang geschafft hat. Hier dürfen wir unserem Schweizer Partnerverband IMBA Swiss gratulieren, dass ihre Interessenvertretung erfolgreich war. Für Deutschland ist so eine Unterscheidung in Radfahren und Mountainbiken aber nicht unbedingt hilfreich, da bei uns das Mountainbiken generell unter den Begriff des Radfahrens fällt.
Aber ein positiver Aspekt in der Schweiz ist darin zu sehen, dass es mit der Abteilung „Langsamverkehr“ eine zentrale Behörde in der Schweiz gibt, die sich auch speziell dem Thema Mountainbike annimmt und die notwendigen Bedürfnisse und Voraussetzungen kennt und deshalb auch Singletrails als wesentliche Voraussetzung für das Mountainbiken empfiehlt. Wenn eine zentrale Behörde so eine Empfehlung gibt, dann hat dies einen anderen Rang, als wenn wir als DIMB dies seit Jahren genauso vertreten.
In Deutschland gibt es diese eindeutigen Zuständigkeiten nicht, sondern die verschiedenen Aspekte des Mountainbikens, wie Sport, Verkehr, Forstrecht oder Naturschutz, sind in unterschiedlichen Ministerien angesiedelt. Das erschwert die Interessensvertretung, weil unsere Argumente an vielen Stellen vorgetragen werden müssen. Hier könnte eine zentrale und entsprechend ausgestattete Institution auf Seiten der Behörden für uns hilfreich sein. In jedem Fall hilft es uns aber, wenn möglichst viele Mountainbiker und Mountainbikerinnen bei uns Mitglied werden und so unserer Arbeit mehr Gewicht geben.