Interview mit Marley Blonsky“Die Stigmatisierung trifft uns alle”

Sissi Pärsch

 · 08.04.2024

Interview mit Marley Blonsky: “Die Stigmatisierung trifft uns alle”Foto: Marley Blonsky
“Bizarr” fühle es sich an, dass sie zu den 50 einflussreichsten Menschen der Bike-Branche gewählt wurde. Und trotzdem sagt Marley Blonsky selbstbewusst: “Die Industrie will schließlich wachsen, und wir sind nicht wenige.”
Die Amerikanerin Marley Blonsky wurde 2023 von US-Radjournalisten zu einer der 50 einflussreichten Personen der Radindustrie gekürt. Mit ihrer Non-Profit-Organisation All Bodies on Bikes engagiert sie sich für schwergewichtigere Menschen.

Marley Blonsky (38) bezeichnet sich selbst als “fat adventure cyclist”. Mit ihrer Non-Profit-Organisation All Bodies on Bikes engagiert sie sich für einen Bikesport, der sich für schwergewichtigere Menschen öffnet. 2023 wurde sie von US-Radjournalisten zu einer der 50 einflussreichten Personen der Radindustrie gekürt.

EMTB Magazin: Marley, wie bringt Ihr All Bodies on Bikes?

Marley Blonsky: Menschen, die mehr auf die Waage bringen und trotzdem aufs Rad steigen wollen, gibt es genügend. Aber viele haben Selbstzweifel und fragen sich: Darf ich das überhaupt? Wir zeigen, dass du nicht nur darfst, sondern unbedingt auch sollst. Weil es einfach das Beste ist.

Wie fühlt man sich als einer der einflussreichsten Menschen in der Fahrradindustrie?

Bizarr ist wohl der Ausdruck, der es am besten trifft. Ich bin ja definitiv keine Top-Athletin und auch keine Branchen-Größe. Aber die Industrie will schließlich wachsen, und wir sind nicht wenige. Wer das Thema ernsthaft und konsequent angeht, wird Erfolg haben. Meine Wahl zeigt also, dass sich der Radsport entwickelt. Er ist dabei, sich zu öffnen und inklusiver zu werden. Dadurch werden normale Vorbilder wichtiger. Nicht Menschen, die für Normalsterbliche Unerreichbares leisten. Sondern Menschen, mit denen man sich identifizieren kann.

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Über Marley Blonsky

Marley Blonsky (38) und Co-Gründerin Kailey Kornhauser erlangten 2021 mit der von Shimano produzierten Kurzdoku "All Bodies on Bikes" Bekanntheit in der Radsportszene. Ihre schnell wachsende Non-Profit-Organisation engagiert sich für die Inklusion von Menschen, die nicht dem athletischen Körperideal entsprechen. Marley stammt aus Dallas, lebt aber seit zwei Jahren in der MTB-Hochburg Bentonville/Arkansas. www.allbodiesonbikes.com

Interview Marley Blonsky, Gründerin von All Bodies on BikesFoto: Patty_V_PhotoInterview Marley Blonsky, Gründerin von All Bodies on Bikes

Du sagst, Du seist keine Top-Athletin. Aber Du machst durchaus beeindruckende Sachen. Unter anderem bist Du schon mehrfach das Gravel-Rennen Unbound über die 100-Meilen-Distanz gefahren.

Aber ich bin keine krasse Sportlerin. Das ist es ja: Ich glaube, das können ganz, ganz viele schaffen. Man muss sich vom Wettkampfgedanken lösen und einfach sein Ding machen. Und das beziehe ich keineswegs nur auf übergewichtige Menschen. Wir limitieren uns selbst viel zu sehr. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es schaffe, aber ich bin mein Tempo gefahren und es war sensationell. Jetzt fahre ich im Jahr zwei, drei Langdistanzrennen. Es sollte doch nicht darum gehen, wie du aussiehst oder welche Zeit du hast, sondern einfach nur um das Erlebnis auf dem Rad.

Acht Räder besitzt Marley Blonsky: “Ich fahre im Alltag Rad, habe ein Cargo-Bike, aber will auch sportlich alles ausprobieren. Ich mag es divers.”Foto: Patty_V_PhotoAcht Räder besitzt Marley Blonsky: “Ich fahre im Alltag Rad, habe ein Cargo-Bike, aber will auch sportlich alles ausprobieren. Ich mag es divers.”

Eine andere Motivation, sich auf das Bike zu setzen, ist ja häufig, Gewicht zu verlieren. Bei Euch hingegen ist Gewichtsreduktion explizit nicht das Thema. Warum?

Es soll eben nicht darum gehen, deinen Körper als falsch wahrzunehmen. Im Gegenteil. Es geht um das Biken, um die Bewegung, um den Spaß. Was du siehst, was du fühlst, wem du begegnest – da gibt es nicht Vergleichbares. Es geht viel mehr um deinen Kopf und deine Seele als um deinen Körper. Wobei man natürlich automatisch fitter und gesünder wird. Aber dass man als fat cyclist körperlich nicht stark sein kann, ist wohl ein fest verankertes Vorurteil.

Begegnest Du dem noch immer?

Ja, klar. Die Stigmatisierung trifft uns alle. Wenn du als dicker Mensch in einen Bike Shop kommst, wird automatisch angenommen, dass du Anfänger bist und du sicher keine Ahnung von der Materie hast.

Wo stellen sich sonst noch Herausforderungen?

