Peter Nilges
· 07.11.2017
Ein MTB, das seinen Fahrer erkennt und automatisch das richtige Setup einstellt. Sensoren, die einen daran erinnern, die Kette zu schmieren. Vincenz Thoma von Canyon verrät, was in Zukunft kommt.
Technik, Tourismus, Digitalisierung: In der Dezember-Ausgabe des BIKE-Magazins wagen wir einen Blick in die Zukunft des Mountainbike-Sports. Wie sehen etwa die Bikes in zehn Jahren aus? Dazu haben wir verschiedene Firmen gebeten, ihre Vision des Mountainbikes der Zukunft zu skizzieren. Canyon ließ uns mit in die Kristallkugel blicken und zeigt mit zwei Entwürfen, wo die Reise bei den Non-E-Bikes hingehen könnte.
BIKE hat mit Vincenz Thoma gesprochen, einem der dienstältesten Ingenieure bei Canyon. Da die Welt in Zukunft immer komplexer wird, soll bei der Canyon-Studie die Konzentration auf das Fahrerlebnis im Vordergrund stehen, ohne sich mit technischen Problemen auseinander setzen zu müssen. Die vorhandene Technik soll nur unterstützen, keinesfalls ablenken.
Eure Studie lässt sich mit den Schlagworten smart, prozessoptimiert/nachhaltig und integriert beschreiben. Was hat es mit dem ersten Punkt auf sich: smart?
In Zukunft wird es eine große Zahl an Sensoren geben, die miteinander kommunizieren. Die Informationen laufen dann im vollintegrierten Cockpit mit minimal kleinem Display zusammen. Über die frei programmierbaren Shifter am Lenker wäre eine Fingerabdruckerkennung denkbar, die entsprechend des Fahrers das gewünschte Setup einstellt, wenn mehrere Fahrer das Bike benutzen. Das Display im Cockpit sowie alle Sensoren werden von Solarpanels im Oberrohr versorgt und speisen auch die Trail-Beleuchtung an Vorder- und Hinterrad. Per Daumendruck lässt sich der Sitzdom verlagern, was den Sitzwinkel um bis zu vier Grad verändert und steile Anstiege erleichtert.
Braucht ein herkömmliches Bike denn überhaupt so viel Elektronik, wenn die Einfachheit und Sorglosigkeit im Vordergrund stehen soll?
Die Elektronik kann auch Hinweise geben, wann die nächste Wartung ansteht und wird durch die Solarzellen versorgt, ohne dass man sich Gedanken über leere Akkus machen muss. Sensoren können registrieren, wann die Kette trocken läuft und geschmiert werden muss und so die Lebensdauer des Bikes und der einzelnen Komponenten erhöhen. Eine Warnung bei zu hohen Lasten oder sogar einem Sturz-Schaden, der durch Sensoren auf der Innenwand des Rahmens oder den Zwischenlagen registriert wird, wäre ebenfalls denkbar.
Wichtig ist uns dabei immer, dass die Technologie im Hintergrund steht und nicht vom Naturerlebnis oder Fahrspaß ablenkt. Gerade beim Non-E-Bike will man ja abschalten. Die Elektronik sollte nur dann präsent sein, wenn man erweiterte Funktionen übers gekoppelte Smartphone nutzen möchte. Zum Beispiel kann man sich nur die persönlich wichtigen Infos aufs Display holen, alles andere bleibt im Verborgenen. Die Kombination aus Sensorik, Rechenpower des Smartphones und der Integration im Bike macht das Gesamtsystem schließlich smart aber dennoch aufs Wesentliche reduziert.
Was umfasst der Punkt Prozessoptimierung und Nachhaltigkeit? Beim Material der Zukunft denkt man direkt an Carbon. Aber wie passt das mit Nachhaltigkeit zusammen?
CFK-Recycling ist nach wie vor ein schwieriges Thema in der Branche. Bislang kann altes Carbon nur geschreddert werden und in Form von faserverstärkten Kunststoffen wieder neu eingesetzt werden. Andere Technologien, wie beispielsweise die Nutzung von Mikroorganismen zum Zersetzen des Matrixwerkstoffs stecken noch in den Kinderschuhen.
In zehn Jahren wird man nicht pauschal auf das eine oder das andere Material setzen, sondern noch gezielter auf die unterschiedlichen Anforderungen am Bike eingehen. Bei unserer Studie kommt daher beispielhaft ein Mix aus 3D-gedruckten Titanmuffen, Aluminium, Stahlrohren und flexiblen Verkleidungselementen zum Einsatz. Jedes Material hat Stärken und Schwächen. Um einen Rahmen länger haltbar und gleichzeitig stabil und leicht zu machen, wird man diese Unterschiede bereits in der Konstruktion noch stärker berücksichtigen. Neue Fertigungsverfahren werden helfen, unterschiedlichste Materialien sinnvoll zu nutzen.
