Laurin Lehner
· 12.10.2025
Alle sitzen auf dem Bike – und doch leiden die Fahrradfirmen weiter und melden Rekordverluste. Marken wie Scor, YT oder GT hat es besonders hart getroffen. Hört man sich in der Branche um, werden aktuell vor allem Gravelbikes verkauft – Mountainbikes gelten dagegen als Ladenhüter, ganz zu schweigen von Modellen ohne Motor.
Warum gräbt diese Trend-Kategorie den Mountainbikes das Wasser ab? Szene-Urgestein und Konstrukteur Peter Denk hat eine simple Antwort: „Weil alle, die sich jetzt ein Gravelbike kaufen, bereits ein oder zwei Mountainbikes besitzen.“ Das Gravelbike also als Zweit- oder Dritt-Bike. Branchen-Insider Jo Beckendorff hat eine andere Erklärung: „Unter den Käufern von Gravelbikes gibt es viele, die zuvor noch nie ein sportives Rad gefahren sind – insbesondere Frauen.“ Eine neue Käuferschaft also?
Fakt ist: Die Fahrradbranche leidet nun schon seit fast zwei Jahren – selbst der Gravel-Trend wirkt nicht als Gegengift gegen die sinkende Nachfrage. Scor, Pole, NS Bikes, GasGas oder GT mussten bereits aufgeben, sehr viele andere Hersteller schreiben rote Zahlen. Ausgang: ungewiss.
Die Verkaufszahlen von Gravel- und Rennrädern stiegen von 178.000 auf 238.000 – ein Plus von 33 Prozent. Seit 2024 erfasst der ZIV* die Zahlen für Gravelbikes separat. Demnach wurden im Jahr 2024 rund 137.000 Gravelbikes verkauft, was einem Anteil von etwa 58 Prozent entspricht.
Quelle: ZIV www.ziv-zweirad.de
„Das Verrückte dabei ist, dass die Firmen insgesamt gesehen immer noch so ähnlich viele Räder abverkaufen wie vor Covid (2019)“, sagt Beckendorff. Er erklärt die Abwärtsspirale folgenderweise: Während der Boomjahre 2021 wurde übermäßig bestellt. Lieferengpässe aus Asien erzeugten eine Scheinnachfrage, weil viele Bike-Firmen mehrfach orderten.
Die Hersteller investierten daraufhin in größere Produktionsstätten in Asien, in mehr Personal und in Logistik. Doch dann kam die Sättigung, die viele Hersteller in der Goldgräberstimmung nicht sehen wollten: Bestellte Ware füllte die Lager, Liquidität fehlte. Dazu gesellten sich Marktsättigung, Inflation und Kaufzurückhaltung aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage (Ukraine-Krieg, Handelsstreit etc.).
Die Folge: eine Rabattschlacht. „Zwar ist eine leichte Erholung zu erkennen und es werden weiterhin Räder verkauft, doch durch die hohen Preisnachlässe bleibt deutlich weniger beim Hersteller hängen“, so Beckendorff. Hört man sich in der Branche um, wagt nach all den Fehleinschätzungen kaum jemand eine Prognose, wann der Fluch endet.
Viele erwarten selbst 2026 noch keine Entwarnung, andere sehen eine deutliche Erholung im zweiten Halbjahr 2026. Der Kunde profitiert vorerst von anhaltenden Rabatten – zumindest solange seine bevorzugte Bikemarke noch am Markt ist.
Und Gravelbikes? Die sind weiterhin attraktiv und werden gut abverkauft. „Gravelbiking ist sexy, liegt im Trend und ist in der Anschaffung moderat bepreist, dazu kommt der Bikepacking-Trend und der ist nur mit dem Gravelbike cool“, bringt es der Thüringer Bikeshop-Besitzer Stephan Herrpfad auf den Punkt.
BIKE: Peter, warum liegen Gravelbikes so im Trend – und warum verlieren Mountainbikes?
Peter Denk: Weil die meisten Gravelbike-Käufer schon ein oder zwei Mountainbikes besitzen. Alle, die ich kenne, haben sich während Corona ein Mountainbike zugelegt. Jetzt ist es aber noch zu früh für ein neues – also kaufen sie sich ein Rennrad oder eben ein Gravelbike.
Was macht für dich die Faszination aus?
Gravelbiking ist neu, frisch und vor allem das einzige Gefährt, mit dem Bikepacking wieder cool geworden ist. Mehrtages Fahrradtouren sind eigentlich eine wunderbare Sache, aber von außen betrachtet wirkt es ziemlich uncool – völlig zu Unrecht, wie ich finde. Dank Gravelbikes ist das anders, die machen das wieder cool. Fast alle neuen Gravelbike-Besitzer, die ich kenne, haben sich gleich eine Arschrakete gekauft und sind auf Tour oder haben sich zumindest vorgenommen, mal einen Overnighter zu machen.
Aber das geht doch auch mit dem Mountainbike? Hat die MTB-Branche etwas falsch gemacht, was die Marketing-Experten beim Gravelbike richtig gemacht haben? Sind Mountainbikes zu komplex?
Nein, das sehe ich nicht so. Ein Hardtail ist ähnlich komplex – oder unkomplex – wie ein Gravelbike. Klar, es gibt die Federung, aber das allein macht den Unterschied nicht. Ich glaube, das Naturgefühl ist ein anderes: Beim Gravelbiken lässt du dich weniger auf Trails ein, sondern willst eher Kilometer machen und Neues erkunden. Das macht es konsequenter. Und ja, irgendwie sind solche Touren mit dem Mountainbiken einfach nicht cool. Ich muss zugeben, mir geht’s da ähnlich. Dabei wäre ein Mountainbike mit Flatbar-Lenker oft die bessere Wahl.
Vielleicht liegt darin der Reiz – weil’s eine neue Herausforderung ist. Zumindest auf Trails.
Genau. Viele sind durch die extrem potenten Bikes und die gestiegene Fahrtechnik auf vielen Trails gelangweilt – es fehlt einfach die Herausforderung. Mit dem Gravelbike entsteht da ein neuer Reiz. Ich vergleiche das ein bisschen mit dem Telemark-Trend im Skifahren damals: Irgendwann sattelten viele Skifahrer auf Telemark um, weil’s „fresh“ war und sie neu gefordert hat. Der Trend hielt jedoch nicht lange an, wie wir wissen. Heute hört man davon kaum noch etwas. Die Faszination Gravelbiking wird länger anhalten, davon bin ich überzeugt.