Timo Dillenberger
· 30.11.2023
Es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass man beim Radfahren grundsätzlich keine Kopf- oder Ohrhörer tragen darf. Denn das ist so nicht korrekt! Laut Straßenverkehrsordnung ist es nicht generell verboten, das wäre auch komplett unfair im Vergleich zum Pkw. Für beide Verkehrsmittel gilt dieselbe Regel: Es ist die Lautstärke und nicht die Beschallung selbst, die legalen von illegalem Musikgenuss unterscheidet. Selbst der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) hatte hierzu zwar keine konkrete Dezibelangabe parat, aber wem würde die auch etwas nutzen? Denn die Lautstärkeempfindung ist recht individuell und vor allem von außen schwer abzuschätzen. Das wird besonders dann wichtig, wenn es später um die polizeiliche Seite geht.
Sowohl im Gesetzestext als auch im Leitfaden des ADFC heißt es, das Gehör des Fahrers dürfe durch die Musik oder auch Sprache – man denke an Telefonate oder Podcasts – nicht mehr als unerheblich beeinträchtigt werden. Das ist natürlich eine eher schwammige Formulierung. In der Rechtsprechung halte man sich wohl an ein Urteil aus dem Jahr 1987, so der ADFC; damals ging es noch um einen Walkman mit Tonbandkassetten.
Im innerstädtischen Gebiet betreffe diese Regelung aber über den Daumen gepeilt einen von zwanzig Autofahrern, bei denen die Musik sogar den getunten Motor übertöne und das Blech des Pkw sichtbar mitschwingen lasse. Man hört aber sehr selten davon, dass Autos wegen lauter Musik gestoppt und mit einer Ordnungswidrigkeit belegt wurden, wenn nicht ein weiterer Verstoß dadurch verursacht worden ist. Radfahrer hingegen berichten öfter davon. Auf die möchten wir uns hier konzentrieren.
Und wer kann uns dazu mehr sagen als eine Polizeihauptkommissarin bei der Fahrradstaffel Köln? Sonja Bongartz berichtet uns, dass es recht regelmäßig vorkommt, dass sie Radfahrer auf eine Beeinträchtigung des Gehörs bzw. eine verminderte Konzentration aufmerksam machen muss. Das reine Tragen von Kopfhörern interessiere sie dabei weniger, eher die für ihr erfahrenes Auge offensichtliche “Abwesenheit” des Radfahrers. “Verstöße mit Ansage” nennt sie das. Für die Polizistin ist es sogar weniger die Übertönung des Verkehrs, die gefährlich sei. Viel mehr noch hält sie die Ablenkung durch Musik, Hörbücher oder Gespräche für gefährlich.
Die Menschen seien durch so etwas in einer Art Tunnel, das bringe sie in gefährliche Situationen, und die Lautstärke verhindere dann, dass man entsprechende Warnsignale wahrnehme. Oft genug setzt sie solchen “gefährdeten” Personen mit ihrem Bike nach, ruft und pfeift auf den Fingern, erfährt aber keinerlei Reaktion. Es sei laut § 23 Absatz 1 der StVO aber die Pflicht des Fahrzeugführers, für ein freies Gehör zu sorgen. Die zehn Euro Verwarngeld sind aber wohl das kleinere Übel, verglichen mit dem, was einem im “Wimmelbuch des Kölner Straßenverkehrs”, wie Bongartz es nennt, passieren kann.
Wichtig: Wer wegen der Ablenkung zum Beispiel eine rote Ampel überfährt, wird dafür ein deutlich höheres Bußgeld bekommen. Kombiniert werden können solche Strafen aber nicht. Sammeltatbestand nennt man das. Im Allgemeinen gibt’s dafür die höhere des zur Anwendung kommenden Verwarngeldes. Große Chancen, um ein solches Verwarngeld herumzukommen, indem man behauptet, die Musik sei leise genug oder die Kopfhörer seien ungenutzt gewesen, habe man laut der Hauptkommissarin nicht. Denn wer auf die Rufe oder Pfiffe eines Beamten nicht reagiert, gilt als erheblich beeinträchtigt, vergleichbar mit dem Überhören einer Ansage über Lautsprecher aus dem Streifenwagen heraus oder eines Einsatzhorns.
