Herzenssache

Henri Lesewitz

 · 30.03.2017

HerzenssacheFoto: Henri Lesewitz
Herzenssache

Elmar Sprink fuhr mit dem MTB über die Alpen und liebte Ironman-Rennen. Dann blieb sein Herz stehen. Mit einem neuen in der Brust will er nun das Cape Epic bezwingen. Eine medizinische Sensation.

Sein Handdruck ist kernig, es fühlt sich an wie der Griff in einen Entsafter. Das ist er also. Der Mann, dessen Herz von einer Sekunde auf die andere stehen blieb. Der Mann, der ein halbes Jahr lang so gut wie tot war, von zwei Pumpen künstlich am Leben gehalten. Dem sie ein neues Herz einpflanzten. Der anschließend den Ironman-Triathlon auf Hawaii bezwang. Und der nun Mitte März das Cape Epic wagen will – das größte Mountainbike-Etappenrennen der Welt. "Ich bin ganz schön aufgeregt", sagt Elmar Sprink, während er mit dem BIKE-Reporter im Herbst 2016 über die Trails jagt. Es ist das erste Treffen. Bei einer Erfrischungs-Limo erzählt Elmar seine Geschichte. Eine unglaubliche Geschichte.


Wie fühlt sich ein fremdes Herz in der Brust an?
Ganz gut. Ich glaube sogar, das Herz ist viel leistungsfähiger als mein Fahrgestell. Ich bin unheimlich belastbar. Manchmal denke ich scherzhaft: Mensch, das Herz hätte ich früher schon gebraucht, vor der Krankheitsphase. Dann hätte ich bei dem ein oder anderen Ironman wahrscheinlich noch mehr gerissen.

  Der Sport als Herzschrittmacher: Sein neues Leben hält Elmar auf Trab. Er gibt Laufkurse und hält Motivationsvorträge. Seinen alten Job als IT-Spezialist hat er an den Nagel gehängt. Foto: Henri Lesewitz
Der Sport als Herzschrittmacher: Sein neues Leben hält Elmar auf Trab. Er gibt Laufkurse und hält Motivationsvorträge. Seinen alten Job als IT-Spezialist hat er an den Nagel gehängt. 


Fühlt es sich fremd an? Oder ist es Dein Herz?
Ein Herz ist ein Muskel. Ich habe also in erster Linie einen neuen Muskel eingepflanzt bekommen. So oft denke ich da ehrlich gesagt auch gar nicht mehr drüber nach. Ist das mein Herz, oder das Herz eines anderen? Das liegt vielleicht auch daran, dass ich nicht weiß, wem das Herz gehört hat. Das ist generell so geregelt, dass man den Namen des Spenders nicht mitgeteilt bekommt. Am Anfang, kurz nach der Transplantation, habe ich überlegt zu googeln, ob irgendwo ein Unfall war. Ich habe mich entschieden, es nicht zu tun. Dann hätte man das wahrscheinlich immer im Kopf – das Schicksal des Menschen, der gestorben ist. Neun Monate nach der Transplantation bin ich bei "Rund um Köln" das Jedermannrennen mitgefahren. 32er-Schnitt! Radfahren ging super. Innerhalb eines Jahres habe ich mich beim Leistungstest auf 240 Watt gesteigert. Ich vermute ja, dass mein Herz von einem Radfahrer stammt.


Du warst ein austrainierter Sportler, als 2010 plötzlich Dein Herz stehen blieb. Was ist passiert?
Tja, schwierig zu sagen. Es war kein Herzinfarkt, und es wurde auch kein Hinweis auf einen Virus gefunden. Es kam wie aus dem Nichts. Ich bin mit dem Mountainbike über die Alpen gefahren, war in Nepal zum Bergsteigen und habe sechs Ironman-Triathlons gefinisht. Ich war fit. An dem Tag, an dem mein Herz stehen blieb, saß ich daheim auf dem Sofa und habe die Tour-de-France-Aufzeichnung vom Vortag geguckt, 8. Etappe, Bergankunft. Es war Montag. Als ich im Krankenhaus aufwachte, wusste ich nur: Sofa, Tour de France, schwarz. Überall waren Schläuche. In meiner Nase steckte ein Kabel. Geräte piepten. Ich hatte keine Ahnung, was passiert war. Aber ich ahnte, dass es etwas Ernstes gewesen sein musste. Wie ich später erfuhr, hatte ich extremes Glück, dass ich noch lebte. Das verdankte ich nur zwei Zufällen.

