Seit zwei Jahren hat Torben Drach seinen Bachelor-Abschluss als Maschinenbauer in der Tasche. Eigentlich könnte er längst als Ingenieur in der Entwicklungsabteilung eines Bike-Herstellers arbeiten. Doch bevor die Mühlen der Berufswelt seine Fitness zermahlen, will er es noch mal wissen. „Da ist mehr drin“, sagt der 26-Jährige.
Wenn ich mich voll auf den Sport konzentriere, kann ich noch mehr schaffen.
Mehr als den Deutschen Enduro-Meistertitel. Den hat er im vergangenen Sommer geholt – auf einem Bio-Bike. Jetzt sattelt er um – aufs E-MTB.
Gerade hat Torben für die beginnende Worldcup-Saison die Bikes von seinem neuen Sponsor bekommen. Bevor er zu einem ersten Trainings-Ride startet, zieht Torben neue Reifen auf. Der Bike-Ständer für die Montage ziert nicht etwa die Werkstatt eines PS-starken Monster-Race-Trucks mit Sonnendeck und Espressobar. Torben schraubt vor der Haustür eines mehrstöckigen Mietshauses in der Karlsruher Innenstadt. Im Hintergrund heult ein Motor auf. Eine Lieferwagentür schlägt zu. Gedämpft dringt der Sound der Stadt in die Nebenstraße. „Metzgerei Nägele“ steht auf der Neonreklame an der gefliesten Hauswand. Der Fleischer hat längst dichtgemacht. Die cremefarbenen Rollläden des Geschäfts sind auch am Mittag noch zu. Weil es oben in der WG-Wohnung zu eng ist und weil sich Schrammen und Kettenschmiere am Parkett nicht so gut machen, schraubt Torben meistens im Freien oder im Treppenhaus.
Nach XC-Rennen in der Jugend entdeckte Torben Drach die Gravity-Disziplinen. Ab dieser Saison startet der gebürtige Freiburger und amtierende Deutsche Enduro-Meister in der E-EDR-Serie, dem Enduro-Worldcup für E-MTBs.
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„Natürlich geht das professioneller“, weiß Torben. Aber er hat in seinen 26 Lebensjahren auch gelernt, Prioritäten zu setzen. Seine Karriereschritte plant er wie ein großes Ingenieursprojekt – Schritt für Schritt und wohlüberlegt. Die Rahmenskizze für seine E-Enduro-Karriere sieht vor, dass er zunächst die Bedingungen schafft, sich zu 100 Prozent auf Training und Wettkämpfe konzentrieren zu können. „Zwischen den Wettkämpfen und während der Trainingsphasen Vorlesungen zu besuchen und für Klausuren zu büffeln, funktioniert nicht“, hat er erkannt. Deshalb hat er sein aufbauendes Masterstudium auf Eis gelegt. „Ich will keine halben Sachen machen“, sagt er. „Die Konkurrenz schläft nicht. Erfolge kann ich nur einfahren, wenn ich mich zu 100 Prozent auf den Rennsport konzentriere.“ Als Techniker ist Torben knallharter Realist. Und als solcher hat er nach zwei Jahrzehnten im Rennsport erkannt: Bike-Leidenschaft und fleißiges Training allein müssen noch lange nicht zum Erfolg führen. Um die Voraussetzungen für Top-Platzierungen zu schaffen, ist er mittlerweile nicht mehr nur Racer, sondern auch Miteigentümer seines eigenen E-MTB-Rennstalls. Sein wichtigster Partner in Crime: der ehemalige XC-Nationalkader-Fahrer David Horvath. Schon vor vier Jahren haben die beiden ihr erstes Rennteam gegründet. Ein Wendepunkt in der Bike-Karriere der beiden, an dem die Story schier unfassbar zu werden beginnt. Unfassbar bewegend. Unfassbar menschlich. Unfassbar dramatisch.
Torben und David kennen sich schon ewig. Als Jugendliche und Junioren sind die beiden im Team Lexware erfolgreich XC-Rennen gefahren. Irgendwann ist in der Ausdauerdisziplin bei beiden die Luft raus. Sie starten bei Enduro- und Downhill-Rennen. Nur zum Spaß. Bis sie der Ehrgeiz kitzelt. 2020 gründen sie das Gravity Team. Das Geld, das sie von den Sponsoren bekommen, reicht gerade, um ein paar Wochen im Camper von Rennen zu Rennen zu tingeln. Beim Training zum Downhill Worldcup in Val di Sole passiert es dann: ein „dummer Sturz“ – David spürt seine Beine nicht mehr. Seitdem sitzt er im Rollstuhl.
„Aufhören war nie eine Option“, sagt David wie selbstverständlich beim Team-Meeting mit Torben.
