Homestory mit Freeride-Superstar Andreu Lacondeguy

Laurin Lehner

 · 31.05.2015

Homestory mit Freeride-Superstar Andreu LacondeguyFoto: Ale Di Lullo
Homestory mit Freeride-Superstar Andreu Lacondeguy

Andreu Lacondeguy gilt als einer der Letzten seiner Art. Der Freeride-Superstar sagt, was er denkt und macht nur das, worauf er Lust hat. Zu Besuch beim vielleicht legendärsten Stuntman...

Der Kellner spricht kein Wort Englisch. Ich muss es anders versuchen. Ich stehe in einem überfüllten Restaurant in einem Kaff namens Das. Hier soll Andreu Lacondeguy wohnen. Leider hat er trotz mehrmaliger Nachfrage-Mails weder einen Straßennamen noch eine Hausnummer mitgeteilt. "Alles, was Du machen musst, ist, in einen kleinen Ort namens ,Das‘ zu fahren – schrieb Andreu, "sonst nichts." Zwar ist "Das" tatsächlich ein Kaff – doch so ganz ohne Straßennamen finde ich das Haus, in dem er wohnt, trotzdem nicht. Und ans Telefon geht er natürlich auch nicht – da hilft nur Rumfragen. Auf den Straßen finde ich keine Menschenseele. Das Restaurant ist meine einzige Hoffnung. Dem Kellner sagt der Name Andreu Lacondeguy nichts. Zumindest, wie ich ihn ausspreche. Verzweifelt probiere ich es mit Zeichensprache und schlechtem Mallorca-Spanisch. Meine flache Hand zeigt auf die Höhe meiner Schulter (die Körpergröße von Lacondeguy). Dann bekritzele ich meine Arme mit einem imaginären Stift (die Tätowierungen). Schließlich lege ich meine flache Hand an die Stirn, als würde ich schlecht salutieren (die Kappe, die Andreu meist trägt). Jetzt reißt der Kellner seine buschigen Augenbrauen nach oben. "Ah, el loco – bicicleta bien", sagt er. Dann kritzelt er hastig eine Skizze auf seinen Bestellblock und beschreibt mir den Weg. Und tatsächlich, die Skizze hilft. Einfach: "En la calle de la iglesia – izquierda, derecha … "

  "Mittlerweile kann ich auch mal einen Abend auf der Couch verbringen", sagt Energiebündel Andreu. Was auch an seiner deutschen Freundin Lisa liegt.Foto: Ale Di Lullo
"Mittlerweile kann ich auch mal einen Abend auf der Couch verbringen", sagt Energiebündel Andreu. Was auch an seiner deutschen Freundin Lisa liegt.

Andreu Lacondeguy (gesprochen Lakondächi) zählt zu den schillerndsten Figuren im Freeride-Sport. An dem quirligen Katalanen haftet das Image eines Partytiers. Gleichzeitig ist er so erfolgreich wie kaum ein anderer. Während andere lange und gezielt an ihrem Rockstar-Image feilen, scheint Andreu dieses schon in die Wiege gelegt bekommen zu haben. Mit seiner hyperaktiven Art und seiner euphorischen Erzählweise, lässt er alle anderen im Raum wie auf Valium wirken. Doch Andreu eckt mit seiner lauten und provokanten Art auch an. Denn er sagt, was er denkt und macht nur das, worauf er Lust hat. Das kommt in der Szene und bei Sponsoren nicht immer gut an. So kritisiert er Wettkampfveranstalter öffentlich, wenn ihm die Kurse nicht gefallen. Oder er antwortet wochenlang nicht auf E-Mails von Sponsoren. Andere würden sich mit dieser Einstellung schnell ins Abseits manövrieren – nicht so Andreu. Der genießt bereits zu Lebzeiten einen Ruf, den er sich mit einzigartigen Video-Segmenten, waghalsigen Stunts und seinem eigenwilligen Lifestyle erarbeitet hat.

Bei unserem Besuch merken wir schnell – Andreu spielt nicht. Er ist tatsächlich so, wie er scheint. Die Inneneinrichtung seines Hauses hatten wir uns allerdings anders vorgestellt. Statt Chaos herrscht Ordnung im Haushalt Lacondeguys. Das Interieur wirkt klassisch und erwachsen. Die Schuhe werden vor der Haustür ausgezogen. Wären da nicht all die Pokale, die eingerahmten Magazin-Titel und die ausgedienten Red-Bull-Helme als Dekoration – hier könnte auch eine Zahnarztfamilie wohnen. Dass die Ordnung auch an den Frauen im Haus liegt, merken wir erst später. Außer Andreu wohnen hier nämlich noch seine deutsche Freundin Lisa, sein Bruder Lluis und dessen Freundin Nikol.