  Oberschenkel im Glück: Elmar liebt das Brennen der Muskeln, er lässt keine Gelegenheit zum Höhenmetersammeln aus. Bergab jedoch fährt er extrem vorsichtig. Jede Infektion könnte für ihn lebensbedrohlich sein. Foto: Henri Lesewitz
Oberschenkel im Glück: Elmar liebt das Brennen der Muskeln, er lässt keine Gelegenheit zum Höhenmetersammeln aus. Bergab jedoch fährt er extrem vorsichtig. Jede Infektion könnte für ihn lebensbedrohlich sein. 


Was für Zufälle waren das?
Der Erste war: Meine Frau Karin war an diesem Tag früher von der Arbeit nach Hause gekommen. Sie saß im Nebenzimmer am Computer. Weil ich ihr auf eine Frage, die sie mir zugerufen hatte, nicht geantwortet habe, kam sie rüber. Da lag ich schon blau angelaufen da und rührte mich nicht mehr. Karin war natürlich voll geschockt und ist sofort rüber zu unserem Nachbarn gerannt. Der ist Arzt. Normalerweise wäre der um diese Zeit niemals zu Hause gewesen, aber wegen einer Kreuzband-OP war er krankgeschrieben. Der hat gleich gesehen, was los war und hat mit der Reanimation begonnen.


Das Herz hat einfach so aufgehört zu schlagen?
Ja. Ich wurde akribisch untersucht. Mein Herzrhythmus war nicht gut. Aber es wurde keine wirkliche Ursache für den Herzstillstand festgestellt.


Wie hast Du Dich gefühlt, als Du registriert hast, was geschehen ist?
Das war der totale Schock. Ich konnte das gar nicht begreifen.


Du warst aktiver Ausdauersportler. Hast Du Dich gefragt, warum gerade ich?
Klar. Später, nach der Herztransplantation, war ich zu Gast bei Markus Lanz. Da habe ich mir die Garderobe mit Billy Idol geteilt. Der Typ war ganz nett und hat über seine wilden Jahre als Popstar erzählt. Alkohol, Drogen, das volle Programm. Da habe ich mich natürlich schon gefragt, warum ausgerechnet mein Herz stehen geblieben ist.

  "Es geht um Ziele" – Elmar SprinkFoto: Henri Lesewitz
"Es geht um Ziele" – Elmar Sprink


Wann war klar, dass Du ein neues Herz brauchst?
Das hat gedauert. Zunächst wurde mir ein Defibrillator eingebaut, für den Fall, dass mein Herz wieder stehen bleibt. Das hat sich alles entzündet, aber ich konnte schließlich wieder anfangen, Rad zu fahren. Im Jahr drauf wurde die Pumpfunktion wieder schlechter. Es folgten alle möglichen Therapien, inklusive Blutwäsche. Psychisch war das schlimm. Rein äußerlich sah ich okay aus. Aber ich konnte irgendwann keine hundert Meter mehr gehen. Meine aerobe Schwelle lag bei vierzig Watt. Vierzig Watt! Da war ich ausgelastet. In der Berliner Charité sagten sie mir, dass ich wahrscheinlich ein neues Herz brauche. Aber erst mal eins bekommen! Ich hätte nicht gedacht, wie wenig Organspender es in Deutschland gibt. In meiner Verzweiflung bin ich zu einer Wunderheilerin gefahren und habe 1500 Euro für irgendwelche Tropfen aus dem Urwald bezahlt. Du klammerst Dich in so einer Situation an alles!


Du befandest Dich zwischen Leben und Tod.
Sozusagen. Im Februar 2012 hatte ich wieder einen Herzstillstand. Man sagte meiner Familie, dass ich noch etwa zwölf Stunden zu leben hätte, wenn nicht eine Pumpe eingebaut würde. Da lag ich also, ein Schlauch im Bauch, ein Schlauch in der Leiste. Künstlich am Leben gehalten von zwei Pumpen. Und dann habe ich gewartet. 190 Tage lang – liegend im Bett. Tja, und dann kam der 9. Juni 2012. Karin und ich haben im Fernsehen gerade das Eröffnungsspiel der Fußball-EM geguckt, als plötzlich der Pfleger reinkam und sagte, dass ein passendes Spenderherz da sei.


Wie war es, nach dem Aufwachen die ersten Schläge des neuen Herzens zu spüren?
Ach, das merkt man gar nicht so. Der Herzschrittmacher ist auf 110 eingestellt. Ich habe nur gefragt, wo mein Handy ist und wie Deutschland gespielt hat. Inzwischen schlägt das neue Herz von alleine. Der Defi ist raus. Die Pumpe ist raus. Das alte Herz ist raus. Schon krass.


