Multitalent Steffi Marth springt Grafton Road Gap

Laurin Lehner

 · 02.03.2016

Multitalent Steffi Marth springt Grafton Road GapFoto: FREERIDE Magazin
Multitalent Steffi Marth springt Grafton Road Gap

Steffi Marth gilt als beste deutsche Racerin. Doch das interessiert kaum. Steffi ist hübsch – das zählt! Nun ist Deutschlands Gravity-Queen das legendäre Grafton Road Gap in Utah gesprungen.

  Steffi Marth segelt über das legendäre Road Gap in Utah. Die komplette Geschichte dazu, gibt's in FREERIDE 1/16, die gerade am Kiosk liegt.Foto: FREERIDE Magazin
Steffi Marth segelt über das legendäre Road Gap in Utah. Die komplette Geschichte dazu, gibt's in FREERIDE 1/16, die gerade am Kiosk liegt.

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Der Fotograf hat bereits seine Blitzanlage aufgebaut. Zwei Profi-Bikerinnen warten neben ihm in bunten Bike-Klamotten, denn gleich wird das Mode-Shooting beginnen. Die Frauen sollen fürs Foto an der Bikewash-Station mit dem Dampfstrahler rumspritzen und dabei gut aussehen. Eine Bikerin fehlt noch – auf sie warten alle: Steffi Marth. Und da kommt sie endlich angeradelt. Wacher Blick, blaue Funkelaugen, zierliches Näschen, dunkle, lange Haare, Glitzersteinchen auf der oberen Zahnreihe. Gerade hat sie für ihren Sponsor noch Journalisten über die zornigen Trails am Gardasee geführt. Jetzt ist sie hier.

Steffi betritt das Set wie ein Filmstar. Ihr gehört die Hauptrolle – das ist allen klar. Großes Hallo mit Fotografen und Profi-Kolleginnen. Bussi links, Bussi rechts. Schnell umziehen. Hellblaue Klebestreifen an ihrer Schulter erinnern an den Downhill-Worldcup in Lourdes. Anscheinend sind die Bänder angerissen, doch so genau konnte der Arzt in Frankreich das nicht sagen. Über den Sturz kurz vor dem Finale ärgert sie sich jetzt noch. "Ich hatte nur die zwei großen Sprünge im Kopf – die restliche Strecke habe ich dabei ganz vergessen", sagt Steffi. Sie wählte die falsche Linie, ein Absatz, ein Sacken vorne, ein Hieb von hinten – Steffi landet direkt auf dem ausgestreckten Arm. Rennen vorbei, Notaufnahme. Doch jetzt ist sie hier am Gardasee und muss die Rollen tauschen. Statt Steffi, die Racerin, nun Steffi, die hübsche Markenbotschafterin. Sie schlüpft in ein neues Outfit und schnappt sich den Dampfstrahler. Der Fotograf drückt wie ein Morsefunker auf den Auslöser seiner Kamera. Klick, klick – klick!

  Steffi Marth beim Fotoshooting für die BIKE-Porträtgeschichte.Foto: Nathan Hughes
Steffi Marth beim Fotoshooting für die BIKE-Porträtgeschichte.
  Schnell und schön: Steffi Marth weiß, wie sie ihr Bike fürs Foto stylisch in den Turn legen muss, ihren Profi-Kolleginnen scheint sie das nicht zu verraten.Foto: Nathan Hughes
Schnell und schön: Steffi Marth weiß, wie sie ihr Bike fürs Foto stylisch in den Turn legen muss, ihren Profi-Kolleginnen scheint sie das nicht zu verraten.

Steffi Marth ist Deutschlands schnellste Racerin, im Downhill und beim Fourcross. Doch trotz Medaillienflut und Siegertreppchen scheint in der männerdominierten Mountainbike-Szene nur eines zu zählen: dass Steffi gut aussieht und ein Lebensgefühl ausstrahlt, nach dem sich alle sehnen. Dass sie sich seit Jahren als eine der wenigen Deutschen mit der internationale Race-Elite misst, gerät da oft in Vergessenheit.

