Norrona - oder richtig: Norrøna, gesprochen Norröna - ist neben den großen Anbietern von Outdoor-Kleidung noch nicht so bekannt - vor allem in Deutschland. Neben Expeditions- und Ski-Ausrüstung hat das norwegische Unternehmen aus Oslo seit einiger Zeit auch MTB-Bekleidung im Angebot, von denen wir bereits einige Produkte getestet haben. Aber Norrona ist nicht etwa unbekannter, weil sie erst seit ein paar Jahren am Markt sind. Tatsächlich hat der Gründer Jørgen Jørgensen schon 1929 die Sportartikel- und Lederfabrik J.J Norrøna eröffnet, um Outdoor-Produkte mit höchster Qualität herzustellen. Mit Rucksäcken aus Segeltuch und Baumwollkleidung für Bergtouren gab er Norrona eine erste Richtung.
1971 übernimmt Ole Jørgen Jørgensen die Unternehmensleitung, die dritte Generation der Familie Jørgensen. Tomas Carlstrøm, ein Kletterer, Ingenieur und Visionär wird als Produktentwickler für Norrøna tätig. Der Fokus liegt auf der Entwicklung von Rucksäcken und Bergzelten sowie Kleidung für Bergsteiger. Neben der benutzerorientierten Produktentwicklung wird nun die Funktionalität der Produkte ein zweiter Grundpfeiler des Unternehmens. Im Zuge dessen entwickelt Norrona 1977 den Prototyp der ersten Gore-Tex-Jacke in Europa.
Im Jahr 2000 führt der Outdoor-Spezialist seinen dritten Grundpfeiler ein: Design - dazu mehr im nachfolgenden Interview.
2005 übernimmt Jørgen Jørgensen aus der vierten Generation der Jørgensens die Leitung des Unternehmens als CEO von Norrona - damit immer noch ein familiengeführter Betrieb. Unter dem Motto “Welcome to Nature” versucht das Unternehmen, weitere Outdoor-Bereiche zu erschließen. 2008 folgt dann die Einführung der Kollektionen Fjørå für “Singletrail Mountainbiking”, wie es vom Unternehmen heißt, die zum Beispiel die ausgesprochen robuste Regen-Kombi mit Gore Tex Pro umfasst, die wir bereits getestet haben.
2015 stellt Norrona seine Roadmap für soziale Unternehmensverantwortung vor. Das Unternehmen spendet ein Prozent des Umsatzes an Anliegen und Organisationen, die sich für Nachhaltigkeit und umweltfreundliche Initiativen einsetzen. Nachhaltigkeit ist der vierte Grundpfeiler des Norweger. Gleichzeitig öffnet das Headquarter - die neue Firmenzentrale - in einem Vorort von Oslo mit einem umfassenden Angebot. Eindrücke dessen seht ihr in der Bildergalerie oben - die Idee erklärt Jørgen Jørgensen etwas später im Gespräch mit uns.
Wenig später - 2017 - liegt die zweite MTB-Kollektion im Schaufenster: die skibotn Enduro-Bekleidung. Wir haben hier zum Beispiel die kurze und Lange skibotn MTB-Hose getestet.
Vor 4 Jahren steigt Norrona als Veranstalter selbst in den Bereich der Abenteuerreisen und Expeditionen ein. Mit der Fusion von Norrona und Hvitserk of Norway zum Unternehmen Norrona Hvitserk Adventures entsteht so im Jahr 2020 ein neuer Anbieter für Outdoor-Abenteuer in Norwegen. Das von uns besuchte Canvas Camp in Norwegen gehört dazu. Mehr zu den Plänen verrät CEO Jørgensen jetzt im Interview.
1929 hat sich der Urgroßvater des heutigen CEO, beide heißen Jørgen Jørgensen, als Outdoor-Fan auf den Weg gemacht, strapazierfähige Outdoor-Ausrüstung zu produzieren, die in Norwegens rauer und schroffer Natur standhalten konnte. 95 Jahre später hat Norrona von Trail-Running über Mountainbiking bis hin zu Ski-, Jagd- und Expeditions-Ausrüstung Outdoor-Bekleidung für alle möglichen Einsatzzwecke im Portfolio.
