Henri Lesewitz
· 16.11.2022
Kein Mountainbike umweht so ein Mythos wie das Yeti C-26. Das Bike ist so selten, dass man eher dem echten Schneemensch begegnet als einem der sagenumwobenen Kultmodelle, die in einem kurzen Zeitraum ab 1989 die heiligen Hallen der US-amerikanischen Kultschmiede Yeti verließen. Umso unglaublicher: Ich, der BIKE-Reporter, durfte jetzt mit einem neuen, inzwischen mehr als 30 Jahre alten C-26 die Jungfernfahrt absolvieren! Für einen exklusiven Fahrbericht! Eine Sensation. Und gleichzeitig ein kleiner Krimi.
Was für eine Story! Der Yeti-Mythos elektrisierte mich schon als Jugendlicher. Im Jahr 1990, als ich mir von meinem Ausbildungsgeld mein erstes MTB kaufte, ein Winora High Power für 1059 D-Mark, wurde in Durango/Colorado die erste UCI-Weltmeisterschaft im Mountainbiken ausgefahren. Ich las damals im BIKE Magazin davon. Die Bilder waren so intensiv, dass sie mir nicht mehr aus dem Kopf gingen. Superhero John Tomac, der auf einem Yeti C-26 mit Rennradlenker husarenhaft beim Downhill Vierter wurde. Juli Furtado, die das Cross Country-Rennen der Frauen gewann. Ebenfalls auf einem Yeti C-26.
Es dauerte Jahre, bis ich mir den Traum vom eigenen Yeti erfüllen konnte. Das C-26 war zu dieser Zeit schon vom neuen Top-Modell A.R.C. abgelöst worden. 4000 D-Mark zahlte ich für das Rahmenset. Eine Irrsinns-Summe für damalige Verhältnisse. Doch ein Yeti war mehr als nur ein Bike. Es war eine Haltung, ein Lebensgefühl. Ein war ein Symbol für Rock’n’Roll.
Erst später, in den Nullerjahren, ploppte der Mythos C-26 im Zuge der Klassik-Welle wieder auf. Auf fast schon religiöse Art. Eine Geschichte voller Rätsel, Halbwahrheiten und unfassbarer, fast schon Thriller-artiger Storys. Nur wenig war offiziell bekannt über das Kult-Mountainbike. Umso wilder waren die Spekulationen. Wie viele Modelle wurden produziert? Was wurde aus ihnen? In den drei Jahrzehnten seit Einstellung der Produktion wurde kaum eins zum Verkauf angeboten. Und wenn so ein seltenes Ereignis Mal stattfand, dann verlangten die Verkäufer Summen zwischen 10.000 und 20.000 Euro.
Und jetzt das! Ein angeblich unberührtes Yeti C-26, das eines der letzten je gebauten Exemplare sein soll. Und ich darf es exklusiv fahren. Wie kann das sein?
Das Bike gehört Stefan Utz, dem Schweizer Importeur von Foes Bikes und Rock Lobster. Ein netter, freundlicher Enthusiast, der von den frühen MTB-Jahren zutiefst geprägt ist und dem die Wahrung der Mountainbike-Kultur extrem am Herzen liegt. Stefan und ich kennen uns seit Jahren. Aus beruflichen Gründen und über die Klassik-Szene hatten wir immer mal wieder Kontakt. Wie sich denn ein Yeti C-26 fahre, wollte ich vor einiger Zeit von ihm wissen. Da bot er mir zu meiner großen Überraschung an, das selbst herauszufinden. Mit dem Schatz aus seiner Ikonen-Sammlung, dem grauen, noch jungfräulichen C-26 MTB, dass er 2008 für eine horrende Summe einem Sammler abgekauft hatte. Echt jetzt?
Taucht man ein in die Geschichte zu Stefans Klassiker, ist man mittendrin im Nebel von Mutmaßungen, Halbwissen und Verschwörungstheorien. Über allem schwirrt die Frage: Ist es wirklich ein offizielles C-26? Oder ist es eine Spezialversion? Grund dafür sind winzige Nieten in den Carbon-Rohren. Es ähnelt fast schon einem Krimi. Doch von vorn.