Wie kommt man nach so einer Geschichte auf die Idee, beim Ironman auf Hawaii zu starten und jetzt auch noch das Cape Epic fahren zu wollen?
Es geht um Ziele. In der Zeit im Transplantationszentrum war das kurzfristige Ziel, Stuhlgang zu haben. Das langfristige Ziel war zu leben. Ich habe mir eine Liste mit Dingen gemacht, die ich unbedingt noch machen wollte. Latte Macchiato trinken. Mit Karin spazieren gehen. Solche Dinge. Kleine Dinge. Aber auch: Mountainbike fahren mit den Kumpels. Beim Googeln habe ich dann herausgefunden, dass es einen Herztransplantierten gibt, der einen Ironman geschafft hat. Da war mein Ziel klar.


Kannst Du Dich an Deine ersten Meter auf dem Rad erinnern?
Oh ja. Im August, zwei Monate nach der Transplantation, bin ich die erste Runde gefahren. Sieben Kilometer, zwölfer Schnitt. Richtig in Lycra-Klamotten. Es war super anstrengend, aber unglaublich motivierend für mich.


Du hast den Ironman geschafft und auch den legendären Ex-tremlauf Transalpine Run. Was macht das Cape Epic zur Herausforderung für Dich?
Ich bin noch nie ein mehrtägiges Rennen mit dem Rad gefahren. Dazu kommt, dass ich das Rennen zusammen mit meinem Kumpel Wouter aus Holland fahren will, auch ein Herztransplantierter. Eine Schwierigkeit für uns ist, dass wir uns extrem vor Keimen und Bakterien vorsehen müssen. Damit das Herz vom Körper nicht als Fremdkörper erkannt und abgestoßen wird, müssen wir Medikamente nehmen, die das Immunsystem schwächen. Schon ein Dornenkratzer oder eine Magen-Darm-Infektion kann gefährlich sein. Wir müssen höllisch aufpassen. Dieses Jahr wird der fünfzigste Jahrestag der ersten erfolgreichen Herztransplantation gefeiert. Die war 1967 in Südafrika gelungen. Der Patient ist zwar einen Monat nach der OP gestorben. Aber die Verpflanzung war damals eine riesige Sensation. Das Cape Epic findet in Südafrika statt. So gesehen ist das eine ganz runde Geschichte.


Zwei Monate später, Elmar sitzt in einem Café in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. Um 13 Uhr hat er einen Termin beim Bayerischen Rundfunk. Moderatoren-Legende Thorsten Otto hat ihn in seine Plauder-Show "Mensch, Otto!" eingeladen. Das knapp 40 Minuten lange Interview gibt es hier: zum Mensch-Otto-Interview
Das Medieninteresse ist groß. ZDF und Arte haben sich die Rechte an einer Reportage über "den Extremsportler mit den zwei Geburtstagen" gesichert. Der einstündige Film wird wohl im Herbst ausgestrahlt. Ein Kamera-Team hat Elmar gerade beim Training auf Lanzarote begleitet. Die Kilometerausbeute hielt sich wegen eines Magen-Darm-Infekts in Grenzen. Doch Elmar hat andere Sorgen. Eben hat er eine WhatsApp-Nachricht bekommen. Kumpel Wouter ist im Krankenhaus. Es sieht nicht gut aus.

  BR-Moderator Thorsten Otto (li.) plauderte in seiner Kultsendung "Mensch, Otto!" schon mit Angela Merkel und Franz Beckenbauer. Vor ein paar Wochen war Elmar Studiogast.Foto: Henri Lesewitz
BR-Moderator Thorsten Otto (li.) plauderte in seiner Kultsendung "Mensch, Otto!" schon mit Angela Merkel und Franz Beckenbauer. Vor ein paar Wochen war Elmar Studiogast.


Ist das Projekt in Gefahr?
Nein. Ich habe für das Cape Epic 5000 Kilometer trainiert. Ich werde fahren. So oder so. Wenn es bei Wouter nicht klappen sollte, dann fahre ich mit einem unserer Physiotherapeuten.


Was ist mit Wouter?
Bei einer Biopsie direkt nach seiner Transplantation wurde das neue Herz verletzt. Um zu kontrollieren, ob der Körper das Herz abstößt oder ob alles okay ist, wird durch die Halsschlagader eine Gewebeprobe entnommen. Leider ist da bei Wouter was schiefgegangen und seitdem hat er einen Stent. Vor ein paar Wochen wurde nun festgestellt, dass nicht genug Sauerstoff im Blut ist. Jetzt überlegen sie, ob Wouter einen Herzschrittmacher bekommt. Dann hätte sich das Thema Cape Epic für ihn natürlich erledigt.