Am Firmensitz in Lysaker bei Oslo kann man die ganze aktuelle Kollektion ansehen und anprobieren. Außerdem kann man defekte Kleidung reparieren lassen, währenddessen einen Kaffee trinken oder Klettern gehen und am Abend gibt es jede Woche einen Vortrag, Film oder Ähnliches von Norrona-Athlet/innen oder Outdoor-Expert/innen.
Nebenbei wird aber auch dort, in dem historischen Backsteinbau, der mal eine Mühle war, gearbeitet: Customer-Service, Verwaltung, Design, alle sitzen in diesem wirklich sehenswert eingerichteten Haus am Fluss Lysakerelven, vielleicht einen Kilometer Luftlinie vom Oslofjord. Im Norrona House treffe ich mich mit dem Firmenchef Jørgensen zum Interview.
BIKE: Ist Norrona House die Welt von Norrona in ein Haus gepresst?
Jørgen Jørgensen: Als wir 2015 in die Büroräume eingezogen sind, konnten wir einen Arbeitsplatz schaffen, der Kreativität und Innovation fördert, was in allen Bereichen von Norrona wichtig ist. Der Vermieter kam auf uns zu und hatte große Pläne für das gesamte Gebiet. Sie wollen hier einen neuen Stadtteil bauen und fragten, ob wir einige coole Dinge machen möchten. Und, das hier ist kein stark frequentiertes Gebiet. (Anm. d. Red.: Stadtrand von Oslo)
Das gab uns die Möglichkeit, in einem größeren Raum etwas ganz anderes zu erschaffen, was man im Zentrum von Oslo, im Zentrum von München oder anderswo nicht machen könnte. Es gab uns die Gelegenheit, Storytelling zu machen, alle Produkte zu zeigen, den Second-Hand-Laden, das Restaurant, den Veranstaltungsbereich und die gesamte Firmengeschichte zu zeigen.
Also haben wir beschlossen, eine Destination zu schaffen, wo die Norrona-Kunden die Produkte riechen, fühlen, schmecken, sehen und berühren können. Sie wissen schon, das volle Markenerlebnis. Es war natürlich ein großes und anstrengendes, aber auch ein sehr cooles Projekt.
Was bedeutet das alles konkret? Ich habe schon die Kletterhalle am Eingang gesehen.
Wir möchten ein Ziel für unsere Community schaffen, wo sie Inspiration, Bildung, Ausrüstung, Reisen, Essen und Begegnungen finden kann. Jede Woche bringen wir interessante Leute hier her (Anm. d. Red.: für Vorträge, Filme etc.), die unsere Gemeinschaft inspirieren, rauszugehen und die Natur zu genießen. Es ist das ultimative Markenerlebnis, die Norrona-Marke zu entdecken und mit unseren Fans in Kontakt zu treten.
Wir haben einen Bereich, in dem Leute unsere Produkte mieten können. Wir haben auch den Sturmraum, in dem du die Wasserdichtigkeit der Kleidung testen kannst. Wir haben das Reparaturzentrum, wo man seine Produkte reparieren lassen kann. Es kommen viele Leute hierher, trinken einen Kaffee und lassen ihre Produkte reparieren. Es ist eine Mischung aus Testen und Entdecken, all das.
Das ist jetzt das Markenerlebnis. Wofür steht Norrona denn grundsätzlich?
Norrona hat vier Hauptsäulen: Qualität, Funktion, Design und Nachhaltigkeit. Und das alles basiert auf der Geschichte des Unternehmens. Norrona wurde 1929 von meinem Urgroßvater gegründet. Er war Handwerker. Und er legte großen Wert auf Qualität. Er gründete Norrona mit dem Ziel, die hochwertigsten Outdoor-Produkte herzustellen.
Das ist also der erste Baustein. Und dann, in den frühen 70er Jahren, als mein Vater das Unternehmen übernahm, begannen er und unser damaliger Produktentwickler Tomas Carlstrøm mit einer extrem nutzerorientierten Produktentwicklung. Das bedeutete, dass wir das Produkt bei den anspruchsvollsten Nutzern testeten und es erst auf den Markt brachten, wenn die zufrieden waren. Dies passierte aufgrund des damaligen Trends zu Expeditionen, der in den 70er Jahren begann, als Menschen in den Himalaya oder andere unerforschte Orte gingen und viele Erstbesteigungen machten.