Der Drang sich zu messen, erwischte Steffi früh im Leben. Damals traf der Bürgermeister ihres Wohnortes Plessa eine ungewöhnliche Entscheidung, die ihr Leben verändern sollte. Zu dem Zeitpunkt spielte Steffi Handball im Verein, wie die meisten ihrer Freundinnen. Das wäre auch so weitergegangen, hätte sich der Bürgermeister in dem 3000-Seelenort nicht plötzlich für den Bau einer BMX-Strecke entschieden. Eine große Sensation in einem kleinen Dorf. Steffi wollte bald nur noch die Wellen surfen. Sie jagte ihr kleines Rad von morgens bis abends über den Parcours, oft schneller als die Jungs. BMX ist kein Mädchensport, entsprechend irritiert reagierten Steffis Eltern auf die Begeisterung ihrer Tochter. Erst als sie ihr erstes Rennen gewann, nahm Papa Marth das Hobby ernst und reiste von nun an mit zu allen Rennen. Die 12-jährige Steffi stieg fast immer aufs Siegertreppchen – meistens bis ganz nach oben.

Als das Leistungszentrum in Cottbus 2003 mit Blick auf kommende Olympiaden händeringend nach Bahnradsportlerinnen suchte, stießen die Offiziellen beim Durchforsten der Ergebnislisten immer wieder auf einen Namen: Marth, Steffi (Plessa). "Plötzlich galt ich als Olympia-Hoffnung", erinnert sich Steffi. Sie verließ von heute auf morgen die zwölfte Klasse und zog nach Cottbus ins Sportinternat. Steffi trainierte, bis die Oberschenkel nicht mehr in die Jeans passten. Nach Hause fuhr sie nur einmal im Monat.

  Wer im Downhill-Worldcup bestehen will, muss fit sein und regelmäßig in den Kraftraum.Foto: Nathan Hughes
Wer im Downhill-Worldcup bestehen will, muss fit sein und regelmäßig in den Kraftraum.

Es war im Sommer 2006. Fußball-Deutschland träumte gerade ein schwarz, rot, goldenes Sommermärchen. Da stand Steffi in einem miefigen Kraftraum. Sie holte tief Luft, ging in die Knie und wuchtete mit aller Kraft 110 Kilo in die Höhe. Die Adern wölbten sich aus den Schläfen. Es war der Moment, in dem Steffi ahnte, dass es nicht reichen würde. Dass es nichts werden würde mit der Olympiateilnahme in Peking und der großen Radsportkarriere. "Sechs Trainingstage die Woche, drei bis fünf Stunden – alles umsonst", erinnert sich Steffi. Olympia fand ohne sie statt. Aus Frust startete sie mit ihrem 24-Zoll-BMXer samt Starrgabel bei einem Mountainbike-Rennen. Und gewann. Die Disziplin Fourcross lag ihr auf Anhieb, denn sie ähnelt dem BMX-Racing: eine Strecke, mehrere Fahrer, Sprints, Ellenbogeneinsatz. "Es schien so einfach", grinst Steffi.

Trotz massig Rennerfolge verhalf ihr schließlich eine Zufallsbegebenheit zum Profi-Vertrag. Ein Typ namens Daniel Geiger rief bei den Marths an und wollte Steffi sprechen. Geiger, ein Szene-Fotograf, war fasziniert von Steffis natürlicher, fröhlicher Ausstrahlung. "Er wollte mich für den Cyclepassion-Kalender fotografieren. Den Begriff musste ich erst mal googlen", so Steffi. Was sie im Internet herausfand, machte sie erst mal sprachlos. Der Cyclepassion-Kalender war eine Zusammenstellung von softerotischen Sportler-Porträts.

Nach einigem Zögern sagte sie zu. Steffi posierte mit Schmollmund und Schlafzimmerblick vor der Kamera – ihre nackten Brüste bedeckt sie dabei mit zwei Fahrradhelmen. Nach dem Shooting riet ihr der Fotograf, sie solle sich doch mal beim Fahrradhersteller Trek vorstellen. Dort würde nämlich gerade nach hübschen Bikerinnen für ein neues Team gesucht, das den Namen "Gravity Girls" trage.

