Timo Dillenberger
· 16.08.2024
Orange steht im Radsektor nicht für die Niederlande, sondern für die selbsternannten Problemlöser aus Sundern im Sauerland. Vor kurzem 100 Jahre jung geworden, liegt die Wiege des deutschen Traditionsunternehmens SKS Germany aber gar nicht in der Fahrradbranche. Firmengründer Karl Scheffer-Klute baute zunächst keine Pumpen aus Metallrohren, sondern vielmehr Vorhangstangen, ehe die nach einer Firmenübernahme den Weg unter anderem an den weltberühmten Rennkompressor fanden. Das Einfache besonders gut machen, das scheint hier die Devise zu sein.
Gegenüber einem indexierten Schaltgriff mit integriertem hydraulischen Geberzylinder für die Bremse ist ein Schutzblech ja technisch eher ein Steinzeitprodukt, möchte man meinen, und wer das denkt, der bekommt schon bei der offiziellen Führung durch das SKS-Werk den Mund kaum eine Minute zu! Mal von der schieren Größe des Geländes, der Hallen, der Maschinen und vor allem des Lagers und der neuen Versandhalle abgesehen, die Stückzahlen und der fast wahnsinnige Umfang an Varianten allein an den klassischen, fest montierten Schutzblechen lässt da erste Demut aufkommen. Das Wort Schutzblech ist übrigens nur noch im Handel gebräuchlich – wegen des Umstiegs von Metall auf Kunststoff ist der korrekte Terminus der Fachbranche “Radschützer”.
Tatsächlich werden alle Kunden aus den 52 Ländern mit Fahrradzubehör aus dem Sauerland beliefert. Neben Europa sei man besonders in Skandinavien und den USA recht stark im Geschäft, warum ausgerechnet die regengeplagten Engländer zwar auf die Pumpen-Power aus Deutschland abfahren, die Radschützer aber deutlich weniger gefragt sind, das weiß auch im Analystenteam bei SKS keiner.
Sicher ist aber, dass Sundern das Epizentrum der kleinen Mobilitätshelferlein bleibt, sonst würde man nicht aktuell die letzten freien Quadratmeter des Firmengeländes quasi mitten in Sundern noch bebauen oder modernisieren. Highlight ist für uns das hochmoderne Lager, also das modern Hochlager, wie auch immer! Wer so viele verschiedene Teile sowohl als OEM-Ausrüster als auch für den Aftersales-Bereich parat liegen hat, muss zwangsläufig automatisieren.
Der cleane Bau ist aber einer der wenigen Bereiche in dem riesigen Komplex, in denen man sich etwas einsam vorkommt. Auch der Testautomat zur Sicherstellung der hundertprozentigen Dichtigkeit von Pumpenköpfen nimmt die einfachen Aufgaben dem Menschen ab. Außer dort, wo Automatisierung unbedingt nötig ist, setzt man offenbar eher auf Menschen als auf Maschinen, 625 sind es insgesamt in der Unternehmensgruppe, davon rund 30 Azubis. Und auf der Website sind trotzdem noch etliche Stellen ausgeschrieben.
Wir sehen uns als Problemlöser. Unter dem Motto “Schutz und Hilfe” sorgen wir mit unseren Produkten für mehr Komfort und Sicherheit rund ums Fahrrad. - Linda Geuecke, Marketing bei SKS Germany
Für uns ein echtes Fragezeichen, wurde doch SKS Metaplast als Arbeitgeber mehrfach für sein Engagement und faire Bedingungen ausgezeichnet. Selbst daran arbeiten die Sauerländer mit Akribie und Teamgeist. In Sundern werden die Mitarbeiter bei ohrenbetäubendem “Lärm” angetrieben, bis sie komplett verschwitzt und müde vom Sitz fallen. Dieses Szenario findet aber nicht in den Produktionshallen statt, sondern im firmeneigenen Spinning-Studio mit Musik und Proficoach, gleich neben dem Raum fürs Gerätetraining. Ja, das Rad ist hier omnipräsent, nicht nur zum Sport, auch als das zweitschnellste Mittel zum Austausch mit den Kollegen auf dem 36.000 Quadratmeter Gelände, gleich nach der Rohrpost.
Und es ist Inspiration für alles Neue. Davor Kisker aus der Produktentwicklung verrät: Die meisten Ideen zu Neu- oder Weiterentwicklungen kämen von Radfahrern, sowohl externen, also Kunden, als auch firmenzugehörigen. Kollege Sven Kordes beschreibt den weiteren Entwicklungsweg so: “Die größte Schwierigkeit bei der Entwicklung komplexer Baugruppen ist es, die drei folgenden Punkte unter einen Hut zu bringen: Produktsicherheit, Design und wirtschaftliche sowie qualitativ hochwertige Herstellbarkeit aller Komponenten.”
Die interessantesten Räder auf dem Areal haben wir übrigens nicht gesehen – jedenfalls nicht offiziell. In einem der ursprünglichen Trakte sind die Testapparaturen und der Musterbau untergebracht. Hier müssen neue Schutzbleche, Entschuldigung, Radschützer erst mal an etlichen Rad-, Reifen, Wasserstandskonfigurationen zeigen, dass sie auch wirklich das tun, was sie sollen, ein möglichst Fahrer bzw. Kleider schonendes, sogenanntes Spritzbild erzeugen, dabei nicht verstopfen, klappern, wackeln, brechen, sich verhaken usw.