Wärst Du enttäuscht?
Wouter hat sein Herz schon länger und auch eben diesen Stent, er muss sich das alles mehr erarbeiten als ich. Er müsste viel mehr trainieren, um überhaupt anzukommen. Wouter hat zwei kleine Kinder. Da sage ich: Scheiß’ auf das Cape Epic! Ich wäre enttäuscht, klar. Aber Wouters Gesundheit steht an erster Stelle.


Dein Immunsystem, sagst Du, ist nicht so belastbar. Ist es nicht riskant, in der Kälte zu trainieren?
Ja, da muss ich aufpassen. Ich versuche, zweimal die Woche mit dem Bike draußen zu fahren, immer so um die 50 bis 60 Kilometer und 700 Höhenmeter. Ansonsten fahre ich auf dem Ergometer im Wohnzimmer. Zu lange Einheiten draußen wären zu heikel. Obwohl man rein von der Kälte ja keinen Infekt bekommt.


Das Cape Epic zählt zu den härtesten Mountainbike-Rennen der Welt. Wie sicher bist Du Dir, das Rennen zu schaffen?
Rein von der Fitness her sollte das gut machbar sein. Beim letzten Leistungstest lag meine aerobe Schwelle bei dreieinhalb Watt pro Kilo. Das ist ganz ordentlich. Die maximale Sauerstoffaufnahme war auch gut. Sorgen mache ich mir eher um das Drumherum. Auf eine Übernachtung im Zelt werde ich aus hygienischen Gründen verzichten. Wenn es im Magen rumpeln würde, wäre schließlich Schluss bei mir. Und dann diese ganzen Detailfragen. Wie heftig ist es mit den Dornen? Wie vertrage ich die Hitze? Neulich hat sich ein Alban Lakata bei mir gemeldet …

  Herzschlag ist der Takt: Der Pulsmesser ist ständiger Begleiter von Elmar. In den tiefroten Bereich wagt er sich nur, wenn es unbedingt sein muss. Foto: Henri Lesewitz
Herzschlag ist der Takt: Der Pulsmesser ist ständiger Begleiter von Elmar. In den tiefroten Bereich wagt er sich nur, wenn es unbedingt sein muss. 


… der ehemalige Marathon-Weltmeister.
Ja, genau. Der soll richtig gut sein. Er hat von mir gehört und mir angeboten, dass wir mal zusammen trainieren. So etwas finde ich natürlich super. Da kann ich mir eine Menge Tipps holen. Ich sauge da alles an Informationen auf. Ab und an jogge ich mit einem Typen, der eine neue Lunge hat und bei Schwalbe arbeitet. Den löchere ich auch schon die ganze Zeit, welcher Reifen für Südafrika der beste ist.


Du giltst als fittester Herztransplantierter der Welt. Würdest Du sagen, der Sport ist Dein Herzschrittmacher?
Da ist sicher was dran. Natürlich ist das alles psychisch noch nicht komplett verarbeitet. So schön der Sport ist, er ist in manchen Phasen auch Ablenkung. Aber ich sehe das so: Andere schneiden jeden Tag einen Zentimeter vom Maßband des Lebens ab. Ich dagegen bin bei Null gestartet und bekomme jeden Tag einen Zentimeter dazu.


Feierst Du wirklich zweimal im Jahr Geburtstag?
Ja, das stimmt. Letzten Juni habe ich die vierte Kerze angezündet.


Nach dem Interview schickt Elmar noch mehrere Mails und SMS an unseren Reporter. Der war das Cape Epic schon gefahren. Und Elmar wollte alles wissen: Welches Mini-Tool ist das beste? Welcher Reifen rollt am leichtesten? Schützt Reifenmilch wirklich vor Platten? Bei der Mission Cape Epic, das wurde klar, war Elmar mit jeder Faser seines Körpers bei der Sache. Umso bedrückender las sich die Nachricht, die Elmar Anfang des Jahres aus dem Skiurlaub schickte. Sein Team-Partner Wouter habe ihm mitgeteilt, dass ihm die Ärzte kein grünes Licht für das Cape Epic gegeben hätten. "Jetzt fahre ich mit meinem Physio. Der hat eh schon ein Flugticket", schrieb Elmar und fügte mit einem Smile hinzu: "Wird anstrengender für mich!"

Hier geht's zum Cape-Epic-Blog von Elmar Sprink


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