  Karrierebeschleuniger: Der Cyclepassion-Kalender hat Steffi Marth bekannt gemacht.Foto: Nathan Hughes
Karrierebeschleuniger: Der Cyclepassion-Kalender hat Steffi Marth bekannt gemacht.

Mit dem Cyclepassion-Kalender unter dem Arm fuhr Steffi zur Eurobike und stellte sich vor. Der PR-Mann war begeistert. Nicht ohne Grund, denn Steffi erobert Herzen auch ohne Bestzeiten. Wo andere argumentieren müssen, reicht Steffi ein Wimpernaufschlag und ein Lächeln, und alle schmelzen dahin.

Ein Kalender-Shooting als Türöffner für eine Karriere als Profi-Bikerin? "Ja, leider", sagt Steffi heute. Viel lieber hätte sie die Mountainbike-Welt als erfolgreiche Racerin erobert. Doch sie wurde das hübsche Gesicht im Bikesport, Miss Gravity, "sexy Steffi". Ihre Leistung als Bikerin schien zweitrangig.

Die Freeride-Szene nahm Steffi dankbar auf. Sex sells. Firmen gieren nach schönen Frauen, die das Lebensgefühl des Freeridens vermitteln können. Ihr Sponsor schickt sie an die schönsten Plätze der Welt. Steffi auf der chinesischen Mauer. Steffi strahlend im Anlieger auf Hawaii. Steffi im schulterfreien Tanktop beim Balanceakt auf Kanadas Northshore-Leitern. Mit Bildern wie diesen landet sie seit Jahren auf Titelseiten und Kalenderbildern. Selbst Fotos werden gedruckt, die Bildredakteure rigoros aussortiert hätten, wäre es ein männlicher Kollege und nicht sie, die da mit einem Lächeln um die Kurve fährt. Auch die Fotografen wissen das. "Auf Bildern von Steffi bleibst du selten sitzen", weiß Fotograf Wolfgang Watzke.

Dass sie keine Rennen gewinnen muss, um erfolgreich zu sein, merkte Steffi ziemlich bald und spielt die Rolle der Miss Gravity bereitwillig. Dazu ist sie smart und setzt ihren Scharfsinn gezielt ein. Im Trek-Gravity-Team gilt sie als die inoffizielle Chefin und sagt, wo es langgeht. Sie schreibt Kolumnen für Magazine. Sie erarbeitet Promo-Konzepte. Sie brütet Ideen für Reisereportagen aus. Manche stöhnen, sie sei überpräsent. Andere unterstellen ihr sogar eine gehörige Portion Berechnung und sehen in ihrer Beziehung zu Fotograf Nathan Hughes strategisches Kalkül. Denn jeder Profi ist auf aktuelles Bildmaterial angewiesen, was in der Praxis mit viel Aufwand verbunden ist.
"Zweckmäßiger geht’s doch nicht: sie, das Bike-Sternchen, er, der Fotograf – davon haben beide was", lästert ein Szenekenner hinter vorgehaltener Hand.

Es gibt sogar Stimmen, die Steffi vorwerfen, sie erzwinge ihr Profi-Dasein und wirke dabei manchmal so hartherzig wie Heidi Klum bei der TV-Show Germany’s next Topmodel. Für Leute, die nicht mitziehen, zeige sie angeblich wenig Verständnis. Im Internet finden sich viele solcher Kommentare. Davon lässt sich Steffi aber nicht aus der Ruhe bringen. "Klar ärgert mich das", sagt sie und gibt sich professionell: " … doch das darf man nicht an sich ranlassen."

  Will immer und überall Gas geben – gerne auch auf der Motocross-Maschine.Foto: Nathan Hughes
Will immer und überall Gas geben – gerne auch auf der Motocross-Maschine.

"Ich versteh die Aufregung nicht. Steffi ist hübsch, sitzt gut auf dem Bike und verströmt das vitale Lebensgefühl, das zum Freeriden passt. Kurzum: Sie ist die ideale Botschafterin für den Sport", meint Dimitri Lehner, Chefredakteur von FREERIDE, "Von Holger Meyer, Rob J oder Tibor Simai erwartet auch keiner, dass sie die Red Bull Rampage gewinnen", so Lehner.

