Sissi Pärsch
· 18.05.2024
Gegenwind, so sagt man, ist für den Fahrradfahrer Gelegenheit, Stärke zu zeigen. Auf politischer Ebene allerdings scheint uns ein regelrechter Sturm entgegenzuschlagen. Ob Stadt oder Land, ob Berlin oder Brüssel, die Transformation des Verkehrs drängt, doch die Fortschritte halten sich in Grenzen. Aktuell zeichnet sich vielmehr – zumindest in Deutschland – eine Kehrtwende pro Automobil ab.
Im November 2023 blockierte im Bundesrat eine Mehrheit der Landesregierungen in letzter Minute die Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), die den Rechtsrahmen schaffen sollte, um den Behörden in der Straßenverkehrsordnung (StVO) mehr Befugnisse einzuräumen. Dabei waren die vom Bundestag bereits abgesegneten Änderungen lediglich ein Minimalkompromiss, zu dem man sich parteiübergreifend geeinigt hatte. Der Reformstopp stellt nun speziell für Städte und Kommunen einen Rückschlag dar. Sie hatten sich mehr rechtlichen Spielraum für eigenständige Entscheidungen erhofft, etwa bei der Erhebung von Parkgebühren und der Einrichtung von Tempo-30-Zonen, von Zebrastreifen oder Radwegen.
Zeitgleich hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr die Förderungen für den Radverkehr von rund 550 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 350 Millionen 2024 reduziert – 2022 waren es noch 750 Millionen. Nicht betroffen sind Radwege an Bundesstraßen und das Radnetz Deutschland. Radschnellwege hingegen werden nur noch mit der Hälfte gefördert, zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans schwindet die Unterstützung von 13,28 Millionen auf 8,28 und 2025 schließlich gar auf 2,25 Millionen.
Unterdessen drohen den Mountainbikern (und weiteren Waldnutzern) möglicherweise weitreichende Einschränkungen durch die Novellierung des Bundeswaldgesetzes, die in diesem Jahr ansteht. Nach rund 50 Jahren soll das Gesetz reformiert werden. Das betrifft auch die Regelung des Betretungsrechts des Waldes, das durch den vorliegenden Referentenentwurf teilweise stark eingeschränkt werden könnte.
Bei all den Rückschlägen und Herausforderungen stellt sich die Frage, wer sich gegenüber der Politk für die Belange der Fahrradfahrenden einsetzt und unsere Interessen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene vertritt – und wie? Wir stellen die Fahrrad-Lobbyisten in Berlin und Brüssel vor.
Der Lobbyverband gründete sich 2019 mit 20 Unternehmen aus diversen Bereichen der Fahrradwirtschaft. Grundlage bildete die Lobbyarbeit von Jobrad-Gründer Ulrich Prediger, der jahrelang für die steuerliche Gleichstellung des Rads analog zum Dienstauto kämpfte. Inzwischen zählt der Verband 100 Hersteller, Händler, Dienstleister und Zulieferer.
Der ADFC ist mit seinen 230.000 Mitgliedern die größte Interessensvertretung der Radfahrer weltweit. Er engagiert sich für die Rad-Förderung im Alltag, der Wirtschaft und im Tourismus und bietet Serviceleistungen wie die ADFC-Pannenhilfe. Der europäische Dachverband mit Sitz in Brüssel ist die European Cyclists’ Federation (ECF).
Seit 1991 vertritt der gemeinnützige Verein die Interessen der Biker bei gesetzlichen Regelungen in Gremien und Verbänden sowie Bundes- und Länderparlamenten. Sie verantwortet zudem die Ausbildung des Bundeslehrteams Mountainbike und berät zu Streckenbau und weiteren Bike-Themen.
Die Interessenvertretung mit Sitz in Berlin hat über 120 Mitglieder, die rund 90 % der deutschen Fahrradproduktion repräsentieren. Neben Fahrrad- und Komponentenherstellern umfasst das auch Akteure wie etwa Bikepark-Betreiber, Stadtplaner und Lehrstühle. Zudem veröffentlicht der ZIV jährlich die wichtigen Fahrrad-Marktdaten.
Die Verkehrswende ist in Europa in vollem Gange...
- Jill Warren, CEO der European Cyclists´ Federation (ECF)
MYBIKE: Jill, welchen Fokus hat eure Arbeit in Brüssel?
Jill Warren: Unser Job ist es, die EU-Politik, die Richtlinien und die Fördermittel zugunsten des Radfahrens beziehungsweise der Radfahrenden zu beeinflussen. Das heißt, wir betreiben faktenbasierte Lobbyarbeit und Kampagnen sowie Recherchen und Studien. Dazu kommt die Organisation der Velo-City-Konferenz, der weltweit größten Veranstaltung für Radverkehrsplanung und -politik, und die Koordinierung von EuroVelo, dem Netzwerk aus 17 Fernradwegen, die den gesamten europäischen Kontinent verbinden und auch zusammenführen.
Welche Erfolge sind auf EU-Ebene zu verzeichnen?