Selbst aufwändigste Geometrie-Formen werden realisierbar. Die neue Freiheit wird dazu führen, dass sehr komplexe Strukturen, wie man sie aus der Natur kennt, in Serie gebaut werden können. Manche Teile werden dann von innen wie gewachsene Strukturen aussehen. Vor allem das 3D-Drucken wird viel stärker in Serie angewandt. Durch die höhere Automatisierung lassen sich zudem Fertigungsschwankungen reduzieren und die Qualität steigern. Weniger Ermüdung und eine längere Haltbarkeit sprechen ebenfalls für eine bessere Nachhaltigkeit.
Was heißt das für die Produktionsstandorte?
Je höher der Automatisierungsgrad ist, desto interessanter wird sicherlich auch der Standort Europa. Zudem sind leichtere und zuverlässigere Produkte denkbar. Bei der Handfertigung muss man aktuell einen größeren Sicherheitsfaktor und sehr aufwändige Prüfungen einplanen.
Der letzte große Punkt in Eurer Studie ist die Integration. Alleine auf den ersten Blick sehen die Entwürfe sehr clean und aufgeräumt aus. Die im Unterrohr integrierte Trinkflasche mit Flüssigkeitsstand-Anzeige am Cockpit wirkt sehr abgefahren.
Das eine ist die Integration von physikalischen Funktionen wie Storage-Systemen, aber auch Dingen, die darüber hinausgehen. Zum Beispiel das ganze Thema Connectivity. Durch den integrierten Ansatz sind viele Funktionen von außen gar nicht sichtbar. Heutige Bikes sehen oft zu überfrachtet und fragmentiert aus. So bietet ein simpler, mitwachsender Stauraum über eine Membran ein klapperfreies Staufach, in das Jacke, Riegel und Werkzeug passen. Trotzdem bildet es eine in sich geschlossene homogene Rohrstruktur, wodurch ein niedriges Rahmengewicht realisierbar ist und es wäre einfach zu reinigen.
Beim Design haben wir uns zudem an unserer Zeitfahrmaschine orientiert. So besitzt auch die Gabel kein durchgängiges Schaftrohr mehr und bietet viel Platz im Inneren für die Zugverlegung. Schließlich ist das Ziel von Integration die Bedienung zu vereinfachen und die Komplexität zu reduzieren. Alle Funktionen sind da, zeigen sich aber nur wenn benötigt.
Bringt die komplexe Technik der Zukunft denn nicht auch einen höheren Serviceaufwand mit sich?
Sensorik und Elektronik unterliegt quasi keinem Verschleiß. Andere Teile am Bike werden hingegen stark beansprucht. Wenn das Bike dir sagt, wann du die Kette wechseln solltest, kann es für viele Biker ein echter Zusatznutzen sein, um den Verschleiß sogar zu reduzieren und hohe Reparaturkosten zu vermeiden. Auch andere smarte Sensoren wären denkbar, die die Lebensdauer des Bikes verlängern, indem sie "mitdenken" und dir schließlich auch mehr Fahrsicherheit und Freude bringen. Es gibt bereits Sensorik, wie etwa "Shock Wiz", die dir beim Dämpfer-Setup hilft.
Aktuell ist das aber alles noch extra und somit ein Add-On. Viel cooler wäre es doch, wenn dich das Bike nach einer Weile fahren einfach von sich aus darauf aufmerksam macht, wenn der Dämpfer etwas mehr Luft vertragen könnte oder der Reifen zu stark aufgepumpt ist. Die Fahrsicherheit wäre erhöht und der Verschleiß reduziert, ohne dass man sich selber den Kopf darüber zerbrechen muss.
Und wenn die Technik komplett ausfällt?
Das Ziel muss sein, dass die Technik reduziert und robust ist. Sie muss ja auch nur unterstützend sein und keine Kernfunktion bieten.
Wann könnte Eure Studie tatsächlich umsetzbar sein? Wann steht das Bike so im Shop?
Vieles wird sich nach und nach entwickeln. Die Integration wird stufenweise fortschreiten. Unsere Rennrad-Cockpits sind beispielsweise jetzt schon sehr clean und aufgeräumt. In unserem Pendlerrad Commuter ist das Licht im Vorbau integriert. In fünf bis zehn Jahren könnten Modelle ähnlich wie in der Studie zur Marktreife kommen. Wir haben jetzt viel über Elektronik gesprochen, dabei gibt es natürlich noch einige andere brennende Themen, bei denen sich in den nächsten Jahren einiges tun wird: Antriebsstrang, Reifen, Fahrwerk und Laufräder zum Beispiel. Es bleibt also weiterhin auch im Non-E-Bike-Bereich spannend.
Vincenz Thoma, wir bedanken uns sehr für das Gespräch.
Biken 3.0 – die BIKE-Ausgabe 12/2017 steht ganz im Zeichen der Zukunft: Wie wird Mountainbiken den Sommertourismus verändern? Setzt sich vernetztes Biken durch? Wann gibt es in Deutschland endlich große Singletrail-Netze? Gibt es in zehn Jahren noch die Kettenschaltung?
Diesen und weiteren spannenden Fragen gehen wir nach. In BIKE 12/2017. Seit 7. November am Kiosk, im DK-Onlineshop und als Digital-Ausgabe für alle Endgeräte erhältlich.