Als Yeti 1989 das C-26 präsentierte, war das Futurismus pur. Der Rahmen kostete doppelt so viel wie die anderen Modelle im Yeti-Sortiment. Anders als beim Stahlrahmen F.R.O., dem bisherigen Aushängeschild, bestanden die Hauptrohre aus superleichten, Carbon-ummantelten Alu-Rohren. C9 hieß der Rohrsatz, den US-Hersteller Easton im Zuge einer Yeti-Kooperation in kleiner, exklusiver Stückzahl fertigte. Wer heute die Details recherchieren will, stößt schnell an Grenzen. John Parker, der Yeti Mitte der Achtziger gegründet und sich Ende der Neunziger frustriert über die Folgen der Yeti-Übernahme durch Schwinn aus der Bike-Branche zurückgezogen hatte, liebte den Rock’n’Roll-Lifestyle. Als Kulissenbauer in Hollywood hatte er unter anderem am DeLorean aus “Zurück in die Zukunft” mitgebaut. Mit der Schmiede Yeti lebte er den lässigen Soul des damals neuen MTB-Sport aus, obwohl er selbst gar nicht Mountainbike fuhr. Er war ein Freak. Ein Tüftler. Er war alles andere als ein Buchhalter. Er feierte das Leben statt kleinlich Archiv zu führen. Das macht die Recherche heute schwierig.
Es gibt weder gesicherte Informationen darüber, wie viele Rahmen aus den C9-Rohren entstanden. Noch, wie viele es überhaupt noch gibt. Insider vermuten, dass um die 15 Exemplare des C-26 gebaut wurden, von denen viele den Einsatz im Worldcup nicht überlebten. Weshalb es vermutlich nur noch etwa fünf bis sieben Rahmen beziehungsweise Bikes gibt. Wo? Bei wem? Das ist nur bei einzelnen Exemplaren bekannt. Jeder in der Szene kennt die Story von dem Ex-Yeti-Mitarbeiter, der angeblich die verblieben C9-Rohrsätze aus der Firma geschmuggelt hat und jetzt in seiner Wohnung hütet. Jedes C-26, das auftaucht, wird deshalb kritisch beäugt. Ist es ein echtes Exemplar? Eins aus dem Team-Umfeld sogar? Ist es ein ganz früher Prototype? Oder ist vielleicht nur eine heimlich gefertigte Replika?
Wegen der Nieten auf seinem C-26 sieht sich Stefan immer wieder dem Verdacht ausgesetzt, dass es sich nicht um eine offizielle Version handele. Zumal er selbst 2020 aus Anlass des 30. Modell-Jubiläums ein Replika-Projekt gestartet hat, in dessen Zuge sechs Rahmen entstanden. Zum Angucken nur. Als Hommage. Und vom Original aufgrund von Details zu unterscheiden, so dass keines als Original ausgegeben werden kann. Das war Stefan und seinem Kumpel, dem Rahmenbauer Reto Trachsel, wichtig.
“Ich kann nicht genau sagen, warum mein Yeti diese Nieten hat”, erzählt Stefan: “Meinen Infos zufolge war das einer der letzten gefertigten Rahmen. Und weil damals schon bekannt war, dass sich die Klebeverbindungen lösen, haben sie die Verbindungen wohl mit zusätzlichen Nieten gesichert.” Als Beleg, dass es sich um ein echtes C-26 handelt, zeigt Stefan ein altes Foto. Es zeigt den Erstbesitzer mit genau dem Rahmen-Set im Neuzustand, das er vom damaligen Yeti-Importeur Louis Kramer gekauft hat. Offenbar Anfang der Neunziger. Wofür nicht nur die schrille Musterung des Sweatshirts sowie die verbaute 1991er Manitou-Gabel ein Indiz ist. Kramer hatte 1996 in der Schweiz für Aufsehen gesorgt, weil er sich laut Zeitungsberichten wegen angeblich unbezahlter Rechnungen in einer Nacht und Nebelaktion nach Südamerika abgesetzt hatte. Der Rahmen kann deshalb nur davor entstanden sein, während der Yeti-Hochphase. Ein interessanter Hinweis: Der Rahmen auf dem Foto trägt auf dem Oberrohr den untypischen Schriftzug “Durango”. Was ungewöhnlich ist und ein Hinweis auf den Entstehungszeitraum sein könnte. Damals war Yeti von seinem ursprünglichen Standort Agoura Hills, wo die ersten C-26 entstanden, nach Durango umgezogen. Sollte der Schriftzug tatsächlich damit in Verbindung stehen, muss es sich um spätes C-26 Bike handeln. Natürlich ist es ein C-26. Aber was für eins genau? Ist es eins, das “außer der Reihe” entstand? Oder ist es sogar das letzte je gebaute Exemplar, wie manche vermuten? Das wäre der Knaller.