Apropos: Wussten Sie, dass die Sicherheitstrennstelle an den Trägern der SKS-Schützer gar nicht vorgeschrieben sind? Man hat sich nur schon so daran gewöhnt, da die SKS-Konstruktion an so vielen Rädern vorkommt. Christoph Kronen, Produktmanager für die Fahrradsparte, bedauert allgemein während des Rundgangs sehr, dass es nicht mehr Normen und Vorschriften bezüglich Sicherheit gäbe. Wohl einmal um Billigimitate am Markt auszudünnen und zum anderen um die Vielfalt an Produktkonfigurationen im stetig wachsenden Fahrradangebot nicht ausufern zu lassen.
Die Umsätze der letzten Jahre seien zwar gestiegen, man komme aber mit der Entwicklung kaum hinterher. Früher habe man dem Markt ein paar Modelle verschiedener Art angeboten, heute bestellen Radhersteller Profile, Befestigungen und Farben, und man muss bei SKS überlegen, ob sich die jeweilige Stückzahl lohnt. Im Prinzip sei sogar eine Bestellung mit Stückzahl eins möglich, so Linda Geuecke. Werkzeugproduktion, Tests und Logistik trieben aber den Preis dafür für den Kunden unrentabel hoch.
Der rasante Markt ist übrigens noch ein Grund, Produktion und Entwicklung an einem Standort zu halten. Mit den kurzen Wegen auch zu den Großkunden sei man hier viel flexibler, als wenn ständig Teile zwischen China und Sundern hin und her geschickt werden müssen. Qualität, Flexibilität und Innovativität seien die Leitbilder der Firma. Diese sogar noch unter dem Großziel der Umweltverträglichkeit zu vereinen, gehe eben nur als “Made in Germany” bzw. “Made in Sundern”, so Bosen.
Das Holz für die Griffe des SKS-Artikels schlechthin, des Rennkompressors, stammt gleich aus dem Nachbarort, das Aluminium kommt auch nicht aus Kanada, sondern ist ebenfalls sauerländischer Herkunft, und bei den Kunststoffteilen wird jeweils so viel zerkleinerter alter Rohstoff beigemischt, wie das jeweilige Teil noch ohne Einbußen verträgt. Der vielleicht umweltfreundlichste Aspekt ist aber nicht in den Rohstoffen oder der CO2-Bilanz zu suchen, sondern wiederum im Qualitätsanspruch.
Im firmeneigenen kleinen Showroom – oder Museum– der Orange World befindet sich unter anderem der “Rennkompressor” von Rennlegende Gregor Braun. Bis auf den ein oder anderen neuen Dichtgummi tut der auch nach über 45 Jahren noch seinen Dienst; man vermeidet also Müll durch Haltbarkeit. Auch die Ersatzteillager sind hier wichtig. Auf unserem Rundgang fanden wir selbst noch Bauteile für Modelle, die in ihrer ursprünglichen Form schon lange nicht mehr am Markt sind. Lange Lebenszyklen durch Produktqualität und Reparieren statt Wegwerfen ist vermutlich das effektivste Konzept für Nachhaltig!
Das nachhaltigste Produkt ist das, welches man nur einmal erwirbt und das ein Lebenlang hält oder sich mühelos reparieren lässt. - Nikolas Bosen, SKS Produktmanagement
In der Entwicklungsabteilung, die wir übrigens auch nur so halb gesehen haben, drehen und winden sich auf den Monitoren Teile, die man gleich altbekanntem Fahrradzubehör zuordnen kann, aber auch einige, die, sagen wir mal so, Richtung 2025 relativ neue Türen in Orange und Schwarz öffnen werden. Wie wichtig hier die Vernetzung zu anderen Made-in-Germany-Firmen ist, zeigt das jüngst auf der Eurobike vorgestellte neue Schwalbe-Ventil.
SKS kann hier bereits den passenden Pumpenkopf – natürlich inklusive Standpumpe – liefern. Sollte sich das System wie erwartet durchsetzen, wäre das ein weiterer Meilenstein auf seinem Siegeszug. Bei allen Neuentwicklungen und der Produktpflege wird SKS laut Aussage der Chefetage aber vorerst nicht seine Nische als “Problemlöser” im Radsektor verlassen, wir haben also keine Kurbelgarnitur oder Laufräder zu erwarten. “Ride on” heißt eines der Schlagworte.
Wir sind superdeutsch! - Christoph Kohnen, SKS Produktmanager Fahrrad
Darunter ist zu verstehen, dass man trotz widriger Umstände wie Regen, Schmutz oder einem Platten einfach weiterfahren können soll. Das sind sicher alles keine Quantensprünge im Radsport, aber die viele Arbeit, die Kreativität sowie die erwähnte Detailbesessenheit und das “typisch Deutsche” in SKS machen den Radalltag doch in vielen kleinen Punkten einfach besser.
Was nutzen die leichtlaufendsten Räder und Reifen, wenn nach einer Panne der Ventilmechanismus an der Pumpe nicht sauber schließt? Und so könnte man das auf jedes der an sich doch so simplen Teilchen aus dem Sauerland übertragen. Irgendwie ist es doch beruhigend, dass sich jemand so extrem viele Gedanken um die kleinen Dinge des Rades macht, sodass man sich selbst keine mehr machen muss. Danke!