„Freunde, Familie, Freundin – letztendlich macht es das Umfeld aus, was ich und wir gemeinsam erreichen können.“ Ein fixer Teil des menschlichen Rückhalts, auf den sich David verlassen kann, ist Torben. „Er hat sofort nach dem Unfall signalisiert, dass wir Wege finden, wie wir wieder zusammen Radfahren können.“ Längst ist David selbst wieder auf den Trails unterwegs – mit einem Adaptiv Mountainbike, einem downhill-tauglichen Trike mit E-Motor. Doch das ist nur ein winziger, spaßiger Teil des Gravity-Projekts der beiden. „Der fatale Sturz war ein harter Test für unsere Freundschaft, aber sie hat gehalten“, fasst David zusammen. Letztendlich hat der Schicksalsschlag dem Gravity Team eine neue Richtung gegeben. „Von einer Spielerei zum serious Business“, stellt David klar. Will heißen: in den vergangenen Monaten haben die beiden es geschafft, ihr Rennteam auf neue, stabile Beine zu stellen. Mit Rotwild und Schwalbe als Sponsoren, dem Iren Kelan Grant und der Deutschen Enduro-Vizemeisterin Helen Weber als zusätzliche Rider im Team. Bislang war David Teammanager, aber sein Job im „zivilen“ Leben als Assistenz der Geschäftsführung eines mittelständischen Aktienunternehmens lässt zu wenig Zeit, um die von ihm selbst propagierte Professionalität zu erfüllen. Also haben die beiden Lukas Spießl als neuen Teammanager angestellt und mit ihm zusammen eine GmbH gegründet.
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Wie viel Arbeit dahintersteckt, als Fahrer freiberuflich ein Race-Team an den Start zu bringen, lässt sich nur erahnen: Notartermine, Gesellschafterverträge, Gespräche mit der Bank, dazu umfangreiche Recherchen und Tests für die Materialauswahl. Ganz zu schweigen von der sportlichen Vorbereitung. Weder Torben noch David sind Freunde großer Worte, wenn es um eigene Taten geht. „Was zählt, ist: Wir haben es geschafft, die Finanzierung der Rennsaison zu stemmen – mit allen Spesen, Trainingslagern, meinem Lebensunterhalt, dem Gehalt des Teammanagers und allem, was sonst noch dazugehört“, resümiert Torben die vergangenen Monate. Wer sich in der Rennszene auskennt, weiß, dass eine Worldcup-Saison für ein Rennteam ohne einen mittleren sechsstelligen Betrag kaum möglich ist.
Torben ist keine Rampensau, der die Sponsoren nur so zufliegen. „Wir sind ein atypisches Team“, überlegt David. „Authentisch. Professionell. Strukturiert.“ Torbens ruhige, nüchterne Art mag nicht unbedingt das sein, was die Szene von einem Star erwartet. Doch: „Seien wir ehrlich“, meint David. „Am Ende zählen die Ergebnisse.“ Und deshalb planen die beiden ihr Team so akribisch strukturiert, wie Torben als Ingenieur einen Bike-Rahmen konstruieren würde. Klare Pläne, klare Vorstellungen, fundierte Vorbereitung.
Erfolge sind der eine Teil. Aber damit ein Team rundläuft, müssen auch die zwischenmenschlichen Vibes stimmen. Das ist in Davids Augen der größte Wert des Teams:
Wir sind kein zusammengewürfeltes Team aus Einzelkämpfern. Wir sind echte Freunde. Und das soll auch in Zukunft so bleiben.
Torben und David – zwei ziemlich beste Freunde. Sie bilden den Kern des Rotwild Schwalbe Gravity Teams. „Vom Typ her sind wir grundverschieden“, meint David schmunzelnd. „Aber wir ergänzen uns perfekt“, fügt Torben hinzu. „Ich bremse mich durch meine perfektionistischen Züge manchmal selbst aus oder verkrampfe“, gesteht Torben. „David hat auf vieles einen lockereren und trotzdem abgeklärten Blick. Für ihn gibt es immer eine Lösung, wenn ich hadere.“ – „Entscheidend ist das grenzenlose Vertrauen, das wir ineinander haben“, ergänzt David. „Natürlich gibt es Differenzen, wir können uns auch mal zoffen, doch am Ende führt das zu guten Lösungen, weil wir uns gegenseitig vertrauen.“ Wird die Kraft der Freundschaft reichen, den großen Teams die Stirn zu bieten?