Stefan hat versucht, alles über den Rahmen herauszufinden. Er hat auch John Parker zweimal getroffen, der Stefans Fotos von seinem C-26 signiert hat. Dennoch gibt es immer wieder Gerüchte. Der Rahmen sei nur ein Showstück. Der Rahmen sei eine Spezialversion. Auch wir haben John Parker angeschrieben. Über Facebook, wo er laut Insidern aktiv, beziehungsweise zumindest erreichbar ist. Wir wollten wissen, ob er nähere Angaben machen kann und haben ihm Fotos von Stefans Klassiker geschickt. Eine Antwort haben wir nicht erhalten. Yeti’s ehemaliger Rahmenbau-Guru Frank “The Welder” Wadelton, den wir ebenfalls gefragt haben, hält den Rahmen für einen ganz frühen Prototypen. Einen der ersten fünf, die entstanden. Klingt logisch. Doch das Steuerrohr-Logo mit dem driftenden Yeti, das Stefans C-26 ziert, sowie der Durango-Schriftzug lassen Zweifel an dieser Theorie aufkommen. Den driftenden Yeti gab es zu Beginn der C-26-Produktion noch nicht. Zudem spricht der Durango-Sticker für einen späten Produktionszeitraum. Fragen über Fragen. Aber genau deshalb so spannend.
Es ist ein sonniger Tag als mir Stefan im Schweizer Schönbühl das Yeti C-26 übergibt. Der Spot nennt sich “Sand”. Hier wurde Ende der Achtziger das erste MTB-Rennen der Schweiz ausgefahren. Stefan war damals als Dreikäsehoch am Start. Wir haben einen soften Ride vereinbart. Schotterwege, einfache Trails. Keine verblockten Passagen, keine Sprünge. Zu groß wäre die Gefahr, dieses rare Stück Zeitgeschichte zu zerstören. Den Laufradsatz mit dem empfindlichen Tioga Disc Wheel hat Stefan für den Ride gegen einen normalen, zeitlich passenden Laufradsatz getauscht. Trotzdem bin ich nervös. Eine wabernde Angst durchfährt mich, dass dem Bike was passiert. Gleichzeitig empfinde ich aber eine gewisse Dringlichkeit angesichts des bis zum Platzen aufgeladenen C-26-Mythos, mal etwas über die Fahreigenschaften herauszufinden. Genießt dieses Bike seinen Ruf nur aus Gründen nostalgischen Schwelgens? Oder fuhr es sich tatsächlich so grandios? Als Besitzer eines 1993er Yeti A.R.C., des direkten Nachfolgemodells aus Alu, kann ich das, so glaube ich, ganz gut beurteilen. Nur hoffentlich hält das Teil. Sammler würden bis zu 20.000 Euro für ein Yeti C-26 zahlen.
Vorsichtig, ganz vorsichtig sitze ich auf. Mit soften Tritten bringe ich das C-26 in Schwung. Die Geometrie passt super. Nicht zu gestreckt, aber dennoch sportlich. Was sofort auffällt. Der Rahmen ist alles andere als seitensteif. Sobald man fester in die Pedale tritt, winden sich der Hinterbau und der Tretlagerbereich unter der Belastung. Ich schrecke zusammen. War das ein Knacken? Puh, Glück gehabt. Das Geräusch kam von einem Stein, nicht vom Rahmen. Ich bin überrascht, wie leichtfüßig und agil das C-26 über die Piste rollt. Knapp 11 Kilo Gewicht waren damals eine kleine Sensation und fühlen sich noch heute angenehm an. Die massiv gebaute Manitou-Gabel ist leider schon mit dem Schotterweg heillos überfordert. Die Elastomere im Inneren scheinen vollständig ausgehärtet. Früher, als sie noch frisch waren, haben sie wenigstens die Belastungsspitzen weggepuffert. Jetzt reagieren sie nicht mal auf gröbere Wurzeln. Dafür funktionieren die XTR-Komponenten tadellos. Die Schaltung mit dem weich arbeitenden Rapid Fire-Hebel sortiert die Gänge, dass es eine Freude ist. Die Cantilever-Bremsen verzögern okay. Zumindest souverän genug für meine gedrosselte Action. Die Runde ist viel zu schnell vorbei. Alles heil. Gott sei Dank!
Fazit: Das Yeti C-26 war aus damaliger Sicht zweifellos ein spritziges, agiles Race-Bike. Aus heutiger Sicht betrachtet ist es ein windelweiches MTB mit eher gutmütigem Charakter. Das 1992 vorgestellte Yeti A.R.C. mit dem weltersten konifizierten Alu-Rohrsatz, fährt sich um Welten besser, weil viel direkter. Das C-26 ist ein beeindruckendes Zeugnis damaliger Experimentierfreude und Innovationslust. Es ist und bleibt eine Ikone. Woran die legendären Fotos von John Tomac und Co. aber vermutlich eine größere Aktie haben als der tatsächliche Fahrcharakter des Bikes.