Peter Nilges
· 28.02.2020
Warum die Briten gerne Rahmen aus Stahl und am liebsten mit ungefedertem Heck bauen, verrät uns Joe McEwan von Starling Cycles im Interview. Den Test seines Starling-Stahlfullys gibt's in BIKE 4/20.
BIKE: Viele der kleinen Custom-Schmieden in England schwören auf Stahlrahmen. Man könnte fast meinen, die englischen Ingenieure kennen sich nicht mit Alu oder Carbon aus?
Joe McEwan: Ich habe fast 20 Jahre als Statiker in der Luft- und Raumfahrtindustrie gearbeitet, überwiegend in der Carbon-Forschung und Entwicklung. Am Know-how, auch für Aluminium, mangelt es also definitiv nicht. Das ist nicht der Grund, warum Stahl so beliebt ist. Vielleicht liegt es daran, wie wir die Dinge in England gerne anpacken. Es liegt in unserer britischen Natur Sachen, ohne lange zu fackeln, auszuprobieren. Weniger überlegen, mehr machen. In der Luft- und Raumfahrt waren die Franzosen und Deutschen immer sehr gut, wenn es um anspruchsvolle Analysen und Berechnungen ging. Das schoss aber gerne über das Ziel hinaus. Die pragmatischen und umsetzbaren Lösungen kamen hingegen meistens von britischen Ingenieuren. So verhält es sich auch beim Rahmenbau von Bikes.
Gute Bikes aus Stahl kann man mit recht einfachen Mitteln bauen. Klar, könnte man auch einfach was aus Carbon zusammenschustern, in der Hoffnung, dass es hält. Die Ergebnisse wären aber nicht wirklich zufriedenstellend. Auch Alu lässt sich durch die nötige Wärmebehandlung nach dem Schweißen nicht so einfach zu Hause verarbeiten. Somit sind Stahlrahmen die logische Konsequenz aus der 'Lass es uns einfach machen'-Einstellung der Briten. Außerdem steht bei uns mehr die Fahrqualität und nicht so sehr das Gewicht im Fokus, weshalb Stahl als Rahmenwerkstoff nicht bereits von vornherein ausscheidet.
Warum schweißt du nur den Hauptrahmen deines Fullys Murmur in Bristol während der Hinterbau aus Taiwan kommmt?
Ich habe auch mit kompletten Stahl-Rahmen aus Taiwan herumexperimentiert und war mit der Qualität sehr zufrieden. Es limitierte aber meine Flexibilität, um auf Kundenwünsche einzugehen, was für eine kleine Firma aber extrem wichtig ist. Beim Hinterbau gibt es aber nur zwei Varianten, um meine drei Bike-Modelle abzudecken. Für das vordere Rahmendreieck ist die Vielfalt durch verschiedene Rahmengrößen, unterschiedliche Einbaulängen für den Dämpfer oder auch spezielle Wünsche für die Kabelverlegung deutlich größer, und ich muss nicht sechs Monate auf Nachschub aus Taiwan warten.
Obwohl du kein Hardtail im Programm hast, gibt es in England eine große Fangemeinde. Warum sind MTB-Hardtails so populär?
Die Pläne für ein Hardtail stehen bereits. Ich muss nur noch überlegen wie ich mich von all den anderen Marken abheben kann. Ich denke eine einfache Wartung spricht für das Hardtail, vor allem bei so viel Schlamm und Nässe wie bei uns. Außerdem sind die Hügel bei uns nicht so hoch und das Hardtail macht das Fahren etwas anspruchsvoller. Wir holen somit das Beste aus dem Terrain heraus. Mit einem potenten Fully wären die Trails viel langweiliger.
Was unterscheidet ein in England handgefertigtes Bike von einem üblichen Serien-Mountainbike?
Ich denke, es ist weniger die reine Performance, auch wenn sich meine Bikes großartig fahren. Sondern mehr die Leidenschaft, die in jedem Detail des Produktes steckt. Die Bindung der Kunden ist einfacher größer, als bei einem klinisch produzierten Carbon-Rahmen aus China.
Bei uns gibt es das Vorurteil, dass alle Bikes aus England einen super langen Hauptrahmen (Reach) und sehr lange Kettenstreben besitzen. Stimmt das wirklich?
Ich denke, dass die Geometron Bikes (Nicolai) von Chris Porter mit ihren extremen Geometrien einen großen Einfluss auf den UK-Markt haben. Auch ich habe auf seine Empfehlung mit extrem langen Bikes herumexperimentiert. Als Hüne wie Chris mag eine extreme Geometrie schneller sein, wenn du auch die Kraft besitzt, das Bike herum zu drücken. Für Normalsterbliche ist eine etwas konservativere Geometrie aber der bessere Ansatz. Interessanterweise hat sich die Geometrie, die ich seit etwa vier Jahren bei meinen Bikes verwende, mittlerweile als Standard bei vielen Herstellern etabliert. Ein 29-Zoll-Rad mit 65 Grad flachem Lenkwinkel, 77 Grad Sitzwinkel und 485er-Reach in Größe L. Aber warum die Briten zu längeren Kettenstreben tendieren, kann ich auch nicht sagen.
Was denkst du über den Brexit und die möglichen Folgen für deine Firma?
Ich denke, dass die Brexit-Abschottung ein Schritt in die falsche Richtung ist. Aktuell verkaufe ich jeweils ein Drittel meiner Bikes in die USA, England und Europa. Dort überwiegend nach Deutschland und in die Schweiz. Sollte einer der Absatzmärkte Probleme bereiten, habe ich also noch andere Optionen, auf die ich mich fokussieren kann. Sollte das Pfund Sterling an Wert verlieren, kurbelt das erst einmal meine Exporte an.
Der Brexit ist beschlossen, und Großbritannien kehrt der EU den Rücken. Doch unabhängig von der politischen Entwicklung pulsiert im Vereinigten Königreich eine außergewöhnliche Bike-Szene mit feinen Custom-Schmieden. Deshalb haben wir in BIKE 4/20 drei UK-Fullys von Starling, Nukeproof und Vitus getestet. BIKE 4/20 – ab 3. März im Handel.
Die gesamte Digital-Ausgabe der BIKE können Sie in der BIKE-App (iTunes und Google Play) lesen oder die Print-Ausgabe im DK-Shop nachbestellen – solange der Vorrat reicht: