Inspiriert von einem 13-Jährigen

Adrian Kaether

 · 27.09.2017

Inspiriert von einem 13-JährigenFoto: Adrian Kaether
Inspiriert von einem 13-Jährigen

Man trifft wenige Menschen im Leben, die einen wirklich inspirieren. Noch weniger davon sind erst 13 Jahre alt. Jackson Goldstone ist einer der wenigen: ein Wahnsinns-Biker und einfach ein cooler Typ.

Stars im Mountainbiken sind genauso zahlreich wie die verschiedenen Bikesparten, Lauradformate, Reifenbreiten und Supertrails. Und genauso unterschiedlich. Von Vollblut-Racern wie Nino Schurter, Rachel Atherton, Anne-Caroline Chausson oder Nico Voullioz, für die alles im Leben ein Wettbewerb ist und die ihre ganze Energie dafür verwenden, hier oder dort noch ein kleines bisschen schneller zu sein. Über Party-Könige wie Steve Peat und Brett Tippie bis hin zu Lifestyle-Idolen wie Hans Rey, akribischen Bike-Akrobaten wie Brandon Semenuk oder Brett Rheeder. Und Persönlichkeiten, die irgendwie das alles in sich vereinen wie Danny MacAskill, Greg Minnaar, Brendan Fairclough, Missy Giove oder Stevie Smith. Doch fast alle von ihnen haben eins gemeinsam: Sie sind alle erwachsen!

Eine Eigenschaft, die einer der vielleicht größten Stars der nächsten 10-20 Jahre nicht teilt: Jackson Goldstone ist gerade einmal 13 Jahre alt. Er stammt aus Squamish in British Columbia (Kanada), keine Autostunde vom legendären Bikepark in Whistler entfernt. Schon im Kindergartenalter heizte der junge Star mächtig auf dem Laufrad durch die Weltgeschichte. Mit fünf hatte er sein erstes vollgefedertes Mountainbike. Bereits mit acht Jahren wurde er richtig berühmt, als GoPro ein Video veröffentlichte, auf dem zu sehen ist, wie er seinem Vater im Bikepark Whistler davonfährt. Kurze Zeit später zeigte er Profi-Freerider Cam McCaul, wo auf dem ikonischen Trail „Dirt Merchant“ der Hase langläuft – konnte dessen Federgabel aber keine zwei Zentimeter weit einfedern, selbst wenn er auf dem Lenker stand und zu hüpfen anfing. Und mit elf Jahren war er bereits so schnell, dass selbst Stevie Smith Probleme hatte, das junge Talent noch abzuschütteln.

Die Eltern als treibende Kraft?


Als ich auf dem Programm zum MTB-Festival in Serfaus-Fiss-Ladis las, dass auch Jackson Goldstone extra aus Kanada angereist ist, da hatte ich zunächst gemischte Gefühle. Gefühle, die einen aber wohl immer begleiten, wenn es um sehr junge Sportler geht. Was, wenn er Talent hat, aber von seinen Eltern getriezt wird? Was, wenn er das selbst vielleicht gar nicht will? Was, wenn er zu jung für seinen Ruhm ist und völlig die Bodenhaftung verliert? Dass er mich total verseilen würde, wenn wir die Gelegenheit hätten, zusammen eine Runde zu fahren, das war mir sowieso klar. Doch die Neugierde überwog und wie sich bald herausstellen sollte, waren alle Bedenken völliger Unsinn. Ein Glück.

Eine Bar in einer Hotellobby, Freitagabend kurz vor dem Abendessen: Ein braungebrannter Mann mit grau meliertem Bart kommt um die Ecke geschlendert. Ihm voraus geht ein kleiner, blonder Junge. Er hinkt. Doch das muss er sein. Jackson Goldstone. Das runde Gesicht und die Engelslocken, unverkennbar. Ich habe mich schon darauf gefasst gemacht, doch Jackson ist wirklich eher klein, erst recht für einen 13-jährigen Jungen, kaum 1,20 groß – gefühlt jedenfalls. Doch etwas anderes ist fast noch auffälliger und kommt viel unerwarteter. Goldstone hat wahnsinnig gute Laune und das scheinbar immer.

  Manchmal platzt der kleine lockige Junge fast vor Freude. Wer da nicht angesteckt wird, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.Foto: Adrian Kaether
Manchmal platzt der kleine lockige Junge fast vor Freude. Wer da nicht angesteckt wird, dem ist wohl nicht mehr zu helfen.

