Das Österreichische Kuratorium für alpine Sicherheit (ÖKAS) verfügt über etliche Daten von verunfallten Bergsportler*innen in Österreich. In Deutschland liegt eine solche detailreiche Datenmenge nicht vor. Kritiker der Kampagne ärgern sich aber über die Art der Kommunikation: “Diese effekthaschende Interpretation von Zahlen kenne ich sonst nur von einschlägigen Boulevard-Blättern”, sagt Szene-Urgestein Lutz Scheffer. Das Motto aus der Kampagne: Prävention ist besser als alpine Rettung. Dafür verwendet das ÖKAS Statements wie diese.
Die Studie nennt auch die guten Seiten des Sports: “Biken ist gut für Körper & Seele”. Fakten wie: “leider gibt es 50% Sturz Tote” (sic.), sollte man allerdings genauer betrachten. Hier handelt es sich um einen Zeitraum von zehn Jahren. Bei fünf der tödlichen Unfälle waren Herz-Kreislauf-Störungen ausschlaggebend (42 %), bei sechs davon Stürze (50 %). Ein tödlicher Unfall ist auf Absturz zurückzuführen. Zur Einordnung: Alleine im Zeitraum vom 1. November 2022 bis 3. Januar 2023 kamen im “organisierten Skiraum in Österreich” 13 Skifahrer*innen ums Leben (Quelle: merkur.de/Ökas).
FREERIDE: Herr Knaus, wie ist die Idee zur Kampagne entstanden?
Matthias Knaus: Aufgrund der stetigen Zunahme von Unfällen. Gemeinsam mit dem Bayerischen Kuratorium für alpine Sicherheit und assoziierenden Partnern berichten wir unter anderem über die Ergebnisse der Unfallstatistik des ÖKAS, neutral und basierend auf validen Daten. Wir wollen informieren und sensibilisieren.
Die Kampagne wurde in der Bike-Szene nicht nur positiv aufgenommen. Was ist das konkrete Ziel der Kampagne?
Weniger Mountainbike-Unfälle. Nicht zu verwechseln mit: weniger Mountainbiker*innen. Wir sind neutral und besitzen keine politischen Interessen. Wenn es einen Trend zu mehr MTB-Unfällen gibt, dann wollen wir diesem Trend durch Aufklärung und Kommunikation entgegenwirken.
Eine Aussage der Kampagne: “Die MTB-Unfälle haben sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht”. Das mag stimmen, doch vor zehn Jahren gab es doch auch viel weniger Mountainbiker.
Natürlich hat die zunehmende Anzahl von Mountainbiker einen Einfluss auf die Anzahl der Verunfallten. Doch unterm Strich sind es viele und das zählt. Besonders Rettungsorganisationen wie die Bergrettung/Bergwacht kommen an ihre Grenzen. Auch Krankenversicherungen registrieren die Zunahme an Verletzungen beim Mountainbiken. Mehr Unfälle ergeben volkswirtschaftliche Veränderungen.
Das leuchtet ein, dennoch wirkt die fehlende Einordnung der Zahl leicht tendenziös und stellt biken als extrem gefährlich dar.
Die Kampagne im Sinne aller durchzuführen ist schwer. Bisher wird sie sehr gut angenommen. Wie gesagt, es geht um die Fakten. Sobald man die Kampagne politisch betrachtet, neigen die Leute dazu es in die ein, oder andere Richtung zu interpretieren. Spannend sind die durch verschiedene Hintergründe entstehenden Diskussionen - auch diese bringen uns weiter.
Gerne würde ich über einen weiteren Slogan sprechen: „50%, Sturz, Tot“. Was ist der konstruktive Gedanke dahinter und 50 % von was?
Das ist ein Missverständnis, ein grafischer Platzhalter. Unglücklich. Der Inhalt ist hinfällig, der Look war einziger Gedanke, den wir im Zuge der Pressemitteilung vermitteln wollten. (Anm.d.Red.: Slogan wurde mittlerweile umgeändert auf: “leider gibt es 50% Sturz Tote”)
Slogans sollen Aufmerksamkeit erzeugen, dürfen auch provokant sein. Auf Autobahnen liest man: “Tipp, tipp, tot”, um vor der Handybenutzung während der Fahrt zu warnen. Wovor warnt eure Kampagne, wenn nicht vorm Mountainbiken selbst.