Andreu Lacondeguy – Freeride-Superstar und Rebell
Foto: Ale Di Lullo


Andreu, wusstest Du, dass auf Facebook über 30 Profile mit Deinem Bild und Namen angemeldet sind?
Uh, nein. 30 sind verdammt viel. Ich habe mal eins entdeckt und habe mich schon gewundert, wer das wohl sein mag. 30, wirklich?


Ja. Schon mal eins angeschrieben?
Nein, aber das sollte ich. Von so vielen Profilen wusste ich gar nichts. Ich habe keine Ahnung, wer das sein mag. Ob sie wohl meine Freundschaftsanfrage annehmen würden?


Mails schreiben ist nicht Deine Stärke. Wir haben fünf E-Mails, vier WhatsApp-Nachrichten und zwei SMS verschickt, bis Du Dich gemeldet hast.
Ha ha, ja das stimmt. Da verliere ich schnell den Überblick. Besonders, wenn ich mal zwei, drei Tage offline bin. Normalerweise versuche ich, mich nach dem Frühstück hinzusetzen und alle Mails zu beantworten – meistens.


Du verkörperst den klassischen Rockstar-Freerider, bist von Kopf bis Fuß tätowiert. Wie reagieren Leute auf Dein Aussehen, die nicht wissen, dass Du Profi-Sportler bist?
Keine Ahnung, schließlich habe ich die meisten Tattoos schon seitdem ich 17 Jahre alt bin. Ich weiß gar nicht mehr, wie es ohne war. Doch heute tragen viele Tattoos, und es laufen Typen rum, die noch viel verrückter aussehen als ich (lacht).

  Andreus Körper ist mit vielen unterschiedlichen Tattoos geschmückt.Foto: Ale Di Lullo
Andreus Körper ist mit vielen unterschiedlichen Tattoos geschmückt.


Nach zehn wilden Jahren als Profi-Sportler wohnst Du jetzt zusammen mit Deiner Freundin hier in den Bergen. Wirst auch Du langsam ruhiger?
Ruhiger? Ich glaube, ich ticke noch genau so wie früher. Ich brauche immer noch Programm. Hier in meinem Haus leben auch mein Bruder und seine Freundin. Uns wird selten langweilig. Dazu sind meist Freunde zu Besuch, und wenn ich mal wirklich nichts zu tun habe und auch nicht biken kann, dann wandere ich im Notfall alleine in die Berge und suche neue Trails. Allerdings kann ich mittlerweile auch mal einen Abend auf der Couch verbringen, wenn es sein muss.


Und sonst hat sich seit fast zehn Jahren nichts an Deinem Lifestyle geändert?
Doch, ich versuche, die gleichen Fehler nicht ein zweites oder drittes Mal zu machen.


Welche Fehler meinst Du?
Ich weiß mittlerweile, was sich bewährt und was nicht. Stinknormale Lebenserfahrung eben. Ich habe in meiner Profi-Karriere schon viel erlebt. Jetzt reise ich sicher nicht mehr dahin, wo Biken womöglich keinen Spaß macht, oder fliege zu einem Dirtjump-Wettkampf, bei dem ich gar nicht starten will.


Du hast letztes Jahr den bekanntesten Big-Mountain-Wettkampf der Welt gewonnen, die Rampage. Was hat sich seither geändert?
Ich habe noch keine Interview-Anfrage vom Playboy bekommen, wenn Du so was meinst. Doch immerhin hab’ ich es in die spanischen Nachrichten geschafft. Der Sieg hat mir gutgetan. Denn seitdem ich nur noch an den Wettkämpfen teilnehme, auf die ich Lust habe, fällt es schwerer, meinen Sponsoren zu beweisen, dass ich immer noch gewinnen kann. Jetzt kann ich mich wieder in Ruhe auf mein Ding konzentrieren.

  Andreus Spezialgebiet: fette Bikes, große Sprünge. Hier bei der legendären Red Bull Rampage in der Wüste Utahs, USA.Foto: Red Bull Content Pool
Andreus Spezialgebiet: fette Bikes, große Sprünge. Hier bei der legendären Red Bull Rampage in der Wüste Utahs, USA.


Das wäre?
Das zu machen, was mir Spaß macht. Ich plane ein aufwändiges Video. Das wird viel Zeit kosten. Und dann ist da ja noch unsere Fest-Series (eine fahrerorganisierte Jam-Session ohne Ranking/Anm. d. Red.). Den Rest der Zeit will ich einfach nur biken gehen.