Immer am Grinsen, immer einen dummen Spruch auf der Lippe. Den Knöchel hat er sich beim Springen verstaucht, bisschen zu viel Unsinn gemacht. „Naja, so was passiert halt“, meint er. „Keine große Sache.“ Ich kenne ihn erst seit kaum zwei Minuten, doch schon jetzt sind mir mehrere Dinge klar. Erstens: Jackson sitzt der Schalk nicht nur im Nacken. Seine braunen Augen blitzen lustig und wenn er vom Biken erzählt und davon was er heute erlebt hat, dann ist er kaum zu stoppen. Zweitens und daraus folgend: Man muss ihn einfach mögen, diesen lustigen, kleinen, blonden, grinsenden Jungen, der manchmal fast nur aus Lachen und Locken zu bestehen scheint. „Und morgen?“, frage ich. „Fährst du?“. „Na klar“, meint er. „Sonst gewinnt ja Ike [Jacksons Kumpel aus den Niederlanden. Anm. d. Red.] oder dieser portugiesische Junge.“ Damit meint er Nuno Zuzarte Reis, der mit seinen 14 Jahren schon fast zwei Köpfe größer ist als er. „Wir schauen mal, wie es deinem Knöchel morgen geht“, meint sein Vater Ron beschwichtigend, doch Jackson ist nicht zu stoppen. „Der ist echt schnell, der Portugiese, das wird eng.“ Jackson schüttelt die Hand, um anzudeuten, wie heftig schnell der Portugiese ist. Und da ist es wieder, dieses ansteckende Lachen.

Warum ein knapper Sieg vielleicht besser ist – und was man macht, wenn die Fotos im Kasten sind


Als wir uns wiedersehen, ist das große Rennen von Samstag, der Specialized Rookies Cup Nummer vier, bereits gelaufen. Und Jackson hat gewonnen. Aber nur knapp. Extrem knapp. Um 0,07 Sekunden. Ein Glück, dass das professionelle Equipment des Rennveranstalters mit Lichtschranken zur Zeitmessung diesen minimalen Unterschied trotzdem noch klar und zweifelsfrei sichtbar macht. Jackson jedenfalls ist mächtig „stoked“. Der enge Kampf zwischen ihm und Nuno Zuzarte Reis hat ihm selbst mindestens so viel Spaß gemacht wie den Zuschauern, das sieht man ihm deutlich an.

Jetzt geht es auf den Pumptrack. Eigentlich damit ich Gelegenheit habe, ein paar Fotos zu knipsen, doch schnell übernimmt Jackson die Führung. Der Manual ist im Moment sein Favorit und er manualt durch drei, ja sogar durch vier Pumptrack-Roller, manualt locker 50 Meter weit im Flachen, springt über einen kleinen Kicker, den er und ein paar Jungs am Vortag dort mit Sandkastenschaufeln gebaut haben, springt nochmal drüber, jetzt mit einem 180, er landet verkehrt herum, fährt zwei Meter rückwärts und bringt dann mit dosiertem Bremseinsatz das Bike wieder in die normale Richtung zurück. Dann ist der Pumptrack dran. Erst heizt Jackson durch die normale Runde, plötzlich zieht er ab und überspringt ein Gap, dann hüpft er oben aus der Steilkurve heraus und landet drei Meter weiter im nächsten Pumptrack.

  Auch in mehreren Rollern kann Jackson den Manual halten. Und wirkt dabei, als wäre das alles kinderleicht.Foto: Adrian Kaether
Auch in mehreren Rollern kann Jackson den Manual halten. Und wirkt dabei, als wäre das alles kinderleicht.

Transitions, Backflips – was ist schon dabei?


Alles mit einer unglaublichen Leichtigkeit und einer Bike-Kontrolle über die viele Erwachsene Fahrtechnik-Coaches nicht verfügen. Und alles, ohne das ihm irgendjemand irgendwas dazu sagt. Er tobt sich einfach aus, für ihn scheint das normal zu sein. Hier noch ein kleiner Footplant auf einer Steilkurve, dann steht er mit einigen anderen am Rand und schaut den Fahrern zu. Er erklärt einem, wie man den Manual durch mehrere Roller hält. Als ich mich nach gut zwanzig Minuten melde und sage, ich hätte jetzt sicher genug Fotos, da deutet er auf eine große Slopestyle-Holzrampe, die vor einem Airbag steht und sagt: „Da hätte ich Lust nochmal drüberzuspringen.“

  Verkehrte Welt? Der 13-jährige Jackson Goldstone beim Rückwärtssalto.Foto: Adrian Kaether
Verkehrte Welt? Der 13-jährige Jackson Goldstone beim Rückwärtssalto.