Es geht um Selbstüberschätzung, zu hohe körperliche Belastung, mangelnde Fahrtechnik und unzureichende Tourenplanung – die häufigsten Gründe für Unfälle. Die Statistik sagt: Am wenigsten Anteil machen die 20- bis 40-Jährigen. Die sind meist fit, wissen, was sie tun und stürzen im Verhältnis weniger. Bei den Jüngeren und Älteren dagegen ist Aufklärungs-Potenzial da. Das klassische Beispiel: Ältere Gelegenheits-Biker, die sich im Urlaub ein E-Bike ausleihen und durch falschen Umgang mit diesem auf steilen Schotter- Forststrassen stürzen. Stürze bergab und Herz-Kreislauf-Störungen bergauf sind die häufigsten Todesursachen. Darüber machen wir aufmerksam.
Wäre ein Slogan wie: “Richtig bremsen, weniger stürzen” nicht treffender?
Ein guter Slogan im Kontext der Fahrtechnik. Wir werden ihn gleich verwenden. Oftmals braucht es aber eine lautere Kommunikation, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Details und weitere Informationen zu den Slogans findet man auf unserer Website: alpinesicherheit.at/bike
Bleiben wir bei den Forststraßen. Laut der Daten passieren die meisten Unfälle auf Forststrassen und aufgrund von Herz-Kreislauf-Störungen – auch die meisten Todesfälle. Vermutlich handelt es sich hier um ältere Semester. Ähnliches könnte ebenso beim Wandern passieren.
Auf solchen Grafiken lässt sich nicht immer alles unterbringen. Von Herz-Kreislauf-Störungen sind vor allem ältere Personen ab 50 Jahren betroffen - meist beim Hochfahren. Stürze passieren auf Forststraßen sowie auf Trails, und beinahe alle Altersgruppen sind davon gleichermaßen betroffen.
Das Bayerische Kuratorium für alpine Sicherheit inklusive Mitgliedsorganisationen und Tourismus-Regionen in Oberbayern sind Partner dieser Kampagne. Macht eine länderübergreifende Kampagne Sinn, wenn die Rechtslage für Mountainbiker komplett unterschiedlich ist?
Ja, finde ich schon. Bei den Verunfallten spielt das keine Rolle. Mountainbiker sind Nomaden und grenzüberschreitend im gesamten Alpenraum unterwegs. Unfallereignisse betrachten wir unabhängig von gesetzlichen Regelungen und allgemein.
Gibt es keine Bedenken eurerseits, dass Bike-Kritiker sich durch die Art der Kommunikation bestätigt fühlen?
Uns ist klar, dass es sich hier um ein heikles Thema handelt - wir sprechen ein breites Publikum an. Wir wollen weniger Mountainbike-Unfälle und mit der Kampagne Bewusstsein schaffen. Ganz klar sind für uns auch die positiven Aspekte des Mountainbikens vordergründig. Ich bin selbst begeisterter Mountainbiker und möchte zum Schluss anbringen, dass Biken nicht nur glücklich macht, sondern auch sehr zur körperlichen und geistigen Gesundheit beiträgt.
Mich wundert die Kampagne. Sie soll Schocken, aber leider nicht aufklären. Diese effekthaschende Interpretation von Zahlen kenne ich sonst nur von einschlägigen Boulevard-Blättern. Das ist unseriös. Wer sich die Zeit nimmt und die Zahlen mit anderen Naturnutzern vergleicht, wird sehen, beim Mountainbiken passiert sehr wenig. – Lutz Scheffer, Bike-Urgestein und Bike-Konstrukteur
Mich überraschte die Kampagne. Ich sehe eine Lücke zwischen dem, was beabsichtigt war und dem, was dabei raus kam. Mir fehlt schlichtweg die positive Grundhaltung zum Mountainbiken. Schade. – Nicolas Gareis, Deutscher Alpenverein (DAV), Bereich Mountainbike und Umwelt
Wir unterstützen die Kuratorien für alpine Sicherheit in ihren Bemühungen um Prävention; weshalb wir auch selbst Partner des Bayerischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit sind. Ziel dieser Bemühungen ist immer die Sensibilisierung der Nutzer*innen, z. B. für die richtige Tourenplanung und Selbsteinschätzung, um so alpine Notlagen zu vermeiden. Wir sehen zwischen Österreich und Bayern deutliche regionale Unterschiede z. B. im Tourismus, in den vorhandenen Möglichkeiten zum Mountainbiken und in der Art der Kommunikation. Insgesamt unglücklich. Daher haben wir uns entschlossen, gemeinsam mit dem Tölzer Land Tourismus und der REO auf eine Stärkung der Fair-Bike-Kampagne des Tourismusverbandes Oberbayern-München zu setzen. Gleichzeitig sensibilisieren wir die Nutzer*innen - analog zu weiteren Verbänden - auch über unsere Trail Rules und bieten Aus- und Weiterbildungen im Bereich Outdoor Erste Hilfe an. – Sonja Schreiter, Deutsche Initiative Mountainbike e. V. (DIMB)