Der größte Erfolg der letzten Jahre überhaupt ist die European Cycling Declaration, die im Oktober 2023 von der Europäischen Kommission veröffentlicht wurde und bei der wir durch unsere Lobbyarbeit maßgeblich mitgewirkt haben. Sie soll als “strategischer Kompass für bestehende und zukünftige politische Maßnahmen” dienen.
Blickst du zuversichtlich auf die kommenden Jahre?
Auf jeden Fall. Die Verkehrswende ist in Europa in vollem Gange, auch wenn es ab und zu Rückschläge gibt, und das Radfahren spielt dabei eine wesentliche Rolle. Es wird immer mehr als vollwertiges Verkehrsmittel und als Wirtschaftsfaktor ernst genommen und entsprechend gefördert – sowohl auf EU-Ebene als auch national, regional und lokal. Auch der Radtourismus und das Radfahren als Freizeitbeschäftigung werden immer beliebter. Wir haben zwar noch viel zu tun, aber unsere Ziele werden immer ambitionierter und werden auch zunehmend verwirklicht.
Uns fehlen die positiven Zukunftsbilder.
- Wasilis von Rauch, Geschäftsführer Zukunft Fahrrad
MYBIKE: Die Industrie hat sich lange nicht für politische Themen verantwortlich gefühlt. Nehmt ihr einen Umbruch wahr?
Wasilis von Rauch: In den letzten Jahren hat bei vielen Unternehmen, aber auch bei anderen Verbänden ein Wandel stattgefunden. Die Branche bietet zukunftsweisende Produkte und Services, braucht aber die richtigen politischen Rahmenbedingungen, um weiter wachsen zu können. Das wirtschaftspolitische Gewicht der Fahrradwirtschaft wird inzwischen auf europäischer Ebene erkannt und gefördert, in Deutschland fehlt noch der Fokus, etwa in der Industriestrategie. Daran arbeiten wir.
Wie geht man mit den zahlreichen Rückschlägen um?
Rückschlage für wen? Die Verkehrspolitik funktioniert in Deutschland nicht rational und wir erleben generell eine wachsende Ablehnung von (notwendiger) Veränderung, obwohl riesige Chancen da sind. Uns fehlen die positiven Zukunftsbilder. Das Fahrrad selbst ist dank Elektrifizierung ein ganz anderes Verkehrsmittel als vor 20 Jahren. Auch wenn die Verkehrspolitik es nicht genügend fördert, ist es gesellschaftlich auf dem Vormarsch, und die Branche hat eine extrem positive Entwicklung hinter sich.
Wie kam es zum kürzlich bekanntgegebenen Schulterschluss mit ADFC, IG Metall und Allianz pro Schiene?
Es braucht ein neues politisches Grundverständnis von Mobilität, eine Gesamtvision, die ernsthaft alle Sektoren und Verkehrsakteure mitdenkt. Nur mit einem breiten Bündnis lässt sich eine solche Transformation erfolgreich gestalten.
Wie funktioniert die Vertretung radpolitischer Interessen? Und wie stehen die Erfolgsaussichten in Berlin? Wir sprachen darüber mit Burkhard Stork, Geschäftsführer des ZIV.
Burkhard Stork war neun Jahre Geschäftsführer des ADFC, bevor er im April 2021 Geschäftsführer beim “Verband ZIV – Die Fahrradindustrie” wurde. Er ist einer der zentralen Schlüsselfiguren in der nationalen und europäischen Fahrradwirtschaft. Der ZIV engagiert sich in Wirtschafts- und Industriepolitik wie auch in den Bereichen Sport und Tourismus sowie Technik und Normung und versteht sich als Vertretung des gesamten Rad-Ökosystems.
MYBIKE: Burkhard, was macht einen guten Lobbyisten aus?
Burkhard Stork: Man schaut sehr genau, wer die Menschen sind, die in der Verwaltung und den Ministerien tatsächlich Einfluss haben. Das kann das Verkehrs-, Wirtschafts- oder Umweltministerium sein. Es ist wichtig, ein stabiles Netzwerk zu haben, das auch Meinungsverschiedenheiten übersteht. Man muss sich jederzeit gut auf das Gegenüber einstellen, weil man letztendlich gemeinsam zu einem vernünftigen Ergebnis kommen möchte. In der Regel will die andere Person ja nichts Schlechtes und ist ihrerseits Interessen ausgesetzt. Es bringt definitiv nichts, in einem Feind-Schema zu denken.
Das Thema Fahrrad scheint parteipolitisch zugeschrieben zu sein. Wie kann man parteiübergreifend noch mehr Zustimmung erreichen?
Für das Fahrrad gilt grundsätzlich: Wir müssen raus aus der Nische! Das Fahrrad hat sich selbst marginalisiert, die Wirtschaft genauso wie die Radfahrenden. Dabei ist es ein zutiefst bürgerliches Fahrzeug. Das hat primär nichts mit Weltrettung zu tun. Es macht einfach Spaß und jeder kann es nutzen. Einmal provokativ gesprochen: Es gibt wahrscheinlich mehr CSU wählende Damen auf dem Land, die täglich mit dem Rad unterwegs sind, als Grün wählende Latte-Macchiato-Radler in der Stadt. Wir setzen uns selbst in diese Ecke rein, anstatt zu überlegen: Wer liebt alles das Fahrradfahren? Und genau all diese Menschen zu unseren Unterstützern zu machen.
