InterviewDas fehlt Deutschland, um ein echtes Fahrradland zu werden

Interview: Das fehlt Deutschland, um ein echtes Fahrradland zu werdenFoto: ADFC
ADFC-Studie zum Radverkehr in Deutschland
Mehr Fahrrad = weniger CO2 = gut. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass Deutschland das Potenzial hat, den Radverkehrsanteil bis 2035 zu verdreifachen. So könnten wir 19 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen. Wir haben mit dem Studienleiter, Dr. Claus Doll, gesprochen.

Radfahren ist unbestritten ein wichtiger Faktor bei der Verkehrswende und so beim Kampf gegen die Klimaerwärmung. Der Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) hat dazu eine Potenzialanalyse beim Fraunhofer-Institut in Auftrag gegeben. Was könnte in Deutschland in puncto möglich gemacht werden, um den Radverkehr zu stärken und folglich mehr Leute auf den Sattel zu bekommen - statt in einen Autositz? Wir haben den Studienleiter am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Dr. Claus Doll, Fragen zur Studie gestellt.

BIKE: Was ist das Besondere an Ihrer Studie zum Radverkehr?

Dr. Claus Doll: Wir haben im Gegensatz zu den traditionellen Prognoseverfahren sozialwissenschaftliche Daten mit reingenommen. Wir haben uns angeschaut: wie reagieren die Menschen auf eine bessere Ausstattung mit Radwegen. Da geht es um gut befahrbare Netze, gefühlte Sicherheit und Komfort beim Radfahren. Beim Autofahren oder im ÖPNV spielt das keine so große Rolle, da setzen sie sich in ein Auto oder in die Bahn und gucken halt, dass sie möglichst gut von A nach B kommen.

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Das tatsächliche Potenzial wurde bisher also immer unterschätzt?

Genau so ist es und das ist nicht nur unsere Einschätzung. Das sehen Sie auch durch den Fahrradmonitor, der alle zwei Jahre erhoben wird, durch das Sinus Institut, dass die gefühlte Sicherheit, die Qualität des Radfahrens in der Kommune eine ganz große Rolle spielt, ob sich Leute aufs Fahrrad trauen oder nicht.

Studienleiter Dr. Claus DollFoto: FraunhoferStudienleiter Dr. Claus Doll

Sie sagen in der ADFC-Studie zum Radverkehr wir bräuchten eine Verdreifachung der Radwege in elf Jahren – das klingt nach Utopie?

Da haben Sie recht. Deswegen haben wir diese Studie auch nicht als Prognose, sondern eben als Potenzialanalyse verstanden. Was wäre, wenn wir es schaffen die Fahrradinfrastruktur so auszubauen wie in großen Teilen der Niederlande? Wie würden die Deutschen dann reagieren?

Die Kommunen habe derzeit knappe Kassen – scheitert es am Geld?

Die Ausbaukosten werden rund zu einem Drittel von Bund, Ländern und Kommunen getragen. Die Kommunen müssen es aber umsetzen und die Kommunen haben wie viele Branchen das Problem des Personals. Wir haben eigentlich kein Finanzierungsproblem, sondern wir haben ein Umsetzungsproblem in den Investitionen. Wir haben in dieser Studie die Kosten nicht gerechnet und es gibt einfachere Wege, ein gutes Radverkehrsnetz umzusetzen: Radwege auf der Straße Abmarkieren durch die roten Radwege zum Beispiel, Vorfahrtsregeln ändern oder Tempolimits einführen. Wenn das ginge. Wir haben mittlerweile über 800 Kommunen die beim Bund vorstellig werden und sagen, wir hätten gerne ohne Sicherheitsprüfung flächendeckend Tempo 30 in den Innenstädten. Das ist rechtlich nicht möglich. Das heißt, wir brauchen zu der ganzen Finanzierung auch noch einen Reformschritt des Straßenverkehrsrechts. Den Kommunen sind da teilweise die Hände gebunden.

Studienleiter Doll: “Also reden wir am Ende über eine Neuverteilung des öffentlichen Raums”

Damit man den Radverkehr sicherer macht muss man dem motorisierten Verkehr Fläche wegnehmen?

So ist es. Wir haben einen begrenzten Platz in den Kommunen - also reden wir am Ende über eine Neuverteilung des öffentlichen Raums. Diese Debatten sind aber nicht neu. In den 80er Jahren hatten wir diese große Welle der Einrichtung von Fußgängerzonen in Innenstädten. Auch das war schon ein Aushandlungsprozess. An dieser Stelle müsste man einfach weiter arbeiten und sagen: wir brauchen noch ein bisschen mehr Fläche für Fuß und Radverkehr. Und das geht natürlich zu großen Teilen zu Lasten des PKW Verkehrs. Wir reden dann nicht nur über Fahrspuren, sondern auch über Parkplätze. Das ist ein politisches Minenfeld. Da muss man schon sehr sensibel vorgehen, wie man das macht.

Eine Studie zum Radverkehr ist wichtig, aber wie kann man Unterstützung für diese Maßnahmen bekommen?

Wir haben gerade eine Interviewserie gemacht in sieben europäischen Städten, die es relativ schnell geschafft haben ihren PKW Anteil in den Innenstädten runterzukriegen. Eine Message, die wir immer wieder hören, ist: mit den positiven Nachrichten anfangen. Was gewinnen die Menschen durch den Umbau der Städte? Es geht auch um Städte mit mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität. Das sollte man im Grunde zuerst anbringen und nicht zuerst mit dem Verbotsargument kommen.