Und wir waren Teil dieser Gemeinschaft, und sie kamen zu uns und sagten: "Wir gehen auf diese Expedition, aber wir brauchen noch dieses Produkt. Könnt ihr es herstellen?" Und wir stellten es her. Sie testeten es aus, und schließlich, als wir zufrieden waren, brachten wir es auf den Markt.
So haben wir die erste Gore-Tex-Jacke außerhalb der USA hergestellt. Im Jahr 1977 traf unser Produktentwickler Tomas auf Henry Barber, einen berühmten Kletterer und auch Gore-Tex-Botschafter. Er sah die Jacke, testete sie und stellte fest, dass sie unter dem Rucksack verschwitzt war, aber überall sonst trocken blieb. Er erkannte, dass dies ein Wendepunkt für Outdoor-Bekleidung war. Wir bekamen die ersten 20 Meter Gore-Tex-Material und fertigten den ersten Prototyp an. Schließlich konstruierten wir die Trollveggen-Kletterjacke und -Latzhose.
Design bedeutet bei Norrona auch, Nachhaltigkeit mitzudenken. - Jørgen Jørgensen, CEO Norrona
Dann schließt sich eure dritte Säule - Design - quasi logisch an, oder?
Und die dritte Säule, das Design, kam im Jahr 2000 hinzu, als ich hier zu arbeiten begann. Ich wollte ein klares Designprofil für Norrona schaffen und glaube, dass man durch mehr Designfokus gleichzeitig die funktionale Qualität verstärkt. Design bezieht sich nicht nur auf Farben und Produktgestaltung, sondern auch auf Prozessdesign. Wir entwickelten unsere “Loaded Minimalism”-Designphilosophie, als wir begannen, die Lofoten-Kollektion zu entwickeln. Diese Designphilosophie durchzieht unsere Produkte, unsere Kommunikation, den Aufbau unserer Organisation und unserer IT-Systeme; sie ist in alles integriert, was wir tun.
Und dann die vierte Säule ist Nachhaltigkeit. Ich denke, das Nachhaltigste, was wir tun, ist langlebige Produkte herzustellen und zu reparieren. Vor zwei Jahren hatten wir einen Wettbewerb, und das älteste Norrona-Produkt im Gebrauch stammte aus den 1930er Jahren. Wir bekommen Produkte herein, die 30 oder 40 Jahre alt sind. Aber Anfang der 2000er Jahre erkannten wir auch, dass man mehr tun muss als nur langlebige Produkte zu haben.
Unsere Materialien und unsere Betriebsweise beeinflussen zweifellos den Planeten. Auf der Suche nach Möglichkeiten zur Verbesserung unserer Nachhaltigkeit setzten wir 2006 das erste quantitative Ziel innerhalb unserer Nachhaltigkeitsstrategie fest: Wir fügen nur noch Bio-Baumwolle als Baumwollmaterial hinzu, wenn wir dieses verwenden. Es dauerte zehn Jahre, um von null auf den 100-%-Anteil zu kommen.
Wir begannen auch, mehr recycelte Materialien zu verwenden und mehr recycelte Materialien anzufordern. Und wir betrachteten andere Aspekte, wie das Entfernen von Fluorkohlenstoff und anderen Materialien. (Anm. d. Red.: die sogenannten PFAS aus wasserfesten Beschichtungen etwa)
Was wir sahen, war, dass es wirklich schwierig war, die Umstellung schnell genug voranzutreiben. Also begannen wir 2013, darüber zu sprechen, einen anderen Ansatz zu verfolgen und eine Roadmap zu erstellen. Also für all die Dinge, die wir quantifizieren konnten und die eine Nachhaltigkeitsauswirkung hatten, erstellten wir eine Roadmap und starteten sie im Dezember 2014.