Wir haben All Bodies on Bikes gegründet, weil wir das Radfahren in all seinen Farben und Formen lieben. Aber es wurde uns von allen möglichen Seiten so schwer gemacht, den Sport auszuüben. Auch in Sachen Equipment. Ich bin klein, aber schwer. Es sind immer wieder Komponenten kaputt gegangen, weil die Räder in meiner Größe einfach nicht ausreichend robust waren. Und dann ist die Suche nach Bekleidung richtig mühsam.

Ist das auch der Grund, warum man Dich in der All Bodies on Bikes-Doku von Shimano teilweise in einem Kleid Bikepacken sieht?

Ich habe einfach jahrelang nichts gefunden. Allein die Suche nach einer Hose mit Sitzpolster war ungemein schwer. Viele Marken hören bei Größe L für Damen und XL für Herren auf. Als ich das erste Mal Funktionsbekleidung fand, die mir passte, war das wie eine Erleuchtung. Ah, es gibt Sachen, die funktionell sind, elastisch und atmungsaktiv – das fühlt sich richtig gut an…

Erkennt die Industrie inzwischen das Potential? Es hat ja seine Zeit gebraucht, bis sie Frauen oder auch Kinder für sich entdeckt hat.

Es tut sich definitiv was, das merke ich schon. Es gibt Marken, die mal den kleinen Zeh in Übergrößen getunkt und ihn dann schnell wieder zurückgezogen haben. Die Begründung war „läuft nicht“. Sie haben das Thema jedoch stiefmütterlich behandelt, hatten Sorge, es zu bewerben und ihm einfach keine Zeit gegeben. Wer das aber tut, der wird Erfolg haben. Diese Erkenntnis keimt inzwischen schon hier und da. Aber wenn jemand Tipps in Sachen Knieschoner in Übergroße hat, bitte gerne melden.

Im Bikeparadies Bentonville im US-Bundesstaat Arkansas ist Marley Blonsky am liebsten auf mit dem MTB unterwegs, mit oder ohne E-Antrieb.Foto: PATTY_V_PHOTOIm Bikeparadies Bentonville im US-Bundesstaat Arkansas ist Marley Blonsky am liebsten auf mit dem MTB unterwegs, mit oder ohne E-Antrieb.

War es für Dich schwer, Sponsoren zu finden?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte Angebote von mehreren Bike-Marken.

Wieviel Räder hat eine Marley Blonsky?

Acht.

Welches sind Deine liebsten Räder?

Ich mag es divers. Nein, ehrlich, ich fahre im Alltag Rad, habe ein Cargo-Bike, aber will auch sportlich alles ausprobieren. Mountainbiken ist ganz speziell für mich. Es fordert meinen Kopf, weil ich viel an meiner Fahrtechnik arbeite. Ich bin extrem fokussiert und die Fortschritte sind super fürs Selbstbewusstsein. Ich habe aber auch das Glück, dass ich vor meiner Haustür sensationelle Trails habe.

Und mit dem E-Mountainbike kann man von diesen Trails besonders viele in einer Session unterbringen.

Stimmt, E-MTBs sind einfach unglaublich. In den USA gibt es in einigen Staaten zwar noch Restriktionen, aber bei uns in Bentonville siehst du sie überall. Mir hilft das E-MTB, an meiner Fahrtechnik zu arbeiten, weil ich dank Motor eine Strecke mehrmals fahren kann und dadurch richtig reinkomme. Du kannst nur mal schnell eine Stunde fahren gehen oder wirklich den ganzen Tag unterwegs sein. Und aufladen lässt sich das Bike beim Einkehren. Und ich kehre gerne ein.

Wie ist All Bodies on Bikes als Verein strukturiert?

Wir machen wortwörtlich immer neue Dependenzen auf. Wir haben über die USA verteilt 13 Chapters. Dort sind All Bodies on Bikes-Vertreter:innen, die jegliche Art von Ausfahrten organisieren. Cruisen durch die Stadt, Trail-Biken, lange Ausfahrten – alles querbeet.

“E-MTBs sind einfach unglaublich”, findet Marley. “Mir hilft es, an meiner Fahrtechnik zu arbeiten, weil ich dank Motor eine Strecke mehrmals fahren kann und dadurch richtig reinkomme.”Foto: Marley Blonsky“E-MTBs sind einfach unglaublich”, findet Marley. “Mir hilft es, an meiner Fahrtechnik zu arbeiten, weil ich dank Motor eine Strecke mehrmals fahren kann und dadurch richtig reinkomme.”

Aber noch begrenzt auf die USA?

Ja, obwohl wir schon viele Anfragen haben, auch aus Europa. Norwegen, Spanien, Deutschland. Uns gibt es jedoch erst seit ein paar Jahren und wir wollen nachhaltig und mit einem guten Fundament wachsen. Obwohl es mir eigentlich nicht schnell genug gehen könnte…

Die Reaktionen scheinen durchweg positiv zu sein. Erfährst Du noch Gegenwind?

Oh ja. Es finden sich durchaus Kommentare unter meinen Posts wie „das arme Bike“. Ich bin auch schon von Bikern als Wal beschimpft worden. Leider hallen so Sachen lange nach.

Allerdings inspirierst und begeisterst Du sehr viel mehr Menschen. Kann das Rad die Welt verändern?

100 %. Es hat meine Welt verändert. Es kann Menschen zusammenbringen, Städte verändern, das Klima schonen. Das Rad ist nicht nur ein Spielzeug, es ist ein Werkzeug. Es hat endlose Möglichkeiten.


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