Aber wo liegt denn jetzt die Grenze zwischen einer unerheblichen und einer wirklichen Beeinträchtigung des Radfahrers? Für uns hat das auch immer etwas mit der jeweiligen Verkehrssituation zu tun und lässt sich nicht stoisch vorschreiben. Wie das aber eine Verkehrsstreife, ein Kontrolleur oder gar ein Gericht bzw. eine Versicherung abschließend bewertet, können wir nicht voraussehen. Als Faustregel sollte aber gelten: Je unübersichtlicher die Verkehrslage und je höher die Geschwindigkeit, desto weniger Außengeräusche sollte man abblocken oder überdecken.
Da auch oder ganz besonders die eigene Gesundheit davon abhängt, ob man ein Rufen, Klingeln, Hupen oder Reifenquietschen hört, sollte man im engen städtischen Verkehrsraum komplett auf Schallquellen verzichten, ganz besonders auf diejenigen, die ins Ohr gestöpselt oder über die Ohrmuschel gestülpt werden. Sonja Bongartz rät grundsätzlich davon ab, die Ohren zu bedecken. Das schließe sogar die dicken Ohrwärmer ein, die im Winter recht beliebt sind. Moderne Audiosysteme arbeiten sogar mit einer Technik namens “Active Noise Cancelling”, bei der die Umgebungssounds durch eine Art Gegenschall ausgelöscht werden – fatal im Stadtdschungel, die Funktion ist aber bei den allermeisten Geräten deaktivierbar.
Außerhalb von Ortschaften, besonders auf reinen Radwegen, halten wir Musikgenuss oder auch mal ein Telefonat für vertretbar, immer aber mit einer Lautstärke, die Warnsignale noch klar hör- und unterscheidbar macht. Dazu kann man bei der Abfahrt testweise selbst die Klingel betätigen oder einen Mitfahrer bitten, einem mit kräftiger Stimme anzusprechen; beides sollte man deutlich wahrnehmen können. Das Landgericht in Aachen und das Oberlandesgericht in Brandenburg gaben Bikern ein Drittel bzw. die halbe Mitschuld, weil sie das Einsatzhorn eines Krankenwagens überhört hatten. Von spannenden Hörbüchern oder fesselnden Podcasts raten wir eher ab. Hier waren uns die Erfahrungen der Hauptkommissarin eine klare Empfehlung: leichte Untermalung ja, inhaltsvolle Ablenkung nein!
Bisher ging es ja nur um das “Ob und wie laut”, wir haben uns aber auch Gedanken über das Womit gemacht? Die Hardware zum Musikgenuss auf dem Rad liegt immer irgendwo zwischen Klangqualität und Verkehrssicherheit, alle hier vorgestellten Produkte haben in dieser Bandbreite ihre Daseinsberechtigung und stehen jeweils als Beispiel für eine ganz spezielle Art von Beschallung. Wer selten Rad fährt, dafür jedoch Schwimmen oder Joggen geht, legt vielleicht Wert auf andere Qualitäten.
Fünf Varianten haben wir exemplarisch herausgesucht: Die klassischen Kopfhörer mit einer über das Ohr reichenden Muschel, die aktuell beliebten In-Ear-Kopfhörer, auch Stöpsel oder “Ear Pods” genannt, die recht neuen “Bone Conduction”-Modelle, die mit Schalleinleitung über den Schädelknochen arbeiten, spezielle helmintegrierte Systeme mit Lautsprechern sowie windgeschützte Mikrofone am Kinngurt und nicht zuletzt die Beschallung über eine frei am Rad montierbare Bluetoothbox gibt’s übrigens auch für den Flaschenhalter.