Sie betonen in ihrer Studie zum Radverkehr, dass man ein gutes Netz an Radwegen braucht und nicht nur einzelne Wege …

Die Vorlage für gute Radverkehrsnetze ist vielleicht das Radverkehrsnetz in Delft in den Niederlanden. Das haben viele Städte auch übernommen. Die haben angefangen in einem hierarchischen System von Radwegen zu planen, wie wir das schon lange für den Autoverkehr machen. Die haben im Grunde drei Ebenen: ein Hauptnetz mit schnellen Radrouten, dann ein Verbindungsnetz, das nicht mehr ganz so schnell ist, aber die einzelne Stadtquartiere verbindet und dann ein Erschließungsnetz. Einzelne Radwege bringen alleine nicht viel, sondern wir müssen das Gefühl haben, mit dem Fahrrad komme ich gut und sicher überall hin.

Die Leute sind erstmal dagegen, weil ihr gewohntes Weltbild erschüttert wird

Gibt es da internationale Vorbilder?

In Paris, Madrid, Barcelona und in vielen spanischen Städten haben sie eine Vision, wo sie hin wollen. Ein Zielbild: Wie soll die Stadt in 15 oder 20 Jahren aussehen? Das vermissen wir in Deutschland ein bisschen. Wir haben überall Verkehrsentwicklungspläne, da stehen aber selten Ziele drin, wo man hin möchte. Für die meisten Menschen ist es schwer sich vorzustellen, wie könnten Dinge anders sein wie jetzt. In der Planungsphase, in der Bauphase sind die Leute erstmal dagegen, weil ihr gewohntes Weltbild erschüttert wird.

Warum ist es in Paris oder Barcelona einfacher als in Deutschland neue Konzepte durchzusetzen?

Oh, da gibt es viele Gründe. Gerade Paris ist ein interessantes Beispiel oder auch Barcelona. Da haben sie oft sehr, sehr starke Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister, die einfach gesagt haben: so geht es nicht weiter, wir machen das jetzt anders. Wenn Sie schnelle Veränderungen wollen, brauchen Sie eine starke politische Führung. In Paris hat man den Vorteil gegenüber anderen französischen Städten, dass das Klientel auch eines ist, das solche Veränderungen mitträgt und es dann auch noch das richtige Marketing gibt.

Sie sagen in ihrer Studie zum Radverkehr man muss eine positive Fahrradkultur fördern. Wie kann das gelingen?

Zunächst mal, wie schon erwähnt, das Fahrradfahren sicherer machen. Durch bessere Verkehrsverhältnisse, Tempo 30 für Pkw zum Beispiel und Regeln, dass der langsame oder der nicht geschützte Verkehr am Ende Vorrang hat. Dann über betriebliches Mobilitätsmanagement, dass man da versucht, die Firmen zu animieren das Pendeln mit dem Fahrrad zu fördern. Man braucht genügend sichere Abstellanlagen, so dass man sagt: ich, ich komm wirklich überall gut rum. Ich darf das, ich kann das und ich muss keine Angst haben, mein Fahrrad abstellen zu müssen. Wenn ich von Abstellanlagen rede, müssen die verknüpft sein mit dem ÖPNV. Sie können nicht jede beliebige lange Strecke mit dem Fahrrad machen. Das sind viele kleine Schritte, vielleicht noch begleitet durch eine Öffentlichkeitsarbeit der Kommunen.

Auf dem Land wird es sicherlich schwieriger, den Radverkehr zu fördern?

Auf dem Land sind die Wege länger, aber nicht so erheblich länger. Die meisten Wege passieren innerhalb einzelner Ortsteile. Die Hälfte aller PKW-Wege sind unterhalb von fünf Kilometern und 11 Prozent der PKW-Wege sind unterhalb von einem Kilometer. Das könnten sie alles gut mit dem Fahrrad erledigen.

Sie errechnen in ihrer Studie zum Radverkehr, dass man bis zu 19 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr einsparen könnte. Als Laie kann man die Zahl schwer einschätzen …

Das ist eine Menge an CO2-Einsparung, aber es steckt natürlich auch ein gewaltiger Investitionsberg dahinter. Wir haben aber ein paar gute Argumente: lebenswertere Kommunen und der zweite Punkt ist Gesundheit. Es gibt Studien von der Weltgesundheitsorganisation, die belegen, dass es weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt, und das entlastet das Gesundheitssystem.

Hintergrund zur Studie

Deutschland hat die Möglichkeit, den Anteil des Radverkehrs bei Strecken bis zu 30 Kilometern Länge bis zum Jahr 2035 zu verdreifachen und dabei die Verkehrsemissionen im Nahbereich um 34 Prozent zu senken. Jährlich könnten dadurch 19 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden. Dies erfordert jedoch hervorragend ausgebaute Radwege, effektive Verbindungen mit Bus und Bahn sowie fahrradfreundliche Kommunen mit kurzen Wegen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI, die vom Fahrradclub ADFC in Auftrag gegeben wurde.

Daraus leitet der ADFC konkrete Forderungen ab

  • Politischen Mut und Umsetzungswillen zum schnellen Ausbau durchgängiger, sicherer, einladender Radinfrastruktur in allen deutschen Kommunen.
  • Den Nationalen Radverkehrsplan zu einem ambitionierten Aktionsplan für das Fahrradland-Plus weiterzuentwickeln
  • Bis spätestens 2035 bundesweit lückenlose Radwegenetze zu schaffen und dafür die Mittel in Bund, Ländern und Kommunen aufzustocken und langfristig zu sichern
  • Die fahrradfreundliche Modernisierung des Straßenverkehrsrechts (StVG und StVO) und der technischen Regelwerke umzusetzen
  • Mobilitätsgesetze auf Länderebene zu verabschieden, um Kommunen zum Ausbau der Radwegenetze zu verpflichten

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