In Wirklichkeit wurmt Steffi aber das Image des Pretty Face. Sie will lieber Leistung zeigen und für ihre Rennerfolge geachtet werden. So wie Downhill-Weltmeisterin Rachel Atherton.

Die startet beim Fourcross-Worldcup und landet sogar ab und an unter den Top fünf. "Danach kräht kein Hahn, zumindest nicht bei den Frauen", weiß die 7fache Deutsche Downhill-Meisterin Antje Kramer: "Wenn du als Racerin anerkannt werden willst, musst du international ganz vorne mitfahren, möglichst konstant." Steffi feierte bereits kleine Erfolge. Die großen aber blieben bislang aus. Dennoch träumt sie den Traum vom internationalen Durchbruch als Rennfahrerin weiter. Als Ende 2011 die UCI den Fourcross aus dem Programm strich, standen viele Racer bedröppelt da. Steffi nicht. Sie weiß, dass sie für ihren Arbeitgeber ohnehin als Fotofahrerin viel wertvoller ist.
2014 startete sie das erste Mal im Downhill-Worldcup und schlug sich beachtlich. Bei einem der nächsten Rennen schaffte sie es sogar im Finale auf Platz 14.

  Selbst ist die Frau: Auf Rennen repariert Steffi ihr Bike oft selbst.Foto: Nathan Hughes
Selbst ist die Frau: Auf Rennen repariert Steffi ihr Bike oft selbst.

"Da wusste ich, dass ich im kommenden Jahr den kompletten Worldcup mitfahren wollte", sagt Steffi. Zwar gilt sie als ehrgeizig und trainingsstark. Den internationalen Race-Durchbruch traut ihr jedoch kaum einer zu. "Wer im Downhill-Worldcup aufs Podium fahren will, muss sich nur darauf konzentrieren und darf nicht auf mehreren Hochzeiten tanzen", sagt Deutschlands erfolgreichster Downhiller Marcus Klausmann.

Was andere glauben, ist Steffi jedoch egal. Sie will weiter hart trainieren und beim Worldcup antreten. Doch Steffi wäre nicht Steffi, würde sie alles nur auf eine Karte setzen. Dass andere Profi-Sportler nach dem Karriere-Aus mit leeren Händen dastehen, kann ihr nicht passieren. Den Master in Architektur hat sie schon lange in der Tasche. Das Studium für PR und Marketing ist so gut wie fertig, ein weiterer Studiengang ist geplant. "Journalismus interessiert mich. Vielleicht mache ich das noch", überlegt Steffi.

Nächstes Jahr wird sie 30 Jahre alt. Ihre Verträge laufen noch drei Jahre, doch sie will noch eine ganze Weile weitermachen. Ihr gefällt das Leben als Miss Gravity. Leben im Rampenlicht. Biken an den schönsten Plätzen der Welt. Spaß auf den Trails statt Alltagsroutine im Bürojob.

Es ist früher Nachmittag, das Mode-Shooting ist beendet. Dem Dampfstrahler geht auch langsam der Dampf aus. Steffi lacht. Der Fotograf holt die Kamera wieder raus und knipst auf gut Glück weiter, dass die Megabites nur so auf den Speicherchip quellen.

"Fertig?", fragt Steffi. Sie muss weiter. Autogramme geben und Projekte mit Sponsoren besprechen. Nächste Woche geht es mit Freund Nathan nach Japan – natürlich zum Biken. Und klar: Eine schöne Foto-Story wird bestimmt auch wieder dabei rausspringen.


INFOS STEFFI MARTH


Vita 19. August 1985 in Plessa (Brandenburg) geboren.
Karriere 1997–2007 BMX (EM- und WM-Rennen), 2007–2013/14 Fourcross (Worldcup und Protour, WM), 2014, 2015 Downhill-Worldcup
Erfolge Bronze Fourcross WM 2014, 5fache Deutsche Meisterin (BMX, Fourcross), 5. Platz Fourcross Weltcup Val di Sole 2010, 2011, Bronze Downhill DM 2014
Hobbys Rätseln (nicht lachen!), studieren, moto­-crossen, Ski fahren, zu Hause in Plessa sein
Kontakt www.steffimarth.com


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