Bei ehrgeizigen Zielen ist es uns nicht so wichtig, dass wir das Ziel unbedingt erreichen. Es ist wichtig, dass wir so weit wie möglich kommen. Wir haben einige der Ziele erreicht, und einige haben wir noch nicht erreicht. Bei 100 % recyceltem Polyester sind wir zum Beispiel noch nicht angekommen. Da sind wir bei 82 %. Aber es hat uns trotzdem weit gebracht. Und jetzt haben wir eine zweite Version der Roadmap erstellt, die 2029 endet, wenn wir 100 Jahre alt werden.
Was sind denn generell eure Pläne für das nächste Jahrzehnt etwa?
Wir planen auch einige coole Dinge im Reisebereich, weil wir sozusagen den Abenteuerteil zu unserem Produktsortiment hinzufügen. Im Jahr 2016 hatten wir ein Strategietreffen. Und eines der Ergebnisse war, dass es nicht ausreicht, nur großartige Produkte anzubieten. Wir denken, dass wir den Menschen auch Erlebnisse bieten müssen. Und unsere Vision ist “Welcome to Nature”, also passen die Produkte dort hinein, aber auch das Abenteuer passt dort hinein. Also haben wir angefangen, uns damit zu beschäftigen, und schließlich haben wir Hvitserk gekauft, ein Abenteuerreiseunternehmen mit 55 Jahren Geschichte.
Und dann haben wir letztes Jahr das Canvas Camp gekauft. Der nächste Schritt für uns ist nun tatsächlich der Bau einiger Lodges im Norden der Region Lofoten. Wir haben dort oben fünf Grundstücke, an denen wir arbeiten. Und wir möchten unsere Kunden in ein Netzwerk einbinden, bei dem wir sie am Flughafen abholen, sie mit dem Boot zur ersten Lodge bringen, und sie dort drei Tage lang verschiedene Aktivitäten unternehmen, bevor sie zur nächsten Lodge weiterziehen. Im Sommer bieten wir Wandern und Mountainbiken an, im Winter Nordlichter und Wal-Safaris, und im Frühling und Spätwinter Skitouren. Wir bieten großartiges Essen, großartiges lokales Essen. Einzigartige kleine Lodges, in denen insgesamt 30 bis 50 Personen Platz finden.
Wir bieten dann das gesamte Erlebnis mit Norrona-Ausrüstung, Norrona-Transport, Norrona-Lodges und dem Essen, alles in einem schönen Paket.
Hast du als CEO von Norrona überhaupt noch genug Zeit, um selbst Sport zu treiben?
Ja, ich teste alle Produkte selbst. Diesen Winter habe ich mehr als 50 Tage mit Abfahrts- und Skitouren und mehr als 25 Tage mit Langlauf verbracht. Letzten Winter war ich mehr als 35 Tage auf der Jagd. Genauso so auch Radfahren, Trailrunning und Windsurfen. Ich bin wahrscheinlich mehr als 150 Tage im Jahr draußen.
Ich mache das entweder nach der Arbeit oder auch als Teil der Arbeit. Produkte testen, Fotoshootings, Abenteuerteile testen. Das ist einfach ein Lebensstil. Die Arbeit, die Natur und die Familie sind alle Teil davon. Es ist schwer, das eine vom anderen zu trennen.
Was sind deine persönlichen Lieblingsprodukte von Norrona?
Das ist eine schwierige Frage. Zunächst einmal, da ich alle Produkte teste, muss ich immer an den neuesten Produkten arbeiten. Bei jeder Aktivität habe ich aber einige Produkte, zu denen ich oft greife, wenn ich nichts testen muss. Eines der am häufigsten verwendeten Produkte diesen Winter ist das Lyngen Alpha 100 Zipp Hoodie. Das ist ein atmungsaktives Isolationsstück, das ich immer benutze, wenn ich aktiv und und im Kalten bin.
Natürlich habe ich bei schlechtem Wetter meine Lieblings-Gore-Tex-Stücke. Sowohl beim Jagen als auch beim Skifahren und Mountainbiken. Ich denke, die Mountainbike-Shorts Fjøra ist eines meiner Lieblingsprodukte, zu denen ich oft greife.