Wie auch immer – miteinander zu diskutieren, hilft den beiden, in der Flut der Aufgaben die Prioritäten nicht aus den Augen zu verlieren. Beide sind überzeugt, es ist der richtige Zeitpunkt, nun voll auf E-Racing zu setzen. „Wer weiß“, wagt Torben einen Blick in die Zukunft, „vielleicht sind E-Bike-Rennen bald die Rennen im Bike-Worldcup. Power-Stages machen für die Zuschauer bislang eher langweilige Uphill-Passagen spannend. Steile Rampen und künstliche Hindernisse, die Trial-Künste erfordern, werden für zusätzliche Würze sorgen. Wir sind noch längst nicht am Ende der Entwicklung.“
Auch was das Material betrifft, wird der Worldcup in Torbens Augen noch mehr als bisher zum Innovationsmotor in der E-MTB-Entwicklung werden. Anstiege und Downhills stellen sehr gegensätzliche Anforderungen an die Bikes. „Variable Fahrwerke könnten eine Möglichkeit sein, darauf zu reagieren“, überlegt Torben. Auch Automatikschaltungen findet er interessant. „So kannst du dich als Fahrer mehr auf die Strecke und die Hindernisse konzentrieren.“ Als Maschinenbauer ist sich Torben sicher: „Im Zusammenspiel von Mensch und Maschine ist noch viel mehr möglich.“ Bei der Innovationsschmiede Rotwild fühlt er sich mit Blick auf die technischen Herausforderungen top aufgehoben. Gerade testet er einen Prototyp, der demnächst in Serie gehen wird und mit dem er die Worldcup-Saison bestreitet.
Davids Lockerheit gibt mir Power. Für ihn gibt es immer eine Lösung, wenn ich hadere – Torben Drach über seinen Teampartner David Horvath
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Genauso akribisch, wie Torben sich um Material und Teamauftritt kümmert, plant er auch sein Training. „Ich sitze nicht nur auf dem Bike“, erzählt er während einer Trainingsrunde am Edelberg bei Ettlingen. „Mein Training besteht aus drei großen Blöcken. Block 1: Ausdauer- und Sprinttraining mit hochintensiven Intervallen. Block 2: Fahrtechnik und Geschicklichkeit. Block 3: Fitness-Training: Core-Stabilität, eine gute Bauch- und Rückenmuskulatur sowie Power in den Armen sind unverzichtbar, um auf langen Stages nicht schlappzumachen.“ Seit einem Jahr arbeitet Torben mit dem schottischen Ausdauerspezialisten Jamie Read als Trainer zusammen. Und seit Kurzem ist Jamie nun offizieller Teamcoach. Zusätzlich arbeitet Torben mit dem Fahrtechnik-Experten Luca Morell zusammen. „Die Frage, wie ich Kurven und Hindernisse am schnellsten und am besten meistere, ist ein nie endendes Thema. Da kann ich mich endlos weiterentwickeln“, weiß Torben. Und er weiß auch, dass ein analytisches und professionelles Training unverzichtbar ist, um sich in der Weltspitze zu etablieren. Deshalb sind Runden wie am Strommasten-Downhill bei Karlsruhe für ihn allenfalls ein Basistraining. Schon bald wird er wieder ins Enduro-Mekka Finale Ligure aufbrechen, zum nächsten Trainingslager.
Die Zeiten, als in den Gravity-Disziplinen nach dem Training viel Bier floss, sind definitiv vorbei, meint Torben, als er nach dem Training in der WG-Küche einen Berg Gemüse schnippelt.
„Nichts gegen ein Bierchen mit Freunden, aber um mit der Weltspitze mithalten zu können, muss man dem Körper die Energie geben, die er braucht.“ Auch hier schlägt immer wieder Torbens Perfektionismus durch. „Es kommt schon vor, dass ich abends zwei Stunden am Laptop sitze und ausrechne, ob ich meinen Nährstoffbedarf tatsächlich decke“, gibt er schmunzelnd zu. Trainer Jamie erstellt bei Leistungstests metabolische Profile, wie viel Kohlenhydrate, Eiweiß und Mineralien Torben benötigt.
Torben ist bewusst – Erfolge garantieren kann auch die akribischste Vorbereitung nicht. Siegen ist auch Kopfsache. Genau da ist David eine wichtige Stütze für ihn. „Wir hatten einen schweren Start mit unserem Team“, spielt David auf seinen Sturz an. „Doch wir haben gelernt, uns immer wieder gemeinsam aus einem Tief nach oben zu ziehen.“ – „Ein Sieg ist nicht nur mein Sieg“, stellt Torben mit Blick auf seinen Titel bei den Deutschen Enduro-Meisterschaften klar. „Es gibt kein Ich. Das ist immer eine Teamleistung.“ Genau das macht für ihn den Spaß an den Rennen aus. Und vielleicht ist das ja auch ein Erfolgsrezept. Schafft es Torben in den nächsten Jahren tatsächlich auch bei internationalen Rennen aufs Podium – es wäre eine hollywoodtaugliche Story zweier ziemlich bester Freunde. Und wenn nicht? Gute Freunde … kann niemand trennen.
Sechs Rennen, fünf Länder. Die E-Enduro World Series (E-EDR) bietet einen hochprozentigen Cocktail aus knackigen Downhill-Strecken und teils kniffligen Uphill-Stages. Im ersten Rennen der Saison im italienischen Finale Ligure landete Torben Drach auf dem 21. Rang im hinteren Mittelfeld. Geht in den nächsten Rennen mehr? Wer Torben Drach bei seinen wichtigsten Rennen verfolgen will, kann das bei den folgenden Worldcup-Events 2024 (uci.org):