Ich bin beeindruckt, fast ein wenig besorgt, doch Jackson scheint sich seiner Sache trotz der Größe des Kickers sehr sicher. Er fliegt ein paarmal mit großen Whips oder Suicide No-Handern durch die Luft, dann folgen eine Reihe von Backflips, die der 13-Jährige ebenfalls schon gelernt hat, aber lieber noch auf dem Airbag macht – weniger Risiko, sollte doch mal etwas schief gehen. Eine gute Gelegenheit also. Selbst bei der Masters of Dirt Show, einer Show von Slopestyle-Profis, geht er an den Start und versucht sich bald an seinem ersten 720 überhaupt. Es geht zwar schief, doch dafür ist der Airbag ja da. Sein Vater steht mit der GoPro daneben, manchmal wirkt auch er, als könnte er nicht fassen, wie mühelos und mit welcher Selbstverständlichkeit sein Sohn auf dem Bike durch die Luft fliegt.

  Und zapp, da wird der Pumptrack als Absprung genutzt.Foto: Adrian Kaether
Und zapp, da wird der Pumptrack als Absprung genutzt.

Erst recht erstaunlich, weil Jackson alles andere als ein Vollprofi ist. Der Junge geht in Kanada ganz normal zur Schule, die Bildung ist seinen Eltern sogar besonders wichtig. Sie haben Jackson auf eine bilinguale Schule geschickt, auf der nahezu alle Fächer im Wechsel auch in Französisch unterrichtet werden. Natürlich verpasst Jackson auch eine Menge Unterricht, doch das lässt sich eben nur schwer vermeiden. Seine Noten sind trotzdem recht gut. In der Freizeit wird natürlich in der ganzen Familie viel Rad gefahren, das dürfte niemanden wundern. Viel Mountainbike, häufiger auch BMX, Hauptsache zwei Räder und Kette rechts. Und Hauptsache zusammen, denn die Goldstones sind echte Familienmenschen und das merkt man.

Biken ist nicht Geige spielen


Mountainbiken ist zum Glück nicht Geige spielen, Leichtathletik oder Ballett tanzen. Der Leisungsdruck ist ein anderer und die Menschen sind es auch. Und auch die Goldstones sind zum Glück keine leistungsvernarrten Eltern, die ihre Kinder zu den Erfolgen zu pushen versuchen, die sie selbst nicht hatten. Trotz seines jungen Alters ist Jackson Goldstone schon jetzt eine inspirierende Persönlichkeit. Er backflippt über riesige Kicker und zeigt Profis bergab, wo der Hammer hängt, aber er schaufelt auch gerne noch mit Sandkastenschaufeln und ein paar Kumpels kleine Kicker zusammen, bildet einen Train über den nächstbesten Sprung oder gibt ein paar freundliche Technik-Tipps, wenn man ihn danach fragt. Und Slopestyle-Profi will er mal werden, bei seinen Fähigkeiten ist dieser Traum fast schon Wirklichkeit. Kurzum: Er ist nahbar, freundlich, nicht einen Deut abgehoben. Und am Ende des Tages muss man ihn fast vom Bike zerren, so viel Spaß hat er auf zwei Rädern. Selbst nach mehreren Tagen Mountainbike-Festival hat Jackson nach zehn Stunden im Sattel nur ein Ziel: Noch etwas länger im Sattel bleiben – noch diesen einen Sprung, noch einmal durch den Pumptrack.

Seine Begeisterung für den Sport ist so ansteckend wie sein Lachen und seine gute Laune. Jackson ist der vielleicht fähigste Mountainbiker seines Alters und doch ist er eins geblieben: Ein fröhlicher, einzigartiger, wahnsinnig begabter und trotzdem irgendwie ganz normaler 13-jähriger Junge. Und das ist gut so.

Der Manual ist im Moment Jacksons Lieblingsmove.
Foto: Adrian Kaether