BIKE: High Pivot scheint das Gebot der Stunde im Downhill. Trek hat sein Session vor einiger Zeit auf High Pivot umgestellt, jetzt auch Canyon das Sender. Ich erinnere mich an einen frühen FREERIDE-Test von 2016 mit dir zusammen. Schon damals waren die High-Pivot-Bikes im Test die schnellsten. Haben Bigbikes ohne hohen Drehpunkt ausgedient?
Marcus Klausmann: Nein, die haben nicht ausgedient. Schau dir das Frameworx an, das Specialized, Santa Cruz oder YT. Oder auch das Atherton. Sprich: Bikes ohne High Pivot sind nach wie vor konkurrenzfähig.
Ist High Pivot demnach mehr Mode als kinematisches Must-Have?
Das kann man auch nicht sagen. High Pivot gibt es ja schon lange. Ich fuhr schon früh Rennen auf Downhillern mit High Pivot. Aber auch bei High Pivot gilt: Es hat seine Vor- und Nachteile. Heute sind die High-Pivot-Konstruktionen natürlich viel ausgeklügelter und besser. Schon im Test 2016 hatte ich feststellen müssen, dass bei Bulls und Commencal die Vorteile die Nachteile überwogen.
Die wären?
Die Vorteile: Die Kette hat viel weniger Kettenzug. Bei High Pivot ist die Raderhebungskurve eine andere – die läuft nicht im Kreisbogen, sondern erst nach hinten und dann im Kreisbogen. Das Hinterrad kann Hindernissen also besser ausweichen. Nachteil: Du hast eine Kettenstreben-Längung beim Einfedern. Beim Anbremsen ist das noch gut, doch in der Kurve ist es von Nachteil, weil du nicht so schnell drehen kannst. Früher war das der Hauptnachteil der High-Pivot-Systeme. Doch das haben die Konstrukteure jetzt besser in den Griff bekommen. Auf der anderen Seite: Als ich wieder konventionelle Bikes gefahren bin, gefielen mir die teilweise besser, weil sie mehr Feedback und Rückmeldung vom Boden geben. High-Pivot-Bikes haben sich dagegen eher “tot” angefühlt – träge!
Die klebten zu sehr am Boden und fuhren jede Welle aus. Das macht dann auch wieder langsam. Aber auch das kann man nicht verallgemeinern. Manche Hersteller wie Commencal haben das super im Griff. Die fahren sich überhaupt nicht träge. Bei anderen stellt sich das High-Pivot-Gefühl aus den Anfangstagen ein wie beim Norco, das wir vor Jahren in Todtnau zusammen getestet hatten. Daher würde es mich sehr interessieren wie sich das neue Canyon Sender fährt, wie hier die High-Pivot-Idee umgesetzt wurde.
Du meinst also: High Pivot muss nicht sein.
Richtig: High Pivot muss nicht sein. Schau dir das Atherton an – es ist eine absolute Worldcup-Gewinnungsmaschine und dabei das simpelste System. Deswegen: Bikes ohne High Pivot stehen definitiv nicht auf dem Abstellgleis.
High Pivot drückt auf die Waage. Das Canyon Sender und vergleichbare Bikes wiegen um die 18 Kilo.
Stimmt. Doch Gewicht spielt bei den Bikes heute nicht mehr die große Rolle. Schau nach Fort William! Da da kleben sich die Racer alle ein halbes Kilo bis ein Kilo Blei unters Tretlager, um das E-Bike-Feeling zu kriegen. Durch das E-Bike ist man wieder aufs Gewicht gekommen und hat festgestellt, dass Gewicht gar nicht so schlecht ist. Aber richtig ist auch: Gewicht macht träge, Gewicht muss ich bewegen, dazu brauch ich Kraft. Dennoch: Ein schwereres Rad ist dem Rennfahrer heute lieber, denn es liegt satter, ist sicherer, gibt mehr Kontrolle. Selbst beim Springen kann Gewicht von Vorteil sein, denn ein schwereres Rad fliegt stabiler durch die Luft.
Zumal die Sprünge auch immer fetter werden, wenn ich an Red Bull Hardline oder Darkfest denke.
Das sind ja mittlerweile Motocross-Distanzen. Ein leichtes Bike verbläst es dir da viel schneller.
High-Pivot-Konstruktionen wurden ursprünglich im Motorradsport eingesetzt, bevor sie in das Mountainbiking übernommen wurden. Diese Technologie ist bekannt für ihre Fähigkeit, das Ansprechverhalten und die Traktion im Gelände zu verbessern, ein Konzept, das sich gut für Motorräder eignete, die in extremem und technischem Gelände gefahren wurden.
Dadurch inspiriert übernahmen Bike-Konstrukteure die High-Pivot-Kinematik für Downhill-Bikes schon in den 1990ern. Prominentes Beispiel: Nico Vouillozs V Process. Das Revival der High-Pivot-Bikes wurde befeuert durch das Bike-Label Commencal. Commencal setzte den Highpivot-Downhiller Supreme DH so erfolgreich im Worldcup ein, dass ein Hype um die Kinematik entstand. Plötzlich wollten alle Racer High-Pivot-Bikes und die Mode schwappte selbst in die Kategorien Enduro und Trail, was durch die Einfach-Kettenblätter jetzt möglich wurde, denn die Kettenführung über Umlenkrolle ist nur bei einem Kettenblatt praktikabel.
Federt ein Bike mit tiefen Schwingendrehpunkt (Low Pivot) ein, wird der Hinterbau beim Einfedern kürzer, die Kette folglich länger. Im Gegensatz dazu: High-Pivot-Hinterbauten. Hier wird der Hinterbau länger. Folglich will sich auch die Kette verkürzen und es entsteht Kettenzug, der das Pedal unangenehm zurückzieht (Pedal Kickback). Gegenmaßnahme: die Kettenumlenkung. Wird die Kette allerdings um den Drehpunkt gelegt mittels einer Rolle, bleibt die Kettenlänge gleich. Daher gibt’s keine Probleme mehr beim Einfedern. Weiterer Vorteil: Diese Umlenkung entkoppelt das Fahrwerk beim Pedalieren.