Du hast aktuell keinen Klamotten-Sponsor. Auf einem FREERIDE-Cover hat man Dich oberkörperfrei biken gesehen. War das eine versteckte Nachricht an potenzielle Sponsoren?
(Lacht) Vielleicht, doch so genau hatte ich mir da keine Gedanken gemacht. Fakt ist, dass mein ehemaliger Sponsor pleite ging. Mitte des letzten Jahres habe ich einen neuen gesucht. Das ist aber nicht so einfach. Denn die Firmen, deren Klamotten und Protektoren ich gerne tragen würde, boten mir einen zu geringen Betrag an. Andere Firmen sind mir nicht cool genug – das Zeug ziehe ich nicht an.


Kann man sich als Profi so eine Einstellung leisten?
Klar geht da viel Kohle verloren, doch ich will mich mit meinem Sponsor identifizieren können. Alles andere ist Quatsch und unglaubwürdig. Momentan kaufe ich mir Klamotten, Schuhe oder Protektoren ganz normal im Shop oder bekomme sie geschenkt. So kann ich wenigstens tragen, was mir gefällt.


Muss man als Profi-Freerider denn nicht auch Geschäftsmann sein?
Eigentlich schon, bezeichnen würde ich mich als so einen allerdings nicht. Um meine Steuererklärung kümmert sich jemand, der Ahnung davon hat. Das gebe ich mir sicher nicht. Mit den Firmen verhandle ich mittlerweile selbst. Da gilt es, sich nicht unter Wert zu verkaufen. Viele Firmen wollen ihre Fahrer am liebsten nur mit ihren Produkten versorgen, statt Geld zu zahlen. Dabei scheffeln sie durch den Image-Gewinn massig Kohle.


Es heißt, FMB-Star Brandon Semenuk verdient 400.000 Dollar im Jahr. Spielst Du in der gleichen Liga?
400.000 Dollar? Zzzz, das sind ja Peanuts (lacht sichtlich amüsiert).

  Am liebsten fährt Andreu mit seinem Big Bike. Enduro findet er auch gut – mit diesem "Modenamen" kann er allerdings nichts anfangen: "Ist doch schließlich nichts anderes als Mountainbiken", meint Andreu.Foto: Ale Di Lullo
Am liebsten fährt Andreu mit seinem Big Bike. Enduro findet er auch gut – mit diesem "Modenamen" kann er allerdings nichts anfangen: "Ist doch schließlich nichts anderes als Mountainbiken", meint Andreu.


Werden Freerider in Deinen Augen unterbezahlt?
Ja, denn wir riskieren viel und machen krasse Sachen. Dazu kosten all die Reisen enorm viel Geld. Die große Kohle sacken die Veranstalter ein, bei uns bleibt nur wenig hängen. Und dann kommt noch die Steuer. Ich musste Preisgelder sogar schon doppelt versteuern. In den USA und hier in Spanien. Da bleibt dann manchmal gerade die Hälfte übrig. Krass, oder?


Du gehörst zu den Veteranen in der Szene. Musst Du schon langsam Geld auf die Seite legen oder Dir Gedanken über einen Plan B machen?
Nein, ich will noch lange Profi bleiben. Denn ich krieg nicht genug davon, mit meinem Big Bike an den schönsten Plätzen der Welt zu biken und 25 Meter weit durch die Luft zu fliegen. Auch deshalb wohne ich jetzt in den Bergen. Hier kann ich jeden Tag mit meinem Big Bike fahren gehen. Ich mache, worauf ich Lust habe und werde dafür bezahlt. Das gefällt mir nach all den Jahren noch immer verdammt gut. Zudem sind die Zeiten, in denen ich zu komischen Events reiste, vorbei.


Ist es nicht ein wenig bequem, nur Dinge zu machen, die einem Spaß machen?
Was spricht dagegen? Es ist ja nicht so, als würde ich faul dasitzen und nichts für meine Sponsoren leisten. Diese Woche ist zum Beispiel ein Fotograf zu Besuch. Mit krassen Bildern und Videoprojekten bekommt man ohnehin mehr Medienaufmerksamkeit. Gleichzeitig habe ich Spaß dabei. Dinge zu machen, die einem keinen Spaß machen, sollen die anderen tun.


Die FMB-Word-Tour macht Dir keinen Spaß. Dabei gilt die Wettkampf-Serie als Plattform für Freerider. Du kritisierst sie öffentlich. Warum?
Ich sage nur meine Meinung. In dem Fall betrifft mich das Thema. Alle reden von einer Freeride-World-Tour, die überhaupt nichts mit Freeriden zu tun hat. Eigentlich wird der Begriff missbraucht. Es wird mit kleinen Hardtails gestartet, auf geleckten Kursen, die man locker mit dem BMX-Bike fahren könnte. Was hat das mit Mountainbiken zu tun? Zugegeben, früher hatte ich Spaß an solchen Events. Mittlerweile bin ich alt genug, um zu wissen, dass Mountainbikes dafür gebaut werden, um damit in den Bergen zu fahren.


