Henri Lesewitz
· 21.07.2005
John Tomac ist die vielleicht größte Legende im Mountainbiken. Der Kult um den besten Biker aller Zeiten wird zelebriert. Seine Geschichte ist nicht weniger als die Geschichte des Bike-Sports.
Es war die übliche Plörre. Dieser lauwarme Billigsekt, den sich die Sieger für die Presse-Fotografen in den Rachen schütten. Wieder mal lief die Brühe über das Gesicht von John Tomac (37, Stand 2005). Doch noch nie war sie so gut wie an diesem Herbsttag im vergangenen Jahr (2004). Nur zum Spaß war er angetreten, um noch einmal den Hauch des legendären Kamikaze-Downhills von Mammoth zu spüren. Er hatte weder trainiert, noch zu viel riskiert. Vier Jahre lang war der große „Johnny T.“ kein Rennen mehr gefahren – nur mit dem Traktor über seine Farm getuckert. Jetzt gurgelte er Siegersekt und die Bikerwelt taumelte im Glücksrausch mit. Der König war zurück ganz oben. Eben da, wo er hingehört.
Um keinen Mountainbiker der Geschichte wurde je ein größerer Kult betrieben als um John Tomac. Noch heute wird er verehrt, von Autogramm-Jägern verfolgt, vergöttert. Siebzehn Jahre dauerte seine Karriere; sein Ruhm wohl noch ewig. Dabei fühlte sich Tomac auf dem Sockel stets unwohl. Er trug biedere Karo-Hemden und Jeans. Wirkte verschlossen, fast schüchtern. Und Interview-Fragen beantwortete er am liebsten mit „Ja“ oder „Nein“. Er wollte nie ein Popstar sein wie Downhiller Shaun Palmer, der besoffen in die Mikros rülpste, kein eitler Geck wie Bikepionier Gary Fisher, der sich gerne in schicken Klamotten vor Kameras räkelt. Er wollte nur eines sein – John Tomac, der beste Biker aller Zeiten.
Das klingt bescheiden und wiederum nicht. Denn die Geschichte des Jungen aus Owosso im US-Bundesstaat Michigan ist nicht weniger als die Geschichte des Mountainbikens selbst. Als Halbstarker fuhr er BMX-Rennen und wurde mit sechzehn Jahren US-Meister. Kurz darauf bekam er von Mongoose seinen ersten Profivertrag. Als sein Sponsor die ersten Geländeräder ins Sortiment nahm, stieg er aufs Mountainbike um – der neue Sport schien die Zukunft. Die Gegner hatten fortan keine Chance. Parallell ging Tomac bei Straßenrennen an den Start, wurde Profi und fuhr sogar in der Nationalmannschaft. „Ich gewann damals zu viele Mountainbike-Rennen. Es wurde zu leicht und ich suchte eine neue Herausforderung“, so die Begründung. 1992 kehrte er endgültig ins Gelände zurück. Und dort ging der Siegeszug erst richtig los.
Auf dem Rennkurs war er die Pistensau, privat wirkte Tomac fast farblos. Wo er antrat, spritzte er hinterher mit Siegersekt. 1991 sogar gleich zweimal bei einer WM – als Weltmeister in Cross Country und Zweiter im Downhill. Die Fotos aus dieser Zeit sind Dokumente des absoluten Triumphes: Tomac tief gebeugt über seinem Yeti mit Rennlenker, das Hinterrad mit Tioga-Halbschalen verkleidet. Die Konkurrenz in seiner Staubwolke dahinter ist kaum zu erkennen – mehr Statisten als Gegner.
Was heute so spielend aussieht, war kein Zufall. Tomac war Perfektionist, trainierte erbarmungslos, handelte die besten Verträge aus und entwickelte gemeinsam mit Doug Bradbury die erste Manitou-Federgabel, um vom technischen Vorteil zu profitieren. 1996, als seine Kräfte nicht mehr fürs oberste Podest beim Cross Country reichten, sattelte er erfolgreich auf den Downhill um. 1998 gründete er seine eigene Bikeschmiede, um auch künftig von seiner Leidenschaft leben zu können. Tomacs Karriere wird wohl einzigartig bleiben. Er gewann Trophäen beim BMX, Cross Country, Downhill, Dual Slalom und auf der Straße. Das ist in etwa so, als hätte Superkicker Maradonna beim Fuß-, Wasser-, Hand-, Volley- und Federball gleich gut gepunktet.
Tomac hat den amerikanischen Traum vorgelebt. Eine ganze Generation von Bikern hat bei jeder Folge seiner Geschichte mitgefiebert, wie die Hausfrauen bei GZSZ. Auch Tomac hatte schlechte Zeiten, vor allem aber Schwindel erregend gute. Jetzt hütet der Titelheld Pferde und Truthäne. Am liebten sitzt er auf seiner Veranda im Schaukelstuhl, schaut in die Landschaft und genießt das Familienleben. Doch wenn ihm nach Sekt ist, dann tauscht er eben mal wieder den Cowboy-Hut gegen den Bikehelm. So wie beim Kamikaze-Downhill im vergangenen Herbst, bei dem er die Stars der Szene düpierte. Er ist und bleibt eben John Tomac, der beste Biker aller Zeiten.