In der Bevölkerung scheint der Widerstand gefühlt zu wachsen...
Das Fahrrad hat im Grunde keine Feinde. Wir haben uns in eine Ecke drängen lassen. In Zeiten von Multikrisen wird Veränderung negativ wahrgenommen – und da ist ein wegfallender Parkplatz schon eine Bedrohung. Da kommt man wieder raus, wenn man darüber spricht, was das Fahrrad uns alles bringt und wie viel Spaß es macht.
Aktuell ist die Industrie geschwächt, und das Verkehrsministerium räumt dem Fahrrad immer weniger Priorität ein. Was sind für dich derzeit die drängendsten Themen?
Es sind viele, aber ich würde sagen: Radwege, Radwege, Radwege. Unsere Produkte sind top, aber damit ihre Nutzung für jeden und jede selbstverständlich und sicher wird, braucht es einen Umbau. Dann werden wir alle Spaß daran haben können.
Apropos Spaß: Es steht auch die Novellierung des Bundeswaldgesetzes an. Und ihr engagiert euch hier mit viel Vehemenz, weil diese auch eine Änderung des Betretungsrechts mit sich bringen könnte.
Es gab im November 2023 einen ersten semi-offiziellen Referentenentwurf, der uns durchaus in Aufregung versetzt hat, weil man aus ihm die Möglichkeit enormer Einschränkungen herauslesen konnte – und das für jegliche Radtypen, nicht etwa nur für Mountainbiker. Grundsätzlich braucht es eine Novelle des Bundeswaldgesetzes, da sind wir uns alle einig. Dem Wald geht es nicht gut. Wirtschaftlich nicht, biologisch nicht. Aber es geht um die Formulierungen, und hier ist das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden.
Gemeinsam mit der DIMB und dem Mountainbike Tourismusforum habt ihr euch zum Bike Nature Movement zusammengeschlossen und unter anderem einen parlamentarischen Abend mit Schwerpunkt “Radfahren im Wald” veranstaltet. Was ist eure Forderung?
Zunächst geht es darum, in den Dialog mit allen Beteiligten zu treten. Mit dem Ministerium, den anderen Ressorts, anderen Verbänden – vom Naturschutzbund über die Freizeitreiter bis hin zum Verband der deutschen Mittelgebirge. Uns ist wichtig, dass das Betretungsrecht nicht angefasst wird, sondern so bestehen bleibt, und da haben wir eine breite Allianz. Wir sind heute optimistischer als im Dezember, da der Austausch gut ist. Jetzt geht es darum, gemeinsam zielfördernde Formulierungen zu finden. Dennoch: Die Lobby der Waldeigentümer ist stark...
Wie kann denn die Rad-Lobby in Berlin noch stärker werden?
Es gibt noch zu viele Unternehmen, die sich raushalten. Ich wünsche mir ein hundertprozentiges Commitment der Fahrradbranche. Händler, Leasing-Anbieter, Ingenieurbüros, Tourismus – es gibt so viele Akteure. Und zu vielen scheint die Notwendigkeit noch nicht klar zu sein. Wir müssen das Thema geschlossen in seiner ganzen Bandbreite spielen. Das ist unsere Stärke und unsere Chance.
Über die letzten Jahre hat sich aber bereits viel getan, oder?
Ein großer Teil der Industrie hat inzwischen verstanden, dass sie die Politik braucht. Und auch, dass wir einen gesamtgesellschaftlichen Konsens brauchen. Wir haben immer mehr Mitglieder, mit Zukunft Fahrrad gibt es noch einen zweiten Verband – wir haben mehr und mehr Wumms. Wir sind eine Branche, die sich einmischen muss und die sich einmischen will.
Was passiert nun mit der vom Bundesrat abgelehnten Straßenverkehrsreform?
Das Ministerium fühlt sich offensichtlich verschaukelt, weil die Länder ihren ausgearbeiteten Kompromiss nicht mitgetragen haben. Es scheint aktuell, dass es nicht Lust hat, sich nochmals die Finger zu verbrennen. Das heißt: Die Länder, denen die Reform tatsächlich ein Anliegen ist, müssen die Backen zusammenkneifen und versuchen, eine informelle Verständigung zu erreichen.
Wie ist dein Ausblick in die Zukunft?
Total positiv. Wir haben momentan etwas Gegenwind, auch in der Gesellschaft. Aber der wird relativ schnell wieder abebben. Und geschäftlich mache ich mir gar keine Sorgen: Wir haben mit dem e-Bike so ein grandioses Produkt, das immer mehr Menschen entdecken werden. Und wenn die politischen Rahmenbedingungen besser werden, dann wird das Fahrrad noch weniger aufzuhalten sein.