Mit der Box am Lenker und nicht in der Nähe oder auf dem Gehörgang ist die Wahrnehmung umgebender Geräusche natürlich am leichtesten. Die Musik kommt via Bluetooth von einem Mobiltelefon oder einem anderen Player mit entsprechender Schnittstelle. Die Steuerung der Lautstärke und die Titelauswahl kann einfach über Tasten auf der Box gesteuert werden.
Das Gerät in der Größe eines Portemonnaies wiegt dabei nur ein halbes Pfund, und der 1050 mAh große Akku hält für vier bis fünf Stunden Musikgenuss. Die Lenkerklemmung ist im Lieferumfang enthalten. Nachteil: Die maximal 85 Dezibel Lautstärke hört nicht nur der Fahrer, sondern auch jeder im weiteren Umkreis. Selbst bei gleichem Musikgeschmack führt das schon mal zu Anfeindungen. Selbst im Wald könnte man damit das Wild unnötig stören (Verletzung Landesemissionsgesetz). Preis: 79,90 Euro >> hier erhältlich.
Die Miiego Ear Pods stehen für alle Kopfhörer, die in den Gehörgang eingeschoben werden. Die Miirythm II zeichnen sich als Sportmodelle durch besonders festen Sitz dank einer Umhüllung aus Memoryfoam aus, außerdem widerstehen sie nicht nur Regen, sondern auch dem unvermeidlichen Schweiß. Trotz ihrer geringen Größe – man sieht nur einen kleinen Teil aus der Ohrmuschel ragen – sind Sound, Bluetoothverbindung und Akkulaufzeit hervorragend: Bis zu 36 Stunden lang kann man hören.
Durch ihre Platzierung ist nicht viel Schalldruck nötig, um satte Bässe und klare Höhen zu produzieren, aber genau dieser Sitz verhindert leider auch, dass Außengeräusche den Weg ins Gehör finden. Selbst ohne Musikübertragung ist man recht abgeschottet, weil der Memoryfoam den Gehörgang super abdichtet. Als Sportkopfhörer für alle möglichen Sportarten klasse, in der Stadt jedoch keine so gute Wahl! Preis: 89,00 Euro inklusive Ladeetui >> hier erhältlich.
Es klingt erst mal “spooky” oder ungesund: Schalleinleitung durch die Schädelknochen! Die Enden des Wing mit ihren Schwingspulen sitzen tatsächlich sehr nah am Knochen, ihre Bewegungen erzeugen keine Wellen in der Luft, sondern Vibrationen im Knochen, die sich bis zum Hörorgan fortsetzen und dort wie normaler Schall wahrgenommen werden. Nur bei sehr starken Bässen spürt man ein minimales Kitzeln an der Kontaktstelle, sonst ist der Klang nicht zu unterscheiden. Es kommt etwas darauf an, wo und wie die Spulen positioniert sind.
Je nach Kopfform und Helm können einzelne Tonhöhen etwas verlorengehen. Im Test war die Quali super, übrigens auch beim Schwimmen und Telefonieren auf dem Rad. Das Gehör bleibt frei, die Geräusche mischen sich zwar, aber die Wahrnehmung ist deutlich niedrigschwelliger als bei klassischen Kopfhörern. Kleine Mankos: Bei viel Wind wetteifern Musik und Windgeräusche, und die Knöpfe sind recht klein. Inklusive roter LED zur besseren Sichtbarkeit hält der Akku rund zehn Stunden. Negative Folgen von “Bone Conduction” sind bisher nicht bekannt. Preis: 199,00 Euro inklusive Ladestation >> hier erhältlich.
Wenn schon Kopfhörer auf dem Rad, dann doch bitte welche, die nicht dem Helm in die Quere kommen. Das Modell AL3+ mit seinem Nackenbügel passt prima zum Kopfschutz und sitzt fest – dank dem flexiblen Bügel, der sich quasi um das obere Ohr windet –, auch auf ruppigen Straßen! Als sogenannte “On-Ear-Hörer” bedecken sie fast die komplette Ohrmuschel, es gibt aber keinen rundum laufenden Rand wie bei den Over-Ear-Varianten. So kann tatsächlich noch ein Rest von Außenschall in die Ohrmuschel eindringen. Der Sound ist räumlicher und ausgewogener als bei Pods, und auf langen Touren sitzt solche ein Model auch komfortabler.