Was ist Freeriden für Dich?
Freeriden bedeutet für mich mit großen Bikes große Sprünge zu springen und das alles in den Bergen. Der Wettkampfgedanke passt da auch nicht wirklich. Denn warum soll die Jury bestimmen, wer am lässigsten den Berg runtergefahren ist? Es heißt schließlich free riding, also freies fahren. Wenn man die Läufe unbedingt bewerten will, dann sollten die Fahrer es selbst tun. Denn sie wissen am besten, wie anspruchsvoll das Terrain ist oder wie kniffelig sich die Tricks springen lassen.


Die Rampage liegt Dir, trotz Jury und Ranking. Was macht den Wettkampf so einzigartig?
Die Rampage ist anders. Es ist das Freeride-Event schlechthin. Das war schon immer so. In diesem Terrain können nur echte Freerider punkten. Doch hier muss man auch noch andere Fähigkeiten mitbringen, die nichts mit Biken zu tun haben.

  Andreu posiert für die Fotografen bei der Red Bull Rampage 2012Foto: Ian Highlands
Andreu posiert für die Fotografen bei der Red Bull Rampage 2012


Die wären?
Du musst dir eine funktionierende Linie in den Hang bauen. Denn, ohne die kann selbst der beste Freerider hier nichts erreichen. Und weil noch 40 andere Fahrer eine Gewinnerabfahrt in den kleinen Hang basteln wollen, herrscht hier viel Rivalität. Ärger ist vorprogrammiert.


Das Freeride-Motto: "Wir sind alles Freunde und haben Spaß", scheint hier also nicht zu greifen.
Nein, die Rampage gilt als WM der Freerider. Da liegen die Nerven blank, denn die Sponsoren erhoffen sich viel von der Teilnahme ihrer Fahrer. Hier wollen sich alle beweisen und zeigen, was sie draufhaben. Manche Fahrer machen sich deshalb viel Druck, denn, wie du bei der Rampage abschneidest, wirkt sich meist auf deine Karriere aus. Entweder du wirst bejubelt, oder du landest im Krankenhaus.


Du wurdest bejubelt. Platz eins. Vielen Zuschauern gefriert das Blut in den Adern, wenn sie sehen, wo Du mit einem Bike runterspringst. Dir auch?
Ha ha, Gott sein Dank nicht. Doch auch ich habe Respekt vor der Höhe. Da darf nichts schiefgehen. Man muss klug handeln.


Wie meinst Du das?
Du musst die Gefahren abwägen können. Die Anfahrtsgeschwindigkeit einzuschätzen, ist besonders kniffelig. Dann muss man überlegen, ob man daran glaubt, unten sicher zu landen, oder ob man daran zweifelt. Zweifelst du, dann lass’ es lieber sein! Denn du alleine musst mit den Konsequenzen leben.

  Andreu Lacondeguy on airFoto: Ale Di Lullo
Andreu Lacondeguy on air


Doch auch Du musst Dich bestimmt manchmal überwinden.
Klar, doch wenn ich fest daran glaube, dass es klappen wird, fällt es mir nicht so schwer. Vorausgesetzt, die Bedingungen passen. Bei einem kommerziellen Wettkampf fragt leider niemand danach. Da heißt es schon Monate zuvor: Sonntag, der X-te um vier Uhr, geht’s los. Kein Schwein weiß, ob es an dem Tag windet, wie du dich fühlst, oder ob die Sonne ins Gesicht strahlt. Genau dann wird es gefährlich, und Dinge können schieflaufen.


Wann ging bei Dir das letzte Mal etwas schief?
(Denkt lange nach) Ähm, weiß ich nicht mehr. Ich bin schon oft hart gestürzt. Ich will nicht wissen, wie viele Gehirnerschütterungen ich schon hatte. Doch so richtig übel habe ich mich noch nie verletzt (Andreu klopft auf den Holztisch vor sich).


Fühlst Du Dich deshalb unbesiegbar?
Möglich. Wer sich schon mal ernsthaft verletzt hat, denkt stärker an die Konsequenzen. Das merke ich oft an Fahrern, die nach ihrer Verletzungspause wieder zurückkommen. Sie kriegen es schneller mit der Angst zu tun.


Wovor hat ein Andreu im Alltag Angst?
Mmh (Pause). Fliegen. Ich fahre lieber mit dem Auto, selbst lange Strecken. Stell Dir vor, der Pilot hat einen schlechten Tag. Vielleicht hat seine Freundin ihn betrogen oder so etwas – und dann verbockt er es, und das Flugzeug stürzt ab. Kein gutes Gefühl, sein Leben von anderen abhängig zu machen. Beim Biken liegt es dagegen an mir, ob ich die Lufteinlage heil überstehe.

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