Ein zusätzlicher Vorteil des AL3+ sind die Bedienknöpfe am Hörer; Handy oder andere Bluetooth-Abspielgeräte bleiben in der Tasche. Auch Telefonieren ist dank des eingebauten Mikros gut, die Windgeräusche für den Angerufenen sind etwas stärker als beim Suunto Wing oder Aleck. Mit 41 Gramm und elf Stunden Akkulaufzeit ist das wasser- und schweißresistente Gerät für Überlandfahrten und alle Sportarten ohne Rad super. In der Stadt sollte man aber sehr auf die Lautstärke achten. Preis: 89,00 Euro >> hier erhältlich.
Die Near Ear Audio Comms sind die neueste Variante auf dem Markt und kommen aus dem Ski- und Snowboardbereich. Es handelt sich speziell für die Helmmontage entwickelte kleine und leichte Lautsprecher inklusive Mikro, die am Helmgurt montiert werden und durch die Nähe zum Ohr mit wenig Lautstärke auskommen. Ein Set beinhaltet zwei 16 Gramm leichte Punks für rechts und links mit dreifach windgeschütztem Mikro. Die Montage dauert nur ein paar Sekunden. Trotz der federleichten Lautsprecher ist der Klang überraschend satt, wobei er nicht ganz zu vergleichen ist mit guten Over- und In-Ear-Modellen. Offenbar nimmt die Position vor dem Ohr die Windgeräusche zum Großteil weg.
Das akustische Signal kommt auch während der Fahrt sauber an. Für Sprache eignet sich das System sogar noch besser als für Musik; beides kommt übrigens auch hier über Bluetoothgeräte. Eine Besonderheit der Punks: Sie erlauben Gruppenkommunikation mit anderen Usern, das heißt entweder eine Art Walkie-Talkie-Funktion oder Konferenzmodus über eine App, ohne dass man das Telefonguthaben verbraucht. Dies und die gute Sprachqualität in beide Richtungen auch bei viel Wind macht diese Ohrhörer ideal für Pendler. Das Ohr ist nicht nur frei wie beim Wing, die Mischung aus Musik und Außengeräuschen ist auch klarer unterscheidbar. 139,95 Euro / 260,95 Euro (1er-/2er Set).
* Beeinträchtigung des Gehörs: 0 = sehr stark / 5 = quasi keine
In den Infogeschichten über die Biomechanik des Tretens und in den Reportagen übers Bikefitting der letzten Ausgaben war immer mal wieder von der idealen Trittfrequenz beim Radfahren die Rede. Das absolute Optimum, was muskuläre und koordinative Effizienz angeht, ist nicht hundertprozentig zu beziffern und liegt zusätzlich in einem Bereich, bei dem sich die Beine von Nichtsportlern schon mal verheddern, aber so ganz grob sollte man 80 bis 90 U/min anpeilen. Die Kadenz, wie das Fachwort heißt, kann man elektronisch messen lassen oder selbst zählen.
Viel einfacher und kurzweiliger ist es aber, seine Musik mit entsprechend viel oder wenig BPM, also Taktschlägen pro Minute, auszusuchen und einfach im Rhythmus der Musik zu treten. Auch auf die Gefahr, nicht jedermanns Geschmack zu treffen, haben wir eigens zwei Playlists zusammengestellt, die genau darauf ausgerichtet sind. Musikplaylist 1 mit 80 bpm für die gemütlichere Genusstour und Playlist 2 mit 90 bpm für eher sportlich-motivierte Runden. Auch wer nicht bei Spotify angemeldet ist, kann mit der entsprechenden App kostenlos die Listen anhören -einfach den QR-Code scannen: